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Interview mit Franz Kühmayer

Der Wiener Managementberater Franz Kühmayer ist beim Zukunftsinstitut Experte für moderne Führung und die Zukunft der Arbeit. Im Interview erklärt der Trendforscher, warum Führung  heute verrückt sein darf, warum wir Arbeit falsch verstehen und eine digitale Ethik notwendig ist. Die Fragen stellte André Boße.

Herr Kühmayer, Sie fordern für Führungskräfte eine Eigenschaft namens „Crazy Responsibility“. Wie kann jemand, der verrückt ist, gleichzeitig Verantwortung tragen?
Unser Alltag wurde in den vergangenen Jahren von krisenhaft wirkenden Entwicklungen geprägt, so ist in deutschen Unternehmen vielfach ein ängstlicher Blick auf die Zukunft entstanden. In diesem Klima blüht über allen Debatten und Entscheidungen das Zögerliche, Vorsichtige und Beharrende. Es gewinnt also ein Führungsstil, der immer neue Kontrollinstrumente schafft, um für Stabilität zu sorgen. Doch dieses systemerhaltende Mikromanagement verhindert notwendige Veränderungen. Es steht der Innovationsbereitschaft des Unternehmens diametral gegenüber – und damit erst recht der Zukunftssicherheit.

Ängstliche Erstarrung ist also das Gegenteil von verantwortungsbewusstem Handeln. Fordernde Zeiten sind ein fruchtbarer Boden für frische Ideen – in diesem Sinne leben wir in einer geradezu prototypischen Aufbruchzeit. Auch wenn es paradox klingt: Es ist vernünftig, gerade jetzt mutig zu denken und zu handeln. Verantwortliche Unternehmen brauchen daher mehr „Verrückte“ – also Menschen, die den Mut haben, in neuen Geschäftsmodellen zu denken, frische Innovationen zu wagen und unbeschrittene Pfade auszuprobieren.

Top-Manager dürfen als Querköpfe agieren, aber können sich auch Einsteiger und junge Führungskräfte Verrücktheiten leisten?

Zur Person

Franz Kühmayer, Foto: Zukunftsinstitut
Franz Kühmayer, Foto: Zukunftsinstitut

Franz Kühmayer ist Managing Partner bei der Unternehmensberatung KSPM und Trendforscher beim Zukunftsinstitut. Dort ist er Experte für die Zukunft der Arbeit und modernes Leadership sowie Autor des Leadership-Reports, der jährlich neue Trends beim Thema Führung herausarbeitet. Zuvor war der Wiener zehn Jahre lang Top-Manager bei Microsoft. Er studierte zunächst in Wien Physik und Informatik, danach in Chicago und Seattle BWL mit den Schwerpunkten Marketing, Leadership und Unternehmensstrategie.

Die Stellenanzeigen sind voll von Inseraten, in denen innovative Querdenker gesucht werden. Es ist schwer genug, solche Talente zu finden und an das eigene Unternehmen zu binden. Doch selbst, wenn das gelingt, erleben diese jungen Mitarbeiter im Alltag vielfach, dass ihre frischen Ideen gar nicht so willkommen sind. Stattdessen trifft sie wie eine Keule die Dreifaltigkeit des Ideentodes.

Erstens, das haben wir schon immer so gemacht. Zweitens, das haben wir noch nie gemacht. Drittens, da könnte ja jeder kommen. Spätestens nach einem halben Jahr ist dann Schluss mit Querkopf: Entweder man hat sich angepasst, oder man ist wieder weg. Das darf so nicht bleiben. Es ist Zeit, das quere Denken nicht nur zuzulassen, sondern aktiv zu fördern.

Bei moderner Führung geht es häufig um „Enabling“, also das Ermöglichen. Wie unterscheidet sich Ihr Enabling-Begriff vom klassischen Leadership-Verständnis hierarchisch denkender Führungskräfte?
Immer mehr Führungskräfte erkennen, dass Situationen komplexer geworden sind und nicht mehr mit simplen Ursache-Wirkungs-Prinzipien erklärt werden können. Das führt Manager auf unsicheres Terrain, denn damit verfügen sie nicht mehr über die Deutungshoheit bei Entscheidungen. Logische Konsequenz: Es wird zunehmend sinnvoll, die Vorgaben von oben zu reduzieren – und damit die Freiheitsgrade für Mitarbeiter zu erhöhen. Allerdings haben bislang nur wenige Unternehmen gewagt, selbstbestimmtes Arbeiten auch organisatorisch abzubilden.

Dabei existieren vielfach bereits eigenverantwortliche Systeme, denn unter den Augen der Führungskräfte bilden sich in Unternehmen viele informelle Strukturen von eigentlichen Entscheidungsträgern und Einflüsterern. Führungskräfte sollten Schneisen in tradierte Machtstrukturen schlagen, damit sich beide Strukturen angleichen. Das kann von recht einfachen Partizipationsmechanismen bis hin zu demokratischen Unternehmensstrukturen gehen, die komplett von unten her aufgebaut werden.

Sie nutzen zudem den Begriff „Antiwork“. Was ist falsch an unserem Verständnis von Arbeit?
Ich möchte mit dem Begriff einen Beitrag dazu leisten, Arbeit neu zu denken. Wir sind noch immer recht stark in einem industriellen Denkmuster verankert, das Arbeit an drei Koordinaten festmacht. Erstens an einem bestimmten Ort, daher kommt ja die Redewendung „Ich fahre zur Arbeit“. Zweitens an einer bestimmten Zeit, mit den bekannten Diskussionen um Arbeitszeitflexibilisierung oder die Work-Life-Balance. Drittens daran, dass Arbeit in gewissem Sinne weh tun muss, wir schätzen nämlich nicht nur das Resultat der Arbeit, sondern vor allem auch den Aufwand: Wer sich stundenlang abrackert, hat mehr Arbeit erledigt, als jemand, der im Handumdrehen ein Ergebnis hervorbringt. Damit muss Schluss sein.

Denn: Ein Drei-Stunden-Arbeitstag an einem persönlich ausgesuchten Ort – zum Beispiel im Kaffeehaus am Laptop sitzend – ist häufig produktiver als ein Zwölf-Stunden-Tag voller mühsamer, aber ergebnisloser Meetings. Intellektuell leuchtet uns das ein. Emotional ist es noch nicht angekommen.

Es wird zunehmend sinnvoll, die Vorgaben von oben zu reduzieren – und damit die Freiheitsgrade  für Mitarbeiter zu erhöhen.

Wie kann Führung dabei helfen, Arbeit neu zu denken?
Der erste und wichtigste Schritt ist es, von einer Tätigkeitsorientierung zu einer Ergebnisorientierung zu gelangen. Studien weisen darauf hin, dass sich 70 Prozent der Führungskräfte heute noch auf Führungsprinzipien verlassen, die auf Verhaltenskontrolle beruhen. Das heißt, es wird beobachtet, wie sich Mitarbeiter am Arbeitsplatz verhalten, welche Arbeitsweisen sie an den Tag legen oder wann und wie lange sie arbeiten. Das Gegenteil nennt sich ROWE, eine Abkürzung für „Results Oriented Work Environment“, also ein an Ergebnissen orientiertes Arbeitsumfeld. Ein solches zu schaffen, funktioniert nicht von heute auf morgen. Es muss sowohl von den Führungskräften, als auch von den Mitarbeitern erst noch gelernt werden.

Ist es etabliert, führt es zu zweierlei: Erstens zu einem anderen Menschenbild, denn man geht dann grundsätzlich davon aus, dass sich Mitarbeiter gerne einbringen, gerne etwas leisten und nicht dazu genötigt werden müssen, etwas zu tun. Und zweitens zur damit eng verknüpften Sinnfrage: Denn wenn ich ein Ergebnis einfordere, muss ich auch die Frage beantworten können, warum man diese Arbeit leistet.

Wie wird die Digitalisierung die Führungskultur verändern?
Wer denkt, Industrie 4.0 sei ein Förderband mit Internet-Anschluss und digitalisierte Gesellschaft seien Bürger mit Smartphones, der hat leider nichts verstanden. Die hinter der Digitalisierung liegenden Fragen beinhalten viel ökonomischen und gesellschaftlichen Sprengstoff. Wenn also die digitale Transformation gelingen soll, müssen sich Führungskräfte dafür kraftvoll und vor allem persönlich engagieren. Bislang ist das nicht gelebte Praxis: Nur fünf Prozent der CEOs sind an der Formulierung und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie ihres Unternehmens federführend beteiligt. Die Konsequenz daraus ist verheerend, denn eine digitale Vision, die halbherzig geplant und umgesetzt ist, greift zu kurz.

Zum Unternehmen

Das Zukunftsinstitut zählt zu den bedeutendsten Think-Tanks der Trend- und Zukunftsforschung im deutschsprachigen Raum und liefert strategisches Wissen für die Wirtschaft von morgen. Gegründet wurde es 1997 von Trendforscher Matthias Horx. Neben dem Hauptsitz in Frankfurt am Main betreibt das Zukunftsinstitut Büros in München und Wien. Ein Kernstück der Arbeit des Instituts sind die jährlichen Zukunftsreports, die für Wirtschaft und Gesellschaft neue Trends vorstellen.

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