Strukturen für Compliance schaffen, digital und international arbeiten, die Branchen kennen: Die Anforderungen an Wirtschaftsjuristen sind hoch. Die Karrierechancen aber auch. Von André Boße
Es gibt Anglizismen, die durchaus sinnvoll sind. Compliance zum Beispiel. Fällt der Begriff im Kreise von Wirtschaftsjuristen, wissen sie schnell, was gemeint ist. Will man ihn dagegen übersetzen, benötigt man einige Worte mehr. „Er steht für die Regeleinhaltung, aber eben auch die Implementierung von Strukturen zur Einhaltung der internen und externen Vorschriften für die Führung eines Unternehmens“, definiert Dr. Reinhard Lutz den Begriff. Für den Partner der Wirtschaftskanzlei Lutz Abel mit Hauptsitz in München ist es unstrittig, dass der Bereich Compliance weiter an Gewicht gewinnt. „Hauptgrund ist der höhere Haftungsdruck, der auf die Vorstände und die Geschäftsleitung der Unternehmen wirkt.“ In den Chefetagen herrscht eine große Unsicherheit: „Man fragt sich: Was bedeutet das für uns, was müssen wir machen, wozu müssen wir uns verpflichten?“ Die Folge: Der rechtliche Beratungsbedarf steigt. „Börsennotierte Unternehmen kennen zumindest die Grundzüge von Compliance“, sagt Lutz, „aber schon im Mittelstand herrscht bei den Begriffen rund um dieses Themenfeld eine große Unklarheit.“
Haftungsrisiko steigt
Das Beispiel Compliance zeigt, warum Wirtschaftsjuristen in der Firmenwelt weiterhin gefragt sind. Der Alltag wird für die meisten Unternehmen immer komplexer, immer internationaler. Zudem steigen die Anforderungen an die Leitung dieser Unternehmen. Nicht nur, dass sie ihre Firmen sicher durch die globale Welt steuern müssen: Werden eklatante Fehlentscheidungen getroffen oder Regeln nicht eingehalten, ist die Gefahr, persönlich dafür haftbar gemacht zu werden, um ein Vielfaches größer als noch vor einigen Jahren. „Daher stellen sich die Unternehmensleitungen immer früher der Frage, welche Maßnahmen sie ergreifen müssen, um Strukturen zu schaffen, die sicherstellen, dass sie ihre Verpflichtungen erfüllen“, sagt Reinhard Lutz. Doch diese Strukturen entstehen nicht von alleine. Hier ist das Know-how von juristischen Beratern entscheidend, „wobei diese Arbeit ein wenig in Richtung Unternehmensberatung geht“, wie Lutz sagt. „Um die Compliance einzurichten, muss ich die Abläufe und Verantwortlichkeiten in einem Unternehmen kennen, denn nur dann kann ich auch die Risiken erkennen, zum Beispiel bei strafrechtlichen Themen wie Korruption oder Untreue.“
Für junge Juristen, die es einerseits verstehen, sich in Unternehmen hineinzudenken, und andererseits das juristische Werkzeug mitbringen, um Strukturen zu erstellen, ergeben sich somit exzellente Karrierechancen. Dabei ist „neben Reaktionsschnelligkeit die Qualität das A und O in unserer Arbeit“, wie Dr. Alexander von Bergwelt, Senior Partner Germany der Kanzlei Norton Rose Fulbright sagt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere sei erstens das einwandfreie Beherrschen des Handwerks und zweitens die Fähigkeit, ein vertrauensvolles Verhältnis und eine persönliche Beziehung zu dem Mandanten aufzubauen. „Mein Mandant muss wissen, dass ich seine Situation im Ganzen verstehe – sowohl seine Branche und sein Umfeld als auch die individuellen Bedürfnisse seines Unternehmens.“
Während es hier durchaus auf Erfahrung ankommt, beobachtet Alexander von Bergwelt eine Entwicklung in den Kanzleien, die den Nachwuchsjuristen zupasskommt: Die Digitalität wird immer wichtiger. „Mandanten fordern, wo es möglich ist, immer häufiger eine schnellere und günstigere Umsetzung von Projekten – beispielsweise durch die Verwendung von standardisierten Verträgen“, so der Senior Partner. Daher werde derzeit diskutiert, inwiefern Rechtsdienstleistungen automatisiert werden können – mit Folgen für den Arbeitsalltag in den Kanzleien: Arbeitsprozesse verlagerten sich zunehmend in den digitalen Bereich, zumal es immer häufiger vorkomme, dass Digital Natives die Unternehmen leiten, für die ein Wirtschaftsjurist tätig ist. „Das“, so von Bergwelt, „wird sich in Zukunft noch verstärken, was sich dann auch auf die Akquisition von Mandanten auswirken kann.“
Buchtipp: Compliance
Wer als Jurist im Unternehmen Strukturen zur Compliance erschafft, greift tief in die Kultur des Mandanten ein. Wie sich solche anspruchsvollen Prozesse in der Praxis erfolgreich umsetzen lassen, zeigt das Buch „Praxiswissen Compliance“ von Tilman Eckert. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Frage, wie sich die teilweise bereits vorhandenen Aspekte in eine allumfassende Compliance-Struktur integrieren lassen.
Tilman Eckert:
Praxiswissen Compliance – Erfolgreiche Umsetzung im Unternehmen.
Haufe-Lexware 2014.
ISBN 978-3648049587.
49,95 Euro
Back Office? Gibt es nicht
Wie schnell Einsteiger in vielen Wirtschaftskanzleien an konkreten Mandanten mitarbeiten, zeigt ein Beispiel aus der Kanzlei Milbank, Tweed, Hadley & McCloy, von dem Dr. Thomas Kleinheisterkamp, Partner im Münchener Büro, berichtet. „Kürzlich hat einer unserer jungen Kollegen bereits an seinem zweiten Arbeitstag an Verhandlungen zu einer internationalen Unternehmensbeteiligung teilgenommen und diese dann ohne Unterbrechung begleitet, bis die Transaktion nach etwa zwei Monaten unterzeichnet war.“ Auch in den deutschen Büros der internationalen Kanzlei Jones Day ist das Einstiegstempo hoch. „Wir hören oft die Frage, wo denn das Back Office sei. Die für viele überraschende Antwortet lautet: Es gibt hier kein Back Office“, sagt Partner Johannes Zoettl. „Erst im letzten Jahr hatten wir hier im Büro einen jungen Kollegen, der schon nach einem halben Jahr eigenverantwortlich eine EU-Fusionskontrolle geführt hat.“
Die Lernkurve ist also mitunter steil, wobei Milbank-Partner Thomas Kleinheisterkamp auch feststellt: „Als Wirtschaftsanwalt lernt man nie aus – eine Erkenntnis, die viele unserer jungen Kolleginnen und Kollegen überrascht.“ Zu den Anforderungen in den zwei deutschen Büros der internationalen Kanzlei in Frankfurt und München zählen zum einen formale Qualifikationen: „Unsere Nachwuchsjuristen“, so der Partner, „zählen zu den absolut Besten ihrer Jahrgänge.“ Genauso wichtig sind jedoch Wissbegierde, Teamfähigkeit, Eigenverantwortung sowie Geduld, denn der Nachwuchs erhält in den Kanzleien die Chance, das juristische Handwerk und seine wirtschaftlichen Bezüge in der Praxis immer weiter zu vertiefen. Organisiert wird die Arbeit bei Milbank in kleinen Teams, die häufig ausschließlich an einem Mandat arbeiten. „Dadurch wird die Ineffizienz vermieden, die man beobachten kann, wenn bei großen Teams häufig die Mannschaften wechseln“, so Kleinheisterkamp. Das erfreue die Mandanten – aber auch den Nachwuchs, der sich in diesen kleinen und konstanten Teams besser aufgehoben fühle.
Ein weiterer Vorteil der kleinen Teams: Diese können sich intensiver mit den Branchen der Mandanten auseinandersetzen – ein wichtiger Bestandteil der juristischen Beratung. „Für unsere Mandanten sind über die rechtliche Expertise hinaus eine detaillierte Branchenkenntnis und, ganz generell, ein profundes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge von sehr großer Bedeutung“, sagt Dr. Christian Schede, Managing Partner Germany der Wirtschaftskanzlei Olswang. So erwarten die Mandanten aus technischen Unternehmen von ihren anwaltlichen Beratern zum Beispiel fundiertes Know-how über die betreffenden Technologien. Der Nachwuchs erhält im Laufe der Einstiegsphase genügend Zeit, sich dieses Wissen anzueignen. Doch, so Schede, „werden zunehmend auch von jüngeren Anwälten bereits Grundkenntnisse in den Bereichen Bilanzkunde, Preis- und Kostenkalkulationen und Steuern erwartet“. Weiterhin überzeugen die Wirtschaftsjuristen bei ihren Mandanten mit ihrer Expertise über marktübliche Vertragsstandards sowie über zu erwartende rechtliche Entwicklungen. „Das sind alles Voraussetzungen, um in der strategischen und rechtlichen Beratung und beim Erkennen neuer Geschäftsmodelle und Produkte zu punkten“, sagt der Managing Partner von Olswang in Deutschland.
Schwach in Englisch? Null Toleranz
Doch alles strategische und rechtliche Denken auf hohem Niveau ist nur die Hälfte wert, wenn es nicht über die deutschen Grenzen hinaus kommuniziert werden kann. „Die Branche differenziert sich. Es gibt die national oder regional fokussierten Kanzleien und die globalen Sozietäten. Bei Letzteren muss die internationale Integration reibungslos funktionieren“, sagt der Jones-Day-Partner Johannes Zoettl. Daher sei es heute in vielen Wirtschaftskanzleien Standard, dass die Wirtschaftsanwälte sowohl mündlich als auch schriftlich im Englischen genauso sicher sind wie im Deutschen. „Die Mandanten erwarten das so. Hier gilt: null Toleranz, wenn deutliche Schwächen offenkundig werden“, so Zoettl. Der Anspruch ist also nicht ohne. Dafür sind die Chancen hoch, schnell voranzukommen, wenn man ihn erfüllt. Zoettl: „Im Spitzensegment gibt es weniger geeignete Kandidaten als nachgefragt werden. Wenn der juristische Nachwuchs also den Leistungs- und Qualitätsprofilen entspricht, besitzt er ausgezeichnete Karrierechancen.“
Inhouse-Karriere als Unternehmensjurist
Wer sich nach dem Studium der Rechtwissenschaften für einen Job mit Schwerpunkt Wirtschaft interessiert, kann auch eine Laufbahn als Unternehmensjurist in der Rechtsabteilung eines Unternehmens einschlagen. Im Jahr 2011 hat sich der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) gegründet, der u.a. das Ziel hat, Inhouse-Juristen näher an das Top-Management heranzuführen. Darüber hinaus gibt es Fort-und Weiterbildungsangebote sowie Förderprogramme für den Nachwuchs.
Infos unter: www.buj.de