StartÄrzteInterview mit Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor

Interview mit Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor

Wir und die KI müssen noch viel lernen, ist Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer überzeugt. Denn neben den enormen Chancen der KI birgt die Technologie auch viele Risiken. In „Künstliche Intelligenz“ analysiert er den Einsatz von KI in den Bereichen Medizin, Militär, Klima, Natur- und Geisteswissenschaften, Verbrechensbekämpfung, Politik, Wirtschaft sowie im Alltag. Die Fragen stellte Dr. Marion Steinbach.

Zur Person

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm und hat den Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Ulm inne. Spitzer studierte Medizin, Psychologie und Philosophie. Seine Gastprofessuren an der Harvard- Universität und ein Forschungsaufenthalt am Institut for Cognitive and Decision Sciences der Universität Oregon prägten seinen Forschungsschwerpunkt im Grenzbereich der kognitiven Neurowissenschaft und Psychiatrie.

Warum stellt uns die Technologie der KI vor neue Herausforderungen? Computer arbeiten mit Algorithmen, die man prinzipiell nachvollziehen und daher verstehen kann. Was man heute KI nennt, sind dagegen neuronale Netzwerke, die lernen können und danach bestimmte Fähigkeiten haben. Sie wandeln einen Input in einen Output um, ohne dass man – ganz prinzipiell – wissen kann, wie sie dies tun. Sie tun es einfach, weil sie zuvor gelernt haben. Mittlerweile gibt es in vielen Bereichen KI, die irgendetwas besser kann als die besten menschlichen Experten: Mit Brettspielen fing es vor acht Jahren an – die KI spielte besser Schach oder Go als die weltbesten Spieler – und mit realen Problemen ging es rasch weiter: Diagnose von Hautkrebs in der Dermatologie, Entwicklung neuer Medikamente, Entdeckung von Gravitationslinsen in der Astronomie, Entzifferung der Keilschrift in der Altphilologie. KI hilft sogar beim Bierbrauen und Kaffeemischen.

Ist ChatGPT eine Gefahr für die Menschheit? Diese Frage habe ich mir auch gestellt, als die Macher von KI – Sam Altman, Demis Hassabis, Geoffrey Hinton und viele andere um Ostern und Pfingsten 2023, also etwa ein halbes Jahr nach Erscheinen von ChatGPT – ein Moratorium, also einen Stopp, von KI-Forschung forderten. „Was wissen die, was ich nicht weiß“, fragte ich mich damals, denn ein plaudernder Roboter wie ChatGPT mag zuweilen Unfug von sich geben, aber die Welt bedrohen, wie eine neue Pandemie oder ein Atomkrieg – das hielt ich dann doch für übertrieben. Mitte Juni konnte man dann im Fachblatt Science nachlesen, worin das Problem ganz offensichtlich bestand. KI kann in den Händen von kriminellen Menschen zum Problem werden. Es ist wie mit vielen anderen Sachen: Ein Küchenmesser dient Millionen Menschen zum Kochen, wird jedoch zuweilen von Kriminellen auch als Mordwaffe verwendet. KI kann man in etwa so schwer verbieten wie Küchenmesser. Was also tun? Aus meiner Sicht werden uns solche Probleme noch lange beschäftigen.

Cover Künstliche IntelligenzKünstliche Intelligenz. 336 Seiten. Droemer 2023. 24,00 €

Welche weiteren Probleme können entstehen und wie können wir ihnen begegnen? Neben der Verwendung für kriminelle Zwecke besteht beim Training von KI immer das Problem, dass menschliche Vorurteile von der KI mitgelernt werden. Man konnte beispielsweise zeigen, dass ChatGPT das „Weltbild“ hellhäutiger Männer aus Industrienationen vertritt, ganz einfach, weil die Texte, mit denen diese KI trainiert wurde, zur Hauptsache von diesen Autoren verfasst worden waren. Die oben erwähnten Dermatologen beispielsweise mussten leider erkennen, dass sie die KI zur Erkennung von Hautkrebs vor allem mit Bildern von – zumeist hellhäutigen – Briten trainiert hatten, weswegen die KI-Diagnose bei schwarzen Menschen deutlich unsicherer war.

In welchen Lebensbereichen bietet KI Chancen für Fortschritt? In allen! – Das ist ja gerade das unglaublich Spannende an ihr. Wie wird KI den Beruf des Informatikers prägen? Programmierer können mit Large Language Models wie ChatGPT viel produktiver arbeiten als ohne, aber nur, wenn sie Experten sind. Auch in diesem Bereich gilt, dass KI nicht die Experten ersetzen wird, dass aber Experten, die KI verwenden, Experten ersetzen werden, die keine KI verwenden.

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