Versicherungen haben es im Gegensatz zu anderen Bereichen in der Finanzwirtschaft geschafft, ohne nennenswerte Verluste durch die letzten Jahre zu kommen. Sie hielten nicht nur das Beschäftigungsniveau, sondern haben sogar die Sorge: Wo bekommen wir ausreichend Fachkräfte für die Zukunft her? Von Christoph Berger
Gute Noten, einen Masterabschluss und Praxiserfahrung im Versicherungsbereich: Dominique Zeh brachte zu ihrem Berufsstart bei der Allianz alles mit, was sich ihr Arbeitgeber erhoffte und was die Wunschanforderungen vieler Versicherer sind. Bereits während ihres Studiums hatte die heute 29-jährige Betriebswirtin begonnen, Kontakte zu Deutschlands größtem Versicherer zu knüpfen. Erst arbeitete sie als Werkstudentin in dem Unternehmen, später schrieb sie dort ihre Masterarbeit zum Thema Marktmanagement im Bereich Alternative Vertriebswege. Darin analysierte sie die Vertriebsstrukturen von Versicherungen und arbeitete alternative Wege des Verkaufs von Finanzdienstleistungsprodukten heraus. „Nach dieser strategischen Arbeit wollte ich das operative Geschäft eines Versicherungsunternehmens kennenlernen. Deshalb habe ich mich um eine der Traineestellen beworben“, sagt sie. Ein Jahr lang lernt sie nun die unterschiedlichen Personenversicherungsbereiche des Unternehmens kennen – also die Sparten Leben und Kranken. Gerade hat sie zehn Wochen Schulung zum Thema betriebliche Altersversorgung hinter sich. Im ersten Jahr des Traineeprogramms sind auch einige Stationen im Vertrieb vorgesehen. Im zweiten Jahr sind Stationen geplant, die sie auf ihre weitere Laufbahn vorbereiten. Zum Ende wird sie eine Projektarbeit durchführen.
Dominique Zeh hat sich für ihren Berufseinstieg eine Branche ausgesucht, die zu einem der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren in Deutschland zählt. Die Versicherungswirtschaft wird im Umsatzvergleich mit anderen Branchen nur vom Maschinenbau und der Chemischen Industrie überflügelt. Laut dem Statistischen Taschenbuch der Versicherungswirtschaft 2011, das vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft herausgegeben wird, arbeiten in und für die 582 Versicherungsunternehmen in Deutschland 561.600 Menschen. 53 Prozent von ihnen sind abhängig beschäftigt, 47 Prozent selbstständige Versicherungsvermittler und -berater. Die meisten Versicherer haben sich auf Schaden und Unfall spezialisiert. Es folgen die Pensionskassen, Lebensversicherungen, Krankenkassen und Rückversicherer.
Legt man das Prämienaufkommen zugrunde, ist Deutschland im Segment der Rückversicherung der führende Standort weltweit, eines der größten Unternehmen ist die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, bekannt unter der Marke Munich Re. Dort arbeitet seit 2010 die Mathematikerin und Geowissenschaftlerin Linda Gleser. In der Abteilung Global Clients/North America ist die 28-Jährige zuständig für die Risikomodellierung von Sachversicherungen im nordamerikanischen Markt. Ihre Kunden sind zumeist Erstversicherer, die sich mögliche Schäden ihrer Klientel absichern lassen wollen. Gleser schätzt anhand stochastischer Modelle zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, mit der Industrieanlagen in verschiedenen Regionen von Naturkatastrophen getroffen werden. „Die Berechnung von Naturkatastrophen- Risiken besteht vor allem in der Plausibilisierung, zu der eine intensive Auswertung eigener Daten und Ergebnisse gehört“, erklärt sie. Neben den Modellen nutzt Gleser aber auch Satellitenbilder, weitere Experteneinschätzungen und Datenmaterial. Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse wird schließlich für jeden Versicherungsbestand, der rückversichert werden soll, entschieden, zu welchen Bedingungen das passieren kann und was dafür der risikoadäquate Preis ist. Beides fließt in den Vertrag mit dem Kunden ein, den ein Underwriter zeichnet. Der Rückversicherer übernimmt bei Naturkatastrophendeckungen oft das Spitzenrisiko aus dem Bestand des Erstversicherers und sorgt durch seine Internationalität für geografische Streuung der Risiken. Immer behält der Risikomodellierer dabei die Grenzen des eigenen Risikoappetits im Auge. „Unsere Modelle dienen auch der Kontrolle unseres gesamten Versicherungsbestandes“, sagt sie. „Das heißt, dass wir in besonders gefährdeten Regionen Haftungen deckeln; das Risiko kann ansonsten auch für den Rückversicherer zu hoch werden.“
Schon etwas länger in der Versicherungsbranche ist die 31-jährige Nicole Heidemeyer. Nachdem sie Ende 2006 bei der Generali Deutschland Gruppe ein zwölfmonatiges Traineeprogramm begonnen und durchlaufen hat – inzwischen wurde es auf 18 Monate ausgeweitet –, arbeitete sie im Personalmanagement des Unternehmens. Dort baute sie das strategische Personalmarketing auf. „Der Reiz lag für mich darin, mitzugestalten und gemeinsam mit Mitarbeitern der unterschiedlichen Konzernunternehmen eine Strategie für den Auftritt der Generali Deutschland im Bewerbermarkt zu entwickeln“, erinnert sie sich an ihr erstes Projekt. Schon während ihres Traineeprogramms konnte sie von dem großen Unternehmensverbund und der Markenvielfalt des Unternehmens profitieren, verschiedene Tätigkeitsfelder bei unterschiedlichen Konzernunternehmen kennenlernen. So wurde sie auf eine zukünftige Führungsaufgabe im Konzern Schritt für Schritt vorbereitet. Seit einem halben Jahr leitet sie nun die Gruppe Projekte im Projekt-und Anforderungsmanagement der Generali Deutschland Schadenmanagement, einer internen Dienstleistungsgesellschaft des Konzerns. „Unser Betätigungsfeld sind die aus der jährlichen Maßnahmenplanung abgeleiteten IT-Projekte zur Erweiterung und Optimierung der Anwendungslandschaft im Schadenmanagement“, erklärt sie. Zu ihren Aufgaben gehört dabei nicht nur, die Projekte mit ihrem Team abzuwickeln und zu begleiten. Sie muss auch die Schnittstellenfunktion zwischen IT und Fachbereich sicherstellen und dafür sorgen, dass die fachlichen Anforderungen in den IT-Systemen abgebildet werden. Ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten und auf Fakten basierende Überzeugungsarbeit sind dafür extrem wichtig.
Fragt man die drei Versicherungsexpertinnen nach ihren Motivationen und den Gründen dafür, warum sie sich die Versicherungsbranche für ihren Karrierestart ausgesucht haben, sind die Antworten ähnlich: „Auch wenn es nach außen hin nicht immer den Anschein macht: Die Versicherungsbranche ist eine spannende und interessante Branche.“ Das beginne schon bei der Vielfalt im Mitarbeiterstamm. Fast sämtliche Berufsgruppen sind in einem Versicherungsunternehmen vertreten: vom Betriebswirt über den Informatiker und Ingenieur, vom Zahnarzt und Juristen bis hin zum Kunsthistoriker – dieser Mix macht die Arbeit nach Ansicht der drei äußerst interessant. Hinzu kommt, dass die Branche ständigen Veränderungen und Anpassungen unterworfen ist – hervorgerufen durch rechtliche Vorgaben, den technischen Fortschritt sowie durch soziale und gesellschaftliche Entwicklungen. Die Unternehmen müssen zum einen reagieren, zum anderen vordenken. Dies mache sie innovativ, ständig sei man dabei, Lösungen zu suchen und zu entwickeln.
Nicht nur die drei Einsteigerinnen sind sich bezüglich der Attraktivität der Branche einig, sondern auch die Personalverantwortlichen, wenn es um das Anforderungsprofil von Absolventen geht. An erster Stelle steht dabei der zu Beginn erwähnte sehr gute Notendurchschnitt im Studium. Dominik Hahn, Personalreferent im Personalmarketing bei der Allianz, sagt: „Für unsere Einstiegsprogramme suchen wir die 10 bis 15 Prozent der Besten.“ Wer in das Vorstandsassistentenprogramm aufgenommen werden will, sollte außerdem einen MBA oder die Promotion in der Tasche haben. Verena König, Personalverantwortliche bei Munich Re, fügt hinzu: „Wir suchen außerdem Absolventen international ausgerichteter Studiengänge und erwarten sehr gute Fremdsprachenkenntnisse, Praktikums- und Auslandserfahrungen.“ Dafür wird einiges geboten: Neben einer intensiven Betreuung, einem gegenüber anderen Branchen überdurchschnittlichen Gehalt und vielfältigen Weiterbildungsmöglichkeiten weiten die Unternehmen ihr Angebot aus. Christoph Zeckra, Leiter Konzernpersonal bei der Generali Deutschland, sagt: „Die Vereinbarkeit von Karriere und Familie wird durch unterschiedliche Familien- und Betreuungsangebote und flexible Arbeitszeitmodelle auch für Führungskräfte besonders gefördert.“