In Kanzleien versprechen Legal Tech-Lösungen mehr Effektivität, zudem das Ende der mühsamen Routinearbeit. Ein Leitsatz sagt: Alles, was automatisiert werden kann, wird auch automatisiert. Experten sagen: Mag stimmen – aber die persönliche Rechtsberatung zählt eben nicht dazu. Deshalb suchen die Kanzleien nach Nachwuchs, der beides hat: digitales Denken und die Empathie eines Beraters. Von André Boße
Legal Tech ist in vielen Kanzleien und Rechtsabteilungen keine Zukunftsmusik mehr, digitale Prozesse gehören an vielen Stellen zum Alltag. „Digitale Vertragsakten, intelligente Compliance- Management-Systeme und innovative Enterprise-Legal-Management- Lösungen sind praxiserprobte Hilfsmittel“, heißt es in der Studie „Legal Technology 2018“, die vom Software- Dienstleister Wolters Kluwer erstellt und herausgegeben wurde. Mit Blick auf die Rechtsabteilungen in Unternehmen machen die Autoren deutlich, welche Hoffnungen man dort auf Legal Tech-Lösungen setzt: „Die obersten Ziele, die mit der Einführung von Legal Technology in der Rechtsabteilung verfolgt werden, sind die Optimierung von Arbeitsabläufen (42,52 Prozent) und Kosten (23,95 Prozent)“, schreiben die Autoren Ralph Vonderstein und Marc Morawietz. Kurz: Es geht um Effizienz.
Legal Tech optimiert
Aber auch in der Königsdisziplin der anwaltlichen Arbeit, nämlich der Rechtsberatung, geraten digitale Lösungen mehr und mehr in den Fokus. „Roboter oder auf künstlicher Intelligenz basierende IT-Lösungen werden Anwälte in absehbarer Zukunft nicht ersetzen. Aber sie werden gerade in der Beratung mehr als nur Routineaufgaben für sie erledigen können“, schreiben die Autoren. Dazu nennen sie drei Beispiele:
Legal Tech in Rechtsabteilungen
Über 70 Prozent der Rechtsabteilungen in deutschen Unternehmen halten die Einführung von Legal Technology für unverzichtbar, doch nur drei Prozent arbeiten bereits strategisch an und mit entsprechenden Lösungen. Das ergab die repräsentative Studie „Legal Technology 2018“, die Wolters Kluwer Deutschland und Corporate Legal Insights (CLI) durchgeführt haben. Die größte Herausforderung wird in funktionsfähigen und sicheren Datenschnittstellen gesehen. Jeder fünfte Befragte erwartet, dass neue Arbeitsabläufe und ein höherer Weiterbildungsaufwand der Juristen im Hinblick auf IT-Themen erforderlich werden.
Weitere Infos unter: www.wolterskluwer.de
Eine Distributed Ledger Technologie (DLT), die in Form der Blockchain der Kryptowährung Bitcoin zugrunde liegt, „könnte aufwendige Verifizierungen und Authentifizierungen im Vertrags- und Immobilienrecht überflüssig machen.“ Sogenannte Chatbots beantworteten schon heute einfache Fragestellungen in klar umrissenen juristischen Bereichen. „In Zukunft könnten sie Anwälte und Mandanten auch bei komplexeren Fragen unterstützen.“ Zudem befinden sich laut der beiden Studienautoren „eine Reihe von Projekten in der Erprobung, die künstliche Intelligenz mit juristischem Wissen verknüpfen.“ Von einigen wenigen Kanzleien würden diese bereits heute gezielt eingesetzt.
Blockchain? Chatbots? Das klingt selbst für recht IT-affine Juristen mit Blick auf den Anwaltsberuf dann doch noch eher nach Zukunft. Wie soll es da erst den Mandanten gehen, die häufig mit komplexen und individuellen Problemen in die Kanzleien kommen und sich von ihrem anwaltlichen Berater erhoffen, dass er die Komplexität reduziert – und nicht noch eine komplizierte Ebene mit digitalen Fachbegriffen obendrauf packt? Beraten heißt: Bewerten und überzeugen
Nicht verwunderlich, dass es bereits jetzt eine erste kleinere Bewegung gibt, die Legal Tech eine Art Renaissance der persönlichen anwaltlichen Beratung entgegensetzt. Klar, smarte IT-Lösungen und intensives Mandantengespräch schließen sich nicht aus. Jedoch legen die Kanzleien in ihrer Ansprache zu den Mandanten, aber auch im Recruiting junger Nachwuchskräfte Wert darauf, dass das individuelle und menschliche Element der Beratung an erster Stelle steht.
„Beratung heißt immer auch: Bewerten und überzeugen“, sagt Dr. Joachim Gores, Partner der Wirtschaftskanzlei Kümmerlein in Essen. Der Jurist arbeitet als Rechtsanwalt und Notar vor allem in den Bereichen Gesellschaftsrecht und M&A. Und seit vielen Jahren ist er mit einem Team für das Recruiting der Kanzlei verantwortlich. Seiner Einschätzung nach gehe es im Wirtschaftsrecht um mehr als um die technische Informationsverarbeitung und die Bewältigung großer Datenmengen. „Legal Tech beruht auf Algorithmen und darauf, was Menschen vorher anhand logischer Muster hinterlegt haben. Die Einschätzung und Bewertung eines erfahrenen Beraters kann man damit nicht ersetzen, sondern nur unterstützen und ergänzen.“
Blockchain: viele Fragen offen
Als Blockchain bezeichnet man eine Art digitales Kassenbuch, mit der jede Transaktion zwischen Parteien transparent erfasst und mit jedem Detail gespeichert wird. Offen und unvergesslich: Die Technik eignet sich in der Theorie damit für einen weltweiten, schnellen und unkomplizierten Austausch von Werten.
Auch „Smart Contracts“ sind ein Thema, also Verträge, die keinen Notar mehr benötigen. Die Unternehmensberatung KPMG hat nun aber festgestellt, dass diese Technik juristisch auf wackeligen Beinen steht: „Derzeit sind fast alle juristischen Fragen im Hinblick auf die regulatorische Einordnung offen“, heißt es in einem Infopapier. „So könnte beispielsweise eine Erlaubnispflicht bestehen, wenn der Handel mit Finanzinstrumenten oder das Erbringen von Zahlungsdiensten auf Grundlage der Blockchain-Technologie erfolgt. Auch die Frage der Haftung muss geklärt werden.“
Joachim Gores glaubt auch nicht, dass die Mandanten einer Wirtschaftskanzlei alleine diesen Algorithmen genügend Vertrauen entgegenbringen, um daraufhin Handlungen abzuleiten. „Dass ein Unternehmer seine Entscheidung letztlich aufgrund des ‚Austauschs’ mit einem technischen System fällt, ist kaum vorstellbar.“ Der Wirtschaftsanwalt ist überzeugt: „Um Handlungsalternativen darzustellen, Chancen und Risiken abzuwägen und Reaktionen auf das eigene unternehmerische Handeln einzuschätzen, ist die persönliche Kommunikation unabdingbar.“
Legal Tech-Labore in Kanzleien
Das ist auch der Grund, warum in vielen Kanzleien Legal Tech-Anwendungen zunächst nur intern eine Rolle spielen – also, um Arbeitsprozesse in den Sozietäten neu zu organisieren. Das ist auch bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Pinsent Masons der Fall. Dr. Florian von Baum ist dort seit 2012 Partner, seit 2016 leitet er das Büro München und hat sich auf die Beratung von Unternehmen im Bereich IT/Software, Telekommunikation, Automotive sowie Biotech/Life Sciences spezialisiert. Das sind Mandanten aus hochtechnologischen Branchen.
Aktuell bestimmen seinen Arbeitsalltag „noch mehr unsere internen Legal-Tech-Anwendungen, dies aber in zunehmendem Maße“. In der Zukunft werde es seiner Meinung aber schon auch darum gehen, entsprechende Legal Tech-Produkte für Mandanten zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. „Wir stellen uns dabei die Frage, wie weit wir solche Dinge intern entwickeln – in Großbritannien haben wir dafür ein Entwicklungszentrum – oder ob wir auf Kooperation mit Dritten setzen.“
Es ist also möglich, dass innerhalb der Kanzleien in naher Zukunft Labore entstehen, in denen IT-Experten und Juristen gemeinsam an Legal Tech- Lösungen für Mandanten arbeiten. Aber gerade dann sei es wichtig, dass das Thema Legal Tech nicht zu isoliert betrachtet werde: Ausrichten müsse sich die Strategie an den „Kategorien ‚People, Process & Technology’“, sagt Florian von Baum. Zu beachten ist die Reihenfolge: Vorne stehen die Menschen, erst dann folgen der Prozess und die Technologie. „Wenn man es positiv sehen will, werden die externen – wie übrigens auch die unternehmensinternen – Rechtsberater von vielen, oftmals lästigen und zeitaufwendigen Arbeiten entlastet“, sagt Florian von Baum. „Und das bedeutet, dass sich der Anwalt wieder mehr um die eigentlich wichtige strategische und persönliche Beratung kümmern kann.“
Consulting Tech & Legal Tech
Die Nachfrage nach einer strategischen und digitalen Beratung für Kanzleien und auch Rechtsabteilungen in Unternehmen steigt, schließlich müssen die Akteure einen Weg finden, wie digitale Lösungen in das People’s Business eingefügt werden können. Der Buchautor Matthias Buchholz glaubt, dass dadurch ganz neue Job-Profile für externe und interne Berater entstehen. Zusammengefasst hat er sie in seinem E-Book: „Consulting Tech & Legal Tech – Geld verdienen als Experte im digitalen Zeitalter“, in dem er sehr konkret zwölf Consulting 4.0-Geschäftsmodelle benennt, insbesondere auch mit Fokus auf die digitale Transformation in Kanzleien.
Betrachten müsse man aber auch, dass das hergebrachte Geschäftsmodell von Kanzleien, nämlich auf Basis von „Zeiteinheiten“ abzurechnen, nicht mehr funktionieren wird, wenn Algorithmen Teile dieser Jobs erledigen. Der Jurist glaubt daher, dass sich die Struktur der Angebote der Kanzleien ändern wird. „Wir werden neben der eigentlichen Beratung vielmehr in Produktkategorien denken müssen. Das verlangt vom Anwalt neben dem rechtlichen und technischen Know-how noch mehr betriebswirtschaftliche Expertise“.
Job zwischen IT-Expertise und People Business
Für den juristischen Nachwuchs in den Kanzleien ergibt sich dadurch eine besondere Konstellation: Zum einen zählen sie zu den Hoffnungsträgern, um Legal Tech weiter voranzubringen, oft in sehr enger Kooperation mit IT-Experten – und dann eben auch noch mit der ökonomischen Dimension im Hinterkopf. Auf der anderen Seite müssen sie der Strategie gerecht werden, nach der anwaltliche Beratung ein „People Business“ bleibt. Ein schwieriger Spagat!
Was die digitale Kompetenz betrifft, beobachtet Florian von Baum durchaus einen Wissensvorsprung der jüngeren Generation, der sich schon alleine aus den Erfahrungen in der Lebenswelt ergibt. Er selbst, zugelassener Rechtsanwalt seit 1996, nennt sich im Gegensatz zu den „Digtal Natives“ einen „Digital Immigrant“: „Daher kostet mich die Übung, ‚up to date’ zu bleiben ein bisschen mehr Anstrengung.“ Weshalb das IT-Recht gerade für die neue Generation von Anwälten ein so spannendes Thema sei. „Und was ich jedem nur empfehlen kann: regelmäßig ins Silicon Valley fahren und dort ein Netzwerk aufbauen.“
Aber wie führt man den technikbegeisterten Nachwuchs an die persönliche Beratung heran, ohne, dass er dabei die Motivation verliert, digitale Ideen immer auf dem Schirm zu haben? Joachim Gores von Kümmerlein setzt vor allem auf eines: Praxiserfahrung. „Wir lassen unsere jungen Anwältinnen und Anwälte im Mandat unmittelbar erleben, welche Facetten zu einer wirtschaftsrechtlichen Beratung gehören“, sagt der fürs Recruiting verantwortliche Partner.
Wer zum Beispiel vom Anfang bis zum Ende in einem M&A-Projekt mitgearbeitet habe, könne nach kurzer Zeit einschätzen, welchen Teil der Arbeit vielleicht von Legal Tech erledigt werden könnte – und welcher eben nicht. „Zum anderen engagieren wir erfahrene Kommunikationsprofis für interne Schulungen, die zusammen mit den jungen Kollegen persönliche Fähigkeiten ansprechen, die für den Beraterberuf unabdingbar sind.“ Und wo genau können künstliche Intelligenz und Big Data nun helfen? „Legal Tech wird bei der Bearbeitung von Massenverfahren und standardisierungsfähigen Vorgängen viel leisten können“, sagt Joachim Gores. Auch bei der Bereitstellung von intelligenten Vertragsmustern sehe er einiges Potential, zudem „bei der Unterstützung operativer Einheiten, wenn Aufgaben mit juristischem Bezug ohne Einschaltung der Rechtsabteilung gelöst werden sollen“.
Anwaltsberuf: Zu komplex für die KI
Legal Tech: neue Geschäftsmodelle
Bestimmte Rechtsbereiche bieten sich geradezu an, sehr stark auf Legal Tech-Lösungen zu setzen. Zum Beispiel die Frage nach den Rechten von Flugpassagieren bei verspäteten oder ausgefallenen Flüge. Hier gibt es bereits eine Menge Anbieter, die ganz neue Ansätze verwirklichen: zum Beispiel den, dass der Kunde nur im Erfolgsfall zahlt. Die Digitale Anwaltschaft, eine Arbeitsgruppe des Deutschen Anwaltvereins, bietet auf ihrer Homepage einen Überblick über bereits existierende autorisierte Rechtsberatungen. Es zeigt sich: die Vielfalt ist schon heute groß – neben Verbraucherrechten gibt es auch Angebote bei Scheidungen und Unfällen, Problemen mit dem Vermieter und der Verkehrskontrolle.
Sicher sei aber auch: Die rechtlichen Herausforderungen, mit denen man gerade in einer Wirtschaftskanzlei tagtäglich konfrontiert werde, seien viel zu komplex und individuell, dass sie komplett von digitaler Automation übernommen werden könnten. „Daher wird die persönliche rechtliche Beratung trotz aller technischen Neuentwicklungen auf allen Gebieten an Bedeutung gewinnen“, schätzt Gores. „Vor allem, wenn es nicht nur darum geht, Risiken aufzudecken, sondern darum, kreative Lösungen zu entwickeln.“
Denn das ist ja gerade die große Kompetenz eines Juristen, der sich als individueller Rechtsberater versteht: Standardlösungen erarbeiten, das können viele. Für den Mandanten genau die richtige Lösung zu finden und dabei auch Facetten im Blick zu haben, die sogar den Legal Tech-Algorithmen entgehen und in den riesigen Datensätzen überhaupt nicht auftauchen, weil sie etwas mit Empathie zu tun haben, das ist und bleibt die Königsdisziplin des Juristen. Wobei es smart ist, sich dabei von der digitalen Technik helfen zu lassen.