Business-Romantiker

Business-Romantiker gelten als naive Tagträumer oder Idealisten. Dabei können Unternehmen von Liebe, Mystik und Emotionalität am Arbeitsplatz durchaus profitieren. Tim Leberecht, Marketingstratege und Buchautor, plädiert in seinem Gastbeitrag daher für mehr Romantik in unserem Leben – insbesondere in der Wirtschaft.

Tim Leberecht, Foto: Beowulf Sheehan
Tim Leberecht, Foto: Beowulf Sheehan

Auf den ersten Blick hat Romantik im Geschäftsleben nichts zu suchen. Romantiker werden in der Berufswelt oft als naive, weltfremde Idealisten betrachtet, schädlich fürs Geschäft, weil sie sich der Welt verweigern. Nun, ich bin ein Wirtschaftsmensch durch und durch. Ich bin seit 15 Jahren im Marketing tätig und derzeit Chief Marketing Officer einer internationalen Designfirma in San Francisco. Aber ich war auch schon immer ein unverbesserlicher Romantiker. Mehr noch: Ich glaube fest daran, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn es mehr Romantik in unserem Leben gäbe – auch und vor allem in der Wirtschaft. Ich bin kein Tagträumer, Idealist oder Aktivist. Ich bin ein Business- Romantiker.

Tatsächlich kann es geschäftsschädigend sein, wenn das rationale Denken über allem steht. Denn die Wirtschaft sind letztendlich wir alle, egal ob als Konsument oder Produzent, als Unternehmer oder als Angestellter. Was wir uns kaufen und womit wir unseren Lebensunterhalt bestreiten, das spiegelt wider, wer wir sind. Unsere beruflichen Laufbahnen bieten uns einige wichtige, wenn nicht sogar die wichtigsten Gelegenheiten zur Selbstverwirklichung. Die meisten von uns verbringen den größten Teil ihres Lebens mit Arbeit und am Arbeitsplatz. Aber wir sind eben keine rationalen Wesen. Auch als Akteure im Beruf sind wir nicht immer berechnend. Viele, und ich meine die Glücklicheren unter uns, sind im Business aus dem irrationalsten und romantischsten Grund überhaupt: aus Liebe.

Ich zum Beispiel wollte eigentlich immer Künstler werden. Mit Anfang zwanzig spielte ich in einer Band. Jetzt bin ich ein „Marketing-Typ“. Typisch, mögen einige denken, der hat seinen Lebenstraum aufgegeben, um Geld zu verdienen. Doch das stimmt nicht. In der Wirtschaft habe ich dieselbe Schönheit und Intensität entdecken können, die ich verspürt habe, wenn ich mir bei einem Konzert die Seele aus dem Leib sang. Meine Bühne ist nun das Business. Und ich bin damit nicht alleine. Ich kenne viele, die den Drive der Business- Welt lieben. Sie lieben die Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen. Manche gründen ihr eigenes Unternehmen, andere arbeiten in innovativen Bereichen oder im Management. Und wiederum andere gehen darin auf, Bilanzen zu lesen und zu analysieren.

Buchtipp

Tim Leberecht:
Business-Romantiker: Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben.
Droemer 2015,
ISBN 978-3426276327,
19,99 Euro

Doch wir alle müssen auch leiden. Wir leiden unter den Beschränkungen des traditionellen Marktsystems und der Entscheidungsfindungsmodelle, die uns von der Rationalität aufgezwungen werden. Und wir leiden, wenn wir die Wirtschaft von unseren emotionalen, intellektuellen und spirituellen Bedürfnissen trennen. Auch als Konsumenten müssen wir leiden. Die Vermessung der Welt nimmt immer mehr zu und die totale Quantifizierung scheint unaufhaltsam. Viele Unternehmen stellen sich den typischen Konsumenten etwa so vor: Er wacht mit der Smartwatch am Arm auf und stellt dann seine App für den morgendlichen Jogginglauf ein. Bei der Arbeit nutzt er die Cloud, um seinen sozialen Einfluss zu checken, sowie Apps, um die sozialen Dynamiken in Meetings zu verfolgen und zu navigieren. Wann er glücklich ist, meldet ihm ein „Mood Sensor“. Aber sind wir wirklich so? Ich denke, es ist an der Zeit zu sehen, was wirklich zählt, auch wenn das nicht immer messbar ist. Wir müssen begreifen, dass einiges in unserem Leben besser ist, wenn wir es nicht optimieren. Dass die schönsten Momente im Leben solche sind, die wir nicht skalieren oder in größere Maßstäbe übersetzen können. Wir brauchen dringend neue Erfahrungen, am Arbeitsplatz und als Konsument, die unserem unpraktischen, ineffizienten, mysteriösen, sehnsuchtsvollen und unberechenbaren Selbst gerecht werden.

Einige erfolgreiche Unternehmen haben das erkannt. Große Player wie Starbucks, Virgin oder Red Bull vermarkten ihre Produkte mit einer Philosophie. Sie begeben sich mit ihren Konsumenten auf Sinnsuche in eine andere Welt. Das ist eine durchaus romantische Haltung. Jüngere Start-ups sind noch radikaler: Sie definieren ganz neu, was es heißt, ein Unternehmen zu sein. Die New Yorker Non-Profit-Organisation Prime Produce etwa möchte im 21. Jahrhundert ein neues Gilden-System erschaffen, das lokale Geschäftsleute mit Künstlern und Handwerkern zusammenbringt und so vor allem soziales und kulturelles Kapital erhöht. Die britische Reihe Secret Cinema zeigt Kult-Filme an ungewöhnlichen Orten und ohne sie anzukündigen, und verbindet damit gleich zwei Elemente der Romantik: Mystik und Nostalgie. Das soziale Netzwerk Snapchat, das Nutzern erlaubt, selbst-löschende Fotos zu teilen oder das Pop-Up Magazine, das nur für eine Nacht existiert – sie alle zelebrieren die Vergänglichkeit des Moments. Und sind damit höchst romantisch.

Diese Unternehmen profitieren davon, dass wir langsam begreifen, was wir verlieren, wenn wir alles messen. Gerade weil unsere Welt immer mehr quantifiziert und damit immer mehr entzaubert wird, sehnen wir uns nach Erfahrungen, die wir nicht quantifizieren, nicht ganz besitzen und denen wir uns daher auch nie ganz sicher sein können. Wir Wissensarbeiter wollen manchmal nicht wissen, sondern nur ahnen und vielleicht sogar träumen. Wir wollen nicht nur eine bessere, sondern auch eine schönere Welt. Eine Welt, in der die Dinge mehr bedeuten. Business ist unser ultimatives Abenteuer.

Business-Romantik in Aktion

Prime Produce:
www.primeproduce.org

Secret Cinema:
www.secretcinema.org

Snapchat:
www.snapchat.com

Pop-Up Magazine:
www.popupmagazine.com

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