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Recht und Ethik

Anwälte arbeiten mit Gesetzen. Da scheint es bei Fragestellungen keinen Spielraum zu geben, ist doch alles festgeschrieben. Und doch stellt sich auch für diese Berufsgruppe immer wieder die Frage nach ethischem Handeln. Von Christoph Berger

Der diesjährige Deutsche Anwaltstag hatte eine Diskussionsrunde im Angebot, die sich mit den Fragen „Erst das Fressen, dann die Moral? Wann wird Geld verdienen unmoralisch?“ beschäftigte. Große Themen also: Moral, Ethik und Geld. Und es ging direkt mit der Frage „Was raten Sie jungen Menschen, die den Anwaltsberuf ergreifen möchten, um viel Geld zu verdienen?“ zur Sache. Markus Hartung, Rechtsanwalt und Mediator aus Berlin, hatte dazu eine klare Meinung. Wenn es nur um das Geldverdienen gehe, würde er vom Studium beziehungsweise dem Beruf abraten. Überhaupt rate er jedem davon ab, die Berufswahl vom Gehalt abhängig zu machen. Er fügte aber auch an: „Wenn jemand Anwalt werden möchte und hat die Chance, bei einer großen Wirtschaftskanzlei anzufangen, dann würde ich ihm zuraten. Weil man in diesen Wirtschaftskanzleien, wenn man in diesen Rechtsbereichen arbeiten will, nirgendwo so viel wie da lernt, nirgendwo kann man so gut Netzwerke aufbauen, nirgendwo hat man so viel internationale Erfahrung schon als junger Anwalt. Und man wird supergut bezahlt.“

Die Frage nach „machen“ oder „nicht machen“ taucht also schon sehr früh im Lebenslauf eines jeden auf. Und weitere ethische oder moralische Fragestellungen werden folgen. Sei es, wenn Mandanten versuchen, den Sachvortrag zu manipulieren, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen, oder wenn Steuerrechtler Gesetzeslücken ausnutzen. Und auch die Honorarfrage spielt im Arbeitsleben von Anwälten eine Rolle. Also wiederum die Frage nach dem Verdienst. Markus Hartung erklärt: „Ein weiteres Beispiel ist auch die Honorarbemessung durch Rechtsanwälte, denn in bestimmtem Umfang können Rechtsanwälte ihre Honorare selber festsetzen. Sie müssen sich dann an bestimmten Kriterien orientieren, die ihre Mandanten natürlich alle nicht nachvollziehen können. Die Frage ist dann häufig, ob man nicht etwas großzügiger sein sollte.“

Innere Überzeugung ist entscheidend

Dr. Jörg Meister, Partner in der Mannheimer Kanzlei Boulanger, Meister, Amann, Jungraithmayr, Mundanjohl und Vorsitzender des Ausschusses Anwaltsethik und Anwaltskultur im Deutschen Anwaltsverein (DAV) sagt: „Ethische Fragen tauchen im Anwaltsberuf – wie auch in anderen Bereichen – dann auf, wenn es darum geht, ob ein bestimmtes Verhalten oder Unterlassen ‚anständig‘ ist.“ Es gebe Situationen, in denen man zwar das Recht durchsetzen könnte, ethisch höherstehend könne es aber sein, auf die Durchsetzung des Rechts zu verzichten. Es stellt sich nach Meister somit die Frage, ob man wirklich immer alles tun sollte, was erlaubt ist.

Niemand ist legitimiert, ethische Vorgaben zu machen. Ethisches Verhalten ist eine Sache der persönlichen Überzeugung und kann nicht vorgegeben werden.

Das Verhältnis von Recht und Ethik ist also äußerst kompliziert. Jörg Meister verweist auf Rudolf von Jhering, einen deutschen Rechtswissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert, der die Abgrenzung von Recht und Ethik als „Kap Hoorn der Rechtsphilosophie“ bezeichnete. Für Ethik ist vor allem auch die innere Überzeugung entscheidend, nicht dagegen die förmlichen von außen auferlegten Sanktionen. Anders formuliert es Prof. Dr. Volker Römermann, Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin: „Themen wie Ethik, Moral, ‚Haltung‘ werden oft diskutiert und jeder bekennt sich rückhaltlos dazu, wie wichtig und gut das ist. Es passt auch gut zu unseren Werten. Allerdings: Wenn man näher hinschaut, wird oft immer diffuser, was das eigentlich sein soll. Da gibt es ein paar Gemeinplätze, Floskeln, aber was heißt es konkret?“

Römermann plädiert für klare und transparente Argumente in der Auseinandersetzung mit Inhalten, statt auf den luftigen Begriff Ethik zu verweisen. Und: „Die Anwaltschaft muss frei für ihre Mandanten agieren dürfen.“ Somit hält er auch nichts von den Ende der 2010er-Jahre mal angedachten ethischen Richtlinien für die Anwaltschaft. Die meisten Fragen, die als „ethische Fragen“ behandelt werden, sind bereits sehr ausführlich im Berufsrecht geregelt. Auch Hartung und Meister lehnen derartige Richtlinien ab. Während Hartung unter anderem erklärt, dass er noch keine Richtlinien gesehen habe, in denen nicht letztlich das paraphrasiert werde, was im anwaltlichen Berufsrecht ohnehin schon vorgegeben sei, sagt Meister: „Niemand ist legitimiert, ethische Vorgaben zu machen. Ethisches Verhalten ist eine Sache der persönlichen Überzeugung und kann nicht vorgegeben werden.“ Richtlinien also, selbst wenn sie abstrakt gefasst seien, könnten die Vielzahl der auftretenden Konstellationen niemals erfassen. „Es kommt darauf an, dass der Einzelne ein Koordinatensystem für Gut und Böse entwickelt.“

Reflexionsfähigkeit in kritischen Situationen

Was hingegen in der Bundesrechtsanwaltordnung unter den §§ 43 und 43a, „Allgemeine Berufspflicht“ und „Grundpflichten“ festgeschrieben ist, hat nichts mit berufsethischen Vorgaben zu tun. Stattdessen handelt es sich schlichtweg um Regeln, die einzuhalten sind. Markus Hartung nennt sie trotzdem die anwaltlichen Kernwerte, die core values. Und sagt: „Diese Kernwerte – Unabhängigkeit, Geradlinigkeit und Verschwiegenheitspflicht – finden Sie eigentlich überall auf der Welt, wo es Anwälte gibt. Und wenn sich irgendwo Leute als Anwälte bezeichnen, für die es solche Regeln nicht gibt, dann handelt es sich nicht um Anwälte.“ Und wie sieht es mit der Sensibilisierung junger Anwälte für die Thematik aus, werden ethische und moralische Fragestellungen ausreichend im Studium behandelt? Geht es nach Jörg Meister, wäre es erforderlich, auf ethische Fragen verstärkt einzugehen, um die Reflexionsfähigkeit in kritischen Situationen zu stärken.

Denn Nachholbedarf zu ethischem Verhalten gibt es nach seiner Erfahrung im Anwaltsberuf und in der Juristenbranche immer insofern, als jeder Einzelne sich jederzeit fragen muss, ob sein Verhalten, insbesondere in dem rechtlich nicht geregelten Bereich, anständig ist. Ein Aspekt, den auch Markus Hartung hervorhebt. Er betont aber auch, dass die Anwaltschaft als Ganzes laut seinen Beobachtungen keine bedenklichen Defizite bei ethischem und verantwortungsvollem Handeln hat. So sieht es auch Volker Römermann: „Ich beobachte das Anwaltsgeschehen seit etwa 30 Jahren und die Zahl der Fälle, in denen sich Anwälte wirklich unethisch benommen haben – soweit es meinem subjektiven Empfinden entspricht, denn objektiv lässt es sich überhaupt nicht feststellen – ist so minimal klein, dass kein Bedarf nach zusätzlichen Regeln besteht. Anwälte sind Menschen, da kommen auch mal Verhaltensweisen vor, die man selbst nicht für richtig hält. Statistisch gesehen ist das unauffällig. Und im Vergleich zu anderen Berufsgruppen schneiden Anwälte meines Erachtens sehr gut ab.“

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