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Interview mit Dr. Anselm Grün

Bemerkenswert: Einer der gefragtesten Manager-Coaches und Business Speaker dieser Zeit ist ein Benediktinermönch. Aber Pater Anselm Grün hat auch Betriebswirtschaft studiert und ist vom Fach: Als wirtschaftlicher Leiter der Klosterbetriebe der Abtei Münsterschwarzach versteht sich der 68-Jährige auf eine Führungskultur, die den Wert der Mitarbeiter in den Fokus rückt. Ein Gespräch über eine andere Definition von Karriere, die Vereinbarkeit von Theologie und Wirtschaft sowie die Kraft, die in der Ruhe liegt. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Anselm Grün, geboren am 14. Januar 1945 im fränkischen Junkershausen, wuchs in München auf. Schon als kleiner Junge half er im elterlichen Elektrogeschäft aus und verkaufte Glühbirnen und Taschenlampen. Nach dem Abitur trat er mit 19 Jahren in die Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg ein. Er studierte Philosophie und Theologie und promovierte 1974 als Theologe. Im Anschluss studierte er in Nürnberg BWL und übernahm nach dem Abschluss den Posten des wirtschaftlichen Leiters (Cellerar) der Abtei. Sein erstes Buch schrieb Anselm Grün 1976. Aktuell zählt seine Bibliografie rund 300 lieferbare Bücher auf, die sich weltweit mehr als 20 Millionen Mal verkauft haben. In seinen Kursen und Vorträgen widmet sich der 68-Jährige vor allem Managern. Für viele Top-Manager ist Anselm Grün heute ein spiritueller Berater und geistlicher Begleiter geworden.
www.anselm-gruen.de

Pater Anselm Grün, unser Gespräch erscheint in der Rubrik „Top-Manager- Interview“. Fühlen Sie sich hier gut aufgehoben?
(lacht) Also, als Top-Manager sehe ich mich sicherlich nicht. Ich bin in erster Linie ein Mönch des Benediktinerordens …

… tragen aber die Verantwortung für 20 klösterliche Betriebe mit 300 Angestellten, darunter ein sehr erfolgreicher Verlag und ein Energieprojekt, das Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt.
Das stimmt, ich bin seit 1977 Cellerar des Klosters und als solcher der wirtschaftliche Leiter dieser Betriebe. Das mag insgesamt vielleicht die Dimension eines mittelständischen Unternehmens annehmen, doch ich widme mich dieser Aufgabe nicht mit dem Gefühl eines Top-Managers.

Worin liegt der Unterschied?
Ich verfüge über kein klassisches Karrieredenken. Ich arbeite nicht, um eine Laufbahn zu beschreiten. Ich tue meine Arbeit, um andere Menschen zu unterstützen. Um ihnen Selbstvertrauen zu geben und sie zu ermutigen, ihren eigenen Werten zu vertrauen.

Stehen Sie dem Begriff der Karriere grundsätzlich skeptisch gegenüber?
Das nicht, nein. Wer Karriere macht, erhält dadurch Macht. Und Macht kann etwas Positives sein, denn sie gibt mir die Möglichkeit, etwas mitzugestalten. Zum Beispiel die Zukunft eines Unternehmens. Um Ernst Bloch zu zitieren: „Wertvoll ist nur das, was Hoffnung vermittelt.“ In diesem Sinne sollten Unternehmen die Aufgabe wahrnehmen, Hoffnung auf eine bessere, menschlichere Zukunft zu vermitteln. Damit das gelingen kann, benötigen die Firmen Menschen, die Freude daran haben, diese Zukunft mitzugestalten.

Sehen Sie viele Unternehmen, die diese Aufgabe erfüllen?
Durchaus. Im Zeitalter der Globalisierung erfüllen internationale Unternehmen zum Beispiel die Aufgabe, Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen zu integrieren. Das ist eine sehr wichtige Funktion für unsere heutige Weltgesellschaft.

Bevor Sie 1977 das Amt des Cellerars antraten, studierten Sie in Nürnberg BWL. Sie sprechen rückblickend von einem beinahe krisenhaften Erlebnis. Was hat Sie damals so sehr irritiert?
Schon die Einschreibung (lacht). Ich hatte kurz zuvor in Theologie meine Promotion abgelegt – und nun war ich plötzlich wieder Erstsemester. Ich erinnere mich daran, dass ich nur wenig Selbstvertrauen besaß. Die Welt der Theologie unterscheidet sich halt deutlich von der Welt der Betriebswirtschaftslehre.

In Ihrer Abtei gelingt es Ihnen, diese beiden Welten zu vereinbaren. Wann merkten Sie, dass das geht?
Während des Studiums habe ich nur wenige Parallelen entdecken können. Die Inhalte der Lehre sind doch sehr unterschiedlich. Das änderte sich jedoch, als ich 1977 als wirtschaftlicher Leiter zu arbeiten begann. Ich habe gemerkt: Wenn ich die Arbeitsatmosphäre in den Betrieben verbessere, dann ist das auch eine Form von Seelsorge. Ein Mensch, der gerne arbeitet, tut seiner Seele etwas Gutes.

Literatur:

Leben und Beruf: Eine spirituelle Herausforderung.
Vier Türme 2005. ISBN 978-3878682950. 16,90 Euro

Menschen führen. Leben wecken.
Vier Türme 2007. ISBN 978-3878681328. 16,90 Euro

Sie haben also die betriebswirtschaftliche Seelsorge für sich entdeckt.
Ja, und da helfen keine frommen Worte. Diese Art von Seelsorge ist nüchterner als die, die man aus dem katholischen Glauben kennt. Es geht um Achtung vor den Leuten. Um Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Um einen fairen Umgang miteinander – und zwar besonders in einem Kontext, in dem es eben auch um Wirtschaftlichkeit geht.

Wirtschaften denn Unternehmen, in denen diese Werte gelebt werden, besser?
Ja, dazu gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen. Durch Unfreundlichkeit und mangelnde Sensibilität geht in Unternehmen sehr viel Potenzial verloren – ganz einfach, weil keiner gerne dort arbeitet, wo ihm Verachtung entgegenschlägt. Und auch Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern permanent misstrauen, verbrauchen sehr viel Energie.

Als Sie in den Siebzigerjahren BWL studierten, glaubten viele in dem Fach noch an ewiges Wachstum und fixierten sich fast ausschließlich auf Leistung und Gewinnmaximierung. Heute kommt Bewegung in die Sache: Hochschulen bieten Schwerpunkte im Bereich Nachhaltigkeit und laden Wachstumskritiker zu Vorlesungen ein. Warum dieser Paradigmenwechsel?
Die Leute haben erfahren, dass die alleinige Fixierung auf Geld und Wachstum die Menschen ausbeutet. Man sprach lange Zeit vom „Humankapital“. Man dachte, man könnte Mitarbeiter behandeln wie eine Maschine oder die Büroausrüstung. Heute weiß man: Wenn ich einen Menschen nicht menschlich behandle, dann wird er auf Dauer keine guten Leistungen mehr bringen.

Es gibt Einsteiger, die sich sagen: „Für Werte ist später noch Zeit – als Nachwuchskraft muss ich mich erst einmal voll auf die Leistung fokussieren.“ Was halten Sie entgegen?
Wer heute in ein Unternehmen einsteigt, wird nicht mehr nur danach beurteilt, wie viel Leistung er bringt. Kollegen und Führungskräfte sehen auch den Menschen, der da im Unternehmen anfängt. Und da ist, wie überall im Leben, der erste Eindruck wichtig. Wer als junger Mensch in die Firma kommt, sich alleine über Zahlen definiert und dabei Dinge wie Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft vergisst, wird Probleme bekommen – und zwar nicht nur mit den Kollegen, sondern auch mit sich selber. Denn nur, wenn ich die Werte der anderen achte, werde ich auch selber in meinem Wert geachtet.

Sie helfen häufig Managern, die jahrelang auf Leistung getrimmt waren und sich ausschließlich über Zahlen definiert haben. Was fehlt diesen Menschen?
Oft fehlt ihnen das Vertrauen in ihre eigene Person und die Fähigkeit, über ihre Gefühle zu reden. Stattdessen dreht sich alles um Zahlen, Macht und Einfluss. Das Resultat ist eine menschliche Verarmung, die keine Zahl der Welt begleichen kann. Das Tröstliche ist aber, dass die menschlichen Werte in einem nicht einfach so verschwinden. So verstehe ich meine Arbeit: Ich möchte Menschen helfen, diese inneren Werte zu entdecken und zu stärken.

Zur Abtei Münsterschwarzach

Die Ursprünge des Klosters im unterfränkischen Schwarzach am Main gehen zurück bis zum 8. Jahrhundert, als es von der dritten Ehefrau Karls des Großen als Frauenkloster gegründet wurde. Im Zuge der Säkularisierung wurde die Abtei Anfang des 19. Jahrhunderts aufgelöst und erst 1913 von den Missionsbenediktinern wieder als Kloster in Betrieb genommen. Neben der Missionsarbeit betreiben die Mönche der Abtei rund 20 Betriebe, die unter der Vier Türme GmbH zusammengefasst sind – darunter einen Handel mit fairen Waren, eine Goldschmiede, ein Blockkraftheizwerk, Metzgerei, Bäckerei, Druckerei sowie den Vier Türme Verlag, der auch die Bücher des Cellerars Anselm Grün veröffentlicht. Das Jubiläumsjahr 2013 zum 100. Jahrestag der Rückkehr der Mönche nach Schwarzach beginnen die Mönche mit einer dreimonatigen „Zeit der Entschleunigung“: keine Außentermine, dafür viel Gebet und Gemeinschaft.

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