karriereführer recht 1.2023 – 3 x P ≙ People, Planet, Profit: Die Anforderungen an die Kanzleikulturen steigen

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Cover karriereführer recht 1.2023

3 x P ≙ People, Planet, Profit – Die Anforderungen an die Kanzleikulturen steigen

Längst ist es nicht nur eine wirtschaftliche Fragestellung, Mandate anzunehmen oder sie abzulehnen. Der kritische Blick der großen Wirtschaftskanzleien darauf, wie Unternehmen, also die Mandanten, ihr Geld verdienen, wird bald zum Standard werden. Laut einer Studie wird die Mandatsauswahl als erheblicher Faktor für den ökologischen Fußabdruck der Kanzleien wahrgenommen. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der jungen Generation einfordert, ethisch fragwürdige Mandate abzulehnen. Die Studienautorinnen fordern somit von den Kanzleien, drei Elemente in einen besseren Ausgleich zu bringen: People, Planet und Profit.

Der Auftrag: Ethik ernst nehmen

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Der juristische Nachwuchs erwartet von den Kanzleien, dass sie ethische Standards entwickeln und diese auch einhalten. Und zwar mit der Konsequenz, bestimmte Mandate dann abzulehnen, wenn sie gegen die Kriterien verstoßen. Für die Kanzleien entscheidet sich bei diesem Thema, ob es ihnen gelingt, die besten Talente für sich zu gewinnen. Ein Essay von André Boße

Das US-amerikanische Portal law.com, das über Nachrichten und Trends aus der Welt der Anwaltskanzleien berichtet, machte vor wenigen Monaten mit einem ungewöhnlichen Ranking auf sich aufmerksam. Statt die bei Mandanten beliebtesten oder fachspezifisch besten Law Firms zu listen, befragte die Autorin Hannah Walker international tätige Kanzleien, ob sie Mandate aus ethischen Gründen ablehnen – und wenn ja, aus welchen Gründen. Es ist ein ungewöhnlicher Ansatz für ein solches Ranking, in dem es eigentlich darum geht, zu zeigen, für wen man arbeitet – und nicht umgekehrt. Doch ungewöhnliche Zeiten verlangen nach ungewöhnlichen Studien.

5 Gründe für eine CSR-Strategie

In der Studie „Die Relevanz von CSR für die Zukunft“ vom Bucerius Center on the Legal Profession definieren die Studienautorinnen fünf Gründe, warum Kanzleien jetzt eine umfassende CSR-Strategie

erarbeiten sollten:

  1. Um im Recruiting Personal zu gewinnen.
  2. Um im HR-Bereich Personal langfristig zu binden.
  3. Um mit den Nachhaltigkeitsstandards der Mandanten übereinzustimmen.
  4. Um der Kanzlei eine zukunftsweisende Reputation zu geben.
  5. Um der Verantwortung für die Gesellschaft gerecht zu werden.

Quelle: Die Studie ist im Internet über die Homepage der Bucerius Law School abrufbar.

„Anwaltskanzleien taten sich traditionell schwer darin, ethische Linien zu benennen“, schreibt die Autorin. Schließlich stehe das Berufsfeld für die Devise, dass jede und jeder ein Anrecht auf juristische Beratung habe. „Jüngste Entwicklungen haben aber dafür gesorgt, ethische Haltungen zu entwickeln, wo es vorher keine gab.“ Konkret benennt Hannah Walker den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit den damit verbundenen Sanktionen, aber auch die weiter steigende Bedeutung des Klima- und Umweltschutzes sowie die Einhaltung von Menschen- und Kinderrechten.

In ihrer Studienzusammenfassung hält die Autorin fest, dass die Sozietäten in der Regel nicht prinzipiell Sektoren ausschließen, sondern Entscheidungen von Fall zu Fall treffen würden. „Viele der befragten Kanzleien gaben an, dass sie spezifische Komitees, Boards und Teams installiert haben, die sich der Prüfung der Mandate mit Blick auf verantwortungsvolle Geschäfte widmen.“ Diese Organisationen innerhalb der großen Kanzleien seien dabei von großer Bedeutung, da es in diesen Law Firms mit ihren Partnerstrukturen sowie Büros in verschiedenen Staaten mit jeweils unterschiedlichen Regularien ein komplexes Unterfangen darstellt, einheitliche ethische Standards zu entwickeln. Wobei diese Kriterien wichtig sind, um über ein Werkzeug zur Prüfung von Mandaten zu verfügen.

Geld zu bieten, reicht nicht mehr

Dass die Kanzleien im Rahmen dieser Befragung selbstbewusst angegeben haben, welche Art von Mandaten sie ablehnen, hat nach Argumentation der Autorin Hannah Walker vor allem damit zu tun, dass die junge Generation der Jurist*innen diese Haltung und Transparenz einfordert: Ein „lauter werdender Chor der jüngeren Anwält*innen“ treibe die Kanzleien dazu, das Thema Ethik nicht länger zu negieren, sondern dazu eine Haltung zu entwickeln und aus dieser heraus auch Konsequenzen abzuleiten, wenn ein Mandat offensichtlich den Kriterien entgegensteht. Diesen „Chor“ genauer zu beschreiben, ist der Anspruch der Studie „Die Relevanz von CSR für die Zukunft“, veröffentlicht vom Bucerius Center on the Legal Profession, das regelmäßig Analysen zu rechtsmarktrelevanten Themen durchführt.

Verein „Recht und Nachhaltigkeit”

2021 gründeten Studierende, Promovierende und junge Wissenschaftler:innen, die sich den rechtlichen Fragestellungen des innovationsgeprägten Rechts- und Interessengebiets „Recht und Nachhaltigkeit“ widmen, den Verein „Recht und Nachhaltigkeit e.V. – RuN“. „Der Nachhaltigkeitsbegriff kennt viele Definitionen”, heißt es auf der Website des Vereins. Nachhaltigkeit sei das Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden dürfe, als künftig wieder bereitgestellt werden könne. Das Herzstück des Vereins sind interne und öffentliche Diskussionsrunden, Vortragsreihen, Workshops, Studienfahrten und weitere Events. Um, wie es heißt, die Rechtswelt von morgen mitzugestalten.

Dabei steht CSR für Corporate Social Responsibility, also der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens. Warum dieses Thema für Kanzleien eine zentrale Bedeutung besitzt, schreiben die Studienautorinnen Franziska Adelmann und Emma Ziercke im Vorwort: Handlungsbedarf bestehe bei den Kanzleien nicht nur, um der ethischen Verantwortung gerecht zu werden, sondern auch, um im Umfeld einer „Knappheit an Talenten“ für eben jenen begehrten Nachwuchs attraktiv zu sein: „Es ist für Anwaltskanzleien an der Zeit, CSR ernst zu nehmen“, heißt es.

„Finanzielle Anreize reichen nicht mehr aus, um Talente nachhaltig für sich zu gewinnen.“ Zwar bleibe das Gehalt direkt nach dem Rechtsgebiet einer Kanzlei sowie der in der Kanzleikultur verankerten Work-Life-Balance der drittwichtigste Faktor bei der Auswahl einer Kanzlei als Arbeitgeber, doch folgten direkt danach ethische Kategorien wie die „Vereinbarkeit meiner Werte mit den nach außen kommunizierten Werten der Kanzlei“, die „ökologische Nachhaltigkeit der Kanzlei“ oder dem „Vorhandensein einer Corporate Responsibility Strategie“. Franziska Adelmann und Emma Ziercke interpretieren das Ergebnis so, dass in dem Moment, in dem junge Talente die Wahl zwischen Kanzleien haben, die eine fachlich interessante Arbeit und ein vergleichbares Gehalt bieten, sie sich dann für einen Arbeitgeber entscheiden, „der zu ihnen passt“ – und berücksichtigten dann Faktoren wie die Übereinstimmung der Werte und die soziale Verantwortung des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitenden „in besonderem Maße“, wie es in der Studie heißt.

CSR in Kanzleien: Viel Luft nach oben

Dass der jungen Generation CSR-Aspekte bei der Auswahl ihres Arbeitgebers wichtig sind, ist ein zentrales Ergebnis der Studie. Ein weiteres dreht sich um die Frage, was die Kanzleien bei diesem Thema zu bieten haben. Und hier zeigen die Daten: Es ist noch sehr viel Luft nach oben. „Fragt man Studierende und Young Professionals, wie gut deutsche Kanzleien ihre Ansprüche an die Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung eines Arbeitgebers erfüllen, vergeben sie auf einer Skala von 0 bis 5 im Durchschnitt 2,1 von 5 Punkten“, fassen die beiden Studienautorinnen das Ergebnis ihrer Befragung zusammen – und interpretieren: „Die durchschnittliche Kanzlei scheint bisher nicht erfolgreich erkannt zu haben, welche Erwartungen die junge Generation hat oder sich jedenfalls nicht ausreichend mit den Elementen der CSR beschäftigt zu haben.“

ESG in Rechtsabteilungen von Unternehmen

Die „Wolters Kluwer Future Ready Lawyer Studie 2022: Den Wandel anführen“ hat unter anderem hervorgebracht, dass der Bedarf an Erstellung und Verbreitung von ESG-Richtlinien und -Prozedere steigt: Demnach berichten „84 Prozent aller Rechtsabteilungen, ihre Kanzleien hätten im vergangenen Jahr verstärkt nach den ESG-Richtlinien ihres Unternehmens gefragt; 67 Prozent aller Rechtsabteilungen verlangen derzeit von Kanzleien deren Nachhaltigkeitsnachweise beziehungsweise die ESG-Richtlinien; weitere 30 Prozent planen dies innerhalb der nächsten drei Jahre“.

So hätten sich im Rahmen der Studie viele Studierende und Young Professionals enttäuscht darüber geäußert, „dass die im Vorhinein vermittelten Vorstellungen nicht der Realität entsprächen und gesetzte Ziele nicht erfüllt würden“. Entsprechend wichtig sei eine transparente Kommunikation, die es den Bewerbenden ermögliche, „zu entscheiden, ob ihre Werte mit den Werten der Kanzlei vereinbar sind“. Und noch einen Rat für die Kanzleien haben die Studienautorinnen an die potenziellen Arbeitgeber: „Nur, weil sich die Bewerbenden im Bewerbungsprozess nicht explizit danach erkundigen, bedeutet das nicht, dass CSR für sie nicht relevant ist.“ Das Gegenteil ist der Fall: Für viele Vertreter*innen der jungen Generation sind Themen wie Klimaschutz oder soziales Engagement heute ganz einfach eine Selbstverständlichkeit. Kanzleien, die hier wenig bis gar nichts zu bieten haben, enttäuschen ihre Talente und gefährden damit ein nachhaltiges Arbeitsverhältnis.

Ethisch fragwürdige Mandate ablehnen

Die Studie des Bucerius Center on the Legal Profession zeigt, dass 94,6 Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass Kanzleien nicht jedes Mandat annehmen sollten.

Womit wir bei der Frage sind, was der juristische Nachwuchs darüber denkt, bestimmte Mandate abzulehnen, wenn sie nicht mit den ethischen Standards der Kanzlei in Einklang zu bringen sind. Die Studie des Bucerius Center on the Legal Profession zeigt, dass 94,6 Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass Kanzleien nicht jedes Mandat annehmen sollten. Die Option, für die Abwägung über Annahme oder Ablehnung potenziell problematischer Mandate einen Kriterienkatalog zu erstellen, wird von einer deutlichen Mehrheit der Befragten befürwortet. Interessant ist dabei, dass viele Teilnehmenden die „Mandatsauswahl als erheblichen Faktor für den ökologischen Fußabdruck der Kanzleien wahrnehmen“, wie es in der Studie heißt. „Sie erwarten von Kanzleien also, auch die Tätigkeit ihrer Mandant*innen beziehungsweise den Einfluss ihrer Mandate auf die Umwelt als Teil ihrer Verantwortung zu betrachten.“

People, Planet und Profit in Einklang bringen

Der kritische Blick darauf, womit diese Unternehmen ihr Geld verdienen und auf welche Weise sie es mit welchen Folgen erwirtschaften, dürfte für die großen Wirtschaftskanzleien sehr bald zum Standard werden.

In ihrem Studienfazit fordern Franziska Adelmann und Emma Ziercke: „People – Planet – Profit: Alle drei Elemente müssen in einen besseren Ausgleich gebracht werden als bisher.“ Zwar sei das Ziel einer Kanzlei natürlich auch weiterhin, möglichst gute anwaltliche Dienstleistungen für Mandant*innen zu erbringen. „Maßgeblich für den Erfolg der Kanzlei ist dabei jedoch das Engagement und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden. Gerade deshalb muss eine exzellente Kanzleikultur angestrebt werden, die auf überzeugenden Werten basiert. Sie muss die Bedürfnisse von derzeitigen und zukünftigen Mitarbeitenden erfüllen.“

Wobei eines sicher sein dürfte: Die kommenden Nachwuchsgenerationen werden den CSR-Themen nicht weniger Bedeutung geben als es bei der jetzigen der Fall ist. Insbesondere beim Thema Klimaschutz darf es auch für Kanzleien keine Ausreden mehr geben. Weder bei der eigenen Arbeit – zum Beispiel mit Blick auf Dienstreisen mit dem Flugzeug oder dem Energie- und Ressourcenmanagement in der Kanzlei –, noch bei der anwaltlichen Arbeit für die Mandanten aus der freien Wirtschaft: Der kritische Blick darauf, womit diese Unternehmen ihr Geld verdienen und auf welche Weise sie es mit welchen Folgen erwirtschaften, dürfte für die großen Wirtschaftskanzleien sehr bald zum Standard werden.

Wirtschaft und Moral – ein Widerstreit?

Cover Wirtschaft und MoralUnter dem Titel „Wirtschaft und Moral – Ein Widerstreit? Denkanstöße zu Ökonomie und Ethik“ haben die zwei Geisteswissenschaftler Mathias Lindenau und Marcel Meier Kressing ein einführendes Buch herausgegeben, das zusammenbringt, was scheinbar unvereinbaren Sphären angehört: Ökonomie und Ethik. Aus einer sachlichen Perspektive heraus beleuchten die Texte unterschiedliche Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ethik, abseits der Vorurteile, nach denen die Ethik eine moralisierende und weltfremde Instanz sei, während die Ökonomie mit Profitsucht und Gier gleichzusetzen sei. Mathias Lindenau, Marcel Meier Kressing (Hrsg.): „Wirtschaft und Moral – Ein Widerstreit? Denkanstöße zu Ökonomie und Ethik“, transcript, 2022, 19 Euro

Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Kliemt im Interview

Die Arbeit wandelt sich – und damit auch das Arbeitsrecht. Prof. Dr. Michael Kliemt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Managing Partner der Kanzlei Kliemt Arbeitsrecht, erzählt im Interview, wie sich der Rechtsbereich dadurch verändert, dass New Work zur Selbstverständlichkeit wird und Systeme mit Künstlicher Intelligenz bei Recruiting-Prozessen helfen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Professor Dr. Michael Kliemt gehört ausweislich der einschlägigen Ranking-Handbücher und Wirtschaftsmagazine zu den führenden Arbeitsrechtlern in Deutschland. Er berät internationale und nationale Unternehmen zu allen Facetten des Arbeitsrechts und verfügt über einen immensen Erfahrungsschatz bei der Beratung von Restrukturierungen, Transformations-, Outsourcing- und Integrationsprojekten, der Flexibilisierung, Vereinheitlichung und Optimierung von Arbeitsbedingungen (v.a. Arbeitszeit, Vergütung) sowie der Implementierung von IT-Systemen. Dabei übernimmt er für die Mandanten sowohl die strategische Konzeptionierung als auch die Verhandlungen mit Gewerkschaften und Betriebsräten. Zudem begleitet er regelmäßig komplexe Complianceund Whistleblower-Fälle. Die von ihm 2002 gegründete Kanzlei Kliemt. Arbeitsrecht hat ihren Stammsitz in Düsseldorf.

Herr Prof. Dr. Kliemt, die Digitalisierung ändert die Arbeitswelt, die Pandemie war ein Boost für diese Transformation. Was sind in Ihren Augen die bestimmenden Elemente von New Work – und wie verändern diese die Themen des Arbeitsrechts?
Die bestimmenden Elemente aus arbeitsrechtlicher Sicht sind Flexibilität, Arbeitszeit, Arbeitssicherheit und insbesondere die etwas angestaubte, aber weiter wichtige Mitbestimmung des Betriebsrats. Die Überwindung des traditionellen Rollenverständnisses der Betriebsräte im Sinne eines umsichtigen Change-Managements ist häufig ein wichtiger Erfolgsfaktor. Dabei ist für die Unternehmen eine zukunftsgerichtete, aber auch arbeitsrechtlich flankierte Digitalisierungsstrategie unverzichtbar. Das Thema New Work betrifft dabei den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses. Denn Arbeitnehmer ist per Definition nur derjenige, der auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags in den Diensten eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Gerade die Ausgestaltung des Weisungsrechtes muss bei New Work-Konzepten völlig neu gedacht werden.

Inwiefern?
Es muss zum Beispiel das von vielen Unternehmen forcierte Konzept eines Intrapreneurs – also von Mitarbeitenden, die selbst ein unternehmerisches Mindset und Handeln entwickeln – überhaupt erst mit den Grundprinzipien des Arbeitsrechts in Einklang gebracht werden. Hierzu ist neben Innovationskraft und Fingerspitzengefühl auch viel Erfahrung notwendig.

Vor einigen Jahren war die Work-Life- Balance ein Buzzword, heute hat man es eher mit einer Work-Life-Verschmelzung zu tun. Wie kann das Arbeitsrecht auf diesen Wandel reagieren, damit es auch weiterhin für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden einen rechtlichen Rahmen gibt, der auch in der Praxis funktioniert?
Notwendig ist insbesondere eine Modernisierung des Arbeitszeitrechts, das noch sehr starr ausgestaltet ist und sich mit modernen Formen flexiblen Arbeitens nur bedingt vereinbaren lässt. Flexible Arbeitszeitmodelle sind ein wesentlicher Aspekt der Verschmelzung von Work und Life. Dies zeigt sich verstärkt bei Themen wie „Workation“, also der Verbindung von Work und Vacation, oder „Mobile Work“. Eine trennscharfe Unterscheidung ist bei vielen Jobs kaum noch möglich. In der anwaltlichen Beratung bedeutet dies, dass die Grenzen des Arbeitsrechts teils neu ausgelotet und mit sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Aspekten austariert werden müssen.

Gab es im Bereich Home-Office oder Mobile Working zuletzt ein in Ihren Augen besonders Urteil, das großen Einfluss auf dieses Thema nehmen wird?
Eine entscheidende Rolle spielt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung aus September 2022. Daran anknüpfend erwarten wir noch in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf zur Novellierung des Arbeitszeitrechts. Auch prägen immer wieder neue Entscheidungen zum Datenschutz und zur Mitbestimmung rund um IT-Systeme die moderne Arbeitswelt, nicht selten erweisen sich diese als Digitalisierungs- und Flexibilisierungs-Hemmnisse.

Wir erleben, insbesondere bei Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften, derzeit eine leichte Tendenz einer Digitalisierungsüberdrüssigkeit bei Belegschaften.

Wie beurteilen Sie aktuell den Stand der Digitalisierung in der Arbeitswelt, wie sehr bestimmt sie bereits das Arbeiten in Unternehmen?
Wir erleben, insbesondere bei Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften, derzeit eine leichte Tendenz einer Digitalisierungsüberdrüssigkeit bei Belegschaften. Teils dürften die Folgen der Corona-Pandemie dazu beigetragen haben. Daher treten bestimmte Aspekte der Digitalisierung wie Datenschutz aber auch Gesundheitsschutz zunehmend in den Vordergrund. Dies steht nach meiner Beobachtung im Einklang mit Entwicklungen bei der Personalarbeit und IT, wonach zunehmend ein stärkerer Fokus auf Usability, störungsfreies Arbeiten oder Absenkung von Überforderungen gelegt wird. Hier ist das Arbeitsrecht einerseits gut gerüstet, andererseits muss man ganz klar sagen, dass es in der Tendenz digitalisierungsfeindlich ist.

Thema Künstliche Intelligenz: Welche rechtlichen Probleme ergeben sich, wenn KI-Systeme zum „Robo-Recruiting“ eingesetzt werden?
Die DSGVO beschränkt den Einsatz von KI im Personalwesen vor und nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses. Sie schützt beispielsweise Bewerber*innen davor, durch Profiling aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert zu werden, ohne dass sich eine natürliche Person mit den Bewerber*innen beschäftigt hat. Die Nutzung von KI als Entscheidungshilfe ist aber möglich, wenn die menschliche Befassung mit den Bewerbungen nicht komplett ersetzt wird. Teils haben solche Systeme jedoch an Akzeptanz verloren, weil in der Vergangenheit durch „falsche“ oder nicht vorurteilsfreie Lerndatensätze bestimmte – verbotene – Diskriminierungsformen vorgekommen sind.

Die DSGVO beschränkt den Einsatz von KI im Personalwesen vor und nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses. Sie schützt beispielsweise Bewerber*innen davor, durch Profiling aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert zu werden, ohne dass sich eine natürliche Person mit den Bewerber*innen beschäftigt hat.

Neben der Erfüllung datenschutzrechtlicher Standards müssen Unternehmen vor dem Einsatz von KI-Systemen mit dem Betriebsrat – sofern im Unternehmen bestehend – das „Wie“ des Einsatzes verhandeln. Hierbei werden häufig interne Spielregeln festgesetzt. In solchen Verhandlungen sehe ich häufig die starke Tendenz der Betriebsräte, den Einsatz von KI zu beschränken – insbesondere dann, wenn die KI auch zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle des Recruitingteams genutzt werden soll. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach ein Kontroll- und Anpassungsdruck der Belegschaft vermieden werden soll.

Ein zentrales Thema für Unternehmen sind die neuen Bestimmungen, um Whistleblowern Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, Hinweise zu geben. Wie schwer tun sich Unternehmen dabei, diese Kanäle einzurichten?
Wir sehen ein großes Interesse von Unternehmen, solche Kanäle einzurichten. Auch, wenn die Gesetzgebungsarbeiten stockend verlaufen: Es besteht für viele Unternehmen demnächst eine gesetzliche Pflicht zur Unterhaltung von Whistleblowing-Systemen. Ob dadurch die Unternehmenskultur gestört oder verbessert wird, ist sicher eine Frage der Perspektive. Immerhin dürften Befürworter des Whistleblowings einwenden, dass positive Effekte in Bezug auf die Einhaltung von Compliance- Standards erzielt werden können. Unabhängig davon können Unternehmen Whistleblowing-Systeme auch extern betreiben und betreuen lassen. Dies führt – neben weiteren Vorteilen – in der Regel dazu, dass Vorwürfe professioneller und objektiver geprüft werden können.

Inwieweit erleben Sie als Partner der Kanzlei und Fachanwalt selbst die Transformation in der Arbeitswelt – und sind Jurist*innen Ihrer Ansicht nach generell gut genug auf diesen Wandel in Richtung New Work vorbereitet?
Neben der Digitalisierung, die wir seit Jahren mit hoher Priorität vorantreiben, sehen wir Änderungen in den Anforderungen an die Bewerber*innen und unsere angestellten Anwält*innen. Home-Office, flexible Arbeitszeiten, flexible Workspaces und modernste Büroausstattung sind für uns heute Selbstverständlichkeiten. Wir streben darüber hinaus in modernen Arbeitsformen höchste Standards auch bei der Ausund Weiterbildung unserer Anwälte an. Hierzu haben wir beispielsweise spezielle Ausbildungskonzepte implementiert, die wir fortlaufend weiterentwickeln. Neben erfahrenen Praktikern und Richtern profitieren unsere Anwält*innen mittlerweile auch von Vorträgen erfahrenen Verhandlungsprofis, Spitzensportler* innen, Resilienz-Coaches oder Expert*innen für Digitalisierung und Legal Design. Bei der Entwicklung eigener Legal Tech-Lösungen ist – neben juristischer Exzellenz – natürlich auch eine gewisse Neugierde und ein technisches Grundverständnis gefragt.

kliemt.blog

Auf der Homepage der Kanzlei bietet das Anwaltsteam um Managing Partner Dr. Michael Kliemt einen Blog- Bereich, in dem die Arbeitsrechtler*innen eine Reihe von Trends und Themen aus dem Fachbereich analysieren und bewerten. So gibt es fachliche Informationen über Fokusthemen wie Digitalisierung, Video-Tutorials oder juristische Einordnungen zu aktuellen Urteilen oder Regularien.

https://kliemt.blog

Innovationen sind facettenreich

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Innovationen in Kanzleien zeigen sich auf vielen Ebenen. Klar: Vor allem in der Einführung von technologischen und automatisierten Lösungen. Doch dieser Technologie-Change strahlt in zahlreiche weitere Bereiche, die von dem Wandel mitgezogen werden. Von Christoph Berger

Kommt man in der Rechtsbranche auf Innovationen zu sprechen, fallen schnell die Begriffe Digitalisierung und Legal Tech. Zu Recht, wie Dr. Daniel Halft, einst Richter, heute Anwalt, Kanzleiberater und Autor, auf die Frage „Was zeichnet für Sie eine innovative Kanzlei aus?“ antwortet: „An erster Stelle steht natürlich die Nutzung digitaler Werkzeuge zur Effektivitätssteigerung und Arbeitserleichterung.“

Ähnlich sieht es Ava A. Moussavi, die seit Oktober 2022 die Position Head of Legal Operations & Tech in der Kanzlei GvW Graf von Westphalen besetzt. Eine ihrer Aufgaben ist es, digitale Lösungen zur Erweiterung der Beratungsleistungen auf den Weg zu bringen und mit ihrem überörtlichen, interdisziplinären Team sogar eigene Tools zu entwickeln. Gegenüber dem karriereführer sagt sie: „Sämtliche Aufgaben im Bereich der Digitalisierung gehören zu meinen Aufgaben. Dabei geht es sowohl um die interne Digitalisierung bei GvW als auch um den externen Bereich, darum, wie wir unsere Mandanten beraten. Meinen Fokus richte ich darauf zu schauen, wo die jeweiligen Herausforderungen in der Arbeit liegen und wie diese Stellen sich mit Hilfe der Digitalisierung optimieren lassen. Bei der Optimierung ist es wichtig, eine herausfordernde Stelle in einem Arbeitsprozess nicht getrennt zu betrachten. Sie ist Teil eines gesamten Arbeitsprozesses, der insgesamt optimiert werden soll.“

Werden derartige Maßnahmen zielgerichtet umgesetzt, kommt es laut einer 2022 in den USA durchgeführten Studie zu einer ganzen Reihe von Vorteilen. Der „2022 Trends in Legal Transformation and Technology Report“ zählt Produktivitätssteigerungen, eine Verringerung von Datenschutz- und Sicherheitsrisiken, Kostensenkungen und bessere Chancen auf einen günstigen Ausgang von Rechtsstreitigkeiten auf.

Schritt für Schritt-Einführung

Doch um was geht es bei der Digitalisierung genau, wie erleichtert sie die Arbeit der Anwälte, was führt zu den anvisierten Effizienzsteigerungen? Konkret nennt Ava A. Moussavi zum Beispiel digitale Lösungen, die Anwälte in ihrem Alltag oder Mandanten selbst ohne anwaltliche Unterstützung bedienen können. Beispiele sind Dokumentengeneratoren, Analysesoftware, Projektmanagementsysteme oder auch Plattformen, auf denen die Anwälte und Mandanten kollaborieren können, beispielsweise in Massenverfahren oder Transaktionen. Dafür kommen diverse Technologien zum Einsatz – von sogenannten Low-Code Technologien hin bis zu Künstlicher Intelligenz. Oder die Kombination mehrerer. Dafür brauche es eine Offenheit gegenüber Technologien, weiß Moussavi. Die sollte in der Partnerschaft beginnen und sich von dort über die gesamte Kanzlei ziehen. Die Digital-Expertin fügt an: „Man muss die Kanzleien natürlich auch Schritt für Schritt in diese Richtung bringen. Das gilt auch für die Einführung von neuen Technologien, die neue Arbeitsmethoden und komplexe Systeme mit sich bringen. Wandel bedeutet, dass er Schritt für Schritt durchgeführt wird.

Auf dieser Weise wird der Erfolg davon sichergestellt.“ Doch es sind längst nicht nur Softwaretools und Technologien, die den Weg hin zu einer auf die Zukunft ausgerichteten Kanzlei ebnen. Daniel Halft führt als weiteren Baustein den Begriff Legal Design aufs Feld. Der hat zwar Schnittmengen zur Digitalisierung, fokussiert sich aber vorrangig auf Prozesse. „Anwaltskanzleien haben sich das nie so richtig bewusst gemacht. Oft lohnt sich aber die Frage: Wie können wir unsere Prozesse besser designen?“

Neue Kanzleistrukturen und -kulturen

Klar ist bei all dem: Ändern sich die Arbeitsweisen, Prozesse und Kommunikationsformen, verändert sich auch die Arbeitskultur in den Kanzleien. Mal abgesehen von den Wünschen und Anforderungen der jungen Generationen an die Profile ihrer Arbeitgeber, die längst nicht mehr nur das Gehalt in den Mittelpunkt ihrer Arbeitgeberwahl stellen, sondern auch Sinn oder die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. So treten junge Kanzleien auf den Markt, die neben dem hochprofessionellen Beratungsansatz das menschliche und verantwortungsvolle Arbeitsumfeld in den Mittelpunkt heben.

Das machen auch etablierte Großkanzleien, doch gehen manche jungen Kanzleien noch weiter: Sie brechen die klassische Kanzleistruktur auf. Auf der Internetseite von PXR heißt es beispielsweise: „So hat PXR keine traditionellen Kanzleihierarchien, lebt eine offene, diverse und wertegetriebene Kanzleikultur und ist in agilen Teams organisiert.“ Das Partnerprinzip gehört bei dieser gewählten Struktur der Vergangenheit an. Für Daniel Halft zeigt diese Entwicklung nicht nur Innovationsbereitschaft, sie führt regelrecht zu neuen, weiteren Innovationen: „Sie beflügelt das unternehmerische Denken, das sich alle auf die Fahnen schreiben, ermöglicht ein Agieren und Kommunizieren auf Augenhöhe, schafft Vertrauen, führt zu verantwortungsvollem Handeln und motiviert, sich an der Entwicklung von Lösungen zu beteiligen.“ Er fügt an: „Dieser Schritt ist schon extrem mutig.“

Weniger mutig, aber ebenso innovativ und zeitgemäß ist die Einführung variabler Arbeitszeitmodelle. Auch hier spielen Vertrauen und die Übergabe von Verantwortung an die Beschäftigen eine entscheidende Rolle. „Allerdings reicht es nicht, die 40-Stunden-Woche anzubieten, wenn damit der Aufstieg in den Partnerstatus verschlossen und weniger Gehalt verbunden ist“, sagt Halft. Es gehe um tatsächliche Alternativen zur Vollzeitstelle, um Sabbaticals und vielleicht sogar um work from anywhere. Bei gleichbleibenden Karrierechancen.

Gemeinsam zu Innovationen

Dass innovative Konzepte in der heutigen Zeit schließlich auch Kollaboration und Plattformökonomie bedeuten, zeigt eine Mitteilung aus dem Januar 2023. Darin kündigen die Kanzleien Ebner Stolz, Lutz Abel, Menold Bezler und Thümmel Schütze eine strategische Zusammenarbeit im Legal Automation & innovation (Legal Ai) Network unter der Koordination von OMM Solutions an. Ziel sei es, die zukünftigen Bedürfnisse der Mandanten über einen offenen Innovationsprozess vor dem Hintergrund der Digitalisierung systematisch zu identifizieren, erste Prototypen zu testen und marktnahe Lösungsansätze im Segment Legal Tech zu entwickeln oder zu finden, heißt es. Dabei würde die effiziente und gezielte Einbindung verschiedener Akteure – in das Netzwerk sind Vertreter*innen aus den Bereichen Recht, Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft integriert – eine intensive Kollaboration und ein besseres Verständnis für die Rechtsberatung der Zukunft ermöglichen. Außerdem: „Für die Aufnahme weiterer Kanzleien ist das Legal Ai Network ausdrücklich offen.“ Es reicht demnach nicht mehr, still und heimlich vor sich hinzutüfteln, um so Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Eine vernetzte Welt verlangt Vernetzung – zumal gilt: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser das Ergebnis. Schon allein dafür ist in der heutigen Zeit Kollaboration unerlässlich.

Wobei ein Grundsatz niemals vergessen werden sollte: Egal um welche Innovationsform es auch geht, für Daniel Halft gehört im Vorfeld einer jeden Umsetzung von Innovation die Frage nach deren Sinn: „Brauchen wir das überhaupt – und hilft es uns weiter?“

Kanzlei im Metaverse: „Wir wollen nahe bei unseren Mandanten sein.“

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Gleiss Lutz eröffnete 2022 als erste große Wirtschaftskanzlei ein Büro im Metaverse. Mit Prof. Dr. Eric Wagner und Dr. Moritz Holm-Hadulla unterhielt sich der karriereführer über Gründe für diese Eröffnung und erste Erfahrungen. Die Fragen stellte Christoph Berger

Die Interviewpartner

Prof. Dr. Eric Wagner, Foto: Gleiss Lutz
Prof. Dr. Eric Wagner, Foto: Gleiss Lutz

Prof. Dr. Eric Wagner ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz. Er ist spezialisiert auf den Bereich Commercial einschließlich Produkthaftung und der Gebiete e-commerce, autonomes Fahren, connectivity und Industrie 4.0. Er vertritt Mandanten in diesem Bereich sowohl vertragsgestaltend wie auch in streitigen Verfahren vor staatlichen Gerichten und internationalen Schiedsgerichten. Darüber hinaus zählt er zu den weltweit führenden Experten im Bereich des Produkthaftungsrechts. Er berät Mandanten bei der präventiven Gestaltung und der Entwicklung von Risikovermeidungsstrategien und hat umfangreiche Expertise und Erfahrung im Umgang mit Krisensituationen und potentiellen Rückrufszenarien beim Mandanten.

 

Dr. Moritz Holm-Hadulla, Foto: Gleiss Lutz
Dr. Moritz Holm-Hadulla, Foto: Gleiss Lutz

Dr. Moritz Holm-Hadulla ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz. Er berät Mandanten zu allen Fragen des deutschen und europäischen Kartellrechts. Seine Tätigkeit umfasst Fusionskontrollverfahren, die Beratung bei Kartellermittlungen und die Vertretung in kartellrechtlichen Schadensersatzprozessen. Außerdem unterstützt Moritz Holm-Hadulla regelmäßig beim Design und der Implementierung kartellrechtlicher Compliance Programme und bei der Compliance Due Diligence im Transaktionskontext. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in Bereichen der Digitalisierung sowie neuer Technologien und Medien. Er ist Head der Branchengruppe Digital Economy.

Gleiss Lutz hat im Juli 2022 ein Büro im Metaverse eröffnet. Was waren die Gründe dafür?
Moritz Holm-Hadulla:
Unsere Präsenz im Metaverse fügt sich nahtlos in unsere Gesamtstrategie ein. Wir wollen nahe bei unseren Mandanten sein, heute und in der Zukunft, gerade auch im sich verändernden und immer digitaler werdenden Geschäftsumfeld der Rechtsberatung. Daher beraten wir unsere Mandanten nicht nur umfassend zu den vielfältigen Rechtsfragen, die in diesem digitalen Raum entstehen, sondern wollen dort auch gleichzeitig als Ansprechpartner präsent sein. Mit unserem virtuellen Büro schaffen wir zudem eine weitere zentrale Kontaktmöglichkeit für unsere Mandanten, neben Telefon, E-Mail und Social-Media. Darüber hinaus ist es uns wichtig, aus erster Hand Erfahrungen im Metaverse zu sammeln und damit unsere Beratungspraxis zukünftig noch besser auf die Anforderungen unserer Kunden zu optimieren.

Second Life Anfang der 2000er-Jahre verlor schnell an Relevanz – ist das Metaverse mehr als ein Hype für die Kanzlei?
Eric Wagner:
Digitalisierung und das Agieren im digitalen Raum sind als Querschnittsthemen im gesamten Wirtschaftsleben relevanter denn je. Web3, Blockchain, Metaverse etc. haben sich zu einem attraktiven Wachstumsmarkt für Unternehmen und Investoren auf der ganzen Welt entwickelt. Urheber-, Marken- und Patentrechte spielen beispielsweise eine noch zentralere Rolle als bisher. Damit wächst auch der rechtliche Beratungsbedarf diesbezüglich kontinuierlich. Mit ihrer Präsenz im Metaverse unterstreicht unsere Kanzlei nachhaltig den Anspruch, in den Zukunftsthemen der Rechtsberatung – sei es bei Legal Tech, Digital Future oder ESG – stets als Thought Leader zu agieren.

Wie wird das virtuelle Büro bisher angenommen?
Eric Wagner:
Seit der Eröffnung wurden über 50 Beratungsgespräche rund um das Thema Metaverse geführt – Tendenz steigend, insbesondere mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Rechtsabteilungen von Unternehmen.

Mit welchen Anliegen kommen Mandantinnen und Mandanten in Ihr Metaverse-Büro?
Moritz Holm-Hadulla:
Das Metaverse als Megatrend der Digitalisierung bietet Unternehmen zahlreiche neue Geschäftsfelder und führt sie in ein völlig neues, virtuelles Umfeld. Die Rechtsfragen und individuellen Anliegen rund um digitale Handlungsräume sind daher vielfältig, der Beratungsbedarf hoch. Von datenschutz- und arbeitsrechtlichen Fragestellungen im Unternehmensalltag über den gesamten Bereich der Product Compliance, der funktionalen Sicherheit von künstlicher Intelligenz, virtuellen Produkten und der Blockchaintechnik bis hin zur rechtlichen Einordnung dezentralisierter autonomer Organisationen als besondere Gesellschaftsform.

Braucht es für die Beratung auf einer virtuellen Plattform andere oder weitere Skills von Seiten der Anwälte, um die Tätigkeit im Sinne der Mandantschaft erledigen zu können – und wenn ja, welche Skills sind das?
Moritz Holm-Hadulla:
Exzellente Beratung quer durch alle Rechtsgebiete ist stets unser Anspruch. Die digitale Transformation beeinflusst mittlerweile fast alle wirtschaftsrechtlichen Themengebiete. Wenn wir Mandanten im oder zum digitalen Raum beraten, sind digitale Kompetenzen daher besonders wichtig. Neben einer hohen Digitalaffinität sind ein persönliches Interesse an Zukunftsthemen sowie die Neugier auf innovative Beratungsansätze Grundvoraussetzung. Digitalisierung erfordert aber auch lebenslanges und berufsbegleitendes Lernen und Weiterbildung – als Berater und als Kanzlei insgesamt. Unsere Kanzlei verfügt bereits über eine etablierte Branchengruppe Digital Economy und wird das Metaverse – ähnlich wie bereits Legal-Tech – künftig in das Ausbildungscurriculum unserer Nachwuchsjuristen aufnehmen.

Welche Rolle spielt die persönliche Beziehung zwischen Mandanten und Anwälten in der virtuellen Welt?
Eric Wagner:
Die persönliche, kontinuierliche Betreuung von Mandat und Mandant ist seit jeher ein Grundprinzip unserer Beratung – in der analogen ebenso wie in der digitalen Welt. Wir wollen unsere Mandanten, ihren Beratungsbedarf und das jeweilige Marktumfeld bestmöglich verstehen, um umfassende und in jeder Hinsicht optimale Lösungen für sie zu entwickeln. Aus diesem Grund investieren wir Zeit und Aufmerksamkeit in intensive und persönliche Beziehungen – ganz gleich ob bei Präsenzmeetings oder im digitalen Austausch.

Ich könnte mir vorstellen, dass durch die Nutzung einer virtuellen Plattform durch die Mandantschaft auch eine schnellere Reaktionsfähigkeit erwartet wird. Stichwort 24/7. Ist das so oder gibt es auch im virtuellen Büro offizielle Geschäftszeiten?
Moritz Holm-Hadulla:
Das virtuelle Büro bietet eine weitere Möglichkeit mit uns Kontakt aufzunehmen. Dieser ist digital und zeitlich unabhängig und ständig möglich – wie auch z.B. über E-Mail. Die Anfrage wird gespeichert und wir vereinbaren zeitnah einen Termin oder verfassen eine Antwort. Das bedeutet, wie auch an den anderen Standorten, nicht zwangsläufig, dass 24/7 eine Ansprechperson im Metaverse anwesend ist.

Arbeiten Sie in diesem Zusammenhang auch mit Chatbots?
Eric Wagner:
Bisher noch nicht. Rechtsberatung ist primär ein „People Business“. An erster Stelle steht für uns das Verständnis für den Mandanten. Diesen wollen wir individuell nach seinen jeweiligen Wünschen und Anforderungen optimal beraten und ihm diesen passgenauen Rechtsrat geben können. Wir prüfen aber ständig neue Nutzungsmöglichkeiten von technischen Innovationen. Sollte der Einsatz von Chatbots bei bestimmten Abläufen im Metaverse sinnvoll sein, können wir uns einen Einsatz durchaus vorstellen.

Welche Auseinandersetzung mit der Thematik Metaverse braucht es, um ein Büro professionell führen zu können – das geht über „einfach mal ausprobieren“ mit Sicherheit hinaus?
Moritz Holm-Hadulla:
Mit unserer Metaverse-Präsenz sammeln wir laufend neue Erfahrungen, die wir professionell analysieren und aufarbeiten, um sie in unsere tägliche Arbeitsorganisation mit einfließen zu lassen und damit unseren Mandanten die bestmögliche Beratung und Betreuung bieten zu können.

Welches Potenzial sehen Sie noch im Metaverse, welche Möglichkeiten werden sich für Kanzleien – oder auch die gesamte Rechtsbranche – daraus noch ergeben?
Eric Wagner:
Mittel- bis langfristig bietet die weltweite mehrdimensionale Vernetzung im Metaverse ungeahnte und heute noch nicht vollständig prognostizierbare Chancen und Handlungsspielräume – gesellschaftlich, wirtschaftlich und interkulturell. Daher haben wir als Full Service-Kanzlei den Anspruch, diesen Schritt als erste Kanzlei zu gehen und von Beginn an im Metaverse Erfahrungen zu sammeln und unsere Angebote zukunftsorientiert zu optimieren.

Chat GPT in der anwaltlichen Praxis

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Um von ChatGPT noch nichts gehört zu haben, bedarf es schon einiges an Erklärung. Einsiedelei, Exerzitien, monatelang kein Internet, dann kann das sein. Ansonsten spricht jede und jeder über ChatGPT. Seit die Software freigegeben wurde, haben Millionen von Menschen ausprobiert, wie es ist, wenn man einer Software in natürlicher Sprache eine Frage stellt und Sekunden danach eine in verständlicher Sprache verfasste Antwort erhält. Die Antworten sind, soweit man das sagen kann, oft verblüffend richtig. Manchmal abstrus falsch, manchmal sind sie nur allgemein nichtssagend. Aber gefühlt sind die Antworten meistens richtig. Für die Rechtsberatung in der Anwaltskanzlei stellen sich sofort spannende Fragen. Von Markus Hartung und Jörg Tepper

Über die Autoren

Markus Hartung, Rechtsanwalt, ist geschäftsführender Gesellschafter der Chevalier Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Jörg Tepper ist Rechtsanwalt und Co-Leiter der dortigen arbeitsrechtlichen Praxis. Chevalier ist eine auf innovativer Software basierende Kanzlei in Berlin, die ausschließlich Arbeitsrecht für Arbeitnehmer* innen unter der Marke Chevalier Rechtsanwälte anbietet sowie Verkehrsrecht unter der Marke freem.

Kann man ChatGPT in der Kanzlei einsetzen? Kann man Bearbeitungszeiten verkürzen? Kann man sich den langen Ausbildungsaufwand sparen, weil auch schon Green Beans (Berufsanfänger:innen) schwierige Fragen mit dem gesamten und von OpenAI aufgearbeiteten Weltwissen beantworten können? Dass dieses Wissen in der Regel von anderen Menschen geschaffen wurde, von ChatGPT aber ohne Angaben von Quellen aufgegriffen und anderweitig verwendet wird… nun ja, Urheberrecht und Internet, das ist eine andere Geschichte. Aber braucht man uns Anwält:innen denn noch, wenn doch im Moment jede und jeder juristische Fragen an eine Software stellen kann und vernünftig und überzeugend klingende Antworten erhält? Dass man die Richtigkeit als Laie nicht überprüfen kann, ist natürlich ein Problem, aber wir erleben häufig, dass Mandant:innen bereits genau wissen, was wir zu tun haben, weil sie es im Internet gefunden haben. Sie werden uns jetzt auch ChatGPT-Ergebnisse präsentieren, von deren Richtigkeit sie überzeugt sind.

Dies hängt vor allem mit dem aus Sicht der Mandant:innen zunächst verständlichen Wunsch nach Bestätigung der eigenen interessenwahrenden Auffassung, nämlich wie ein bestimmter Sachverhalt zu bewerten ist, zusammen.

ChatGPT juristisch getestet

Wir haben ChatGPT natürlich juristisch getestet. Arbeitsrechtliches Grundlagenwissen auf niedrigem Niveau ist vorhanden. Bei spezielleren Fragen gibt es so überzeugend klingende wie nichtssagende Antworten, manche Antworten sind schlichtweg falsch – ehrlich gesagt, fast wie von einem Anwalt, der keine Ahnung hat, so etwas soll es ja auch geben. So beantwortet Chat-GPT die Frage, ob Ansprüche auf Urlaub bei langer Krankheit verfallen können und wenn ja, wann sie dann verfallen würden. In der Antwort von Chat-GPT ist lediglich die erste und die letzte Aussage richtig, der Rest ist unzutreffend bzw. undifferenziert:

„Ja, Ansprüche auf Urlaub können bei langer Krankheit verfallen. Nach dem Bundesurlaubsgesetz müssen Urlaubstage spätestens bis zum Ende des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entsteht, genommen oder abgegolten werden. Bei einer längeren Krankheit kann es vorkommen, dass dieser Zeitraum verstreicht und somit die Urlaubstage verfallen. Allerdings gibt es Ausnahmen: Wenn ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist, kann er den Urlaub auf das Folgejahr übertragen. In einigen Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen kann es auch Regelungen geben, die den Verfall von Urlaub bei Krankheit verhindern.”

Im Rahmen einer Rechtsberatung, die mit dem Prinzip der berufsausübungslangen Fortbildung der Anwält*innen einhergeht, kann man den Ausbildungsaufwand von Berufsanfänger*innen vielleicht etwas minimieren, ganz sicher jedoch nicht darauf verzichten. In diesem Zusammenhang stellen sich auch einige interessante berufsrechtliche Fragestellungen, über die es sich lohnt nachzudenken.

Haftung verbleibt bei Berufsträger*innen

Unter anderem ergibt sich die Frage, ob die Rechtsberatung hier tatsächlich von Anwält*innen durchführt worden ist, wenn die Quelle ein Chatbot ist. Wer überprüft die Verlässlichkeit und Richtigkeit der durch die von OpenAI generierten Antworten und Ergebnisse, was die Frage hinsichtlich der weiterführenden Ausbildung von Berufanfänger*innen beantwortet. Die weitere wesentliche Frage nach der Haftung im Falle einer etwaigen Falschberatung hängt eng mit der zuvor gestellten Frage zusammen und ist eindeutig zu beantworten. Sie verbleibt bei den Berufsträger*innen.

Chatbots werden Freiräume schaffen

Viele Dinge kann die Software jetzt schon erstaunlich gut. Ignorieren dürfen wir sie keinesfalls. Unsere Kreativität für deren Einsatz ist gefragt.

Chatbots ermöglichen Kanzleien, Prozesse wie die der Mandatsannahme, der grundlegenden Informationsbeschaffung und die Herausarbeitung der maßgeblichen Frage(n) zu automatisieren, effizient zu gestalten und abzuwickeln. In diesem Zusammenhang sind virtuelle Assistenten denkbar, die als initialer Kontakt die Mandant:innenkommunikation führen. Wobei die Abfrage und spätere Eingabe der Daten und Informationen der Mandant*innen in ChatGPT die Frage nach der Gewährleistung der Einhaltung der Vorschriften der Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO) sowie der berufsrechtlichen Schweigepflicht aufwirft, die künftig beantwortet werden muss.

Im Übrigen wird Chat GPT grundsätzlich aber Freiräume schaffen, die es den Anwält:innen gestattet, sich der eigentlichen juristischen Bearbeitung und Problemlösung zu widmen, wodurch sich die Bearbeitungszeiten des Mandats verkürzen dürften. Für uns heißt das, dass wir künftig die Anwendungsmöglichkeiten von ChatGPT (und dessen Wettbewerbern, die am Horizont bereits zu sehen sind) mitdenken und uns immer fragen werden, welche Arbeiten von so einer Software schneller als von einem Menschen erledigt werden können. Juristisch wird die Software besser werden, da haben wir keine Zweifel. Viele Dinge kann die Software jetzt schon erstaunlich gut. Ignorieren dürfen wir sie keinesfalls. Unsere Kreativität für deren Einsatz ist gefragt.

Kuratiert

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Anspruch auf unentgeltliche Kopien von Prüfungsarbeiten der zweiten juristischen Staatsprüfung

Absolventen der zweiten juristischen Staatsprüfung haben gemäß Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 5 Satz 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen Anspruch darauf, dass ihnen das Landesjustizprüfungsamt unentgeltlich eine Kopie der von ihnen angefertigten Aufsichtsarbeiten mitsamt den zugehörigen Prüfergutachten zur Verfügung stellt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Dezember 2022 entschieden. Durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist seit dem Jahr 2017 geklärt, dass die schriftlichen Prüfungsleistungen in einer berufsbezogenen Prüfung und die Anmerkungen der Prüfer dazu wegen der in ihnen jeweils enthaltenen Informationen über den Prüfling insgesamt – das heißt letztlich Wort für Wort – personenbezogene Daten des Prüflings darstellen. Macht in diesen Fällen der betroffene Prüfling das Recht auf Erhalt einer unentgeltlichen ersten Datenkopie geltend, muss das Prüfungsamt eine vollständige Kopie der schriftlichen Prüfungsarbeiten und der zugehörigen Prüfergutachten unentgeltlich zur Verfügung stellen.

Eine KI als Verteidigerin

Kann eine Künstliche Intelligenz Mandant*innen direkt vor Gericht vertreten und beraten? In den USA wäre es im Februar dieses Jahres im Rahmen der Anfechtung eines Strafzettels vor einem Verkehrsgericht fast dazu gekommen. Demnach war es der Plan des Unternehmens Donotpay, eine Gerichtsverhandlung vor einem Verkehrsgericht und die dortige Argumentation zur Anfechtung eines Strafzettels durch den Einsatz einer auf einem Smartphone installierten KI live mitzuverfolgen. Die KI sollte dem Angeklagten in Echtzeit passende Antworten über ein Headset mitteilen. Doch Ende Januar gab Donotpay-CEO Joshua Browder via Twitter bekannt, dass man erst einmal Abstand von der Idee nehme.

Einsatz von KI erfordert ein Update für das Arbeitsrecht

Der zunehmende Einsatz künstlicher Intelligenz stellt das Arbeitsrecht vor Herausforderungen, unter anderem beim Daten- und Diskriminierungsschutz, in Haftungsfragen oder bei der Entscheidung, ob eine Person abhängig beschäftigt ist oder selbstständig. Wo Aufgaben für die Gesetzgebung liegen und in welche Richtung Lösungen gehen können, hat der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Bernd Waas in einem neuen Gutachten für das Hugo- Sinzheimer-Institut (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Ein zentrales Ergebnis: Wenn Arbeitgeber Algorithmen zwischenschalten, wird Mitbestimmung der Beschäftigten noch wichtiger, so der Juraprofessor an der Universität Frankfurt/Main.

Von Christoph Berger

Bleibeklauseln bei Aus- und Weiterbildungen

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Der Fachkräftemangel ist für Arbeitgeber im Allgemeinen eine Herausforderung. Für KMUs ist er ein Risiko für wirtschaftlichen Erfolg und eine Wachstumsbremse. Unternehmen begegnen der Knappheit bei der Ressource Personal häufig damit, dass sie (angehende) Fachkräfte bei ihrer Aus- und Weiterbildung finanziell unterstützen. Zur Absicherung dieser „Investition in die Zukunft“ ist in der Regel die Vereinbarung einer sogenannten Bleibeklausel vorgesehen. Was so eine Klausel regelt, und welche Anforderungen eingehalten werden müssen, wird nachfolgend gezeigt. Von Pascal Verma, Partner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der nbs partners Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Hamburg

Es gibt viele Konstellationen, in denen Unternehmen die Aus- oder Weiterbildung von Beschäftigten finanziell unterstützen. Es kann sich um die berufliche Weiterbildung handeln, zum Beispiel zum Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder zum Fachanwalt. Auch die Unterstützung bei den Kosten für eine Meisterschule im Handwerk oder die Übernahme von Studiengebühren für ein duales Studium kommen häufig vor. Die unterschiedlichen Ausgangssituationen haben aber eines gemeinsam: Typischerweise unterstützt der Arbeitgeber die Aus- oder Weiterbildung, um die höhere Qualifizierung des oder der Arbeitenden für eine Zeit in seinem Unternehmen zu nutzen. Umgesetzt wird dieses Ziel mit Bleibeklauseln. Das sind Vereinbarungen, nach denen sich der oder die Arbeitende zur Rückzahlung der Arbeitgeberleistungen verpflichtet, wenn die vereinbarte Bleibedauer nicht eingehalten wird.

Um eine Bleibeklausel wirksam vereinbaren zu können, muss allerdings eine grundlegende Voraussetzung erfüllt sein: Die Maßnahme, zu der der oder die Beschäftigte die finanzielle Unterstützung erhält, muss den individuellen „Marktwert“ des oder der Beschäftigten erhöhen. Vermittelt die Weiterbildung lediglich betriebsbezogene Kenntnisse, von denen ausschließlich der aktuelle Arbeitgeber profitiert, ist die Bleibeklausel unzulässig. Zudem muss der Arbeitgeber ein Interesse daran haben, dass die in der Weiterbildung erworbenen Fähigkeiten auch in seinem Unternehmen eingesetzt werden. Ohne dieses Interesse ist die Bleibeklausel unzulässig. Die weiteren Voraussetzungen, damit eine Rückzahlungspflicht besteht, sind durch die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren detailliert definiert worden.

Neben der genauen Vereinbarung der Rückzahlungstatbestände ist entscheidend, dass die Bleibeklausel nur einen zeitlich begrenzten Bleibedruck ausübt, der in einem angemessenen Verhältnis zu der unterstützten Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme steht.

Dabei sind Fallgruppen herausgearbeitet worden, die einen gemeinsamen Nenner haben: Hält der oder die Beschäftigte gegenüber dem Arbeitgeber für die vereinbarte Zeit die Betriebstreue ein oder kann er oder sie die vereinbarte Betriebstreue aus einem Grund, der nicht aus seiner oder ihrer Sphäre stammt, nicht einhalten, so darf keine Rückzahlungspflicht bestehen. Das Bestehen der Rückzahlungspflicht ist daher nur in drei Fallgruppen anerkannt: bei Ausspruch einer unberechtigten Eigenkündigung, bei Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung, die auf einem von dem oder der Beschäftigten zu vertretenden Grund beruht und bei einem Aufhebungsvertrag, der aufgrund einer Pflichtverletzung auf der Arbeitnehmerseite abgeschlossen wird.

Neben der genauen Vereinbarung der Rückzahlungstatbestände ist entscheidend, dass die Bleibeklausel nur einen zeitlich begrenzten Bleibedruck ausübt, der in einem angemessenen Verhältnis zu der unterstützten Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme steht. Für die Praxis hat das Bundesarbeitsgericht einen Regelstufenplan entwickelt, der, abhängig vom Weiterbildungszeitraum, für den der Arbeitgeber bezahlt freistellt, eine regelmäßig zulässige Bindungsdauer vorsieht. Dieser Plan reicht von einer zulässigen sechsmonatigen Bindungsdauer bei einer fortbildungsbezogenen Freistellung von bis zu einem Monat bis hin zu einer maximal fünfjährigen Bindungsdauer bei einer mehr als zweijährigen fortbildungsbezogenen Freistellung.

Die Praxis zeigt allerdings, dass Bleibeklauseln fehleranfällig sind und ihre Überprüfung regelmäßig rechtliche Angriffsfläche bietet. Ist die Bleibeklausel fehlerhaft, führt dies in der Regel dazu, dass die Rückzahlungspflicht ganzheitlich entfällt. Für die Unternehmen ist es also wirtschaftlich wichtig, bei der Gestaltung von Bleibeklauseln sensibel und rechtlich gut beraten zu agieren. Für Beschäftigte, denen eine Bleibeklausel zum Abschluss vorgelegt wird oder die in der Vergangenheit eine Bleibeklausel abgeschlossen haben, kann eine fachmännische Überprüfung der Klausel von Interesse sein, da eine realistische Chance besteht, dass auch die konkret vorgesehene Klausel angreifbar ist.

Algorithmen und die Meinungsbildung

Die Nutzung digitaler Medien für Nachrichtenzwecke gewinnt immer weiter an Bedeutung. Damit steigt auch deren Bedeutung für die öffentliche und individuelle Meinungsbildung. Doch die Auswahl und Strukturierung der Inhalte auf den großen Online-Plattformen wird von Algorithmen bestimmt. Deren Zielstellungen und Vorgehensmodelle sind nicht immer transparent. Von Christoph Berger

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) veröffentliche Ende Dezember 2022 den Arbeitsbericht „Algorithmen in digitalen Medien und ihr Einfluss auf die Meinungsbildung“. Darin beschreiben die Autor*innen die Entwicklung bei der Informationsvermittlung weg von den Massenmedien Fernsehen, Radio und Presse hin zu Onlineplattformen wie Google, YouTube, Facebook, Twitter oder Instagram. Orientierten sich Rundfunk und Presse noch an journalistischen Prinzipien, sind es auf den Onlineplattformen Algorithmen, die darüber entscheiden, welche Meldungen welchen Personen in welcher Reihenfolge angezeigt werden. Die Kriterien bei dieser Selektion orientieren sich dabei nicht unbedingt an Werten der Sorgfalt und Vielfalt, sondern an den Interessen und der Aufmerksamkeit der Nutzer/innen sowie am Gewinnstreben der Informationsintermediäre, also den Vermittlerplattformen zwischen denjenigen, die Inhalte produzieren und denjenigen, die sie nutzen. Und aufgrund der täglichen und häufigen Nutzung nehmen sie Einfluss auf die Meinungsbildung. Mit der Folge: Es bilden sich sogenannte Filterblasen und Echokammern.

Zunahme von „Roboterjournalismus“

Dieses Medienverhalten der Nutzer*innen gepaart mit der Meldungsauswahl durch Algorithmen führt außerdem dazu, dass sich auch Falschnachrichten schnell verbreiten – ja, sogar großflächige Desinformations- und Manipulationskampagnen absichtlich initiiert und Gruppen von Nutzer*innen gezielt adressiert werden, um Meinungen und politische Entscheidungen zu beeinflussen. Wobei die Entwicklung auch vor dem klassischen Journalismus schon längst nicht mehr haltmacht. Laut dem Bericht würden auch dort inzwischen algorithmische Systeme eingesetzt, um zu testen, welche Schlagzeilen von Nutzer*- innen am ehesten angeklickt werden – ebenfalls mit dem Ziel, höhere Werbeeinnahmen zu erzielen. Insgesamt, so die Autor*innen, sei in den kommenden Jahren von einer Zunahme des automatisierten Journalismus, dem sogenannten Roboterjournalismus, auszugehen. Wobei die Leser*innen automatisierter Texte diese nicht ohne Weiteres von manuell erstellten Beiträgen unterscheiden könnten.

Mit dem Medienstaatsvertrag, in den 2020 erstmals auch Medienintermediäre in den Anwendungsbereich aufgenommen wurden, sowie den darin formulierten Transparenzpflichten, sei ein erster Schritt der gesetzgeberischen Kontrolle erfolgt, heißt es weiter. Allerdings würden algorithmische Intermediäre bislang weder unter das rundfunkzentrierte Modell der Konzentrationskontrolle noch unter die medienstaatsvertragliche Plattformregulierung, die die Medienordnung in Deutschland prägt, fallen. Anders sehe es mit dem Gesetz über digitale Dienste und dem Gesetz über digitale Märkte aus. Insbesondere ersteres soll Risiken und Gefahren entgegenwirken, die sich für Einzelne und die Gesellschaft insgesamt aus der Nutzung, aber auch der Abhängigkeit von großen Onlineplattformen ergeben. Die Transparenzmaßnahmen würden die algorithmischen Systeme der großen Onlineplattformen mit dem Ziel betreffen, aufzuzeigen, wie algorithmische Entscheidungen getroffen werden und welche Effekte diese Entscheidungen auf die Gesellschaft haben. Dieses Gesetz soll in Deutschland ab dem 17. Februar 2024 gelten. Das Gesetz über digitale Märkte tritt bereits am 2. Mai 2023 in Kraft.

„Die Grundvoraussetzung ist Neugier.“

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Außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren wie Mediationen und Schiedsverfahren nehmen zu. Und werden daher auch bei Kanzleien immer häufiger angefragt. Dr. Andreas Hacke erklärt im Gespräch, welche Unterschiede es zwischen den Verfahren gibt und welche Voraussetzungen Anwälte mitbringen sollten, um in diesem Segment ihre Mandantschaft erfolgreich zu beraten und zu begleiten. Für ihn ist außerdem klar: Mit außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren sollten sich Anwältinnen und Anwälte möglichst schon im Studium beschäftigen. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Dr. Andreas Hacke, Foto: Jochen Rolfes
Dr. Andreas Hacke, Foto: Jochen Rolfes

Dr. Andreas Hacke ist seit 2002 als Rechtsanwalt zugelassen und seit 2005 Partner der Sozietät Zwanzig Hacke Meilke & Partner. Er ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Zudem ist Andreas Hacke regelmäßig als Schiedsrichter (Vorsitzender, Einzelschiedsrichter oder parteibenannt) sowie als Wirtschaftsmediator und Schlichter mit der Lösung komplexer wirtschaftsrechtlicher Konflikte betraut. WhosWhoLegal führt ihn als „Thought Leader Germany“ (2020) und empfiehlt ihn in den Bereichen Schiedsverfahren und Mediation (zuletzt als „National Leader- Arbitration“ (2020), „National Leader – Mediation“ (2020) und „Global Leader Mediation“ (2019). Er hält Vorträge und unterrichtet in Schulungen und Workshops zu den Themen Schiedsverfahren, Wirtschaftsmediation, Verhandlungsführung und Konfliktmanagement. www.zhmp.de

Herr Dr. Hacke, Sie sind Experte für Schiedsverfahren und Mediation. Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Verfahren außergerichtlicher Streitbeilegung?
Das sind zwei ganz unterschiedliche Verfahren. Der wesentliche Unterschied lässt sich an der Rolle des jeweils eingesetzten neutralen Dritten festmachen. Ein Schiedsverfahren ist letztlich vergleichbar mit einem Gerichtsverfahren. Und zwar in der Weise, dass das Schiedsgericht eine verbindliche Entscheidung über die Streitigkeit trifft – ein Urteil sozusagen, den Schiedsspruch. In der Mediation ist das anders. Die Mediatorin oder der Mediator haben nicht die Macht, verbindlich über die Streiterledigung zu entscheiden, sondern sie unterstützen die Parteien dabei, selbst die Lösung eines Konflikts zu verhandeln.

Auch wenn das Urteil im Schiedsverfahren verbindlich ist, findet es außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit statt?
Ja, genau. Das Schiedsverfahren ist eine echte Alternative zum staatlichen Gerichtsverfahren. Das heißt: Da, wo Parteien sich auf ein Schiedsverfahren verständigt haben, kann kein Gerichtsverfahren mehr stattfinden. Das Verfahren mündet in einem Urteil des Schiedsgerichts. Der Schiedsspruch hat die gleiche rechtliche Wirkung wie das Urteil eines staatlichen Gerichts. Es handelt sich um ein adversielles, ein gegensätzliches Verfahren, in dem Parteien ihre Rechtsstandpunkte durch Schriftsätze deutlich machen und in dem es eine mündliche Verhandlung vor dem Schiedsgericht gibt. Natürlich ist es denkbar, dass sich die Parteien auch im Rahmen eines Schiedsverfahrens, teilweise mit Unterstützung durch das Schiedsgericht, einvernehmlich auf einen Vergleich verständigen und damit das Schiedsverfahren vorzeitig beenden – ganz ähnlich, wie dies oft auch vor einem staatlichen Gericht passiert. Aber das ist nicht der Kern des Schiedsverfahrens. Der Kern ist eine streitige Auseinandersetzung, die auf einen Schiedsspruch hinausläuft.

Wie setzt sich ein solches Schiedsgericht zusammen?
Da gibt es unterschiedliche Varianten. Es gibt Schiedsgerichte, die nur aus einer Person bestehen, also einer Schiedsrichterin oder einem Schiedsrichter. Die meisten Schiedsgerichte bestehen aber aus drei Personen. Zudem ist die Zusammensetzung davon abhängig, nach welchen Regeln das Schiedsverfahren organisiert ist. Sehr häufig sehen die vereinbarten Schiedsregeln aber vor, dass jede Streitpartei berechtigt ist, eine Schiedsrichterin oder einen Schiedsrichter eigenmächtig zu benennen – gleichwohl müssen diese Personen neutral sein. Die beiden Schiedsrichter* innen haben dann die Aufgabe, eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden auszuwählen und ihrerseits zu benennen. Diese Person ist dann das sogenannte „Zünglein an der Waage“. So haben wir ein Schiedsgericht, das ausschließlich für den jeweiligen Fall zusammenkommt und nach dessen Erledigung auch wieder auseinandergeht. Es handelt sich demnach nicht um eine Institution, wie das bei einem staatlichen Gericht der Fall wäre.

Und wie ist es bei der Mediation?
Die Mediation ist im Grund nichts anderes als eine Verhandlung von Streitparteien. Mit dem Unterschied, dass diese Verhandlung durch einen Mediator geleitet und moderiert wird, der oder die aber keine Entscheidungsgewalt über die Sache hat.

Gibt es für die beiden Verfahren jeweils typische Fälle, bei denen sie eingesetzt werden?
Das lässt sich so nicht voneinander abgrenzen. Die Verfahren sind potenziell hintereinandergeschaltet. Führt die Mediation nicht zu einer Lösung, steht den Parteien frei, dasjenige Verfahren zur verbindlichen Streitbeilegung anzusteuern, das eben zugänglich ist. Ohne eine Verabredung wäre das immer das zuständige staatliche Gericht. Treffen die Parteien aber eine Schiedsvereinbarung, auch nach einer gescheiterten Mediation oder in deren Vorfeld, dann wäre das Schiedsverfahren das Forum, in dem der Fall verbindlich entschieden wird.

Allerdings kann gesagt werden, dass Mediation da besonders sinnvoll ist, wo möglicherweise eine Zusammenarbeit der Parteien in Rede steht. Die Mediation ist darauf ausgerichtet, eine interessengerechte Zukunftslösung zu verhandeln – obwohl es genauso Mediationen zwischen Parteien gibt, die keine weitere Zusammenarbeit anstreben. Schiedsverfahren kommen häufig in internationalen Geschäftsbeziehungen zur Geltung. Warum? Weil die Parteien in Verträgen mit internationalem Gehalt sich nicht auf die Zuständigkeit eines staatlichen Gerichts in dem jeweiligen Staat der anderen Vertragspartei einigen können. Das wäre für die betroffene Partei dann fremdes Terrain. Da das für beide Parteien gleichermaßen gilt, einigen sie sich auf ein Schiedsgericht.

Welche Rolle nehmen diese beiden außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren in der anwaltlichen Praxis ein?
In meiner Wahrnehmung nehmen sie eine zunehmende Bedeutung ein. Hintergrund dafür ist, dass die Kenntnis über solche Verfahren in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Gleichzeitig sind die Unternehmen nicht mehr bereit, voreilig in sehr langwierige und kostspielige Gerichtsverhandlungen hineingezogen zu werden. Die Anwaltschaft sieht sich damit stärker als früher der Nachfrage ausgesetzt, welche anderen Verfahren und Mittel es denn gäbe. Die Mandanten wünschen sich diesbezüglich dann auch Rat und fachkundige Begleitung in diesen Verfahren.

Als Mediator*in sind Sie in einer ganz anderen Rolle als Anwält*in: Sie sind angehalten die Interessen der Beteiligten zu ergründen und diese zu motovieren, auf Basis dieser Interessen eine Lösung zu finden.

Welche Fähigkeiten und Kompetenzen benötigen Mediator*innen, um erfolgreich die Vermittler*innen-Position einzunehmen?
Das sind sehr viele und unterschiedliche. Die Grundvoraussetzung ist Neugier – auch als Mensch: Man muss an dem Konflikt anderer und deren Ursachen interessiert sein. Und es braucht ein Eigeninteresse, an der Lösung von Konflikten konstruktiv mitzuwirken. Darüber hinaus erfordert es ein Umdenken hinsichtlich der eigenen Rolle. Als Mediator*in sind Sie in einer ganz anderen Rolle als Anwält*in: Sie sind angehalten die Interessen der Beteiligten zu ergründen und diese zu motivieren, auf Basis dieser Interessen eine Lösung zu finden. Das setzt ein Beherrschen von ganz bestimmten Techniken voraus – vor allem Kommunikations-, Frage-, Moderations- und Visualisierungstechniken. Das ist Handwerkszeug auf Basis eines klaren Rollenverständnisses, das erlernt werden kann, aber auch etwas mit Neigung und Talent zu tun hat.

Wer darf sich Mediator nennen bzw. braucht es dafür eine spezielle Ausbildung?
Das ist etwas eigenwillig. Nicht-Jurist* innen brauchen keine weitere Ausbildung. Wer als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt agiert, braucht für die Tätigkeit als Mediator*in eine Mediationsausbildung. Die gibt es dann noch in Abstufungen.

Ab welchem Punkt im Lebenslauf sollte man beginnen, sich mit außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren zu beschäftigen?
Man kann nicht früh genug damit anfangen. Sinnvoll ist es, sich mit den Verfahrensarten und Techniken durchaus schon im Studium, spätestens im Referendariat oder beim Berufseinstieg intensiv zu beschäftigen – einfach auch, um auf die Anfragen der Mandantschaft vorbereitet zu sein.

Legal Engineer: An der Schnittstelle von IT und Recht

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Es ist eine Entwicklung, die sich durch sämtliche Branchen zieht. Egal ob im Ingenieurwesen, den Natur- oder Wirtschaftswissenschaften, der Bau- oder Medizinbranche – oder halt der Rechtsbranche. Die Welt der Unternehmen und Organisationen wird immer interdisziplinärer. Das hat auch mit der Digitalisierung zu tun, die dazu führt, dass fachspezifische Prozesse in digitalisierter und automatisierter Form abgebildet werden. Diejenigen, die diese Prozesse umzusetzen haben, benötigen Schnittstellenkompetenzen. So wie die oder der Legal Engineer. Von Christoph Berger

Im Oktober 2022 gab die EBS Law School bekannt, dass ihr Vorlesungsangebot im Schwerpunktbereich „Recht & Digitalisierung“ um eine Einführungsveranstaltung zu „Legal Engineering“ erweitert werde. Die Studierenden würden sich somit zukünftig verstärkt dem interdisziplinären Thema von Recht und Softwareentwicklung widmen. Denn: Legal Tech sei aus der Juristerei längst nicht mehr wegzudenken, Softwareanwendungen würden juristische Arbeitsabläufe und Prozesse sowie die Wettbewerbs- und Marktbedingungen beeinflussen. Dadurch hätten sich auch die Rollen der Akteur*innen auf dem Rechtsmarkt verändert, was vom Jurist*innen-Nachwuchs Schnittstellenkompetenzen verlange: Juristische Expert*innen bräuchten nicht nur das klassische Rechtswissen, sondern auch Kenntnisse aus den Bereichen Softwareentwicklung, Data Science oder Prozess- und Projektmanagement.

Die zunehmende Rolle und Bedeutung von Technologie in der juristischen Unternehmens- und Institutionswelt stellt auch Dr. Dirk Schrameyer, LL.M. (USA), Associate Director Legal Digital & Platform Solutions bei Wolters Kluwer Deutschland, heraus. Basierend auf den Ergebnissen der Studie „Future Ready Lawyer 2022“ hat er die fünf wichtigsten Trends für Rechtsabteilungen und Anwaltskanzleien für 2023 identifiziert. An erster Stelle: Technologie. Sie spielt laut Schrameyer eine enorm wichtige Rolle bei der Auswahl und Bindung von Mitarbeiter*innen, bei der Gewinnung von Talenten sowie bei der Verbesserung von Produktivität und Leistung.

Für die Ohren

In der Podcast-Reihe zum „Weblaw Forum LegalTech 2022“ von Podcasts@Weblaw beschäftigen sich zahlreiche Beiträge nicht nur mit den Entwicklungen und Folgen der Digitalisierung für die Rechtsbranche, sondern auch mit Legal Engineering.

So sehen nicht nur 79 Prozent aller für die Studie befragten Jurist*innen die zunehmende Bedeutung von „Legal Tech“ als wichtigsten Trend in diesem Jahr an, auch 87 Prozent aller Unternehmensjurist*innen und 83 Prozent der Jurist*innen in Kanzleien halten es für äußerst oder sehr wichtig, für eine Rechtsabteilung oder Kanzlei zu arbeiten, die das technologische Potenzial voll nutzt. 78 Prozent der Anwält*innen in Kanzleien sagen außerdem, dass sie mehr nicht-juristisches Personal nutzen werden, 81 Prozent möchten vermehrt auf Drittanbieter oder externe Ressourcen zurückgreifen.

Um genau diese Schnittstellenkompetenzen abbilden zu können. Legal Engineers sind vor diesem Hintergrund essentiell für die Zukunftsfähigkeit der Kanzleien. Von Seiten des Beratungsunternehmen Deloitte werden sie als universell einsetzbare Generalisten bezeichnet. Capgemini nennt sie Brückenbauer*innen und Übersetzer*innen, die mit ihren hybriden Qualifikationsprofilen in weniger hochstandardisierten Kontexten an der engen Verzahnung von Recht, Organisation, Daten und Technologie arbeiten.