Wenn es darum geht, die Perspektiven der Finanzbranche zu analysieren, ist Professor Michael H. Grote von der Frankfurt School of Finance & Management ein begehrter Gesprächspartner. Für den karriereführer schätzt der 43-Jährige die Aussichten für Einsteiger trotz aller Unkenrufe sehr positiv ein. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Prof. Dr. Michael H. Grote ist Vizepräsident für die Lehre bei der Frankfurt School of Finance & Management, einer der führenden Privathochschulen in Deutschland. Nach einem Doppelstudium in Volkswirtschaftslehre und Politologie promovierte er an der Frankfurter Goethe-Universität über die Entwicklung des Finanzplatzes Frankfurt. Der 43-Jährige ist Professor für Corporate Finance. In dem 2009 erstmals vom Handelsblatt durchgeführten Ranking der Forschungsproduktivität aller deutschsprachigen BWL-Professoren zählt Michael H. Grote zu den besten zehn Prozent.
Herr Professor Grote, wenn Sie den Karriereeinstieg eines Bankers von heute mit dem vor zehn Jahren vergleichen: Was ist grundlegend anders?
Es gibt schon Änderungen, wobei die Stimmung vor zehn Jahren auch schlecht war. Damals war gerade die Neue-Markt-Blase geplatzt. Insbesondere 2003 war der Katzenjammer groß, die Kurse im Keller. Die Jahre ab 2004 waren dann wieder von einer recht positiven Grundstimmung geprägt. Der große Unterschied: Damals standen die Chancen im Vordergrund, heute schaut die gesamte Finanzbranche viel mehr auf die Risiken.
Kann man daher von einem echten Kulturwandel sprechen?
In meinen Augen schon, ja. Damit geht einher, dass die schlagzeilenträchtigen Verdienstmöglichkeiten für Berufseinsteiger heute seltener geworden sind – wobei man sagen muss, dass es diese auch früher immer nur für sehr wenige gab. Infolge des Wandels sind aggressive Verkäufertypen weniger gefragt. Neue Chancen bieten sich dafür im Risikomanagement und allem, was dazugehört. Also in den Abteilungen, die sich mit der Vielzahl von neuen Vorschriften auf allen Ebenen auseinandersetzen – etwa im Bereich Compliance, der Validierung von Risikomodellen oder dem Aufsichtsrecht.
Können Sie Einsteigern Argumente an die Hand geben, mit denen diese gegen ihr momentanes Image ankämpfen können?
Natürlich ist es wahr, dass durch die Finanzkrise die Branche in ein schlechtes Licht gerückt ist. Ich denke aber, dass dies durch die Medien auch etwas aufgebauscht wird. Wenn jemand, den Sie kennen, bei einer Bank anfängt zu arbeiten, erhält diese Person ja kein schlechtes Image. Knapp 100 Prozent der Banker sind ganz gewissenhafte Leute, die sehr sorgfältig und nach bestem Wissen und Gewissen ihre Arbeit verrichten – und dies bei gutem, aber in der Regel nicht aufsehenerregendem Gehalt. Man darf zudem ja nicht vergessen: Die Dienstleistungen der Finanzbranche werden benötigt und nachgefragt. Nach wie vor suchen Sparer und Anleger nach Möglichkeiten, ihre Ersparnisse gut anzulegen, andere wollen Wohnungen und Häuser finanzieren. Auch Unternehmen müssen sich finanzieren und ihre internationalen Risiken gut absichern. Das sind notwendige und wichtige Tätigkeiten, die Banken und Banker erfüllen. Und sie tun das in einer faszinierenden Branche, die sich durch eine hohe Internationalität auszeichnet.
Wenn Sie die Geschäftsbereiche der großen Banken betrachten: In welchen Bereichen sind die Chancen für Einsteiger gut?
Es gibt eigentlich keinen Bereich, den ich gar nicht empfehlen kann. Es wird sicher in zehn Jahren weniger Zweigstellen geben als bisher, aber das ist ein langfristiger und schon lange andauernder Prozess. Gute und sehr gute Einstiegsmöglichkeiten bieten sich im Risikomanagement, in der Compliance sowie bei der Integration von Onlineund Offline-Banking. Darüber hinaus bieten sich auch im Investmentbanking, insbesondere in der Beratung, immer wieder tolle Möglichkeiten.
Wenn Sie den „optimalen Banker“ für die kommenden Jahren definieren sollten, welche Eigenschaften, die heute immer noch zu wenig zählen, sind unverzichtbar?
Neben hoher Integrität und einer generellen Leistungsbereitschaft vor allem die Fähigkeit, sich in die Position des Kunden hineinzuversetzen.
Erhalten denn die Banker von ihren Arbeitgebern ausreichend Unterstützung und Zeit, um sich tatsächlich in ihre Kunden hineinversetzen zu können? Bisher standen sie ja vor allem unter Druck, Zielvorgaben zu erreichen.
Ich denke, in den Banken setzt sich ein neues Bewusstsein durch: Die Bedürfnisse der Kunden werden ernster genommen, als dies eventuell vorher der Fall war. Allerdings ist die Bereitschaft der Kunden, für eine Beratung entweder in Form höherer Preise oder durch explizite Beratungsgebühren zu bezahlen, momentan noch sehr gering. Man sieht das auch am Erfolg des Online-Bankings. Insgesamt stehen bei vielen Banken die Geschäftsmodelle in dieser Hinsicht auf dem Prüfstand. Die Herausforderung lautet, Beratung und preisgünstiges Online-Banking profitabel miteinander zu vermählen.