- 5 Medical Scientists (with a degree in Biology, (Bio)Informatics, Chemistry, Physics, or similar)
- 2 Clinician Scientists (during medical residency)
- 3 Advanced Clinician Scientists (after completion of residency)

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“: Dieses Zitat – es wird Heraklit zugeschrieben – ist uralt und dennoch topaktuell. In dieser Ausgabe betrachten wir einige Aspekte des Wandels, die für Hochschulabsolvent*innen relevant sind: Beim Gender Shift geht es um Geschlechtergerechtigkeit in der Arbeitswelt, Künstliche Intelligenz kann zu mehr Nachhaltigkeit führen, die Handelsbranche verändert sich rasant. Für Berufseinsteiger*innen liegen in solchen Veränderungen oft Chancen: Wer weiß, was den Arbeitsmarkt bewegt und darauf entsprechend reagiert, hat beste Bedingungen für einen guten Start!
Der Rechtsmarkt gilt tendenziell als konservativ und eher weniger flexibel. Doch die gesellschaftlichen Veränderungen, die Digitalisierung und der Wunsch nach Innovationen von Seiten der jungen Jurist*innen verändern die Kanzleiwelt nachhaltig. Einsteiger*innen wünschen sich, dass ihr zukünftiger Arbeitgeber gesellschaftliche, soziale und ökologische Verantwortung übernimmt. Sie sind aber auch selbst bereit, Verantwortung zu übernehmen – von Anfang an. Denn sie möchten die Arbeitswelt mitgestalten. Viele Kanzleien haben erkannt, dass sie sich diesen Wünschen öffnen und flexibler werden müssen. Wie es gelingen kann, gemeinsam die Kanzleiwelt in die Zukunft zu führen, zeigen wir unter anderem in unserem Titelthema.
Verglichen mit anderen Branchen ist der Rechtsmarkt starr und wird von Konventionen geprägt. Jedoch verlangen digitale Techniken und der Anspruch der jungen Generation auch in den Kanzleien nach Innovationen. Entwickelt werden können diese von innen heraus – mit Hilfe von Intrapreneuren, die in der Organisation so arbeiten, als führten sie ein eigenes Unternehmen. Kanzleien sollten internen Unternehmergeist fördern – und seine ungewöhnlichen Wege aushalten. Ein Essay von André Boße
Man tut dem Rechtsmarkt nicht unrecht, wenn man ihn im Vergleich zu anderen Branchen als verhältnismäßig konservativ charakterisiert. Das liegt einerseits an der Arbeit selbst: Juristische Exzellenz ist ein Attribut, bei dem es auch darum geht, das Vertrauen der Mandant*innen zu gewinnen. Wer hier zu progressiv unterwegs ist, könnte für Verwirrung sorgen. Zu tun hat das auch mit der Struktur vieler Kanzleien. Sie beruhen auf dem Modell der Partnerschaften, müssen ohne Risikokapital oder Investoren auskommen – eine Tatsache, die mutiges Denken zumindest nicht fördert (siehe dazu auch das Top-Interview in dieser Ausgabe).Wer sich nicht mit disruptiven Technologien auseinandersetzt und sich nicht den Ansprüchen der Mandant*innen stellt, befindet sich früher oder später auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. — Clara Raschewski, SKW SchwarzWo aber sollen diese Innovationen entwickelt werden, in einem Markt, der anders funktioniert als andere Branchen? Clara Raschewski bringt in ihrem Beitrag das Problem auf den Punkt, wenn sie schreibt, dass es für Innovation in Kanzleien ein Mindset geben müsse, das „Offenheit, Zusammenarbeit und Experimentierfreude fördert und Mitarbeitende ermutigt, neue Ideen einzubringen und umzusetzen“. Genau hier erkenne sie aber das Problem: „Die Veränderung der Gesellschaft und explizit der Tech-Welt vollzieht sich sehr schnell, und somit prallt Technologie auf eine konventionelle, starre juristische Welt.“ Wobei die Autorin auch klarstellt, dass ein Festhalten an den Konventionen keine Option darstelle: „Wer sich nicht mit disruptiven Technologien auseinandersetzt und sich nicht den Ansprüchen der Mandant*innen stellt, befindet sich früher oder später auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit.“
Dr. Christoph Nawroth ist dort Corporate Partner, spezialisiert auf alle Aspekte des M&A- und Gesellschaftsrechts. Auf die Frage, wie hoch er bei den Nachwuchskräften den Stellenwert einschätzt, sich von Beginn an einbringen zu können, sagt er: „Wir stellen sehr häufig fest, dass sich junge Anwältinnen und Anwälte aktiv nach diesen Einbringungsmöglichkeiten erkundigen, weil sie eben mehr als nur ‚juristische Sachbearbeiter‘ sein wollen.“ Die Innovationskraft der jungen Generation kann die Kanzlei mit ihrem Fokus auf Wachstum und Innovation gut gebrauchen. Nawroth sagt: „Es ist wesentlicher Teil unserer Unternehmenskultur, dass jeder Partner – einzeln oder gemeinsam mit anderen Partnern – Geschäft generiert und hierbei die Entwicklungen des Marktes im Auge behält. Dabei sind wir ständig darauf bedacht, innovative Lösungen für die Anliegen unserer Mandanten zu finden.“Die befragten Kanzleien stellen klar, dass sich die Ausbildung an den Universitäten überwiegend an juristischen Inhalten orientiert. „Aus unserer Sicht könnte der Unternehmergeist im Rahmen der akademischen Ausbildung durch einen stärkeren Praxisbezug im Studium gefördert werden“, sagt Dr. Christoph Nawroth, Partner bei Herbert Smith Freehills am Standort Düsseldorf. Bis dato bleibe leider „kaum Raum für die frühzeitige Entwicklung unterstützender sozialer und/oder unternehmerischer Kompetenzen“, sagt Dr. Jörg Schneider-Brodtmann, Partner bei Menold Bezler in Stuttgart. Für ihn kommen die „Soft Skills“ – „etwa Gesprächs- und Verhandlungstechniken, aber auch Grundlagen der Unternehmensführung“ – deutlich zu kurz: „Wünschenswert wäre, dass in Zukunft ein Paradigmenwechsel erfolgt und solche Inhalte bereits in die universitäre Ausbildung integriert werden, etwa durch die gezielte Einbindung erfahrener Praktiker in die Curricula.“
Intrapreneurship in der juristischen Ausbildung
Das Konzept beschreibt dabei keinen Prozess, für dessen Ablauf es ein Handbuch gibt oder der in einer bestimmten Abteilung stattfindet. Worauf es laut Deloitte- Studie stattdessen ankomme, seien „kreative Individuen, die neue Ideen entwickeln“ und die Organisation als „Ganzes vorwärts bringen wollen“. Damit dies gelingt, gehen Intrapreneure unter Umständen bewusst „an den Rand einer Organisation“, schreiben die Autor*innen – mit dem Ziel, dort „bestehende Produkte, Services und Technologien zu erweitern und so die Diversifikation zu erhöhen, neue Firmenpotenziale [zu] entwickeln und Disruption [zu] fördern.“ Die Autor*innen des Deloitte-Reports erinnern an ein Zitat von Apple-Co-Gründer Steve Jobs, der sich Anfang der 80er-Jahre mit einer Gruppe von 20 Mitarbeitern des Unternehmens Apple von der Organisation abspaltete, um autark vom Unternehmen den Macintosh Computer zu entwickeln – die entscheidende Innovation, die Apple später zum großen Player machte. Diese Jobs-Group handelte damals frei und abgekoppelt; Jobs sagte 1985 in einem Interview mit dem US-Magazin Newsweek: „Das Macintosh-Team war das, was man gemeinhin als Intrapreneurship bezeichnet (…) eine Gruppe von Leuten, die mehr oder weniger zurück in eine Garage gingen, allerdings innerhalb eines großen Unternehmens.“Das White-Paper von Deloitte Digital enthält eine Reihe von Experteninterviews mit erfolgreichen Intrapreneuren und Innovations-Managern unterschiedlicher Konzerne, anhand derer Potenziale und Herausforderungen von Intrapreneurship analysiert wurden. Hieraus resultieren fünf Erkenntnisse, die verdeutlichen, wie der Intrapreneurship- Gedanke in der Organisation verankert werden kann. Das White-Paper steht zum Download auf der Website von Deloitte.
Fünf Erkenntnisse zu Intrapreneurship
Intrapreneure kennen die Regeln und umgehen sie wirksam. (…) Um ihre Idee durchzusetzen, machen Intrapreneure nicht an den Grenzen der Organisation halt, sondern legen Regeln flexibel aus, die sie davon abhalten könnten, ihre Ziele zu erreichen.An zentraler Stelle ihres White-Papers nennen die Autor*innen von Deloitte zwei einprägsame Merksätze. Erstens, „Intrapreneure kann man nicht erschaffen – man muss sie erkennen“. Für die Kanzleien kommt es damit darauf an, Methoden zu entwickeln, um das vorhandene Intrapreneur- Potenzial zu identifizieren und zu heben – verbunden mit der Aufforderung an die Nachwuchskräfte, sich selbstbewusst zu zeigen. Merksatz zwei, „Intrapreneure kennen die Regeln und umgehen sie wirksam. (…) Um ihre Idee durchzusetzen, machen Intrapreneure nicht an den Grenzen der Organisation halt, sondern legen Regeln flexibel aus, die sie davon abhalten könnten, ihre Ziele zu erreichen.“ An dieser Stelle kommt es für Kanzleien darauf an, dem Unternehmergeist im Inneren zu vertrauen – auch dann, wenn die Intrapreneure andere Wege beschreiten. Zumal der Kompass der anwaltlichen Arbeit weiterhin eine klare Richtung vorgibt – eine Richtung, die mit dem im Einklang steht, was sich der Nachwuchs wünscht: Dr. Jörg Schneider-Brodtmann, Partner bei Menold Bezler, nennt als zentrales „Zauberwort bei der Mitarbeitergewinnung und -entwicklung“ den Begriff „Purpose“. „Dieser Purpose liegt beim Anwaltsberuf primär in der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen, um die Interessen der Mandanten bestmöglich zu fördern.“ Daneben spiele zunehmend die „Möglichkeit, das eigene Arbeitsumfeld mitzugestalten, eine wichtige Rolle“. Wie man bei Menold Bezler diesem Anspruch des Nachwuchses gerecht wird? „Wir binden unsere jungen Anwältinnen und Anwälte nicht nur möglichst frühzeitig direkt in die Mandatsarbeit ein, sondern bieten ihnen in verschiedenen Foren auch Partizipationsmöglichkeiten im Hinblick auf die stetige Fortentwicklung unserer Kanzlei“, sagt Dr. Jörg Schneider- Brodtmann. Kurz: Intrapreneurship braucht Teilhabe – Kanzleien sind gut beraten, den Unternehmergeist im Inneren zu garantieren.
Intrapreneurship – Begriffsklärung und Buchtipp
Erstmals erwähnt wurde der Begriff vom „Intrapreneur“ wohl vom US-amerikanischen Unternehmer- Ehepaar Elizabeth Pinchot und Gifford Pinchot III. Im 1978 publizierten Aufsatz „Intra-Corporate Entrepreneurship“ näherten sich die beiden dem Potenzial des unternehmerischen Denkens im Inneren einer Organisation an. In einem Video-Interview mit dem Portal „innov8rs“ definiert Gifford Pinchot III: „Intrapreneure sind die Träumer, die etwas tun. Sie sehen nicht nur die Zukunft, sie unternehmen auch die praktischen Schritte, die notwendig sind, um diese Zukunft zu verwirklichen.“ Wer tiefer in das Thema einsteigen möchte: Das Buch „Intrapreneurship: Unternehmergeist, Systeme und Gestaltungsmöglichkeiten“, herausgegeben von Rafaela Kraus, Tanja Kreitenweis und Brigita Jeraj (Springer Gabler 2022) bietet einen Einblick in den Ansatz.
Zu wenig unternehmerisches Denken, zu viel Angst vor neuer Technik, zu starre Strukturen: Jörg Offenhausen findet klare Worte, wenn es darum geht, zu erklären, warum sich der Rechtsmarkt mit technischen Innovationen schwertut. Als Geschäftsführer des German Legal Tech Hubs arbeitet er daran, das zu ändern – indem er Anwälte und Anwältinnen mit Start-ups verbindet, nach dem Motto: Problem sucht Lösung. Die Fragen stellte André Boße.
Herr Offenhausen, Sie haben in einem Interview gesagt, dass es Anwälten und Anwältinnen, die mit Legal Tech nichts am Hut haben wollen, wie Videotheken ergehen wird – sprich: Die werden irgendwann verschwinden. Ja, so hart muss man es formulieren. Was machen Anwälte zum großen Teil? Sie reproduzieren immer wieder ähnliche Dinge. Und alle Dinge, die ähnlich und reproduzierbar sind – die sind anfällig für Automatisierungen. Es gibt in den Kanzleien bestimmte Bereiche, da wird es in der nächsten Zeit keine bahnbrechenden technischen Entwicklungen geben, zum Beispiel in der individuellen Rechtsberatung. Dennoch müssen sich Kanzleien jetzt mit der Automatisierung beschäftigen. Wobei ich davon ausgehe, dass viele Anwälte sehr genau wissen, dass einige Geschäftsmodelle nicht länger aufgehen werden. Welche zum Beispiel? Wenn ein Mandant anruft und sagt, er möchte gerne einen Arbeitsvertrag haben – dann füllt der Anwalt den Arbeitsvertrag aus und erstellt eine Rechnung von 500 Euro. Ich denke, insgeheim weiß man, dass es so nicht weitergehen wird, weil die Technik die Erstellung solcher Verträge wesentlich effektiver gestalten wird. Wenn man als Kanzlei da nicht mitgeht, diese Effektivität also nicht anbietet, dann wird der Markt das nicht mehr annehmen. Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz im Bereich Legal Tech? Noch hat die KI ein Grundproblem – und zwar die KI-Halluzination: Wenn die KI etwas nicht weiß, dann denkt sie sich etwas aus. Wobei das Ausgedachte so gut klingt, dass man glauben könnte, es sei richtig. Ist es aber nicht. Es kommen falsche Ergebnisse heraus, und wir als Anwälte haften für falsche Ergebnisse. Das ist natürlich eine Gefahr. Ich denke daher, dass die Diskussion über KI in Kanzleien noch weit in die Zukunft führt. In zehn, 20 Jahren werden wir anders darüber reden. Mich interessieren jedoch die technischen Entwicklungen mehr, mit denen man heute etwas machen kann. Für die es bereits Anwendungsfälle gibt. Und das ist primär bei der Verbesserung des Workflows der Fall. Wenn es um Arbeiten geht, die alle nerven, die aber trotzdem erledigt werden müssen.Zur Person
Jörg Offenhausen ist Geschäftsführer des German Legal Tech Hubs. Als Rechtsanwalt ist er Managing Partner der Wirtschaftskanzlei activelaw und dort auch als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht tätig. Aus seiner Arbeit kennt Jörg Offenhausen die Innovationshemmnisse von Mittelstand, Konzernen und Kanzleien aus erster Hand. Er gründete eigene erfolgreiche Legal Start-ups und trat im Vorstand der Anwaltskammer Celle für die digitale Transformation der juristischen Arbeit ein.
Mich interessieren die technischen Entwicklungen mehr, mit denen man heute etwas machen kann. Für die es bereits Anwendungsfälle gibt.Von welchem konkreten Anwendungsfall können Sie in naher Zukunft profitieren? Ich komme aus dem Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht. Wenn ich mich mit Mandanten treffe, dann unterhalten wir uns für rund zwei Stunden. Danach setze ich mich hin und erstelle aus meinem fachlichen Wissen heraus und aus dem, was ich im Gespräch erfahren habe, einen Vertrag. Der Vorgang dauert insgesamt vielleicht 15 Stunden – wobei die eigentliche, geistige Wertschöpfung nur in den ersten beiden Stunden stattgefunden hat. Im Mandantengespräch. Genau. Danach habe ich den Vertrag im Kopf schon fertig. Auf das „Zusammenstückeln“, das danach ansteht, hat eigentlich niemand Lust. Ich auch nicht. An dieser Stelle kann die Technik übernehmen: Ich nenne diesem System die zentralen Stellschrauben, von denen ich im Gespräch erfahren habe, und dann übernimmt die Technik die Arbeit des Zusammenstückelns. Das würde uns Zeit und Nerven sparen … … und dem Mandanten würde es Geld sparen. Ja, und den Unternehmen mit ihren Rechtsabteilungen übrigens auch. Man darf nicht vergessen: Es gibt einen Fachkräftemangel. Wenn solche Arbeiten wegfallen, können die Arbeitskräfte, die wir haben, sinnvoller eingesetzt werden. Ich denke, es sollte in diesem Bereich generell darauf ankommen, dass Juristen sich fragen: Was an meiner Arbeit macht mir eigentlich keine Freude? Hat man das definiert, welche Arbeit man gerne loswerden würde, kann man in den Austausch mit anderen gehen, um herauszufinden: Geht es denen genauso? Heißt die Antwort ja – dann gibt es einen Markt für eine Lösung, die den Anwälten diese Arbeit abnimmt.
Unsere Aufgabe ist es also, die Start-ups mit dem Bedarf zusammenzuführen – auch, damit nicht am Bedarf vorbei entwickelt wird. Denn es kommt schon auch vor, dass Entwickler eine App vorstellen, die etwas kann, was Anwälte gar nicht benötigen.An dieser Stelle kommen die Start-ups ins Spiel, die sich darauf verstehen, Lösungen für Probleme zu entwickeln. Wobei wir unsere Aufgabe beim German Legal Tech Hub darin sehen, die genannten Akteure in Kontakt zu bringen, sprich die Anwälte, die sich eine Innovation wünschen, und die Tech-Anbieter, die diesen Wunsch erfüllen können. Unsere Aufgabe ist es also, die Start-ups mit dem Bedarf zusammenzuführen – auch, damit nicht am Bedarf vorbei entwickelt wird. Denn es kommt schon auch vor, dass Entwickler eine App vorstellen, die etwas kann, was Anwälte gar nicht benötigen. Start-ups denken progressiv. Der Rechtsmarkt, so heißt es häufig, sei eher konservativ. Stimmt das in Ihren Augen noch? Ja, man muss sagen, dass die Branche weiterhin sehr konservativ ist. Und durchaus auch innovationsfeindlich. Das liegt aber nicht an den Persönlichkeiten der Anwälte, sondern an der Struktur der Kanzleien. Es gilt in Deutschland weiterhin das Fremdbesitzverbot sowie das Verbot von Beteiligungen. Das führt dazu, dass kein Wagniskapital in die Anwaltschaft fließt. Es ist nicht möglich, dass ein Investor an den Einnahmen des Anwalts beteiligt ist; es gibt auch keine Gewinnbeteiligungen.
Ja, man muss sagen, dass die Branche weiterhin sehr konservativ ist. Und durchaus auch innovationsfeindlich. Das liegt aber nicht an den Persönlichkeiten der Anwälte, sondern an der Struktur der Kanzleien.Angenommen, ein junger Anwalt würde sagen: „Ich möchte gerne etwas Neues auf die Beine stellen, ein neues Kanzleikonzept, mit digitaler Automatisierung, und dafür brauche ich 500.000 Euro“ – dann kann er entweder zu anderen Anwälten gehen, um dort einzusteigen, oder zu einer Bank. Dort hört er dann: „500.000 Euro, aha, was haben Sie denn als Sicherheiten?“ – „Keine.“ – „Oh, dann wird das aber schwierig.“ Und warum sind die Partner der Kanzleien nicht innovationsfreudig? Anwaltskanzleien sind in der Regel als Personengesellschaften organisiert, ähnlich einer GbR. Das bedeutet steuerlich, dass am Ende des Jahres die Gewinne den einzelnen Partnern zugerechnet werden. Will ein Partner Investitionen tätigen, dann muss das in einer großen Runde besprochen werden. Und dort trifft er unter Umständen auf andere Partner, die schon ein wenig älter sind und sagen: „In zehn Jahren, wenn sich die Innovation rechnet, bin ich gar nicht mehr dabei, warum wollen wir jetzt Geld investieren?“ Es wird also nicht unternehmerisch gedacht. Zu wenig, und um es noch einmal klarzustellen: Das liegt eher an strukturellen Problemen als an den Einstellungen der Anwälte. Das beginnt schon bei der universitären Ausbildung, die ich für nicht mehr zeitgemäß halte. Es gibt viel zu wenig betriebswirtschaftliche Inhalte. Und auch zu wenig Inhalte, die sich mit den Möglichkeiten von Legal Tech beschäftigen. Viele Anwälte wissen daher zu wenig über Betriebswirtschaft und digitale Lösungen. Und dann hören sie von allen Seiten: „Die Digitalisierung ändert alles, ihr müsst was machen!“ So entstehen Ängste, denn Angst bekommt man dann, wenn man nicht richtig prognostizieren kann, was auf einen zukommt, oder wenn man sogar eine negative Prognose für die Zukunft hat. Umso wichtiger sind Orte, an denen die Leute miteinander sprechen. Orte, an denen sich auch die junge Generation mit ihren Ideen einbringen kann und an denen man merkt: Ich bin mit meinem Problem ja gar nicht allein, also finden wir gemeinsam eine Lösung!
German Legal Tech Hub
Ob KI-basierte Vertragsgestaltung, Prozessoptimierung oder Cybersecurity: Legal Tech-Lösungen versprechen neue Effizienz auf dem Rechtsmarkt. Um die Potenziale heben zu können, benötigen die Kanzleien einen Überblick über die Lösungen, der sich durch einen Austausch mit Startups, Wissenschaft und anderen Unternehmen ergibt. Der German Legal Tech Hub hat es sich zur Aufgabe gemacht, als branchenübergreifende Plattform diese Brücken zwischen den diversen Legal Tech-Interessierten zu bauen. germanlegaltechhub.com
Der Anteil der Juraabsolventinnen ist hoch, sie sind meist sehr gut qualifiziert und dennoch steigt der Anteil der Anwältinnen in den Großkanzleien seit Jahren nur geringfügig. Woran liegt das und wieso sollten sie das ändern? Antworten weiß Dr. Anna Schwander.
Zur Person
Dr. Anna Schwander ist Partnerin der Corporate/Capital Markets-Praxisgruppe im Münchner Büro von Kirkland & Ellis. Sie berät Mandant*innen in allen Bereichen des Kapitalmarkt- sowie des Außenwirtschaftsrechts. Das JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien listet sie 2022/2023 als häufig empfohlene Anwältin für Gesellschaftsrecht. Handelsblatt Best Lawyers zeichnet sie als Lawyer of the Year für Kapitalmarktrecht in Bayern (2023) aus.