StartKöpfeAnders erfolgreich„Priester-Sein ist eine Lebensform“

„Priester-Sein ist eine Lebensform“

Nach einem Jura-Studium in Tübingen, einer Anstellung als Rechtsanwalt und der Gründung einer eigenen Kanzlei erkannte Uwe Stier, 47 Jahre, dass sein Kindheitswunsch, Priester zu werden, immer noch vorhanden war. So entschied er sich nach reiflicher Überlegung, den Anwaltsberuf an den Nagel zu hängen, und studierte von 2004 bis 2011 noch einmal: Katholische Theologie in Tübingen. Seit September 2013 ist er Vikar der Ulmer St.-Georg-Gemeinde. Die Fragen stellte Meike Nachtwey.

Uwe Stier, Foto: Katholisches Sonntagsblatt
Uwe Stier, Foto: Katholisches Sonntagsblatt

Warum haben Sie Jura studiert?
Ich selbst wäre vielleicht gar nicht auf diesen Gedanken gekommen. Denn nach dem Abitur und dem Grundwehrdienst war ich immer noch unentschlossen, welchen Beruf ich ergreifen wollte, bis mir mein älterer Bruder vorschlug, mich einmal an der Juristischen Fakultät umzusehen. Besonders hat mir am Jura-Studium gefallen, dass entgegen allen Vorurteilen nicht nur stupides Auswendiglernen gefragt war. Es galt immer, das notwendige Grundwissen anzuwenden, um kleine oder größere Fälle zu lösen, und dabei waren besonders auch eigene Argumente und die eigene Meinung maßgeblich.

Was hat Ihnen an Ihrer Anwaltstätigkeit besonders gut gefallen?
Dass nie Langeweile aufkam. Und dass selbst bei Fällen, die auf den ersten Blick hoffnungslos erschienen, es nach längerem Grübeln oft doch noch einen Ausweg gab. Spannend waren auch immer die Gerichtsverhandlungen, wo sich letztlich gezeigt hat, ob man gute Vorarbeit geleistet hat. Das Größte war für mich aber, wenn ich von Zeit zu Zeit Mandanten aus schweren Krisen heraushelfen konnte, die ihnen sonst für Jahre oder gar Jahrzehnte jede wirtschaftliche Perspektive genommen hätten.

Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, noch einmal einen völlig neuen Beruf zu erlernen, Theologie zu studieren und Priester zu werden?
Da kamen verschiedene Dinge zusammen. Da sind zum einen die Schattenseiten des Anwaltsberufs. Zwar lernt man schon im ersten Semester Zivilrecht, dass Recht und Gerechtigkeit durchaus auseinanderfallen können, je nachdem, wer die Beweislast hat und wer seinen Sachvortrag dann auch beweisen kann. Aber in der Praxis muss man es dann doch erst verarbeiten, wenn man erkennt, wie oft vor Gericht gelogen wird. Zudem dreht sich der berufliche Alltag eines Zivilrechtsanwalts meist um Geld. Ich habe aber im Laufe der Jahre immer mehr erkannt, dass mir Geld nicht so wichtig ist, dass sich mein ganzes Berufsleben nur darum drehen soll. Hinzu kommt, dass mir der Glaube an Jesus Christus schon von Kindheit an wichtig war. Schon mit sechs Jahren wurde ich Ministrant und habe damals aller Welt erzählt, dass ich einmal Pfarrer werden würde. Erst in der Oberstufe des Gymnasiums habe ich mich gegen diesen Berufswunsch entschieden, doch er hat mich nie völlig losgelassen. Bis ich mich schließlich in einem mehrere Jahre dauernden Prozess dazu durchgerungen habe, beruflich noch einmal ganz von vorne zu beginnen.

Was gefällt Ihnen an Ihrer jetzigen Tätigkeit am besten?
Ich bin jetzt schon von Berufs wegen gehalten, regelmäßig Eucharistie zu feiern und zu beten. Das sind die Energiequellen, aus denen ich meine Kraft schöpfe. Und ich finde es einfach schön, für die Menschen einer Kirchengemeinde da sein und ihnen in wirklich existenziellen Dingen beistehen zu können, ohne damit irgendwelche wirtschaftlichen Interessen verbinden zu müssen.

Welche Kenntnisse und Fähigkeiten aus Ihrer Anwaltstätigkeit fließen in Ihre heutige Tätigkeit ein?
Natürlich haben die Jahre als Rechtsanwalt sowohl meine Persönlichkeit als auch mein Menschen- und Gesellschaftsbild nachhaltig geprägt. Nicht zuletzt habe ich dabei meinen Weg gefunden, mit Behörden, der Presse und Menschen aller Gesellschaftsschichten umzugehen. Dabei habe ich auch die Scheu vor Menschen mit beeindruckenden Titeln verloren, ebenso wie die Scheu, vor einem Saal voll Menschen zu reden. Bevor ich selbst eine oder, was heute üblich ist, mehrere Pfarreien leiten kann, liegen noch dreieinhalb Jahre Ausbildung vor mir. Da aber in jeder Pfarrei Mitarbeiter beschäftigt sind, Immobilien zu verwalten und zu erhalten und ein Pfarrer letztlich für all das verantwortlich ist, werden spätestens dann natürlich arbeits- und vertragsrechtliche Kenntnisse weiter von großem Vorteil sein.

Welche Gemeinsamkeiten haben beide Berufe? Und worin liegen die größten Unterschiede?
Die offensichtliche Gemeinsamkeit ist, dass Menschen sowohl Rechtsanwälten als auch Priestern Geheimnisse anvertrauen und dabei strikte Verschwiegenheit voraussetzen dürfen. Beide Berufsgruppen tragen dafür aber auch oft eine große Verantwortung. Bei beiden Berufen sind auch Fachwissen und eine überdurchschnittliche Kommunikationsfähigkeit höchst hilfreich. Der größte Unterschied ist meines Erachtens, dass es nicht nur ein Beruf ist, Priester der katholischen Kirche zu sein. Es gibt keinen Feierabend und keine Ferien, in denen ich nicht mehr Priester, sondern nur noch Privatperson bin. Priester- Sein ist letztlich weniger ein Beruf als eine Lebensform.

Welchen Fall würden Sie als Rechtsanwalt noch einmal übernehmen wollen?
Am liebsten erinnere ich mich an einen meiner allerersten Fälle: Als ich meinen ersten Arbeitstag als Rechtsanwalt antrat, fand ich in meinem Büro eine Handvoll Akten vor. Darunter eine arbeitsrechtliche Akte, bei der es darum ging, dass ein Mann der Berechnung seiner Betriebsrente widersprach. Nachdem er über vierzig Jahre bei der gleichen Firma gearbeitet hatte, die ihm eine großzügige Betriebsrente vertraglich zugesichert hatte, ging diese Firma pleite. In solchen Fällen haftet in Deutschland der Pensionssicherungsverein (PSV) in Köln für sogenannte unverfallbare Rentenanwartschaften. Die Akte stammte vom Chef höchstpersönlich, seines Zeichens Fachanwalt für Arbeitsrecht, und endete damit, dass er dem Mandanten von einer Klage abriet, da er keinerlei Erfolgsaussichten sehe. Als der Mandant darauf antwortete, dass er trotzdem eine Klage wünsche, zumal er rechtsschutzversichert sei, sah mein Chef die Zeit gekommen, lieber die Zeit des Neulings zu vergeuden als seine eigene. Doch entgegen allen Erwartungen gewann ich nicht nur die erste Instanz, sondern auch die zweite, worauf der PSV kapitulierte und die Betriebsrente des Mandanten gegenüber der beanstandeten Berechnung vervierfachte.

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