Juristin Annika Juds beendete nach über 10 Jahren ihre Karriere als Kanzleijuristin. Aus einem Hobby wurde eine Erfolgsgeschichte: Sie verkauft ihre Porträts heute im vier- bis hohen fünfstelligen Bereich. karriereführer- Autorin Sonja Theile- Ochel protokollierte ihre inspirierende Geschichte. Sie zeigt, dass sich Mut zum beruflichen Neuanfang lohnen kann.
Zur Person
Annika Juds war über acht Jahre lang Anwältin bei Linklaters und Latham & Watkins. 2020 hat sie sich mit ihrer Kunst selbstständig gemacht. www.annikajuds.de
Der klassische Karriereweg nach dem Jurastudium scheint oft vorgezeichnet: Kanzlei, Justiz, Verwaltung. Doch was, wenn dieser Weg nicht der eigene ist? Annika Juds wagte den mutigen Sprung vom Paragraphen zur Palette und etablierte sich erfolgreich als Künstlerin.
Der Wendepunkt: Von der Kanzlei zum Küchentisch
Annika Juds‘ Weg in die Kunst war kein abrupter Bruch, sondern ein organischer Prozess. Nach über zehn Jahren in der Verwaltung und einem berufsbegleitenden Jurastudium arbeitete sie in verschiedenen renommierten Kanzleien, zuletzt im M&A-Kontext mit Fokus auf Arbeitsrecht. Doch trotz äußerem Erfolg fehlte ihr die innere Perspektive. Der Aufstieg zur Partnerschaft schien unrealistisch, und der Gedanke, von externen Faktoren abhängig zu sein, widerstrebte ihr. „Ich wollte das nicht von anderen abhängig machen“, betont Annika.
Im Februar 2020 kündigte sie ihren sicheren Job – ironischerweise zwei Wochen vor dem ersten Corona-Lockdown. Plötzlich fand sie sich mit unerwartet viel freier Zeit konfrontiert. Statt sich in neue juristische Herausforderungen zu stürzen, wandte sie sich einer lange vernachlässigten Leidenschaft zu: der Malerei. Was zunächst als entspannende Freizeitbeschäftigung begann, entwickelte sich zu einer neuen Berufung.
Vom Gap Year zur Galerie: Eine neue Karriere entsteht
Die anfänglich geplanten drei Monate Auszeit dehnten sich auf sechs und schließlich auf ein ganzes Jahr aus. Eine Freundin organisierte ihre erste Ausstellung, und von diesem Moment an schien jede Woche eine neue, positive Entwicklung zu bringen. Eine Galerie zeigte Interesse an ihren Arbeiten, und ein unerwartetes Angebot einer Kreuzfahrtgesellschaft katapultierte ihre Kunst sogar auf die Weltmeere. „Es hat mich kalt erwischt“, erinnert sich Annika an das überraschende Angebot von Aida Cruises. Doch sie ergriff die Chance und verdiente plötzlich beachtliches Geld mit ihrer Kunst.
Nach etwa neun Monaten stand Annika vor der entscheidenden Frage: Jura oder Kunst? Die wachsende Unterstützung ihres Partners und die bereits sichtbaren Erfolge ermutigten sie, den Weg der Kunst mit Konsequenz weiterzugehen. Um sich das nötige unternehmerische Know-how anzueignen, absolvierte sie Online-Fortbildungen in Selbstständigkeit, Marketing und Buchhaltung. „Und dann habe ich es halt gemacht und das mit Vollgas“, fasst Annika ihren Entschluss zusammen.
Leben von der Kunst: Eine realistische Perspektive
Eine der häufigsten Fragen, die Annika gestellt bekommt, lautet: „Kann man von der Kunst leben?“ Ihre Antwort ist ein überzeugtes Ja. „Und zwar sehr gut“, fügt sie hinzu. Sie lebt und arbeitet mitten in München und erzielt in manchen Monaten sogar ein höheres Einkommen als in ihrer Zeit als Anwältin in einer Großkanzlei. „Nach oben gibt es kein Limit“, betont sie selbstbewusst. Der Schlüssel zu ihrem Erfolg liegt ihrer Meinung nach in einem klaren Plan und einer professionellen Herangehensweise. Die zusätzlichen Fortbildungen in betriebswirtschaftlichen Grundlagen waren dabei von entscheidender Bedeutung. Sie ermöglichten es ihr, ihre künstlerische Tätigkeit von Anfang an unternehmerisch zu gestalten und sich nicht nur als Künstlerin, sondern auch als erfolgreiche Unternehmerin zu etablieren.
Als Anwältin bin ich nie gefragt worden, ob ich davon leben kann.
Die größten Herausforderungen: Wertschätzung und Selbstbehauptung Der Wechsel von der angestellten Juristin zur selbstständigen Künstlerin war jedoch nicht ohne Herausforderungen. Die größte Hürde war die Frage der Wertschätzung. Im Gegensatz zur juristischen Expertise, deren Wert in der Gesellschaft allgemein anerkannt ist, wurde Annika oft mit der Erwartung konfrontiert, ihre Kunst und ihre Zeit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Annika lernte, standhaft zu bleiben und den Wert ihrer Arbeit selbstbewusst zu verteidigen. Sie lehnte unbezahlte Aufträge ab und positionierte sich erfolgreich als professionelle Künstlerin, deren Werke und Expertise ihren Preis haben. Eine weitere Herausforderung bestand darin, sich selbstbewusst als Künstlerin zu bezeichnen und dies auch nach außen zu kommunizieren. „Ich bin Künstlerin. Punkt“, sagt sie heute mit Überzeugung.
Freiheit und Selbstbestimmung: Der größte Gewinn
Der größte Gewinn des Wechsels in die Selbstständigkeit ist für Annika die neu gewonnene Freiheit und Selbstbestimmung. Obwohl sie nicht weniger arbeitet als zuvor, fühlt sich die Arbeit anders an. „Ich bin immer mit dem Kopf oder mit den Fü.en irgendwie in der Kunst“, beschreibt sie ihren Zustand. Sie kann ihren Arbeitsalltag flexibel gestalten und Entscheidungen ohne Rücksprache mit Vorgesetzten treffen. „Ich mache es halt einfach jetzt, wenn ich da Bock drauf habe“, erklärt sie ihren neuen Arbeitsstil.
Annikas künstlerischer Prozess: Konzept und Handwerk
Annika arbeitet nicht intuitiv, sondern konzeptionell. Das bedeutet, dass sie sich im Vorfeld intensiv mit dem Thema und der Aussage ihrer Werke auseinandersetzt. „Ich überlege mir vorher, was will ich eigentlich sagen? Und die größte Herausforderung ist tatsächlich, wie schaffe ich das, in ein Bild wortlos zu integrieren?“, erklärt sie ihren Ansatz. Ein Beispiel dafür ist ihr Werk „Masterpiece and Work in Progress“, das den Betrachter daran erinnert, dass jeder Mensch sowohl ein Meisterwerk als auch ein Werk in Bearbeitung ist. Die Herausforderung bei diesem Werk lag darin, die Botschaft ohne das typische Portrait, das ihre Arbeiten sonst prägt, zu vermitteln. Stattdessen fokussierte sie sich auf die detailreiche Darstellung einer Bluse, die zum „Masterpiece“ des Bildes wurde.
Annika arbeitet mit Holz als Untergrund, das sie in einer Schreinerei in der Nähe von München fertigen lässt. Darauf trägt sie Acrylfarbe auf und malt anschließend die charakteristischen Portraits mit einem speziellen, wasserfesten Stift von Mitsubishi, den sie bereits aus ihrer Anwaltszeit kennt. Durch die Verwendung von Wasser erzeugt sie subtile Schattierungen und einen 3D-Effekt. Abschließend überzieht sie die Werke oft mit Epoxidharz, um einen glänzenden, hochwertigen Look zu erzielen.
Aktuell arbeitet Annika an einem Großauftrag für eine Villa auf Mallorca, der sie vor neue Herausforderungen stellt. Ein Werk von 2 Metern mal 1,50 Metern bedeutet für sie einen weiteren Schritt aus ihrer Komfortzone.
Netzwerken und Branding: Entscheidende Erfolgsfaktoren
Annika betont die Bedeutung von Netzwerken und Branding, insbesondere für Selbstständige. Sie rät jungen Juristinnen und Juristen, von Anfang an gezielt Kontakte zu knüpfen und sich ein klares Profil zu erarbeiten. „Wenn die Leute klar wissen, wer du bist und wofür du stehst, rufen sie dich eher an“, ist ihre Erfahrung. Ein prägnanter Elevator Pitch und ein Fokus auf ein bestimmtes Gebiet können dabei sehr hilfreich sein. Annika selbst hat erst als Künstlerin aktiv mit dem Netzwerken begonnen und nutzt LinkedIn intensiv für ihre Zwecke.