Neue Regeln sorgen dafür, dass der Wettbewerb unter den Wirtschaftsprüfern belebt wird. Davon wollen ambitionierte Gesellschaften profitieren, die mit Internationalität sowie schlanken und digitalen Prüfungsprozessen, aber auch mit ihrer Nähe zum Mandanten punkten wollen. Gesucht werden Einsteiger, die sich als Generalisten verstehen und Erfolg nachhaltig definieren. Von André Boße
Struktur des Marktes
Als „Big Four“ bezeichnet man in der Branche die vier mit Abstand größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die vor allem das Geschäft mit den börsennotierten großen Unternehmen dominieren. Laut der Liste 2014 des Marktanalysten Lünendonk lag beim Umsatz in Deutschland PwC auf Platz eins, dahinter KPMG, EY (früher Ernst & Young) sowie Deloitte. Bei den in Deutschland tätigen Netzwerken und Allianzen mit unabhängigen Mitgliederunternehmen liegt Nexia Deutschland auf Platz eins, dahinter folgen Moore Stephens und HLB Deutschland.
Es ist Bewegung im Markt der Wirtschaftsprüfung. 2014 ist eine EU-Reform der Abschlussprüfungen in Kraft getreten, die dafür sorgen soll, dass der Wettbewerb der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften größer wird. So soll verhindert werden, dass die sogenannten „Big Four“ (siehe Kasten rechts) noch mehr Marktanteile gewinnen und das Geschäft mit den großen Unternehmen öffentlichen Interesses (englisch abgekürzt PIEs für „Public Interest Entities“) wie große Aktiengesellschaften, Banken oder Versicherungen ganz unter sich ausmachen. Zwei neue Regeln beleben den Markt: Externe Prüfungsgesellschaften müssen nach zehn Jahren gewechselt werden – eine Rotation, die ohne äußere Vorgabe nur selten vorkommt. Zudem dürfen die Gesellschaften Leistungen, die nicht mit der Abschlussprüfung in Verbindung stehen, nicht gleichzeitig anbieten. Dazu zählen auch strategische Beratungen, Steuerberatungen oder Bewertungen, welche die „Big Four“ mit ihrer starken Manpower gerne direkt mit angeboten haben – die kleinere Konkurrenz konnte hier häufig nicht mithalten.
Mehr Wechsel und mehr Transparenz – das hat Folgen für die ambitionierten Gesellschaften jenseits der großen Vier, die nun punkten wollen und Einsteigern ebenfalls interessante und chancenreiche Jobperspektiven geben. „Wir müssen deutlicher kommunizieren, was uns auszeichnet und dass wir in der Lage sind, nun auch als glaubwürdiger Mitanbieter für international agierende Unternehmen aufzutreten“, sagt Harald Nikutta, Global Leader Business Development bei Mazars, einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, für die in Deutschland rund 300 Mitarbeiter tätig sind. Das Unternehmen ist in 73 Ländern vertreten und wird von weltweit rund 800 Partnern geführt. „Rein rechtlich sind wir tatsächlich eine Genossenschaft, in der wir als Partner intensiv zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen“, sagt Nikutta. Das Unternehmen verfügt noch nicht über einen so großen Namen wie die großen Gesellschaften, sodass Mazars vor der Aufgabe steht, mit Kunden, aber auch mit ambitionierten Nachwuchskräften stärker in den Dialog zu kommen. Das gelingt, indem das Unternehmen seine Eigenheiten hervorhebt. „Wir legen Wert auf nachhaltige Geschäftsbeziehungen und sind daher gerade nicht scharf auf das eine nächste große Projekt, mit dem wir dann abkassieren und weiterziehen“, sagt Nikutta. Für Einsteiger bedeute dies: Lieber Wert darauf legen, mit dem ersten Prüfungsprojekt den Grundstein für ein zweites und drittes Projekt zu legen, als beim ersten Mal möglicherweise gleich mehr zu verkaufen, als der Mandant eigentlich benötigt.
Buchtipp
Mehr über den Markt, viele weitere Zahlen und Entwicklungen:
Lünendonk-Handbuch
Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung 2015.
Haufe Lexware 2014.
ISBN 978-3648055878.
49,00 Euro.
Internationalität durch Netzwerke
Auch bei anderen aufstrebenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geht der Trend dahin, die internationale Schlagkraft zu erhöhen, ohne dabei die Nähe zu den häufig mittelständischen Mandanten zu verlieren. Die deutsche Gesellschaft Baker Tilly Roelfs zum Beispiel ist Teil des internationalen Netzwerks Baker Tilly International mit 27.000 Mitarbeitern in 137 Ländern. Und Ebner Stolz, eine der größten mittelständischen Prüfungsgesellschaften mit Hauptsitz in Stuttgart, wickelt länderübergreifende Aufträge mit Partnern des Netzwerks Nexia International ab, in dem sich weltweit rund 100 Prüfungsunternehmen zusammengeschlossen haben. „Die Mitglieder kennen sich durch die enge Zusammenarbeit sowie den regelmäßigen fachlichen Austausch auf den Konferenzen. Alle Mitglieder vereinen außerdem die gleichen hohen Qualitätsanforderungen“, erklärt Bernhard Steffan, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und einer der Partner der Gesellschaft.
Im Kontakt mit den Mandanten lege man Wert darauf, dass es nicht für jeden Fachbereich einen anderen Ansprechpartner gebe. Steffan: „Es gibt einen einzigen Berater, der einerseits über eine entsprechende Branchenkompetenz und andererseits als Generalist über ein breites, fundiertes Fachwissen in mehreren Fachbereichen verfügt.“ Doch Einsteiger müssen nicht befürchten, bei Spezialthemen im Regen stehengelassen zu werden: „Dann helfen die entsprechenden Experten aus den Competence Centern.“ Wer als Absolvent der Wirtschaftswissenschaften bei der Gesellschaft einsteigt, erhält von Beginn an eine zweigleisige Ausbildung als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater; auch im Bereich Jura werden die Nachwuchskräfte ausgebildet. Dies sei erforderlich, um Sachverhalte in ihren Konsequenzen einordnen zu können. „Aber ein Vollblutjurist“, so Steffan, „muss ein Wirtschaftswissenschaftler nicht sein. Schlagen beispielsweise bei der Prüfung eines Jahresabschlusses oder bei der Erstellung eines Sanierungskonzepts rechtliche Themen auf, werden immer unsere Rechtsanwälte hinzugezogen.“
Die Jahresabschlussprüfung ist und bleibt das Herzstück der Arbeit der Wirtschaftsprüfer
Hohe Verantwortung bei Risikoprüfung
Die Jahresabschlussprüfung ist und bleibt das Herzstück der Arbeit eines Wirtschaftsprüfers. Richtig spannend wird der Beruf aber vor allem dann, wenn man abseits der Pflicht für den Mandanten tätig werden kann. „Dann durchleuchten wir die Unternehmen, schauen hinter die Kulissen, erfahren, wie ein Unternehmen tickt“, sagt Bernhard Steffan von Ebner Stolz und nennt ein Beispiel von Ende 2014: „Einer unserer Mandanten hatte einen großen Kunden verloren und war kurz davor, große Probleme mit seinen Banken zu bekommen. Wir haben zusammen mit ihm ein Sanierungskonzept entwickelt und ihm bei der Umsetzung geholfen. Dieses aktive Handeln hat die Banken und Kreditversicherer sehr beeindruckt. Heute ist das Fahrwasser wieder bedeutend ruhiger.“
Dass es Tätigkeiten wie diese sind, die den Beruf eines Wirtschaftsprüfers besonders anspruchsvoll machen, darüber ist man sich in der Branche einig. „Unser Nachwuchs muss über sehr gute fachliche Kenntnisse verfügen und bereit sein, sich ständig fort- und weiterzubilden“, fasst Andreas Weissinger, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei Baker Tilly Roelfs zusammen. Da sich die Fragestellungen, Prozessabläufe sowie vor allem auch die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, von Mandant zu Mandant unterschieden, sind neben der fachlichen Expertise auch eine rasche Auffassungsgabe, eine hohe Sozialkompetenz sowie die Fähigkeit, in interdisziplinären Team tätig zu sein, wichtig, betont Weissinger. „Wir geben unseren Mandanten das Versprechen, bereichsübergreifend zu arbeiten – und dieses muss auch eingehalten werden.“ Zum Beispiel bei den Due Diligence, also den Risikoprüfungen, bei denen es auf große Sorgfalt ankommt: „Hierbei untersuchen wir für einen potenziellen Käufer Unternehmen auf Chancen und Risiken in steuerlichen, rechtlichen, betriebswirtschaftlichen und kommerziellen Belangen.“ Die Ergebnisse fließen in die Kaufentscheidung und Preisfindung ein. „Entsprechend hoch ist auch unsere Verantwortung, als Team eine Empfehlung abzugeben.“
Trend zur Digitalisierung
Weiterhin steigt die Bedeutung von IT-Know-how. „Die zunehmende Digitalisierung sowie die Einführung komplexer Enterprise-Resource-Planning-Systeme haben Auswirkungen auf den Arbeitsalltag“, so Weissinger. Die Belegprüfung der vergangenen Jahrzehnte trete bei komplexeren Prüfungen immer mehr in den Hintergrund, „inzwischen nimmt die digitale, prozessgestützte Prüfung einen sehr hohen Stellenwert ein“.
Den Unterschied der Arbeit bei einer großen und bei einer mittelständischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bringt Tobias Lahl so auf den Punkt: „Im Mittelstand ist man mehr Generalist und nicht Spezialist.“ Der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ist geschäftsführender Vorstand von wp.net, dem Verband für die mittelständische Wirtschaftsprüfung, und stellt in Aussicht, dass bei den kleineren Gesellschaften der Einsteiger aufgrund der meist flachen Hierarchien zumeist direkt mit dem Wirtschaftsprüfer selbst zu tun habe. „Es ist persönliche Kundennähe gegeben – mit dem Vorteil, dass der neue Mitarbeiter schnell Verantwortung in kleinen Bereichen übernehmen kann und somit die gesamte Bandbreite der Abschlussprüfung kennenlernt.“ Der frühe und direkte Umgang mit Mandanten erfordere jedoch Menschenkenntnis und auch ein gewisses Durchsetzungsvermögen. „Denn nicht alles, was der Mandant möchte, ist mit dem Gesetz und unseren Berufspflichten vereinbar.“
Wirtschaftsprüfer – das ist eben in erster Linie ein freier Beruf, der nicht von Checklisten und Häkchen dominiert wird. „Es zählen der gesunde Menschenverstand und die Berufsgrundsätze wie Unabhängigkeit und Gewissenhaftigkeit“, sagt Tobias Lahl. Denn diese Eigenschaften sind es, die heute wie morgen die wesentliche Grundlage für die Wirtschaftsprüfung sein müssen.
PIE oder Nicht-PIE?
Als PIE (Public Interest Entities) bezeichnet man in der Branche börsennotierte Unternehmen sowie Banken und Versicherungen, die eine Abschlussprüfung machen müssen. In Deutschland werden diese rund 800 gesetzlichen Abschlussprüfungen von etwa 80 Gesellschaften vorgenommen, so der Verband für die mittelständischen Wirtschaftsprüfer wp.net e.V. Diese Aufträge sind in der Regel besonders lukrativ. Die 45.000 einfachen gesetzlichen Abschlussprüfungen von Nicht-PIE-Unternehmen werden laut wp.net von derzeit rund 3800 Gesellschaften oder Praxen durchgeführt. 2007 waren es noch 4600 dieser kleineren Akteure. Da die Kosten für Bürokratie stiegen und die Prüfungshonorare sanken, verließen einige jedoch den Prüfermarkt. Der Verband tritt dafür ein, im Zuge der EU-Reform die Nicht-PIE-Prüfer so zu entlasten, dass dieser Markt „eine Renaissance erlebt“, so die Experten bei wp.net.
www.wp-net.com