Interview mit Henrie W. Kötter

0

Henrie W. Kötter ist bei ECE, dem europäischen Marktführer für innerstädtische Shopping-Center, für das Management der Einkaufsmeilen verantwortlich. Sein Job: den manchmal widersprüchlichen Interessen von Mietern, Kunden, Investoren und den Politikern und Bürgern der Stadt gerecht werden – und dafür sorgen, dass in den Shopping-Centern der Handel blüht. Im Interview erzählt der 37-Jährige, worauf es dabei ankommt und was letztlich die wichtigere Schule war: das BWL-Studium oder seine Zeit als Obst- und Gemüseverkäufer auf dem Markt. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Henrie W. Kötter (37) wurde in Bünde in Ostwestfalen geboren. Er absolvierte zunächst eine Bankausbildung und studierte dann Internationale Betriebswirtschaftslehre an der European Business School mit Auslandssemestern an der Universidad Argentina de la Empresa in Argentinien und der Richard Ivey School of Business in Kanada. Nach Abschluss seines Studiums begann er 2000 als Business Development Manager bei einem IT-Unternehmen und wechselte 2001 in die Unternehmensberatung zu Roland Berger. 2004 ging Henrie W. Kötter als Development Manager zu ECE. Von 2006 bis 2009 baute er als Geschäftsführer die bulgarische Tochtergesellschaft des Unternehmens in Sofia auf. 2009 wurde er stellvertretender Geschäftsführer Center-Management, bevor er 2011 die alleinige Verantwortung für das Center-Management in der Geschäftsführung der ECE-Gruppe übernahm.
Herr Kötter, was zeichnet eigentlich ein gutes Shopping-Center aus? Die einfachste Antwort lautet: Alle Beteiligten müssen es lieben. Kompliziert wird die Sache, wenn man sich die Vielzahl der Beteiligten vergegenwärtigt. Da sind ja nicht nur die Endkunden, sondern auch die Mieter, die Verantwortlichen in den Kommunen oder die Investoren – wobei diese Beteiligten teilweise gegenläufige Ziele haben, die zu Interessenskonflikten führen können. Die hohe Kunst des Center-Managements ist es dann, hier einen Ausgleich zu finden. Dabei müssen wir zum Beispiel den Gestaltungswillen der Politiker und vor allem der Bürger einer Stadt respektieren. Entscheidend sind also Kompromisse. Aber wie findet man diese? Indem man schon in der Planungsphase mit allen Beteiligten offen redet und schließlich die Argumente abwägt, um herauszubekommen, was für einen bestimmten Standort gewünscht wird und wichtig ist. Da wir in der Regel in Innenstädten bauen, ist die Analyse des Ist-Zustands entscheidend: Wo liegen die Probleme und was sind die gegenwärtigen Angebote des Einzelhandels? Wie ist die städtebauliche Situation, welche Konkurrenten sind vor Ort und wie ist die Verkehrsanbindung? Das sind nur einige Fragen, auf die wir in der Planung Antworten finden müssen. Wobei wir nicht das Ziel haben, mit unseren Shopping-Zentren die Kaufkraft in einer Stadt umzuverteilen, sondern neue Kaufkraft aus dem Umland in die Stadt zu holen. Und das geht nur mit hoher Attraktivität. Wie bewerten denn Kunden heute die Attraktivität eines Shopping-Centers Einkaufen bedeutet nicht mehr, sich mit dem Nötigsten einzudecken. Shopping ist heute eine Freizeitaktivität. Es reicht daher schon lange nicht mehr, ein Einkaufszentrum hochzuziehen, ein paar Mieter ins Haus zu holen, morgens die Tür zu öffnen – und schon brummt es. Wir haben den Anspruch, den Leuten einen Marktplatz zu bieten: kommen, sehen, Menschen treffen, sich inspirieren lassen. Ob die Leute in unsere H&M-Filiale oder in eine andere gehen, liegt weniger am Laden selbst als an dem Umfeld. Ihr Tipp für Einsteiger in diesem Bereich: Gibt es eine vermeintliche Handelsweisheit, die sich in Ihren Augen als falsch herausgestellt hat? Ich erkenne die angebliche Preissensibilität der Deutschen nicht. Schauen Sie sich die Coffee-Shops an: Dort holen sich die Leute einen Latte Macchiato für 3,60 Euro. Das ist ein Pappbecher mit warmer Milch und einem Schuss Espresso, Warenwert vielleicht 30 Cent. Aber darum geht es nicht, denn ich hole mir in diesem Moment nicht nur den Kaffee. Ich kaufe mir urbanes Lebensgefühl. Ein Stück New York. Durch diese Beobachtung werden die Preise nicht unwichtig, ich muss mir aber im Klaren sein, dass das Drumherum mindestens den gleichen Stellenwert besitzt. Wie wichtig ist Menschen- und Milieu- Kenntnis, um im Bereich Shopping-Center-Management Karriere machen zu können? Es geht nicht ohne. Unsere Center-Manager kennen ihre Kunden – und zwar nicht nur durch ihre Arbeit. Sie wohnen in der Stadt oder in dem Viertel, gehen dort selber einkaufen, sind Mitglied im Sportverein und vernetzen sich innerhalb der Community, in der sie leben. Man muss sich klar werden, dass Center-Manager eine sehr hervorgehobene Position einnehmen. Sie sind der erste Ansprechpartner für alle Mieter – und das können schnell mehr als 100 sein. Sie müssen zudem mit den Einzelhandelsverbänden der Kommunen sowie der Verwaltung und Politik zusammenarbeiten können. Schließlich geht es eben nicht darum, sich nur auf den innerstädtischen Wettbewerb zu fokussieren. Viel wichtiger ist es, im Wettbewerb der Städte Erfolg zu haben. Wie beurteilen Sie die Perspektive für Shopping-Center, ist der Markt gesättigt oder besteht weiterhin Bedarf? Der Markt ist weiterhin da, aber er ist in gewisser Weise endlich, weil es immer weniger Flächen gibt, auf denen neue Shopping-Center einen Mehrwert bringen können. Gefragt ist jetzt die Kreativität, um Einkaufszentren mit Luft nach oben durch Umstrukturierungen, Umbauten, neue Konzepte und Investitionen attraktiver zu machen. Dafür benötigt man eine Idee und das Know-how. Wer diese beiden Sachen mitbringt, wird im Center-Management gute Chancen haben. Was zeichnet dieses Know-how konkret aus? Eine Leidenschaft für den Einzelhandel, eine Affinität für Marketing sowie die Fähigkeit, mit Menschen auf unterschiedlichsten Ebenen umgehen zu können. Der Kontakt zur Reinigungsfrau ist wichtig, ebenso der zum Bürgermeister. Das spezifische fachliche Know-how, das über das an der Uni vermittelte betriebswirtschaftliche Wissen hinausgeht, bringen wir Einsteigern in unserer internen Akademie bei. Haben Sie sich eigentlich schon immer für Einkaufszentren interessiert? Ich bin meine Karriere in diesem Bereich nicht gezielt angegangen, hatte aber zwei gute Grundvoraussetzungen, nämlich ein Faible für Architektur sowie ein Interesse an Marktplätzen. Ich habe bereits als Teenager einige Jahre lang auf einem Markt Obst und Gemüse verkauft.
Interview mit Henrie W. Kötter als PDF ansehen
Was war denn rückblickend die wertvollere Lerneinheit für Ihre Karriere, das BWL-Studium oder die Erfahrung als Marktverkäufer? (lacht) Das ist eine etwas gemeine Frage, weil Sie natürlich nicht jeden Obst- und Gemüsehändler zum Center-Manager machen können. Das Geheimnis ist eine gute Balance zwischen Theorie und Praxis. Theoretisches Wissen ist dann wichtig, wenn es dabei hilft, die Praxis zu analysieren. Und je mehr praktische Erfahrung ich gesammelt habe, desto sicherer werde ich im Umgang mit meinem theoretischen Wissen, weil ich dann feststellen kann, warum Dinge nicht immer nach dem Modell verlaufen, das ich mir überlegt habe. Theoretisches Wissen gibt mir einen Werkzeugkoffer an die Hand, die Erfahrung lehrt mich, welches Werkzeug in welcher Situation das richtige ist.

Zum Unternehmen

Das Unternehmen ECE – kurz für Einkaufs- Center Entwicklungsgesellschaft – wurde 1965 vom Otto-Versand-Gründer Werner Otto ins Leben gerufen. Seit 2000 wird es von dessen Sohn Alexander Otto geführt und ist heute europäischer Marktführer für innerstädtische Shopping-Center mit Fokus auf Deutschland und Länder Osteuropas. Zudem entwickelt und realisiert die Gruppe Verkehrsimmobilien, Logistikzentren, Firmenzentralen, Bürokomplexe und weitere Immobilien für die Industrie. Derzeit arbeiten rund 3000 Beschäftigte im In- und Ausland im Unternehmen. Dabei managt ECE aktuell 132 Shopping-Center, die zusammen einen Umsatz von jährlich rund 15 Milliarden Euro erzielen und pro Tag von durchschnittlich rund 3,2 Millionen Kunden besucht werden.

Interview mit Prof. Dr. Michael Backes

0

Der Mann für die Sicherheit. Dr. Michael Backes ist nicht nur einer der besten Informatiker Deutschlands, sondern auch einer der führenden Forscher des Landes – und das mit 32 Jahren. Die Zeitschrift Capital ernannte ihn 2010 zum besten Forscher Deutschlands unter 40 Jahren, die Computerwoche zu einem der 50 wichtigsten IT-Köpfe Deutschlands. Ein Gespräch über den Stellenwert von IT und Sicherheit in der heutigen Gesellschaft sowie über die Qualitäten eines guten Informatikers. Das Gespräch führte André Boße.

Zur Person

Nach seinem Mathematik- und Informatikstudium in Saarbrücken (1998-2001) sowie seiner Promotion direkt im Anschluss, forschte Michael Backes, 32 Jahre, drei Jahre lang im IBM-Forschungszentrum in Zürich, bevor er 2005, im Alter von 26 Jahren, in Saarbrücken zum Professor für Informationssicherheit und Kryptografie auf Lebenszeit berufen wurde – als damals jüngster Informatik-Professor Deutschlands. Er ist Mitverfasser von mehr als 100 internationalen Veröffentlichungen zu den Themen Sicherheit und Kryptografie. Zudem wurde er 2007 für seine herausragende wissenschaftliche Arbeit in der Informationstechnologie zu einem Fellow der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ernannt. Mit der Auszeichnung verbunden ist die Leitung einer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Softwaresysteme an der Uni Saarbrücken. Er wurde 2008 mit dem IBM Faculty Award und 2009 mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet. 2009 ernannte ihn das MIT Technology Review als ersten Deutschen zu einem der TR35 – den 35 besten Forschern der Welt unter 35 Jahren.
Herr Dr. Backes, als der Bundesinnenminister einen „Radiergummi fürs Internet“ forderte, standen Sie parat und sagten: Genau den entwickeln wir gerade. Wie wird das Produkt funktionieren? Es ist kein Radiergummi im klassischen Sinne, denn diese Software kann keine Daten ausradieren, die bereits im Internet sind. Das ist technologisch unmöglich, denn wenn die Daten auf einem Server liegen, über den Sie keine Kontrolle haben, dann kommen Sie da auch nicht ran. Aber User können mit der Software, die wir entwickeln, ihren Daten beim Einstellen ins Internet ein Verfallsdatum verpassen. Eine Idee, die Politik und Medien begeistert. Die Resonanz ist überragend. Ich habe zu dem Thema mehr als 100 Interviews gegeben, doch noch schöner ist das Feedback von den Leuten auf der Straße, die zu mir sagen: Das ist genau das, was wir brauchen. War Ihnen eigentlich schon immer klar, dass IT-Themen einmal so relevant sein werden, dass man mit den Entwicklungen Politiker glücklich machen kann? Als ich Ende der Neunzigerjahre mit meinem Informatikstudium begann, erlebten wir gerade den ersten großen Internet-Hype, und IT war überall ein großes Thema. Mir war damals klar, dass das Thema Computersicherheit jeden Nutzer begeistern wird. Ein Anzeichen dafür ist, dass zu diesem Thema jeder eine Meinung hat. Wie geht es weiter: Verkaufen Sie die Software für viel Geld einem Anbieter? Oder stellen Sie sie als Share- oder gar Freeware online? Wir haben einerseits die Verpflichtung, die Software für alle erschwinglich zu machen. Daher entwickeln wir derzeit einen wissenschaftlichen Prototyp, der kostenlos sein wird und mit dem die Leute die Grundfunktionen ausprobieren können. Im Rahmen der Uni ist es uns aber gar nicht möglich, auch das kommerzielle Produkt zu entwickeln. Daher werden wir es unter dem Namen X-pire! im Rahmen eines Spin-Offs entwickeln. Als Informatiker mit dem Schwerpunkt Sicherheit ist es Ihre Aufgabe, immer wieder das Thema Security ins Spiel zu bringen. Haben Sie einen Tipp für junge Informatiker, wie es gelingt, dabei nicht als Spielverderber wahrgenommen zu werden? Man sollte das Thema nicht von der schlechten Seite betrachten, sondern versuchen, sich als ein Bestandteil dieser neuen Entwicklung zu sehen. Es ist ja nicht so, dass Sicherheitsexperten sich vornehmem: „So, jetzt machen wir eure schönen Sachen kaputt.“ Bei jeder Innovation gibt es eine Vision. Die Entwickler bringen ein Puzzlestück mit, die Sicherheitsleute ein anderes – und nur, wenn man beide optimal zusammensetzt, kann das neue Produkt funktionieren. Von daher ist es wichtig, sich zu jeder Zeit als komplementäres Glied in der Kette einer Produktinnovation zu sehen. Und je höher die Innovationsgeschwindigkeit, desto mehr Angriffsfläche biete ich Leuten, die nach Sicherheitslücken suchen. Sehen Sie diese Leute als Gegner – oder als nützliche externe Mitarbeiter, die Ihnen zeigen, wo die Schwachstellen sind? Das hängt von ihrer Intention ab. Wenn derjenige Geld damit verdienen möchte, kann man das in keiner Weise akzeptieren. Tut er es aber nur, um Probleme aufzeigen, und richtet er damit keinen Schaden an, sehe ich den Lerneffekt. Auch ich habe schon ab und an Sicherheitslücken aufgedeckt. Das muss man manchmal einfach tun, denn Informieren gehört zum Job. Wichtig ist nur, dass man den Leuten die Möglichkeit gibt, das Problem zu beheben – und zwar bevor ich damit an die Öffentlichkeit gehe. Aufklärung also bitte erst dann, wenn der Fehler behoben ist und ihn keiner mehr ausnutzen kann. So viel Idealismus muss ein Informatiker in der Forschung mitbringen, man muss sich schon ein wenig als Weltverbesserer sehen. Klingt, als müsse der Informatiker auch ein Informationsexperte sein. Kommunikation. Mein Tagesablauf besteht – neben der Beantwortung von E-Mails – aus Meetings und Teamwork. Dazu gehören Gespräche mit den Medien und Ministerien, mit anderen Forschern oder Studenten. Das Bild, dass Informatiker den ganzen Tag lang am Computer sitzen und vor sich hinprogrammieren, ist absolut nicht stimmig. Unter meinen Studenten gibt es junge Leute, die vor ihrem Studium noch nie in ihrem Leben programmiert haben. Und das ist völlig okay, denn das Programmieren kann man Ihnen in kurzer Zeit beibringen. Man muss für den Job abstrakt und logisch denken können. Ohne das geht es nicht – und das kann Ihnen auch niemand mehr beibringen. Und wie sind die Karrierechancen dieser Experten in logischem Denken? Bestens. Während meine Doktoranden in den meisten Fällen eine akademische Karriere bevorzugen, finden meine Bachelor- und Masterstudenten sehr leicht gute Jobs in der freien Wirtschaft. Die Chancen für Informatikabsolventen sind deshalb so gut, weil man sie in den Unternehmen als Problemlöser benötigt. Klassische Branchen sind Banken oder Versicherungen, also Bereiche, in denen es darum geht, komplexe Probleme zu lösen, an denen andere scheitern. Und solche Probleme wird es immer geben, weil sich alles, was der Mensch in der Praxis ohne Hilfe tut, mathematisieren und abstrahieren lässt. Genau das kann ein Informatikabsolvent nach seinem Studium – und deshalb sind seine Qualitäten gefragt.

Zum Unternehmen

Hauptarbeitsgebiet der Arbeitsgruppe unter der Leitung von Michael Backes an der Uni Saarbrücken ist die Grundlagenforschung im Bereich der Computersicherheit und der Kryptografie, insbesondere der Entwurf, die Analyse sowie die Verifikation von Sicherheitsprotokollen, Privacy (Datenschutzaspekte) und die Software- und Netzwerksicherheit. Backes und sein Team beschäftigen sich mit der Frage, wie neuartige kryptografische Verfahren und Beweistechniken das Internet und die mobile Datenübertragung sicherer machen können. Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich auch mit Anfragen aus der Wirtschaft und Industrie, sofern ihre Beantwortung auch von wissenschaftlichem Interesse ist. Derzeit sind neun Mitarbeiter in der Gruppe tätig: acht Doktoranden und ein Post-Doc.

Interview mit Hans Rudolf Wöhrl

0

Ein Talent für den Handel wurde Hans Rudolf Wöhrl in die Wiege gelegt: Sein Vater gründete 1933 das Unternehmen Wöhrl-Modehäuser, heute eine der erfolgreichsten Modeketten in Deutschland. Hans Rudolf Wöhrl hat den Beruf des Einzelhandelskaufmanns gelernt, und er handelt nicht nur mit Textilien: Seine zweite Leidenschaft ist die Fliegerei, seine Businessaktivitäten in der Luftfahrt haben den Markt nachhaltig verändert. Mit dem karriereführer sprach er über die Grundregeln erfolgreichen Handels und sein Rollenverständnis als Händler. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Hans Rudolf Wöhrl, 62 Jahre, ist zweiter Sohn des Textilunternehmers Rudolf Wöhrl. Nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann übernimmt er im Alter von 23 Jahren die Wöhrl-Modehäuser. 2002 wird das Unternehmen in eine Familien-AG umgewandelt. Neben dem Handel ist die Luftfahrt Wöhrls zweite Leidenschaft. Er macht Ende der Sechzigerjahre den Pilotenschein und lässt sich zum Berufspiloten ausbilden; später erwirbt er auch die Fluglizenz für große Passagiermaschinen. 1974 gründet er den Nürnberger Flugdienst (NFD), manches Mal sitzt Wöhrl selber im Cockpit einer seiner Maschinen. 1992 verkauft er seinen Anteil an dem Unternehmen. 2003 übernimmt Wöhrl die marode Fluglinie Deutsche BA und tauft sie in dba um. 2004 schreibt die dba erstmals in ihrer Geschichte schwarze Zahlen; 2006 wird der Verkauf der dba an Air Berlin bekanntgegeben. Auch die von Wöhrl neu ausgerichtete Ferien-Fluggesellschaft LTU wird 2007 an Air Berlin verkauft. Insgesamt ist Wöhrl über sein Investmentunternehmen Intro Group an mehr als 50 Firmen beteiligt.
Herr Wöhrl, erfolgreicher Handel hat immer auch mit Kommunikation und mit Geschäftsbeziehungen zu tun. Wie bewerten Sie in dieser Hinsicht das Internet? Das Internet verändert die Beziehung zwischen Händler und Kunden nicht, aber es beschleunigt sie und gibt die Möglichkeit des schnellen Austauschs von Bildern und sonstigen Informationen. Voraussetzung aber ist ein überlegter und zielgerichteter Einsatz. Wer seine Kunden mit überflüssigem Zeug nur zuschüttet, wird am Ende eine negative Reaktion erleben. Bestellen Sie selbst Waren im Internet? Ich kaufe nichts für meinen persönlichen Bedarf im Internet, aber meine Mitarbeiter nutzen es für die Bestellung zum Beispiel von Büroartikeln oder Büchern. In einigen Branchen versuchen Händler, Nähe herzustellen – zum Beispiel, indem sie jeden Kunden ungefragt duzen. Befürchten Sie, dass der respektvolle und distanzierte Umgang zwischen Händler und Kunde verloren geht? Diese Befürchtung habe ich schon, aber es stellt sich die Frage, ob das wirklich schadet? Der Stil und der Ton im geschäftlichen Miteinander sind einem ständigen Wechsel unterworfen, und was gestern noch unmöglich war, kann morgen schon tägliche Praxis sein. Das Duzen aber finde ich eine echte Unsitte, die mich wirklich stört. Da rutscht mir dann schon mal ein Satz raus wie: „Haben wir schon im Sandkasten miteinander gespielt?“ Eine Ihrer Grundregeln lautet: „Verhalte dich so, wie du es von anderen erwartest!“ Ist das nur ein Ehrenkodex – oder auch ein Garant für erfolgreichen Handel? Diese Regel ist zutreffend, wenn man sie auf das Fairplay im geschäftlichen Umgang miteinander bezieht. Aber ein auch noch so ungehobelter Mensch kann durchaus in seiner Arbeitsweise ehrenhaft sein. Daher beziehe ich Höflichkeit und Erziehung darauf, den Umgang zwischen Menschen Unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und gesellschaftlichen Standings zu ermöglichen. Welches Verhalten eines Menschen, mit dem Sie an einem Handel interessiert sind, stört Sie besonders? Ich mag keine Leute, die feilschen und mit einem gewaltigen Wortschwall Dinge anpreisen, die entweder nichts Besonderes oder zu teuer sind. Das beleidigt mich einfach, denn wenn jemand glaubt, mich über den Tisch ziehen zu können, dann hält er mich ja wohl auch für dumm oder zumindest unerfahren. Wie reagieren Sie dann? Sehr einfach: Entweder sage ich gleich ab, oder ich packe meine Trickkiste aus und zeige ihm, wo der Barthel den Most holt. Umgekehrt gilt bei mir, dass mein erstes Angebot immer auch mein Bestes, also ein besonders faires ist. Mir ist immer an schnellen und einfachen Geschäftsabschlüssen gelegen, denn Zeit ist mir kostbar. Daher schätze ich auch langatmiges Erklären und ausufernde Gesprächsrunden nicht. Sie haben mit Erfolg sowohl Kleidung als auch Flugtickets verkauft – zwei völlig verschiedene Dinge. Sind die Grundregeln eines erfolgreichen Händlers überall gleich? Mit Sicherheit hat jede Branche ihre eigenen Spielregeln, und diese weichen auch noch von Land zu Land voneinander ab. Aber man kann schon sagen, dass die Basisdaten immer die gleichen sind. Ein Mensch sollte sich für das entscheiden, was er gerne tut, denn nur wenn ihm eine Arbeit auch Spaß macht, besteht die Chance, dass er damit erfolgreich sein wird. Ich für meine Person verstehe mich als Dienstleister, weil mir der Umgang mit Menschen, also wirklich das „Dienen“, Freude bereitet. Daher habe ich zum Beispiel niemals eine Fabrik besessen. Und das Thema Zusatzleistungen? Grundsätzlich kann ich nichts Verwerfliches daran finden, wenn man ein Geschäftsmodell entwickelt, bei dem die Leistungen aus dem Paket „Basispreis plus Zusatzleistungen“ besteht. Gerade bei einer Fluggesellschaft summieren sich die Zusatzleistungen zu einem erheblichen Posten. Warum sollte aber jemand, der von A nach B fliegt, sein Ticket im Internet kauft, den Boardingpass selbst ausdruckt, kein Gepäck mitnimmt und im Flugzeug auch nichts zu essen oder zu trinken will, den gleichen Preis bezahlen, wie jemand, der all die anderen Dienstleistungen in Anspruch nimmt? Gerade auf Kurzstrecken ergeben sich daraus erhebliche Einsparungen, und ein Durchschnittswert ist alles andere als gerecht. Das Modell von zum Beispiel Ryanair setzt klar auf Kostenführerschaft – und das tut das Unternehmen so konsequent, dass es am Ende wirklich die günstigsten Nurflugpreise anbieten kann – und trotzdem ordentliche Gewinne einfährt Was halten Sie von dem mitunter rauen Ton in Geschäften? Den rauen Ton höre ich sehr oft sogar in Fachgeschäften – also dort, wo man ihn gar nicht erwartet. Wer glaubt, mit seinen Kunden rau umgehen zu können, der will damit oft nur den Eindruck erwecken, dass er so gut ist, dass er auf die Kunden gar nicht einzugehen braucht, weil diese sowieso im Unrecht sind. Das geht aber immer nur eine gewisse Zeit gut. Angenommen, Sie haben die Gelegenheit, mit einer Gruppe junger Berufseinsteiger aus der Handelsbranche einen Tag zu verbringen. Wie würden Sie den Tag gestalten, um ihnen etwas mit auf den Weg zu geben? Solche Tage veranstalte ich hin und wieder, und die kommen auch recht gut an. Die Hälfte der Zeit verbringe ich damit, die Leute mit Fragen dazu zu bringen, die Dinge einmal von einer ganz anderen Seite anzugehen. Die zweite Hälfte erzähle ich aus meinem Erfahrungsschatz. Und am Abend? Zeige ich, dass es wichtig ist, durch ein geselliges Miteinander Vertrauen zu schaffen.

Zum Unternehmen

Das 1933 von Rudolf Wöhrl gegründete Unternehmen erlebte sein erstes rasantes Wachstum während des Wirtschaftsbooms in den Fünfzigerjahren. Aus dem Geschäft Zetka (kurz für „Zuverlässige Kleidung“) entwickelt sich eine Modehauskette mit Filialen in bayerischen Städten. Im Jahr 1970 wurde das Unternehmen von den beiden Söhnen Gerhard und Hans Rudolf Wöhrl übernommen und bis 2002 in zweiter Generation geführt. Mit der Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft im Jahr 2002 wechselten Gerhard und Hans Rudolf Wöhrl in den Aufsichtsrat und zogen sich damit aus dem operativen Geschäft zurück. Zwei Jahre später erwarb Gerhard Wöhrl die Aktienmehrheit und leitete die erfolgreiche Neuausrichtung des Unternehmens ein. Von 2007 bis April 2010 bekleidete der ältere Sohn des Unternehmensgründers Rudolf Wöhrl die Position des Vorstandvorsitzenden. Bis heute umfasst die Wöhrl-Unternehmensgruppe in Deutschland 40 Standorte mit rund 2.625 Beschäftigten. Der Jahresumsatz betrug im Geschäftsjahr 2009/2010 rund 362 Millionen Euro. Interview mit Hans Rudolf Wöhrl als PDF ansehen

Pi mal Gaumen

0

Innerlich scheint er die Ärmel immer hochgekrempelt zu haben, äußerlich sind sie es meistens. Schnell folgt engagiertes Handeln auf präzises Denken – und umgekehrt. Bevor Christian Rach 1991 in den Kreis der Michelin-Sterneköche aufgenommen wurde, studierte er Philosophie und Mathematik. Mitten im Examen entschied er sich, Koch zu werden, behielt aber Sokrates und Archimedes im Sinn. Den Beweis, dass er rechnen und abstrahieren kann, hat er als Unternehmer erbracht. Der Philosophie, seiner „Freundin der Weisheit“, fühlt er sich auch im Alltag nah. Zum Beispiel, wenn er als „Rach, der Restauranttester“ kurzzeitig fremde Betriebe führt, als wären es seine eigenen, oder Jugendlichen mit ungeradem Lebenslauf in „Rachs Restaurantschule“ eine berufliche Perspektive bietet. Koch, Coach, Unternehmer, Berater, Ausbilder, Nachwuchsförderer, Buchautor und Lebensmitteltester – Viola Strüder interviewte den visionären Multiberufler am virtuellen Küchentisch.

Zur Person

Sturm und Drang. Die Küche – als Kind sein Lieblings-, später sein Arbeitsplatz. Christian Rach wurde am 6. Juni 1957 in St. Ingbert/Saarland geboren. Sein Vater war Ingenieur, die Mutter Hausfrau. Das Elternhaus war katholisch geprägt, Rach elf Jahre lang Messdiener. Mit 20, als junger Freigeist im Hippie-Look, verlässt er die Heimat und wählt Hamburg als sein Tor zur Welt. Nach dem Zivildienst nimmt er das Studium der Philosophie und Mathematik auf, das er mit Kochen finanziert. 1983, im Examenssemester, entschließt er sich, Koch zu werden, lernt in Grenoble, wird Souschef in Wien, reist durch die Welt und eröffnet 1986 in Hamburg sein erstes Restaurant. www.christianrach.de
Herr Rach, der Schriftsteller Joseph Conrad soll gesagt haben: „Streng genommen hat nur eine Sorte Bücher das Glück unserer Erde vermehrt: die Kochbücher.“ Sie haben bislang drei davon geschrieben. Wie sieht das Glück aus, das Ihre Kochbücher den Lesern verheißen? Joseph Conrad irrt. Es gibt wunderbare Literatur, die über die gesamte Welt verteilt Glück bringt. Kochbücher sind in der Regel Bilderbücher, die beim Betrachter hoffentlich Lust erzeugen. Voltaire wird der Satz zugeschrieben: „Ich habe gefunden, dass Menschen mit Geist und Witz auch immer eine feine Zunge besitzen, jene aber mit stumpfem Gaumen beides entbehren.“ Wie beschreiben Sie die Verbindung zwischen Geist und Gaumen? Da hat Voltaire natürlich vollkommen Recht. Der liebe Gott hat uns Geschmack verliehen, das heißt Essen und Trinken ist mehr als reine Nahrungsaufnahme. In vielen Ländern ist es fast das höchste Kulturgut. In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, galt Essen und Trinken dagegen jahrhundertelang tatsächlich lediglich als reine Nahrungsaufnahme. Wir befinden uns allerdings auf dem besten Weg dahin, dass sich das endlich ändert. Als Mathematiker kennen Sie die Welt der Zahlen, als Koch die der kreativen Genüsse. In welcher Welt ist es schwieriger, die wichtigsten Grundlagen zu lernen? Kochen fängt im Kopf an, genau das ist die Verbindung zur Mathematik. Ein Koch, der seinen Kopf nicht einschaltet, wird niemals ein guter Koch sein. Grundlage beider Berufe ist das zu erlernende Handwerk. Hat man einen natürlichen Zugang, sprich Freude an der Materie, wird es einem sowohl in der Mathematik als auch in der Kochkunst einfach fallen, sich kreativ zu betätigen. Das will nicht heißen, dass der Unbegabte es nicht auch zu einer gewissen Kunstfertigkeit bringen kann. Wenn Sie Ihr Berufsleben in ein Menü übersetzen würden: Wie viele Gänge hätte es, und nach welchen Gewürzen würde es – mal fein, mal ausgeprägt – schmecken? Das Berufsleben in ein Menü zu übersetzen ist natürlich relativ schwierig. Einfach ausgesprochen könnte man sagen Vorspeise, Hauptgang, Dessert, wobei ich als erfahrener Gastronom weiß, dass der Espresso das Wichtigste ist, denn der bleibt im Kopf der Menschen hängen – und ich hoffe, dass man innerhalb eines Berufslebens viele verschiedene Espressi trinken kann. Gewürzt werden sollte jeden Tag neu, damit das Ganze spannend bleibt. Einen festen Karriereplan erachte ich übrigens für äußerst schwierig, weil er einem die Spontaneität und die Kreativität verbaut. In Ihrer TV-Sendung „Rach, der Restauranttester“ kämpfen Sie gegen die Veränderungsresistenz der Inhaber. Ähnlich geht es vielen Führungskräften, sie verlieren dabei Zeit und Energie. Was ist Ihr Konzept, um den Widerstand möglichst schnell zu brechen? Klare und schnelle Analyse auf Augenhöhe – aber bitte erst dann, wenn ein Ausweg auch erkennbar ist. Eine Lösung muss also im Kopf vorskizziert sein, ansonsten wirkt die Klarheit verletzend und vorführend, und ich erreiche das Gegenteil. Es kommt darauf an, den Mitstreitern in der Führung, Kommunikation und Analyse Schwächen zu offenbaren und einen Zustand aufzuzeigen, um am Ende zielgerichtet handeln zu können. Ein Teil der Nachwuchskräfte strebt heute von Anfang an nach Work-Life-Balance. Sie haben nun 23 Jahre lang die 80-Stunden- Arbeitswoche gelebt und sind fast immer auf Betriebstemperatur. Ihr Ratschlag an Einsteiger mit hohem Engagement: Wie behält man die Frische? Eine 80-Stunden-Arbeitswoche sollte natürlich nicht die Regel sein. Ein selbstständiger Unternehmer kommt meistens mit nicht weniger Stunden davon. Das Risiko, das man als Unternehmer trägt, ist nicht in einer 35- bis 40-Stunden- Woche zu meistern, aber eine gesunde Work-Life-Balance ist natürlich das A und O. Auch der erfolgreiche, strebsame Unternehmer sollte immer auf Ausgleich bedacht sein. Ob in die Natur blicken, Yoga oder Sport treiben: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die nicht in einem festen Rhythmus passieren müssen, die man aber immer wieder zur Entspannung und vor allem zur geistigen Erfrischung nutzen sollte. Der Mensch kann ohne Gold, nicht aber ohne Salz leben. Was ist für Sie das Salz des Berufslebens, um langfristig erfolgreich zu sein? Das Salz eines Berufslebens ist die Vision, ist der Traum. Nun kann man natürlich einwenden, dass man an einem Fließband schlecht träumen kann, das ist vollkommen richtig. Aber nicht jedermanns Lebensglück hängt von der beruflichen Erfüllung ab. Wenn ich als Unternehmer tätig bin, sollte ich nie aufhören zu träumen und Visionen zu haben. Wenn ich die habe, sollte ich sie mit Pünktlichkeit, Fleiß, Disziplin und kompetenten Partnern umsetzen. Gibt es eigentlich eine Formel für gelungene neue Rezepte? Ich kann nur Rezepte entwerfen, deren Resultat ich später selber gerne esse. Umgekehrt herum: Ich mag keinen Grießbrei, keinen Vanillepudding, also kann ich mit diesen Zutaten auch kein erfolgreiches Rezept entwickeln. Sicher ist aber auch: Rezepte passieren nicht am Reißbrett, es sei denn in der Molekularküche. Rezepte bewähren sich über einen längeren Zeitraum und müssen dann den Beweis erbringen, dass sie die Langstrecke beherrschen. Stellen wir uns einen Einsteiger vor, der in seinem neuen Job erste Erfolge feiert. Was empfehlen Sie, um als „Dessert“ diesen Erfolg auch genießen zu können? Gelassenheit und Bodenständigkeit sind die wichtigsten Eigenschaften, um Erfolg genießen zu können. Erfolg um des Erfolges willen ist mit solchen negativen Vorzeichen besetzt, dass er zur Gier führt. Zu wissen, woher man kommt, wo man steht und wohin man will – das sind die Grundlagen. Angenommen, Sie übernehmen das Regiment in einer Küche unter echten Küchenphilosophen, die bekannt dafür sind, dass sie beim Kochen gern viel reden. Wann ist der Moment, in dem in Ihrer Küche absolut keiner mehr etwas sagen darf? In dem Moment, wenn Gäste kommen, um das philosophische Dinner zu genießen, muss absolute Ruhe herrschen. Es gibt dann keine Diskussionen, keine philosophischen Ergüsse – stattdessen muss es laufen wie in einem Uhrwerk. Es wird dann nur das gesprochen, was mit dem Kochen und Herstellen der Speisen zu tun hat. Zum Schluss gefragt: Auf dem Holodeck von Star Trek beamen Sie sich zurück in die Antike und können als Koch und Philosoph visionär in die Geschichte eingreifen: Was erfinden Sie, damit die Menschheit es schafft, die Weisheit mit Löffeln zu fressen? Vielleicht wäre es sinnvoll, Geld zwar zu erfinden und als Tausch- und Zahlungsmittel zuzulassen, aber die Existenz von Banken oder zumindest ihre Macht als Geldverleiher zu begrenzen.

Bücher von Christian Rach

Das Kochgesetzbuch. Die Grundregeln erfolgreichen Kochens. Edel 2008. ISBN 978-3941378032. 29,95 Euro (Gibt es auch als iPhone-App!) Das Gästebuch. Kochen für besondere Anlässe. Edel 2009. ISBN 978-3941378292. 14,95 Euro Rach kocht. Morgens, mittags, abends – lustvoll und gesund. Edel 2010. ISBN 978-3941378889. 24,95 Euro

Expertise

Christian Rach ist der Typ Schaffer mit Feinsinn, und diese Mentalität verleiht ihm Glaubwürdigkeit. 1988 baut, hämmert, schraubt und streicht er eigenhändig eine alte Fernfahrerkneipe zum Restaurant um und eröffnet es 1989 als Tafelhaus. 1991 erhält er den begehrten Michelin-Stern und nachfolgend diverse Auszeichnungen der edlen Gastronomieführer. Nebenbei baut er weitere Lokale auf, darunter die Cantina Milano und das Rach & Ritchy. Ganz bodenständig Restaurants von Grund auf zum langfristigen Erfolg zu führen, war offenbar ein Fingerzeig zu seinem zweiten Job als TV-Coach, mit dem er 2005 einem größeren Publikum bekannt wurde. Jenseits von Powerpoint-Folien basiert das Sendekonzept Rach, der Restauranttester auf angewandter Unternehmensberatung mit Rachs Kernkompetenz Kochen. Alle Restaurants haben den gemeinsamen Nenner, dass sie vor dem Ruin stehen, ehe Rach antritt. Der Gastronomieberater plädiert für das Echte, Ehrliche und individuell Machbare – und gegen bequeme Convenience-Lösungen. Nach seiner Analyse erstellt er ein neues Konzept und motiviert die Inhaber zum Wandel. Innerhalb von einer Woche räumt er auf, sorgt für Hygiene, ändert radikal Inneneinrichtung und Speisekarte, übt geduldig mit dem Personal kochen, verschafft den Betrieben ein neues Image und begleitet die Wiedereröffnung. Ob sich seine Ideen bewährt haben, schaut sich Rach bei seinen Wiederbesuchen der Restaurants an. Gut sechs von zehn Wirten haben mit seiner Unterstützung den Turnaround geschafft, so Rach. Die RTL-Sendung wird in der Spitze im Durchschnitt von sieben Millionen TV-Zuschauern gesehen. Die neue Staffel läuft 2012. Auszeichnungen: Goldene Kamera, 2010 Deutscher Fernsehpreis, 2010. Interview mit Christian Rach als PDF ansehen

Interview mit Wilfried Porth

0

Der Treue. Seit 1985 ist Wilfried Porth bei Daimler. Zunächst als Planungsingenieur, später als Fertigungsleiter in Brasilien und jetzt als Personalvorstand. Im Interview mit dem karriereführer erzählt der 52-Jährige, wie er Karriere definiert und was er als Personalchef eines Weltkonzerns von jungen Absolventen erwartet. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Wilfried Porth, 52 Jahre, wurde in Baden-Baden geboren. Von 1981 bis 1985 studierte er Maschinenbau an der Universität Stuttgart und schloss sein Studium als Diplom-Ingenieur ab. 1985 kam er als Planungsingenieur zu Daimler. Nach einigen Stationen als Fach- und Hauptreferent führte ihn seine Karriere im Konzern 1994 nach Brasilien, wo er die Leitung eines Werkes für Omnibusse übernahm, das dann jedoch aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden musste. 1997 ging er dann als Management Board Member Manufacturing nach Südafrika. Eine der weiteren Stationen war Japan, wo er 2003 als Executive Vice President der Daimler-Tochter Mitsubishi Fuso arbeitete. Im April 2009 rückte er in den Daimler-Vorstand auf. Dort ist er verantwortlich für das Ressort Personal, gleichzeitig ist er Arbeitsdirektor des Unternehmens und verantwortlich für den Bereich IT sowie den Einkauf von Nichtproduktionsmaterial und Dienstleistungen.
Herr Porth, machen Sie jemandem, der kurz vor dem Einstieg ins Berufsleben steht, Mut: Was bietet die moderne Arbeitswelt von heute, was zu der Zeit, als Sie Ihre Karriere begannen, noch undenkbar war? Ganz sicher ist es heute so, dass man den Beruf, den man als junger Erwachsener ausgewählt hat, nicht mehr bis zur Rente ausübt. Das Schöne daran ist, dass es viel mehr Weiterentwicklungsmöglichkeiten gibt als damals. Das gilt auch, wenn man Beruf und Familie vereinbaren möchte. In den vergangenen Jahren sind die Arbeitszeiten flexibler geworden, Betreuungsangebote wurden ausgebaut. Das war Mitte der 80er-Jahre, als ich ins Berufsleben eingestiegen bin, noch deutlich schwieriger. Wie hat sich in Ihren Augen die Bedeutung des Begriffs Karriere in den vergangenen Jahren gewandelt? In meinen Augen war der Begriff früher noch stärker mit einem hierarchischen Aufstieg verbunden. Heute kann eine erfolgreiche Karriere auch bedeuten, eine Aufgabe zu haben, die einen ausfüllt – unabhängig von der hierarchischen Ebene. Gab es in Ihrer eigenen Karriere einen Umweg den Sie gehen mussten, der sich aber rückblickend gelohnt hat? Nicht direkt einen Umweg, aber ich habe einige unterschiedliche Funktionen auf ein und derselben Führungsebene ausgeübt. Das war rückblickend der richtige Schritt, auch wenn ich es mir in dem Moment damals anders gewünscht hätte. Dadurch konnte ich aber mehr Erfahrung sammeln und mein Netzwerk ausbauen. Was war im Verlauf Ihrer Karriere Ihre heftigste Niederlage? Meine erste große Personalverantwortung hatte ich als Fertigungsleiter unseres Omnibuswerks in Brasilien. Als Niederlage habe ich empfunden, dass wir das Werk aus wirtschaftlichen Gründen schließen mussten. Das hat mich aber auch geprägt, bei Investitionen immer im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit zu entscheiden. Was erwarten Sie von einem Hochschulabsolventen, der bei Daimler seine Karriere startet? Die Bewerber sollten natürlich unsere Leidenschaft für das Automobil teilen. Eine wichtige Rolle spielen auch unsere Unternehmenswerte: Wertschätzung, Integrität, Disziplin und Begeisterung. Mit ihnen sollten sich die Bewerber identifizieren können. Weil bei uns Teamarbeit im Mittelpunkt steht, sollten sie außerdem Kommunikations-, Team- und Konfliktfähigkeit mitbringen. Angenommen, ein Hochschulabsolvent, der sich bei Ihnen bewerben möchte, hat zwischen seinem Abschluss und dem Ende der Bewerbungsfrist noch zwei Monate Zeit und möchte diese Tage sinnvoll nutzen. Welchen Ratschlag würden Sie ihm geben? Ich würde dem Absolventen raten zu schauen, welches Engagement für die Wunschstelle hilfreich sein könnte und vielleicht noch im Lebenslauf fehlt. Das kann ein Praktikum sein Nachwuchs oder eine Sprachreise, um Sprachkenntnisse aufzufrischen oder zu erlernen. Die Autobranche ist im Kern oft eine eher konservative Branche. Wie wichtig sind bei Daimler heute noch Seriosität und Etikette? Ich denke, Etikette ist grundsätzlich wichtig, nicht nur bei Daimler, sondern in allen Lebensbereichen. Sie regelt den respektvollen Umgang der Menschen untereinander. Worte wie „Bitte“ und „Danke“ oder das Grüßen auf dem Flur sollten selbstverständlich sein. Was die Seriosität angeht: Im Sinne ethischen Handelns ist sie aktueller denn je und bei uns ein ganz zentraler Unternehmenswert. Bei Personalentscheidungen ist heute oft von Diversity die Rede: Geschlecht, Herkunft, Lebensläufe. Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile dieser Vielfalt? Und wie gewährleisten Sie, dass der Daimler-Konzern tatsächlich vielfältig aufgestellt ist? Wir brauchen die besten Köpfe – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft –, um unsere führende Rolle in der Automobilindustrie weiter zu stärken. Unterschiedliche Kompetenzen, Persönlichkeiten, Erfahrungen und Sichtweisen tragen maßgeblich zu unserer Wettbewerbsfähigkeit und unserem wirtschaftlichen Erfolg bei. Bereits vor fünf Jahren haben wir deshalb ein Diversity-Office eingerichtet. Ein Handlungsschwerpunkt liegt dabei auf der Förderung von Frauen. Bis 2020 sollen zum Beispiel 20 Prozent der Führungskräfte in unserem Konzern Frauen sein. Weitere Handlungsschwerpunkte sind Generationenmanagement und Internationalität. Diese wollen wir zukünftig noch stärker in unserer Unternehmenskultur verankern. Auch ein Konzern wie Daimler muss sich heute dem Wettbewerb stellen, um topqualifizierte Einsteiger und damit Führungskräfte von morgen zu gewinnen. Was ist dabei Ihre Strategie? Daimler ist immer noch ein attraktiver Arbeitgeber, auch wenn der Wettbewerb zugenommen hat. Wir sind innovativ, zukunftsorientiert und fördern unsere Mitarbeiter. Um so auch in der Außenwirkung wahrgenommen zu werden, haben wir unseren Arbeitgeberauftritt neu ausgerichtet. Außerdem haben wir unsere Rekrutierungsstrategie an das Medienverhalten der Zielgruppen angepasst und zum Beispiel unseren Einsatz in den sozialen Medien verstärkt. Sie können uns auf Twitter folgen oder über Facebook Kontakt mit uns aufnehmen. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt für topqualifizierte Fach- und Führungskräfte ein? Auch wir spüren den verstärkten Wettbewerb um qualifizierte Kräfte. Wir sind jedoch gut gerüstet, bisher können wir alle Stellen mit hochqualifizierten Kandidaten besetzen. Dabei bauen wir auf zwei Säulen: die Nachwuchsförderung und die Qualifizierung der Stammbelegschaft. 2010 haben wir über 2000 Auszubildende und über 500 Nachwuchskräfte eingestellt. Aber es ist für uns nicht nur wichtig, die besten Fach- und Nachwuchskräfte zu gewinnen, sondern auch, unsere Stammbelegschaft kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu qualifizieren. Aus- und Weiterbildung sind ein Grundstein wirtschaftlichen Erfolgs. Wie fördert Daimler seine Berufseinsteiger mit akademischem Hintergrund? 2007 haben wir CAReer gestartet. Das ist unser Traineeprogramm für Absolventen und Berufseinsteiger mit erster Praxiserfahrung. Unsere Trainees durchlaufen während des Programms mehrere Projekteinsätze und haben in den Bereichen jeweils persönliche Betreuer. Darüber hinaus bieten wir begleitende Qualifizierungsmaßnahmen an. Durch die verschiedenen Projekte können die CAReer-Teilnehmer über den Tellerrand ihrer späteren Zielstelle schauen und sich ein persönliches Netzwerk im Konzern aufbauen. Wer heute als Akademiker in die Berufswelt einsteigt, bringt nicht selten sehr eigene Vorstellungen mit in den Job: Er engagiert sich zwar gerne für das Unternehmen, möchte aber individuelle Lebensentwürfe nicht aufgeben. Wie reagiert Daimler auf diesen Trend? Im letzten Jahr haben wir zusammen mit Partnern ein Forschungsprojekt zur Work-Life-Balance gestartet. Ziel des Projekts ist es, das Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben sicherzustellen. Um Familie und Beruf vereinbaren zu können, bieten wir schon heute viele verschiedene Arbeitszeitmodelle an. Darüber hinaus werden wir bis 2012 in unseren Sternchen-Kinderkrippen an 14 deutschen Standorten Betreuungsplätze für Null- bis Dreijährige einrichten. Und wer gerne sportlich aktiv ist, kann sich unserem Betriebssportverein „SG Stern“ mit mehr als 80 Sportarten anschließen. Wie schätzen Sie die Autobranche von morgen ein? Welche besonderen Chancen bietet sie – und welche Herausforderungen stellt sie an neue Fach- und Führungskräfte? Das Bedürfnis nach individueller Mobilität ist heute größer als je zuvor, daher wird unsere Branche auch weiterhin eine Schlüsselrolle in der Weltwirtschaft einnehmen. Gleichzeitig ändern sich die ökonomischen, ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen sehr stark. Unser Ziel ist es, grüne Autos faszinierend und faszinierende Autos grüner zu machen. Das ist vor allem eine technologische Herausforderung. Ausbildungsberufe und Studiengänge müssen weiter auf die neuen Technologien ausgerichtet werden. Aber der technologische Wandel ist auch eine wunderbare Chance: Wir erfinden das Automobil sozusagen ein zweites Mal – und die Nachwuchskräfte können von Anfang an daran mitarbeiten.

Zum Unternehmen

Mit den Geschäftsfeldern Mercedes-Benz Cars, Daimler Trucks, Mercedes-Benz Vans, Daimler Buses und Daimler Financial Services gehört Daimler zu den größten Anbietern von Premium-Pkw und ist der größte weltweit aufgestellte Nutzfahrzeughersteller. Daimler vertreibt seine Fahrzeuge und Dienstleistungen in nahezu allen Ländern der Welt und hat Produktionsstätten auf fünf Kontinenten. Zum heutigen Markenportfolio zählen neben Mercedes-Benz unter anderen die Marken Smart, Maybach, Freightliner, Western Star und Fuso. Im Jahr 2010 setzte der Konzern insgesamt 1,9 Millionen Fahrzeuge ab und erwirtschaftete einen Umsatz von 97,8 Milliarden Euro. Daimler beschäftigt weltweit mehr als 260.000 Mitarbeiter. Interview mit Wilfried Porth als PDF ansehen

Interview mit Herbert Hainer

0

Herbert Hainer ist seit März 2001 Vorstandsvorsitzender der adidas AG. Im karriereführer spricht er darüber, worauf es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ankommt, was man jetzt für eine erfolgreiche Karriere braucht und was adidas für seine Nachwuchskräfte tut. Die Fragen stellte Christiane Martin.

Zur Person

Herbert Hainer wurde 1954 im bayerischen Dingolfing geboren. Er studierte in Landshut Betriebswirtschaftslehre und stieg kurz nach seinem Abschluss 1979 als Diplom- Betriebswirt bei dem Konsumgüterkonzern Procter & Gamble ein. Im Jahr 1987 wechselte er zu adidas, wo er verschiedene Positionen innehatte. Seit März 2001 ist er Vorstandsvorsitzender der adidas AG. Außerdem ist Hainer Mitglied des Aufsichtsrats der Allianz Deutschland in München, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des FC Bayern München und Aufsichtsratsmitglied der Firma Engelhorn in Mannheim. Herbert Hainer wurde in den vergangenen Jahren vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bambi für Wirtschaft 2003, dem Titel „Unternehmer des Jahres“ 2005 und dem deutschen Image-Award 2006. Herbert Hainer ist verheiratet und hat eine Tochter.
Herr Hainer, treiben Sie regelmäßig Sport? Ja. Ich laufe regelmäßig zwei- bis dreimal die Woche, um mich fit zu halten. Das kann ich auch gut tun, wenn ich auf Reisen bin. Zudem fahre ich im Winter Ski und spiele im Sommer Golf. Ich bin ein leidenschaftlicher Sportler, seit ich ein kleiner Bub war. Wir waren eigentlich fast immer draußen und haben Sport getrieben. Als Kind und Jugendlicher habe ich vor allem Fußball gespielt. Ich habe es bis in die höchste Amateurliga Bayerns geschafft und konnte so über den Fußball mein Studium finanzieren. Ein Leben ohne Sport kann ich mir daher überhaupt nicht vorstellen. Ich interessiere mich eigentlich auch für alle Sportarten und könnte Ihnen jetzt auch alle deutschen Dressur-Olympiasieger der letzten vier Jahrzehnte aufzählen. Gibt es etwas, das Sie als Manager von Spitzensportlern lernen können? Aber natürlich. Es gibt zahlreiche Parallelen zwischen Spitzensport und Management. Die Wichtigste ist sicherlich, dass man, um Erfolg zu haben, in Sport und Unternehmen gleichermaßen klare Ziele haben muss, auf die man mit Talent, Leidenschaft und Ehrgeiz hinarbeitet. Dabei muss man auch in der Lage sein, Niederlagen zu verkraften und Rückschläge wegzustecken, ohne sich von seinem Weg abbringen zu lassen. Und zum ganz großen Erfolg gehört auch immer ein Quäntchen Glück. Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein Manager braucht? Glaubwürdigkeit. Langfristige Denke. Kompetenz. Kommunikationsfähigkeit. Und worauf kommt es jetzt in wirtschaftlich eher schwierigen Zeiten an? Auf die oben genannten Eigenschaften, denn diese gelten ja nicht nur für gute, sondern wahrscheinlich sogar noch mehr für schwierigere Zeiten. Gerade jetzt müssen wir langfristig denken, denn auch diese Krise wird vorübergehen, wir wissen nur noch nicht genau, wann. Für unsere Industrie heißt das: Die Menschen werden auch in Zukunft weiter Sport treiben und sportliche Produkte kaufen. Deshalb müssen wir uns bei adidas jetzt so aufstellen, dass wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Dies gelingt uns, indem wir auf der einen Seite Kosten abschneiden, die nicht unbedingt zum Geschäftserfolg beitragen, auf der anderen Seite aber in unsere Zukunft investieren. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wir sparen zwar 2009 externe Fortbildungen ein, gleichzeitig lassen wir aber unsere Talent und Nachwuchsprogramme unverändert weiterlaufen, um unsere wichtigen Nachwuchsführungskräfte im Unternehmen zu halten und für die Zukunft fit zu machen. Was empfehlen Sie Hochschulabsolventen, die auf Jobsuche sind? Was ist jetzt wichtig? Wir achten neben den üblichen Kriterien vor allem darauf, ob ein Bewerber oder eine Bewerberin sich über das übliche Maß hinaus engagiert hat, eine besondere Erfahrung vorzuweisen hat. Wir sind also weniger an dem schnellen, geradlinigen Lebenslauf interessiert, sondern achten auf die interessanten Facetten unserer Kandidaten. Im Zweifelsfall ist uns ein guter Student, der in seinen Semesterferien ein Sportprojekt in Afrika betreut hat, lieber als ein Einser-Absolvent. Viele Unternehmen verlangen von jungen Nachwuchskräften vor allem Belastbarkeit. Ist das eine Eigenschaft, die auch bei adidas wichtig ist? Die Frage ist natürlich, wie man Belastbarkeit definiert. Natürlich müssen unsere Talente in der Lage sein, ihre Leistung zu bringen und Projekte erfolgreich umzusetzen. Ich denke allerdings nicht, dass dies von kompetenten und gut ausgebildeten Nachwuchsmanagern als Belastung empfunden wird, sondern als positive Herausforderung. Wie gut ausgebildet sind Ihrer Meinung nach junge Akademiker heutzutage? Die Bewerbungen, die wir erhalten, zeigen, dass junge Akademiker heute gut ausgebildet sind. Die Studienreform mit den neuen Bachelor und Masterabschlüssen hat einiges bewegt, da die Studiengänge der Hochschulen nun international besser vergleichbar sind und mehr Flexibilität bieten. Allerdings haben gleichzeitig die Vielzahl an Studiengängen und damit eine Spezialisierung rasant zugenommen. Deshalb ist nicht der Abschluss allein entscheidend. Wir betrachten vielmehr den Studieninhalt und die Relevanz für die jeweilige Position in unserem Unternehmen. Insgesamt zählt für uns immer das Gesamtbild eines Bewerbers, das sich aus vielen Dingen zusammensetzt, wie unter anderem dem Studieninhalt, Sprachkenntnissen, relevanter Praxis- und Auslandserfahrung oder Interesse für Sport. Wie bilden Sie bei adidas Ihre Nachwuchskräfte fort? Für Nachwuchskräfte mit erster Berufserfahrung, Auslandserfahrung und MBA-Abschluss gibt es die Möglichkeit, in das Business Management Program (BMP) einzusteigen, das sich aus vier sechsmonatigen Einsätzen zusammensetzt, davon mindestens zwei im Ausland. Die BMP-Teilnehmer erhalten dabei einen Überblick über die verschiedenen Marken und Geschäftsbereiche der adidas Gruppe und legen den Grundstein für eine Managementkarriere. Und für Leute, die frisch von der Hochschule kommen? Für Hochschulabsolventen ist das Functional Trainee Program (FTP) eine interessante Einstiegsmöglichkeit. Es wird für die Bereiche Finance/Controlling, Sales/Retail, Marketing, Supply Chain Management, Human Resources, IT und Product Creation angeboten. Im gewählten Funktionsbereich absolvieren die Trainees in 12 bis 18 Monaten sechs Einsätze in verschiedenen Abteilungen, wovon mindestens einer ins Ausland führt. Die Trainees können sich ein Netzwerk aufbauen und werden von einem erfahrenen Mentor betreut. Darüber hinaus bieten wir natürlich auch die klassische Ausbildung, duale Studienprogramme in Zusammenarbeit mit Berufsakademien und Praktika an. Für unsere besten Praktikanten haben wir das „ReBound-Programm“ eingeführt, um mit ihnen über den weiteren Verlauf des Studiums hinweg in Kontakt zu bleiben. Welche Investitionen wird adidas im Jahr 2009 tätigen? Wir investieren weiter dort, wo wir Geschäftschancen sehen. So werden wir auch im Jahr 2009 weiter eigene Einzelhandelsgeschäfte eröffnen, insbesondere in Wachstumsmärkten wie China oder Russland. Wir investieren in langfristige Sportsponsoringverträge, die unsere Position als führendes Sportartikelunternehmen der Welt festigen wie zum Beispiel in den Vertrag mit dem Welt-Leichtathletik – verband IAAF. Und wir investieren nicht zuletzt in unsere Mitarbeiter, unter anderem wie beschrieben durch unsere Talentprogramme und durch den Neubau eines hoch modernen Bürogebäudes für 1500 Mitarbeiter am Unternehmensstandort Herzogenaurach. Es wird 2010 bezugsfertig sein. Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, würden Sie … 1. das Ende der Finanzkrise für das 2. Halbjahr 2009 vorhersagen, 2. Deutschland bei der Fußball-WM 2010 in Südafrika siegen sehen, 3. diese Frage nicht weiter beantworten.

adidas Gruppe

Die adidas Gruppe ist einer der weltweit führenden Anbieter in der Sportartikelindustrie und unterhält ein sehr umfassendes Produktportfolio um die drei Kernsegmente adidas, Reebok und TaylorMade-adidas Golf. Die Gruppe mit Sitz in Herzogenaurach beschäftigt mehr als 37.000 Mitarbeiter weltweit und generierte im Jahr 2007 einen Umsatz in Höhe von 10,3 Milliarden Euro.

Interview mit Hans-Joachim Watzke

0

Bevor Hans-Joachim Watzke im Jahr 2005 das Ruder bei Borussia Dortmund übernahm, stand der Verein finanziell am Abgrund und in der Tabelle im grauen Mittelmaß. Jetzt ist der BVB nicht nur saniert, sondern auch Deutscher Meister – und zwar mit der jüngsten Meistermannschaft der Bundesligageschichte. Im Interview erzählt Watzke, warum der Erfolg ein Resultat des Sparzwangs ist, warum er die junge Profigeneration für besonders intelligent hält und wieso Vertragstreue und Bescheidenheit heute der beste Garant für eine große Fußballerkarriere sind. Das Interview führte André Boße.

Zur Person Hans-Joachim Watzke

Hans-Joachim Watzke, 52, ist wie so viele überzeugte Borussen ein Kind des Sauerlands. In Marsberg im Hochsauerland gründete er 1990 das Unternehmen Watex, das Schutzkleidung und Feuerwehruniformen herstellt. Seinen ersten Posten beim BVB nahm Watzke in turbulenten Zeiten 2001 als Schatzmeister an. Nach dem Rücktritt der alten Vereinsführung wurde er im Februar 2005 zum Geschäftsführer bestellt. Watzke, der 1966 zum ersten Mal mit seinem Vater ein BVB-Spiel im alten Stadion „Rote Erde“ besuchte, ist verheiratet, hat zwei Kinder und spielt als Vorsitzender des sauerländischen Vereins Rot-Weiß Erlinghausen selbst noch Fußball: bei den „Alten Herren“ und unter dem Spitznamen Aki.
Herr Watzke, angenommen, einer Ihrer jungen Profis erscheint plötzlich mit teurem Sportwagen, dicker Rolex und neuen Brillanten im Ohr beim Training. Ist das seine Privatsache, oder gibt es ein klärendes Gespräch? Ich darf davon ausgehen, dass keiner unserer Spieler jemals so zum Training kommen wird. Nicht, dass wir so schlecht zahlen würden. Aber wenn wir uns für einen Profi interessieren, machen wir uns schon im Vorfeld ein Bild von seinem Persönlichkeitsprofil. Wir würden also wissen, wenn jemand den Hang zu einem sehr opulenten Lebensstil pflegt und zu gerne vorzeigt, was er hat. Hätte so ein Lebensstil negative Auswirkungen auf seine Karrierechancen bei Borussia Dortmund? Durchaus, wobei ich beobachte, dass die Spieler der heutigen Generation in dem Moment, in dem sie den Vertrag unterschreiben, noch sehr demütig daherkommen. Das ändert sich unter Umständen im Laufe der Zeit nach den ersten Erfolgen und Gehältern. Dass es aber nicht zwangsläufig so kommen muss, beweist unser aktueller Kader. Bei Ihnen im Verein sind Leistungsträger wie Mario Götze, Kevin Großkreutz oder Mats Hummels alle um die 20. Was zeichnet diese erfolgreichen jungen Profis in ihrem Umgang mit Geld aus? Sie gehen sehr konservativ und bewusst an das Thema heran. Bei uns wirft keiner das Geld zum Fenster raus. Das sehe ich schon an den Autos, die am Trainingsgelände parken. Wir als Arbeitgeber sehen es sehr gerne, wenn sich unsere jungen und erfolgreichen Spieler nicht von ihren neuen finanziellen Möglichkeiten verleiten lassen. Der Grund liegt auf der Hand: Unsere Spieler sind dafür einfach zu intelligent. Wenn einer abheben würde, holen ihn die anderen schnell wieder zurück auf den Teppich. Die Meisterschaft war ein überraschender und riesiger Erfolg – verbunden mit einem Geldregen für die Spieler und den Verein. Was muss ein junger Profi tun, damit Erfolg und Geld nicht zur Belastung werden? Einen klaren Kopf behalten. Das ist sicher nicht ganz einfach, schließlich hatte niemand vorher mit der Meisterschaft gerechnet, und die Feierlichkeiten in der Stadt waren ja durchaus berauschend. Doch ich mache mir keine Sorgen, weil ich weiß, dass sich jeder unserer Spieler bei uns extrem wohlfühlt – und zwar unabhängig vom Geld, das er bei uns verdient. Das ist sicherlich nicht wenig – aber es ist nicht der entscheidende Faktor. Eine Studie hat belegt, dass für die Hälfte der Young Professionals von heute eine optimale Work-Life-Balance wichtiger als ein möglichst hohes Gehalt ist. Können Sie das bestätigen? Ja, wobei die jungen Spieler die Balance über das enorme Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Mannschaft zu einem großen Teil selber herstellen. Eine Rolle spielt auch, dass unsere Profis eine Dimension erleben, die nichts mit Geld zu tun hat. Wer die Meisterfeier mit fast einer halben Million BVB-Fans auf den Straßen und Plätzen am Fernsehen verfolgt hat, wird wissen, wovon ich rede. Die Stadt und die Fans identifizieren sich zu 100 Prozent mit dem Verein – und das ist bei uns keine Floskel. Zudem besitzt der Westfale und speziell ein BVB-Fan ein feines Gefühl dafür, wann jemand etwas Außergewöhnliches geleistet hat. Hat man hier Erfolg, erleben die Spieler eine leidenschaftliche Begeisterung, die man mit keinem Geld der Welt kaufen kann. Unsere Jungs sind klug genug, dies auch zu erkennen und zu genießen. Berät der Verein die Spieler in finanziellen Belangen? Wer das möchte, der kann zu uns kommen und wird auch beraten. Die meisten Profis haben aber ihren eigenen Berater, der diese Dinge für sie übernimmt. Wir unterrichten jedoch den Mannschaftsrat über die finanziellen Entwicklungen im Verein. Wir machen das nicht, um die Spieler zu überfrachten, sondern weil wir glauben, dass es auch für einen jungen Profi nur gut sein kann, die Strukturen seines Arbeitgebers zu kennen. Fußball ist ein Millionenspiel, ein junger Profi auf dem Platz trägt eine ähnlich hohe Verantwortung wie eine junge Führungskraft kurz vor einem Vertragsabschluss. Wie kann es gelingen, in solchen Momenten das Geld, das auf dem Spiel steht, nicht als Belastung zu empfinden? Ich glaube, das kommt ganz automatisch, wenn man mit Begeisterung bei der Sache ist und sich als Teil einer funktionierenden Mannschaft begreift. Sobald der Ball im Spiel ist, geht es los – dann denkt keiner mehr an Geld. Der Spieler auf dem Platz nicht. Aber ich als Geschäftsführer auf der Tribüne auch nicht. Sie handeln regelmäßig mit den Spielern die Verträge aus. Gibt es Details, die sich als besonders leistungsfördernd herausstellen? Bei uns gibt es neben dem Grundgehalt Geld für jeden Einsatz sowie für die erzielten Punkte. Wir als Verein fahren sehr gut damit – und die Mannschaft, wenn sie wie in der letzten Saison 75 Punkte holt, natürlich auch. Ich finde es wichtig, wenn den Profis bewusst ist, dass das Geld, das sie in diesem Millionengeschäft verdienen, immer auch an ihre Leistung gekoppelt ist. Viele junge Führungskräfte erhoffen sich bei der Vertragsverhandlung Bonuszahlungen für besondere Leistungen. Gibt es das beim BVB auch? Ich habe einmal für einen Derbysieg gegen Schalke eine Sonderprämie ausgesetzt. Das funktioniert in Ausnahmefällen vor besonderen Spielen, um einen außergewöhnlichen Reizpunkt zu setzen. Geld motiviert schließlich immer, keine Frage. Wenn ich das aber fünf Mal pro Saison mache, gewöhnt sich ein Spieler an den Bonus, dann bringt das gar nichts mehr. Es gibt eine Menge Fußballprofis, die nur sehr wenig von Vertragsmoral halten: Kaum lockt ein anderer Verein mit mehr Geld, will der Spieler weg. So traurig es ist, aber beschleunigt so ein Verhalten die Karriere? Höchstens kurzfristig. Auf lange Sicht gilt: Ein Vertrag ist keine einseitige Angelegenheit, sondern beruht immer auf Gegenseitigkeit. Es kann nicht sein, dass der Spieler sagt: „Wenn ich eine gute Saison spiele, ist mein Vertrag nichts wert, und ich gehe dorthin, wo ich mehr verdiene – spiele ich aber schlecht oder verletze ich mich, poche ich auf das Papier.“ Es kann ja auch kein Unternehmer zu seiner jungen Führungskraft sagen: „Du hast im letzten Jahr schlecht gearbeitet, du bekommst nur die Hälfte vom versprochenen Geld.“ Ich halte sehr viel davon, dass man Verträge mit Leben füllt – und ich bin mir auch sicher, dass ein Spieler, der das ebenfalls tut, am Ende des Tages die wesentlich schlauere Entscheidung trifft. Wissen Ihre Spieler eigentlich, wie teuer eine Eintrittskarte fürs Stadion ist oder wie viel der Fan für Pils und Bratwurst bezahlen muss? Wir prüfen das nicht nach, aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Jungs das wissen – ganz einfach, weil viele von ihnen regelmäßig ins alte Stadion neben unserer Arena gehen, wenn dort unsere zweite Mannschaft mit den Nachwuchstalenten in der vierten Liga spielt. Auch hier zeigt sich wieder das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Spielern und Verein, denn die Jungs werden nicht zwangsverpflichtet, dorthin zu gehen. Sie machen das, weil sie Lust darauf haben. Das ist sowieso eine Beobachtung, die ich bei jungen Spielern häufig mache: Sie verändern ihr Verhalten nicht, nur weil sie erfolgreich sind. Ein Beispiel: Im Herbst 2010 gaben vier unserer Jungs gegen Schweden ihr Debüt in der deutschen Nationalmannschaft. Nach dem Spiel saßen sie stundenlang zusammen und zockten ein Fußballmanager- Spiel auf der Playstation. Ich wette, andere Generationen hätten bei so einer Gelegenheit ein paar Flaschen Whisky plattgemacht. Borussia Dortmund stand 2005 am finanziellen Abgrund und war fast Pleite. Unter Ihrer Geschäftsführung hat der Verein nicht nur einen Sparkurs eingeschlagen, sondern parallel ein Erfolgsmodell für erfolgreichen und toll anzusehenden Fußball entwickelt. Wie ist Ihnen das gelungen? Die Ausgangslage war tatsächlich sehr schwierig. Die Bedrohung war eineinhalb Jahre lang existenziell. Wir standen unter einer Gläubigerverwaltung, brauchten jeden Euro. In dieser Phase konnten wir nur noch reagieren – und da mussten wir zunächst einmal durch. Ab 2007 gab es dann wieder ein wenig Luft zum Atmen. Ein Automatismus wäre gewesen, sich gleich einen größeren Kreditrahmen zu beschaffen, um einen vermeintlich starken Kader finanzieren zu können. Aber wir gingen einen anderen Weg. Nämlich? Ich habe zusammen mit unserem Sportdirektor Michael Zorc ein ganzheitliches Konzept erarbeitet. Die Ausgangslage: Wir haben kein Geld, um gestandene Profis zu kaufen. Also müssen wir unseren Fokus auf junge Spieler richten. Was aber hat das für Auswirkungen auf unser Spiel? Ein solches Team hat negativ betrachtet zwar weniger Erfahrung – aber es kann mehr laufen, es ist belastbarer. Also haben wir einen Spielstil kreiert, der erstens dem Team und zweitens dem Verein gerecht wird – schließlich wollen unsere Fans vor allem, dass die Jungs kämpfen und den Rasen umpflügen. Wir haben dann natürlich das Glück gehabt, dass wir neben den passenden Spielern mit Jürgen Klopp auch einen Trainer gefunden haben, der dieses Konzept mit Leben füllen konnte und der neben seiner Fachkenntnis die richtige Ansprache findet. Heute genieße ich besonders ein Resultat dieser gelungenen Sanierung: dass wir in einer Situation sind, in der das Geld nicht mehr die dominierende Rolle spielt. Zum Abschluss: Was trifft Sie härter – wenn ein Spieler wegen des Geldes zum FC Bayern geht oder wegen der besseren Stimmung zum Revierrivalen FC Schalke 04? Ich habe ja eingangs gesagt, dass wir intelligente Spieler unter Vertrag haben. Deshalb kann die zweite Option bei unseren Jungs ja überhaupt keine Rolle spielen.

Interview mit Prof. Dr. Claudia Kemfert

Die Weitsichtige. Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Forscherin im Spannungsfeld zwischen Ingenieurskunst, Wirtschaft und Umweltschutz. Im Interview erzählt die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, warum diese drei Bereiche immer mehr zusammenhängen und wie Ingenieure mit Weitblick davon profitieren können. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person Prof. Dr. Claudia Kemfert

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), dem größten Wirtschaftsforschungsinstitut Deutschlands mit den Kernaufgaben anwendungsorientierte Wirtschaftsforschung sowie wirtschaftspolitische Beratung. Zudem ist Claudia Kemfert Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Sie ist Expertin auf den Gebieten Energieforschung und Klimaschutz. Claudia Kemfert arbeitete als Beraterin von EU-Präsident José Manuel Barroso und ist Gutachterin des Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC). Sie ist eine mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin und gefragte Expertin für Politik und Medien. Claudia Kemfert studierte Wirtschaftswissenschaften in Bielefeld und Oldenburg und verbrachte einen Forschungsaufenthalt an der Stanford University in den USA.
Frau Prof. Kemfert, wie darf man Ihren Beruf als Forscherin in verschiedenen Spannungsfeldern beschreiben? Als Professorin unterrichte ich an der Schnittstelle von Ökonomie, Ökologie und Ingenieurwissenschaften. Ich untersuche die volkswirtschaftlichen Konsequenzen einer nachhaltigen Energieversorgung und Mobilität. Dabei stehen die wirtschaftlichen Aspekte sicherlich im Vordergrund, dennoch spielen Klimaschutz sowie Energie- und Mobilitätstechniken eine ebenso wichtige Rolle. Denn man sollte die technischen Zusammenhänge im Bereich Energie, wie zum Beispiel der Gebäudeenergie oder der Mobilität, einbeziehen, um ökonomische Aussagen treffen zu können. Wie beurteilen Sie das Verständnis der deutschen Ingenieure für die Bereiche Ökonomie und Ökologie? In Deutschland und auch in Europa ist das Verständnis insbesondere im Bereich der Ökologie recht hoch. Dennoch reduzieren viele Ingenieure die Ökonomie noch immer auf die Bewertung von Kosten und gesellschaftlicher Akzeptanz. Dabei sind die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge durchaus komplexer – denken Sie an energiepolitische Instrumente wie die Förderung erneuerbarer Energien oder den Emissionsrechtehandel. Die Wirkungen betreffen nahezu alle Sektoren einer Volkswirtschaft. Ich beobachte, dass sich Ingenieure vermehrt den Disziplinen Ökonomie und Ökologie öffnen – in Deutschland schon mehr als in anderen Ländern. Wie groß sehen Sie heute den Bedarf der produzierenden Unternehmen, die Produktion effizienter und klimaneutraler zu gestalten? Der Bedarf ist enorm. Ob nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien, klimaschonende Antriebstechniken, Ressourcen- und Materialeffizienz, Abfallverwertung oder intelligente Infrastruktur: In keinen anderen Markt werden in den kommenden Jahrzehnten mehr Investitionen fließen als in die zukunftsweisenden Energie- und Mobilitätsmärkte. Die deutsche Wirtschaft kann vom Boom der Branchen enorm profitieren, bis zu eine Million zusätzliche Arbeitsplätze sind möglich. Die Märkte gehören denen, die sie sehen. Also, gute Chancen für Ingenieure mit ökologischem und ökonomischem Weitblick, oder? Ja. Ingenieure spielen eine zentrale Rolle, und zwar in allen genannten Bereichen. Sei es in der Montage, dem Anlagenbau, der Installation, oder auch Instandsetzung von Energieanlagen, der Verbesserung der Gebäudeenergie, der Energie- und Biotechnik oder der Fahrzeugtechniken – überall werden jede Menge qualifizierte Ingenieure benötigt. Wie und wo kann ein Hochschulabsolvent der Ingenieurwissenschaften die Qualifikationen lernen? Ingenieurstudiengänge sind zwar auch weiterhin sehr fachlich ausgerichtet, mittlerweile bieten aber immer mehr Fachhochschulen und Universitäten eine gezielte Ausrichtung an. Zudem sind auch Schulungs- und Weiterbildungsangebote gestiegen. Dennoch sind es häufig die Unternehmen selbst, die Schulungen anbieten. Daher ist es besonders wichtig, dass die Ausbildung von Bauingenieuren, Ingenieuren mit Energieschwerpunkt sowie Ingenieuren im Bereich Energie- und Biotechnik – wie zum Beispiel Industriemechaniker, Mechatroniker, Fertigmechaniker, Konstruktionsmechaniker, Kunststofftechniker und so weiter – weiterhin verstärkt und ausgebaut wird. Die Jobchancen in diesen Bereichen sind nämlich riesig: Im Jahr 2020 könnte es – bei einem boomenden Weltmarkt – allein im Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland bereits 500.000 Jobs geben. Warum wird Nachhaltigkeit zwar als Wort gerne verwendet, aber alle Maßnahmen zur Nachhaltigkeit von den Unternehmen werden nicht als Chance, sondern als „Klotz am Bein“ gesehen? Die weltweite Wirtschaftskrise hat viele Unsicherheiten gebracht, bisher sicher geglaubte Investitionen werden hinterfragt. Dabei sind die Investitionen in Zukunftsmärkte lohnender denn je. Ein jüngstes Ranking von 500 global agierenden Konzernen hat offenbart, dass all jene Konzerne für Kapitalanleger besonders attraktiv sind, die sich der Herausforderung nachhaltiger Energieversorgung und Mobilität erfolgreich stellen. Die ersten vier Plätze belegen übrigens allesamt deutsche Konzerne. Entgegen öffentlicher Behauptungen finden sich unter den ersten vier Plätzen zwei Chemiegiganten, die wichtige Produkte als Ersatz zum Öl oder eine lange Liste von energiesparenden Produkten und Techniken produzieren. Einen besseren Beleg für die Wirtschaftlichkeit eines erfolgreichen Klimaschutzes kann es kaum geben Sie könnten als Expertin in Ihrem Bereich doch sicherlich sehr schnell in einer hohen Position in ein Unternehmen einsteigen. Was hat Sie bislang davon abgehalten? Ich bin mit Leib und Seele Wissenschaftlerin. Mich treiben die Neugier und der unglaubliche Spaß an meiner Arbeit an. In meinem Team arbeiten über 15 hochmotivierte Menschen, die ebenso wie ich leidenschaftlich gern forschen. Durch die aktive Politikberatung auf EU- und Bundesebene fließen unsere Forschungsergebnisse in Entscheidungsprozesse ein. Ich erläutere gern einem breiten Publikum die Forschungsergebnisse und versuche, andere für die Forschungsarbeit zu begeistern. Ein Tipp für angehende Ingenieure, die vor dem Einstieg in die Arbeitswelt stehen: Mit welcher Sicht auf den Begriff Karriere haben Sie gute Erfahrungen gemacht? Ich halte es wie Konfuzius: „Suche dir einen Beruf, den du liebst – und du brauchst nie in deinem Leben zu arbeiten.“ Es ist ein unglaubliches Geschenk, beruflich das umsetzen zu dürfen, was einem am meisten Freude bereitet. Wenn Sie an Ihre Pläne aus der Studentenzeit zurückdenken: Haben Sie sich rückblickend selber überrascht – oder halten Sie einen schon damals angedachten Karriereweg ein? Wie die meisten Wissenschaftler habe ich den Beruf nicht aus Karrieregründen, sondern aufgrund meines großen Forschungsdrangs und Wissensdurstes ergriffen. Wichtig sind neben der Begeisterung für die Sache aber auch Eigenschaften wie Durchhaltevermögen und Gradlinigkeit. Als Hochschullehrerin empfehle ich jedem, das Studienfach zu wählen, das einem wirklich Spaß macht – und nicht das, was die Gesellschaft erwartet. Begeistern Sie sich eigentlich als Frau auf eine andere Art als Männer für Technik? Vermutlich schon. Frauen interessieren sich häufig eher für sozialwissenschaftliche als für reine Technikberufe. Dies ändert sich aber glücklicherweise mehr und mehr. Wie wichtig ist es denn für die Zukunft der deutschen Wirtschaft, dass vermehrt junge Frauen technische Berufe ergreifen und in hohen Positionen arbeiten? Sehr wichtig! Bei den Themen Energie und Klimaschutz habe ich oft genug allein unter Männern gesessen. Ich erinnere mich an das erste Treffen mit dem EU-Präsidenten Barroso im Rahmen der High Level Expert Group: Ich saß als einzige Frau – blond und zudem unter 40 – unter lauter älteren weißhaarigen Herren. Prompt stand beim anschließenden Mittagessen auf meinem Namensschild „Mr. Kemfert“. Herr Barroso und ich haben herzlich darüber gelacht, er hat mein Schild handschriftlich korrigiert. Und beim nächsten Treffen war nicht nur die Anrede richtig geschrieben, sondern Herr Barroso hatte noch eine weitere Frau in seinen Beraterstab berufen. Daher mein Tipp an alle jungen Frauen, die als Ingenieurinnen Karriere machen möchten: Nur Mut!

Hubertus Meyer-Burckhardt findet philosophische Gedanken zum Thema Karriere

0
Der größte anzunehmende Unfall eines echten Karrieristen? Die Kündigung. Und dann? Der Morgen danach. Der große Kater. Hubertus Meyer-Burckhardt, Filmproduzent, Moderator der NDR-Talkshow und Professor an der Hamburg Media School, hat einen Roman darüber geschrieben, was passiert, wenn das Leben die Richtung ändert. Beim Katerfrühstück fragt er sich: „Was bleibt von der Person ohne Funktion?“ und macht sich seine Gedanken über Abenteurer, Karrierepläne und seine Wunschbegleitung für ein letztes Glas Wein. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Hubertus Meyer-Burckhardt wurde 1956 in Kassel geboren. Nach dem Abitur studierte er Geschichte und Philosophie in Berlin und Hamburg, danach ging er an die Münchener Hochschule für Fernsehen und Film, wo er erste Werbespots und kleinere Filme drehte. Nach einer Anstellung als Filmproduzent in München wechselte er 1988 als Mitglied der Geschäftsführung zur Düsseldorfer Werbeagentur BBDO. Mit der Akzente Film & Fernsehproduktion gründete Meyer-Burckhardt 1992 seine eigene Firma. Kurz danach war er als Moderator der Sendung „Sowieso – Die Sonntagsshow“ und der NDR-Talkshow erstmals vor der Kamera zu sehen. Nach Vorstandsstationen bei Axel Springer und ProSiebenSat.1 Media wurde er 2006 Geschäftsführer der Hamburger Filmproduktionsfirma Polyphon. Parallel dazu ist der zweifache Vater seit 2008 wieder Gastgeber der NDR-Talkshow, besitzt eine Professur an der Hamburg Media School und hat mit „Die Kündigung“ in diesem Jahr seinen ersten Roman veröffentlicht. Weitere Informationen: www.polyphon.de [/quote_box_right Herr Meyer-Burckhardt, können Sie sich noch an Ihren letzten Kater erinnern? Ja, das war im März, und er führte dazu, dass ich seitdem meinen Alkoholkonsum stark reduziere. Sprich: drei Glas Wein in der Woche. Nicht mehr. Was ist Ihre Strategie, um einen ordentlichen Kater zu bewältigen? Ich habe da keine Strategien. Ich mache auch verkatert das, was ich jeden Tag mache: Ich arbeite. Da ich mit Kollegen eine Firma führe, die in vier deutschen Städten Dependancen besitzt, kann ich es mir nicht leisten, am Morgen danach durchzuhängen. Sie haben im Laufe Ihrer Karriere mit vielen wichtigen Managern zu tun gehabt, mit Aufsichtsräten, Vorständen, Geschäftsführern. Was glauben Sie, wie hoch ist der Anteil derjenigen, die ihren Job wirklich gerne machen? Ich glaube, da ist keine Schwarz-Weiß-Antwort möglich. Jeder macht seinen Beruf mal gerne, mal nicht so gerne. Und wenn man ihn mal nicht so gerne macht, dann hilft manchmal der Blick aufs Girokonto. Sprich: Ein gutes Gehalt ist immer eine Motivation. Nicht immer, nein, da haben Sie mich missverstanden. Ich sagte manchmal – nämlich dann, wenn der Spaß am Beruf mal etwas verloren geht. Mit Blick auf Hochschulabsolventen, die vor dem Beginn ihrer Karriere stehen: Kennen Sie Strategien, mit deren Hilfe ein Einsteiger herausfinden kann, ob ein Job der richtige für ihn sein wird? Sie erwähnen wieder den Begriff der Strategie, das ist mir auch an dieser Stelle zu rational. Was in den Generationen, die nach mir gekommen sind, meiner Meinung nach fehlt, ist ein gewisses Vertrauen auf das Bauchgefühl. Mir erscheint das, was junge Leute heute tun wollen oder glauben, tun zu müssen, viel zu sehr kopfgesteuert. Wenn Sie sagen, dass die Karriereeinsteiger glauben, etwas tun zu müssen: Wer übt da den Druck aus? Als ich jung war, besaß der Typus des Abenteurers ein viel größeres Prestige. In der Gesellschaft, aber auch in der Peergroup, unter den Freunden und Mitstudenten. Heute erleben wir dagegen eine Renaissance der bürgerlichen Gesellschaft – mit der Folge, dass die jungen Leute heiraten und schnell Geld verdienen wollen. Wenn ich mich als Mitglied dieser Generation in einer solchen Gesellschaft etablieren möchte, ist der Zwang, Kompromisse einzugehen, sehr viel größer, als wenn ich mir erlaube zu sagen: Ich probiere mal etwas aus – und wenn es schiefgeht, werde ich einen anderen Weg finden. Und ich glaube tatsächlich, dass die Generation 50 plus weniger bürgerlich und mit mehr Abenteuergeist daherkommt als die Generation 30 minus. Wie kann denn dieser Abenteuergeist bei der Gestaltung einer Karriere helfen? Sehen Sie, mich stört schon der Begriff der „Gestaltung“. Und weiter, mich stört sogar, dass bei der Frage, was man als junger Mensch mit seinem Leben anfangen soll, der Begriff der„Karriere“ so zentral steht. Es geht doch wohl zunächst erst einmal darum, etwas zu finden, das mir Spaß macht. Wenn sich dann danach eine Karriere einstellt – umso besser. Wo liegen denn die Ursachen für diesen Wandel weg vom Abenteurer hin zum bürgerlichen Karrieristen? Das ist sicherlich nicht monokausal, aber ich muss fairerweise hinzufügen, dass ich als Einsteiger das Privileg genoss, dass es den Gedanken an Arbeitslosigkeit einfach nicht gab. Wenn ich mich dann wiederum an meinen Abi- Jahrgang Ende der 70er-Jahre erinnere, dann waren da eine Menge Leute, die wie ich auch aus finanziell angespannten Verhältnissen kamen. Wir wollten also irgendwo raus. Und wer irgendwo raus will, verfügt über andere Energien, Fantasien und über mehr Kreativität. Die Hochschulabsolventen heute wachsen zu einem Großteil in relativ wohlhabenden Verhältnissen auf, und da ist der Stachel, etwas Neues auszuprobieren, sehr viel stumpfer. Anstatt raus zu wollen, wünschen sich diese Leute, das wirtschaftliche Niveau der Eltern zu halten – was wiederum dazu führt, dass einige Väter sich so intensiv mit der Karriere ihrer Söhne auseinandersetzen, dass ich ihnen gerne zurufen würde: Lasst die doch mal laufen! Sie haben sich schon zur Uni-Zeit an das Motto gehalten: „Bildung statt Ausbildung“. Aber auch das war keine Strategie, um Karriere zu machen, sondern ein Bauchgefühl. Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter, die in einem Altersheim gearbeitet hat, habe ich in Berlin und Hamburg Geschichte und Philosophie studiert. Zwei Fächer also, die eigentlich nicht zu einem soliden Brot- und Butterjob führen – zumal ich weder in die Forschung gehen geschweige denn beamteter Lehrer werden wollte. Aber es entsprach damals meinem Bedürfnis, zunächst einmal eine anständige Allgemeinbildung zu bekommen. Haben Sie einen Ratschlag an die Hochschulabsolventen von heute, wie sie ihrem Bauchgefühl Gehör verschaffen und die Abenteuerlust wiederentdecken können? Also, jede Generation muss sich schon selber auf den Weg machen. Diese Aufgabe darf man denen, die nichts anderes im Kopf haben, als Karrierestrategien zu entwickeln, nicht auch noch abnehmen. Aufbrechen müsst Ihr schon selbst! Karl Marx hat den wunderbaren Satz gesagt: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Damit hat er fraglos Recht, aber den Umkehrschluss finde ich noch spannender: Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Beschäftigen Sie sich mit dem Thema Work-Life-Balance? Nein, weil ich meinem Bauchgefühl folgend Berufe ausüben darf, die mir allesamt sehr viel Spaß machen: Filme produzieren, Professor sein, eine Talkshow moderieren und Bücher schreiben. Ich kenne dieses protestantische Denken nicht, nach dem eine mühevolle Arbeit nach einem Feierabend verlangt. Ich weiß, dass ich damit privilegiert bin. Will aber gerne hinzufügen, mir dieses Privileg auch erarbeitet zu haben. In Ihrem Roman „Die Kündigung“ erzählen Sie von einem Top-Manager, dem überraschend gekündigt wird und dessen Welt darauf zusammenbricht. Haben Sie Angst davor, dass die Dinge, die Sie heute machen dürfen, irgendwann nicht mehr nachgefragt sein könnten? Nein. Man muss natürlich sagen, dass jeder Gang, den man im Leben geht, den Misserfolg impliziert. Jede gute Karriere hat Abstürze und Rückschläge – und man ist ohne Frage gut beraten, sich früh damit zu befassen, dass es auch einem selber passieren kann. Aber ich habe in meinem Leben so viele Dinge gemacht – von der Arbeit in Vorständen bei Axel Springer und ProSieben über die Professur und das Produzieren von Filmen bis hin zum Schreiben von Büchern, dass mir immer etwas einfallen wird. Und zur Not – und das meine ich übrigens ganz ernst – würde ich auch einen Pizza-Kurierdienst in Nizza aufmachen. Ich stecke voller Fantasie und voller Tatendrang, klebe aber nicht daran, dass ich das, was ich derzeit mache, immer weitermachen muss. Was für Abstürze in Ihrer Karriere haben Sie erlebt? Absturz wäre zu viel gesagt. Ein, zwei Misserfolge gab es. Ich glaube, Sie können Niederlagen nur verkraften, wenn Sie einen Beruf haben, den Sie mit heißem Herzen erwählt haben. Stellen Sie sich vor, Sie verlieren in einem Beruf, den Sie alleine aus Sicherheitserwägungen ergriffen haben. Spätestens, wenn Sie die Niederlage realisieren, stellt sich die Frage: Warum bin ich Rindvieh diesen Weg gegangen? Sie haben als Student allerhand Nebenjobs ausgeübt: Taxifahrer, Kellner … … und sogar Aushilfskraft am Schlachthof. Haben Sie bei diesen Jobs etwas gelernt, das Sie bis heute bei sich tragen? Ich habe dort gelernt – und das ist für viele Menschen, die ich beobachte, leider nicht selbstverständlich: Jeder Mensch ist viel wert – und wenn Sie so wollen „kostbar“, völlig unabhängig davon, was er verdient und was für eine Karriere er gemacht hat. Haben Sie Verständnis für Top-Manager, die den Kontakt zu Menschen in anderen Sphären komplett verlieren? Ich war ja selber in mehreren Vorständen und kann sagen: Wer den Kontakt verliert, der will ihn auch nicht. Mir tut jeder leid, der ein Leben in einer karrieregeprägten Plastikwelt führt. Denn wer dort keinen Mangel spürt, ist ein armer Mensch. Der Protagonist Ihres Buches erkennt den Mangel. Genau, deshalb tut er mir auch nicht leid. Er widmet sich seinen Träumen. Und wer das tut und daraufhin versucht, sich ein neues Leben zu zimmern, der ist den größten Schritt bereits gegangen. Muss der, der sich seinen Träumen widmet, nicht auch Angst haben, dass die Träume platzen? Sehen Sie, es gibt zwei Illusionen im Leben: Die eine ist Stillstand, die andere ist Sicherheit. Beides wird es nie geben, und deshalb ist eine deftige Niederlage Teil eines deftigen Lebens. Das kann auch mal komplett gegen die eigenen Interessen laufen. Aber soll ich als Konsequenz daraus ein Leben führen, das nur geringe Amplituden kennt? Das wäre dann Leben light. Eine Bonsaivariante des Lebens. Eine trübe Vorstellung. Letzte Frage: Gibt es einen Menschen, den Sie gerne mal angeschwipst erleben möchten? Hm. Ich finde angeschwipste Menschen generell nicht wahnsinnig spannend, deswegen deute ich Ihre Frage ein wenig um und überlege, mit wem ich gerne mal meine aktuelle Wochenration Gläser Wein trinken würde. (überlegt) Ich lebe in der schönen Situation, dass ich die meisten Menschen, mit denen ich gerne mal einen Wein trinken würde, auch tatsächlich anrufen kann. Und die kommen dann auch. (lacht) Aber es gibt eine Unternehmerin, die ich sehr respektiere und die sich zurückgezogen hat, die ich gerne einmal kennenlernen möchte: Jil Sander. Ich finde es ungeheuer beeindruckend, wie es einer Frau aus Hamburg gelingen konnte, beginnend mit einem kleinen Laden in Pöseldorf ein weltumspannendes Modeimperium aufzubauen. Darüber würde ich mich mit ihr wahnsinnig gerne unterhalten – aber ausdrücklich auch dann, wenn Frau Sander auf Tee oder Kaffee besteht.

Hamburg Media School

Die halbstaatliche Hochschule Hamburg Media School (HMS) bietet seit 2003 Masterstudiengänge in den Bereichen Medienmanagement, Journalismus und Film. Die Dozenten in allen Bereichen sind erfahrene und oft prominente Experten wie „Stromberg“-Erfinder Ralf Husmann, die Publizistin Miriam Meckel oder der Verleger Jakob Augstein, die den Studenten sowohl Fachwissen als auch praktisches Know-how vermitteln. Hubertus Meyer-Burckhardt leitet in Hamburg das Filmstudium sowie den Bereich Produktion. Die HMS ist als Public- Private-Partnership organisiert: 30 renommierte Medienunternehmen engagieren sich in Form von Kooperationen, Praktikumsplätzen oder Stipendien – und nicht zuletzt mit finanzieller Unterstützung. Dadurch erhalten die Masterstudenten schon während des Studiums viele Chancen auf praktische Erfahrungen. Weitere Informationen: www.hamburgmediaschool.de oder bei Facebook

Interview mit Tim Bendzko

0

Nur noch kurz die Welt retten? Noch 148 Mails checken? Sänger Tim Bendzko weiß, wie schnell man abgelenkt ist und den Fokus verliert. Warum bei ihm keine gute Idee verloren geht und er so genau weiß, was er will, erzählt er im Interview mit André Boße.

Zur Person Tim Bendzko

Tim Bendzko besuchte ein Sportgymnasium und spielte auf hohem Niveau Fußball bei Union Berlin. Ersten Gitarrenunterricht nahm er mit 16, doch statt direkt seine Traumkarriere in Angriff zu nehmen, studierte er und arbeitete als Auto-Auktionator, bis er diesen Job wegen einer Stimmbandentzündung kündigte und sich auf die Musikkarriere fokussierte. Er nahm auf eigene Faust ein Demotape auf und bekam einen Plattenvertrag bei Sony. Im Mai 2011 erschien seine erste Single „Nur noch kurz die Welt retten“, die ihn auf Platz 2 der Charts führte. Auch das Album „Wenn Worte meine Sprache wären“ verkaufte sich glänzend, mit dem Titelsong gewann er 2011 den Bundesvision Song Contest.
Tim, heute schon die Welt gerettet? Ne, aber ich lasse mich immerhin nicht mehr so leicht von den wichtigen Dingen ablenken. Mein Tagesablauf ist heute strukturierter als früher. Es gibt klare Zeiten, zum Beispiel für Interviews. Was in dieser Zeit geht, mache ich gerne. Was darüber hinausgeht, muss aber leider abgesagt werden. Als Songwriter schwirren Ihnen wahrscheinlich immerzu Worte und Melodien durch den Kopf. Woran erkennen Sie, dass eine Idee einen echten Wert besitzt? Das Schöne an der Musik ist ja, dass man den Wert einer Idee nicht mathematisch berechnen kann. Es gibt nur Indizien – und eines ist, wenn mich eine Idee lange verfolgt. Ich setze mich eigentlich nur dann an den Rechner und schreibe einen Song auf, wenn er mich ein paar Wochen lang nicht in Ruhe gelassen hat. Dadurch gehen wohl auch Ideen verloren – aber ich bin zuversichtlich, dass die wirklich guten über genügend Stärke verfügen, noch einmal auf sich aufmerksam zu machen. Lassen Sie sich bei der Umsetzung Ihrer Ideen von anderen reinreden? Nachdem ich meinen ersten Plattenvertrag unterschrieben hatte und das erste Album anstand, habe ich verschiedene kreative Arbeitsweisen ausprobiert. Dazu gehörte auch, mit anderen Leuten zusammen Songs zu schreiben. Grundsätzlich kann das sehr inspirierend sein, da man neue Einflüsse erhält. Aber für das zweite Album werde ich voraussichtlich alles alleine schreiben. Und dann bin ich auch sehr konsequent. Wenn die Leute in meiner Band denken, ein bestimmtes Wort passe nicht in den Text, ich dieses Wort aber gut finde, dann bleibt es auch. Und bislang lag ich mit meinen Entscheidungen meistens richtig. Bleibt zu hoffen, dass entweder Ihr Bauchgefühl oder gute Freunde Alarm schlagen, wenn sich das mal ändern sollte. Ich bin zuversichtlich, dass ich mich selber dabei erwischen werde, falls ich mal eine falsche Richtung einschlage. Mein Bauchgefühl ist erstens ehrlich, und zweitens dominiert es. Das war schon so, als ich mich mit zwölf dafür entschied, Musiker zu werden. Sie haben sich so früh entschieden? Für mich war das damals schon klar, ja. Ich wusste, dass ich irgendwie auch andere Berufe hinbekommen würde, wenn ich mich anstrenge. Aber ich wollte etwas machen, was ich richtig gut kann und was mich erfüllt e. Deshalb fiel so früh die Entscheidung fürs Singen und Liederschreiben. Haben Sie sofort die ersten Songs geschrieben? Ich habe angefangen, Gitarre zu lernen, und auch erste Songs geschrieben. Aber erst einmal ohne Band und ohne das Ziel, direkt die Chance auf eine Karriere zu suchen. Damit habe ich bewusst gewartet, weil ich zunächst andere Sachen machen und erleben wollte. Ich habe nach dem Abi evangelische Theologie und nichtchristliche Religionen studiert und als Auto-Auktionator gejobbt, und ich denke, es tut mir und meinen Liedern gut, dass ich einige Jahre lang am normalen Leben teilgenommen habe. Kamen denn im Laufe der Jahre Zweifel, dass es mit der Musik doch nicht klappen könnte? Ich hatte schon Zweifel, weil mir klar war, dass eine Karriere in der Popbranche eine ziemlich schwachsinnige Idee ist. Schließlich will das jeder – aber kaum einer schafft es. Aber immer, wenn die Zweifel am größten waren, setzte sich das Gefühl einer inneren Sicherheit durch, dass das eben doch klappt. Woher rührte dieses Gefühl? Ich hatte in diesen Momenten die Bilder vor Augen, wie es sein wird, wenn ich zum Beispiel meine Lieder vor vielen Leuten spiele. Und weil ich glaube, dass alles, was ich mir bildlich vorstellen kann, auch möglich ist, habe ich mir eingeredet, dass das mit der Musikkarriere tatsächlich klappen wird.

Interview mit Christoph Gottschalk

0

Vom Tellerwäscher zum Millionär – gibt es das noch? Und ist das überhaupt erstrebenswert? Christoph Gottschalk weiß, wie rasant Karrieren verlaufen können. Mit 26 Jahren saß er als erster Deutscher überhaupt als Berater des Premierministers im französischen Kabinett, heute ist er Headhunter bei Russell Reynolds Associates. Der karriereführer begleitet die Karriere von Christoph Gottschalk seit vielen Jahren: Schon 2003 haben wir mit ihm ein großes Top-Manager-Interview geführt und seitdem kontinuierlich über seinen Berufsweg berichtet. Diesmal hat André Boße mit ihm gesprochen – über Macht und Einfluss, über Ecken und Kanten.

Zur Person

Christoph Gottschalk, 34 Jahre, war schon mit 17 Jahren Mitglied des Europäischen Jugendparlaments und studierte nach dem Abitur an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaften. Kurz vor seinem Abschluss moderierte er 2003 eine Diskussion zwischen dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac. Die Franzosen behielten ihn daraufhin in bester Erinnerung, und als kurz danach ein deutscher Berater für den Premierminister Jean-Pierre Raffarin für die Themen deutsch-französische Beziehungen sowie Kultur, Jugend und Bildung gesucht wurde, erhielt Gottschalk den Zuschlag. Als 26-Jähriger besetzte er damit als erster Deutscher überhaupt ein Amt im französischen Kabinett. Gottschalk blieb bis 2005 an der Seite des französischen Premiers und absolvierte anschließend ein Masterprogramm in „European Public Policy“ in London. Im Herbst 2007 ging er dann als Headhunter zu Russell Reynolds Associates. Im Hamburger Büro des weltweit renommierten Consulting- Unternehmens berät er internationale Klienten im Bereich Non-profit, Government Affairs und Medien und unterstützt politiknahe Institutionen und Unternehmen bei der Besetzung von Top-Führungspositionen. Christoph Gottschalk ist verheiratet und hat zwei Kinder. www.russellreynolds.com
Herr Gottschalk, wenn wir Ihre bislang sehr vielfältige Karriere mit einem ausgewogenen Menü vergleichen, welche Zutat darin überrascht Sie rückblickend am meisten? Ein Aspekt, der jedoch eher andere als mich verwundert: dass ich Politikwissenschaft studiert habe. Es hieß damals häufig: „Damit wirst du nie was.“ Rückblickend hat es mich gefreut, an verschiedenen Stellen deutlich zu machen, dass das Blödsinn ist. Wobei es mich dann wiederum gewundert hat, wie schnell es mir gelungen ist, diese These zu widerlegen. Wie lautete Ihr Rezept, um so ungewöhnlich schnell nach oben zu kommen? Leidenschaft. Ich habe immer für die Sache gebrannt, und das führte an diversen Stationen meiner Laufbahn dazu, dass ich stärker wahrgenommen wurde als andere. Und zwar wohlgemerkt auch als andere, die gute Abschlüsse in „sinnvollen“ Studiengängen erreicht hatten. Mich freut es, die Erfahrung gemacht zu haben, dass man auch über krummere Wege gute Karrieren machen kann. Ihr Weg führte Sie zunächst als Berater an die Seite des französischen Premierministers und jetzt in die Headhunter-Branche. Das sind zwei ganz unterschiedliche Berufe, oder? Ja, wobei ich mich schon immer generalistisch für Dinge interessiert habe. Es gibt in meinen Augen sowieso keinen spannenden beruflichen Bereich, bei dem man schon als Einsteiger alles weiß. Es gehört immer dazu, Dinge neu zu lernen, und mir fiel das nicht schwer, weil ich von Beginn an erstens das Interesse für und zweitens ein grundlegendes Wissen über diese Themen besaß. Was beide Berufe eint: Es geht knallhart zur Sache. Wie gelingt es Ihnen, in diesen Branchen den Spaß und die Leichtigkeit zu behalten? Es ist wichtig, in einem Umfeld zu arbeiten, das von Werten bestimmt ist, die auch meine sind. Wenn ich in einem Unternehmen arbeiten würde, das meinen Wertekonsens im Umgang mit Kollegen und Kunden nicht teilt, würde mich das wahnsinnig aufreiben. Ich würde mich dann wahrscheinlich sehr schnell im wahrsten Sinne des Wortes abarbeiten. Sowohl in der hohen Politik als auch in der sehr amerikanisch und von Effizienz geprägten Headhunter-Branche ist die Luft zwar dünn, aber man kann mit inspirierenden Leuten zusammenarbeiten und auch an harter Arbeit Spaß empfinden. Wobei eines jedem klar sein muss, der mit Leidenschaft ins Berufsleben einsteigt: Eine Karriere zieht immer Folgen nach sich, es wird garantiert auch mal stressig und unangenehm werden. Was hilft in solchen Momenten? Das Bewusstsein, an einem Thema zu arbeiten, das mich etwas angeht. Es lohnt sich sehr, darauf zu achten, dass man Anliegen findet, die einen erreichen und wo man mit dem Herzen dabei ist. Man erträgt die eben erwähnten Nebenwirkungen viel besser, wenn man weiß, wofür man morgens aufsteht. Reicht es da in Ihren Augen aus, den nächsten Karriereschritt als Ziel zu formulieren? Wie der Tellerwäscher, der es deshalb zum Millionär schafft, weil er zielstrebig Schritt für Schritt nach oben geht? Ich glaube, dass das auf lange Sicht zu wenig ist. Ab einem gewissen Level schauen sich Leute, die so denken, nämlich um und stagnieren. Sie kommen plötzlich eben nicht mehr weiter, weil ihnen das Thema fehlt und sie inhaltlich keine Spitze erreichen. Und dann entsteht schnell eine innere Leere. Sie waren 26, als der französische Premier Sie als Berater einstellte. Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich damals manchmal überfordert fühlten. Was haben Sie in solchen Momenten unternommen? Ich habe mir zunächst einmal bewusst gemacht, dass es völlig in Ordnung ist, wenn ich mich als 26 Jahre alter Deutscher, der hier mit der hohen französischen Politik an einem Tisch sitzt, überfordert fühle. Wenn nicht in so einer Situation, wann dann? Mir hat damals zudem geholfen, intensiv zu beobachten und zuzuhören. Ich habe links und rechts mit Leuten gesprochen, die mich dabei unterstützt haben, Dinge einzuordnen. Und nicht zuletzt ist das private Umfeld enorm wichtig: Ich hatte immer Freunde, die mir sagten, in was für einem privilegierten Beruf ich arbeite – aber da war auch immer ein Augenzwinkern dabei. Es hilft ungemein, wenn man Freunde hat, die sich nicht blenden lassen. Solche Menschen schützen einen davor, sich auf unangenehme Art zu verändern. An was für eine Veränderung denken Sie konkret? Man kennt ja die Menschen, die durch eine Funktion oder eine Stellung plötzlich einen anderen Habitus annehmen, eine andere Sprache sprechen und sich anders benehmen. Darum ist es eben wichtig, Menschen um sich herum zu haben, die ganz klar sagen: „Hör auf mit dem Mist, das tut dir nicht gut.“ Haben Sie viele Leute erlebt, denen Macht und Einfluss langfristig nicht unbedingt gut getan haben? Selbstverständlich, und bei einer guten Karriere geht es auch darum, sich nicht verführen zu lassen. Wobei ich nicht meine, dass man Begriffe wie Macht und Einfluss umgehen sollte. In hohen Positionen geht es um diese Dinge, und man muss auch Lust darauf haben, Macht und Einfluss zu bekommen – sonst versteht man das Spiel nicht. Die Arbeit darf sich jedoch nicht auf diese Begriffe reduzieren. Je schneller die Karriere, desto größer die Gefahr, dass Macht und Einfluss eine Persönlichkeit negativ verändern? Ja, denn nicht nur in der Politik sind Macht und Einfluss eine Droge. Man wird süchtig danach. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er sich darauf einlassen möchte und ob er robust genug ist, auf Dauer in diesem Umfeld unterwegs zu sein und dabei auf Leute zu treffen, die das gleiche Interesse haben und damit auch zu Konkurrenten um den größten Einfluss werden. Die Aussicht auf Macht und Einfluss kann fraglos Menschen verändern, und ich habe eine tiefe Skepsis gegenüber Leuten, die meinen, sie seien in dieser Hinsicht absolut ungefährdet. Nach gut zwei Jahren in der Politik wechselten Sie die Branche. Warum dieser Schritt? Es gab zunächst einmal eine private Dimension. Mir war bewusst, dass eine weitere Karriere in der Politik tendenziell in der Öffentlichkeit stattfinden wird. Mit Blick auf unsere Familienplanung habe ich mir die Frage gestellt: Wollen wir so leben? Ich finde, dass man eine solche Frage ganz wunderbar mit seinem Partner besprechen kann – und zwar ohne dass man sich Illusionen macht. Der zweite Faktor war, dass ich mit sehr jungen Jahren die Gelegenheit hatte, hinter den goldenen Vorhang der großen Politik zu schauen. Das kenne ich jetzt, da kann mir keiner mehr erzählen, dass es anders ist. Was mir jedoch noch fehlte, war ein Einblick in die kommerziellen Zusammenhänge in der Privatwirtschaft. Mich hat interessiert, wie von dort aus die Perspektive auf die Gesellschaft ist und wie ich mich in diesem System verhalte. Als Headhunter helfen Sie Unternehmen dabei, Top-Leute für Top-Positionen zu finden. Wenn Sie eine Vita vor sich haben, welche Aspekte darin machen Sie neugierig? Spannend wird es, wenn man beim Blick auf einen Lebenslauf auch mal stolpert. Wenn er sich nicht total weich und geradeaus lesen lässt. Wenn sich irgendwo eine Kante zeigt und ich Lust habe, mehr darüber zu erfahren. An solchen Stellen entdeckt man häufig von persönlichen Werten getriebene und ungewöhnliche Entscheidungen. Warum sind diese Aspekte wichtig, um beurteilen zu können, ob jemand auf eine Top-Position passt oder nicht? Weil ich hier etwas lesen kann, das extrem wichtig ist, nämlich die Haltung. Ich kann daraus schließen, wie dieser Mensch sozialisiert wurde und wie er mit Unsicherheiten und ungeplanten Ereignissen umgegangen ist. Ob er schon einmal Courage bewiesen hat und ob es Momente gab, in denen er ganz klar sagte: „Das mache ich so nicht mit.“ Haltung hat in meinen Augen etwas mit nachhaltigem Denken zu tun und führt dazu, dass ein Mensch eine Urteilskraft entwickelt, die über das gelernte Fachwissen hinausgeht. Sie grenzt eine Persönlichkeit von dem Typus Karrieristen ab, der nur an kurzfristigem Erfolg und am Aufstieg interessiert ist. Suchen Unternehmen tatsächlich Leute mit Haltung? Unbedingt, denn was ist in diesen Zeiten wichtiger als jemand, der die Fähigkeit besitzt, mit Unsicherheiten umzugehen? Auffallend ist auch, dass sich Menschen mit Haltung eine große Unabhängigkeit erhalten. Zum Beispiel, indem sie auch abseits des Berufs Dinge tun, die ihnen wichtig sind. Es ist Bestandteil einer guten Karriere, den Beruf nicht zu überfordern, sondern ihn immer mal wieder als das zu sehen, was er auch ist: ein Broterwerb. Was folgt daraus für Hochschulabsolventen kurz vor dem Einstieg ins Berufsleben, wie sollten sie ihre Karriere angehen? Es gibt weiterhin das Denken: je schneller und geradliniger ein Abschluss, desto besser. Ich werde einen Teufel tun und das als falsch beurteilen. Nur sollte sich keiner unter Druck setzen lassen, dass dies der einzige Weg ist. Auch Entschleunigungen im Denken oder Umwege werden heute von Unternehmen geschätzt. Persönlichkeiten entstehen doch genau dann, wenn Menschen nicht nur das tun, was von ihnen verlangt wird. Eine Karriere ist heute nicht mehr das Abhaken von Stationen. Es ist komplizierter geworden. Oder positiv formuliert: Die Welt ist offener denn je.
Interview als PDF ansehen

Erste Schritte zur Globalisierung

0
von Dr. Johanna Dahm Sich in einer fremden Gesellschaft nicht gänzlich wohl in seiner Haut zu fühlen, muss kein Dauerzustand sein. Denn „Fremdheit“ ist kein objektiver Zustand, sondern sollte in der Beziehung zwischen einzelnen Personen oder Gruppen jeweils neu definiert werden – ein Thema, dem sich in Zeiten der Globalisierung auch das Bildungssystem verstärkt annimmt. „Was ist eigentlich Internationalität?“ fragte ich zwei meiner Freundinnen und erhielt zwei verschiedene Antworten. Die eine sagte: „Wer international ist, der ist unvoreingenommen gegenüber Fremden und offen für andere Kulturen.“ Und die andere: “Wer international ist, hat viele Kontakte auf der ganzen Welt, kommt privat und im Job viel rum und spricht mehrere Sprachen.“ Am Ende einigten wir uns darauf, dass unsere Freundin Lina der Inbegriff von Internationalität ist: deutsch-brasilianische Eltern, aufgewachsen in Brasilien und Bolivien, spricht neben Deutsch und Englisch auch Portugiesisch und Spanisch, ihr Freund ist Kroate, und ihre Freunde verteilen sich über alle Kontinente. Die europäische Bildungspolitik strebt an, Hochschulabschlüsse durch akkreditierte Studiengänge internationalen Maßstäben anzupassen (so genannter „Bologna-Prozess“). Daraus ergibt sich zunächst für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die Pflicht, sich ihren Grundlagen zuzuwenden. Doch neben den Kern- und methodischen Kompetenzen, die dabei in San Francisco und Paris ebenso grundlegende theoretische Gültigkeit beanspruchen wie in Berlin und Wladiwostok, nimmt auch die Bedeutung eines vermeintlichen „Beiwerks“ zu: Absolventen wissenschaftlicher Einrichtungen müssen sich darauf vorbereiten, in anderen Kulturen verstanden zu werden – und in ihnen handeln zu können. Um die Studierenden auf ein Berufsleben in der Fremde vorzubereiten, gehören Kurse zur interkulturellen Handlungskompetenz in die Stundenpläne der Hochschulen und Business Academies. Um kulturelle Barrieren zu überwinden, müssen Wege beschritten werden, die „das Fremde“ dort vertraut werden lassen, wo es dem künftigen Manager begegnet: in Bildung und Erziehung, im Angesicht von Migration, vor kulturellen, ethnischen und religiösen Hintergründen – verstärkt und beschleunigt in Zeiten der Globalisierung von Arbeit und Konsum. Den ersten Schritt auf dem Weg in die Globalisierung – praktisch wie intellektuell – zu tun, darauf bereiten unter anderem das Forschungszentrum Interkulturelle Kompetenz der Universität Jena oder auch der neue Lehrstuhl für interkulturelles Management an der Fachhochschule Fresenius in Idstein vor. Zur Orientierung in einer Welt der kulturellen Vielfalt zählt das feinfühlige Wissen über das eigene Handeln und die individuellen kulturellen Kompetenzen. Beides führt dazu, Differenzen zwischen den Kulturen zu überbrücken und ermöglicht letztlich ein ethisch vertretbares und wirtschaftlich nützliches Verhalten außerhalb der eigenen Landes- und Kulturgrenzen. Doch sind die Pflichten zukunftsorientierter Hochschulen nicht darauf beschränkt, den akademischen Nachwuchs auf die Bürden der Globalisierung vorzubereiten: In internationalen Projektteams findet schon jetzt der Dialog zwischen Wissenschaftlern und Unternehmern mit dem Ziel statt, kulturübergreifende Handlungskompetenzen zu fördern. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Fragen nach der Akzeptanz oder wenigstens Toleranz gegenüber dem kulturell Fremden, Fragen nach kultur- und landesspezifischen Verhaltensstandards, die sich unmittelbar auf Management- und Personalentscheidungen auswirken können. Denn es hat sich die Erkenntnis breit gemacht, dass für den Einsatz im Ausland Fremdsprachenkenntnisse allein ebenso wenig ausreichen wie reines Spezialwissen, mit dem man hier zu Lande hinreichend „Punkte macht“. Um mit Menschen in der Fremde erfolgreich arbeiten und zufrieden leben zu können, muss man sich der eigenen kulturellen Prägung klar werden – und ein Verständnis für das Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln des oder der „Anderen“ entwickeln. Daraus folgen auch Forderungen an einen Hochschulunterricht, der innovativ genannt werden möchte: Praxisnähe und die Sicherheit, sich auf dem internationalen „Benimm-Parkett“ bewegen zu können, sollten den Unterricht mitbestimmen. Das ist durchaus auch ein Appell an das gesunde Eigeninteresse, denn Hochschul- Dozenten werden künftig mehr denn je danach beurteilt werden, ob sie ihre Studierenden für Berufserfahrungen im Ausland fit gemacht haben. Dr. Johanna Dahm ist Dozentin für Rhetorik, Kommunikation und Projektmanagement an verschiedenen Hochschulen Europas. Seit 2002 befasst sie sich zudem mit der Konzeption und Durchführung von unternehmensinternen Trainings zum Thema Kompetenzentwicklung.