StartRechtMandanten für die Zukunft rüsten

Mandanten für die Zukunft rüsten

Dass sich das Wirtschaftsrecht wandelt, ist nicht neu. Bemerkenswert ist jedoch das Tempo der Veränderungen. Megatrends wie die Digitalisierung und die Globalisierung sorgen für neue Gesetze, die Unternehmen beachten müssen. Die Aufgabe der Anwälte: Das Recht strukturieren und die Mandanten beraten, damit diese bestenfalls von der neuen Rechtslage profitieren. Wir haben in den Kanzleien nachgefragt, was dies für Spezialisten in den Bereichen Datenschutz, Patentrecht und Finanzen bedeutet. Von André Boße

Im Mai 2018 tritt das neue EU-Datenschutzgesetz in Kraft. Viele Nutzer profitieren davon, so gibt es zum Beispiel ein „Recht auf Vergessen“. Sprich: Wer will, kann dafür sorgen, dass zum Beispiel Kundendaten wieder gelöscht werden. Zudem haben Kunden das Recht, zu erfahren, was mit ihren Daten geschieht. Gehen Daten verloren, müssen die Unternehmen dies so schnell wie möglich melden. Ein Punkt der Verordnung trifft Unternehmen dabei besonders: Verstoßen sie gegen das neue Recht, drohen harte Bußgelder – bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes sind möglich. „Für meine Mandanten birgt das neue Recht in erster Linie mehr Bürokratie und drastisch erhöhte Risiken“, sagt Jens Nebel von der Kanzlei Kümmerlein, dort Fachanwalt für ITRecht. „Nur ein Beispiel: Unternehmen müssen künftig die Einhaltung des Datenschutzrechts durch geeignete Dokumentationen nachweisen. Wer das nicht kann, begeht schon allein hierdurch einen Rechtsverstoß.“

„Digital Economy & Recht“

In der Studie „Digital Economy & Recht“ des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen (BUJ) aus dem November 2016 geben Vertreter aus 305 Rechtsabteilungen an, welche Rechtsgebiete von der Digitalisierung am meisten betroffen sind. Knapp 70 Prozent der Befragten sehen einen starken Einfluss der digitalen Transformation auf die Arbeit in der Rechtsabteilung. Dabei beurteilen die Befragten den Veränderungsprozess überwiegend positiv. Rund 73 Prozent der Befragten erwarten, dass der Bedarf an digital kompetenten Juristen zusätzliche Jobs in den Rechtsabteilungen schaffen wird. 85 Prozent erwarten höhere Anforderungen an das Know-how bei spezifischen Rechtsgebieten wie dem Datenschutz und der IT-Sicherheit sowie bei Haftungs- und Regulierungsfragen.

Einen positiven Blick auf die Verordnung hat Dr. Grace Nacimiento: „Das neue Recht bietet Unternehmen einen guten Anlass, die bestehenden Prozesse zu hinterfragen und auf den Prüfstand zu stellen“, bewertet die Partnerin bei Kleiner Rechtsanwälte das Gesetz. Viele Unternehmen erkennen die Bedeutung von Daten für gegenwärtige und zukünftige Geschäftsmodelle. „Daher müssen wir häufig vermitteln, dass bei aller Goldgräberstimmung gesetzliche Vorschriften bestehen, die die technischen Möglichkeiten der Datennutzung beschränken“, sagt Grace Nacimiento – und glaubt, dass ein Unternehmen, das die Rechtslage kennt und klar einhält, auch auf positive Effekte hoffen darf: „Gegenüber Kunden kann es ein nicht zu unterschätzender Bonus sein, sich an datenschutzrechtliche Vorgaben zu halten oder sogar einen Standard anzubieten, der über diese hinausgeht.“

Jens Nebel von Kümmerlein, der seit mehr als einem Jahrzehnt Unternehmen zu datenschutzrechtlichen Gestaltungsfragen berät, hält dagegen, dass es im Bereich des Datenrechts noch immer viele offene Fragen gebe. Zum Beispiel die nach der Rechtsinhaberschaft an Daten: „Es gibt kein „Dateneigentum“ im klassischen Sinne, etwa so, wie ich Eigentümer eines Autos sein kann. Denn Daten sind keine körperlichen Gegenstände.“ Gleich mehrere Rechtsinstitute schützen die Daten, das Urheberrecht, das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis und eben auch das Datenschutzrecht. Dabei könne es vorkommen, dass die Rechtsordnung die Befugnisse unterschiedlich zuweist, wie Jens Nebel sagt, der aktuell eines der großen datenschutzrechtlichen Musterverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof betreut: „Ein Datenbankhersteller kann zum Beispiel ein Schutzrecht an der Datenbank haben, die Verarbeitung der darin abgelegten personenbezogenen Daten kann trotzdem durch das Datenschutzrecht beschränkt oder gar unzulässig sein.“

Das Datenschutzrecht ist ein Rechtsgebiet mit großer Dynamik – „aber das gilt im Grund für alle Bereiche, in denen sich das Recht mit Fragen der Digitalisierung auseinandersetzt“, ergänzt Dr. Carolin Küll, die sich bei Kleiner Rechtsanwälte mit Fragen der Digitalisierung befasst. Die Anwältin berät Unternehmen insbesondere zu IT-Compliance, Datenschutz und Datensicherheit. „Ergeben sich neue Fragen, müssen wir den technischen Hintergrund klären und die hieran anknüpfenden Rechtsfragen strukturieren“, berichtet sie von ihrer Arbeit. Inhaltlich setze auch die Rechtsberatung im Bereich Digitalisierung und Datenschutz ein gewisses technisches Verständnis und ein hohes Abstraktionsvermögen voraus. „Einsteiger sollten daher keine Berührungsängste mit technischen und informationstechnologischen Fragen haben und auch das Gespräch mit der operativen Ebene in den Unternehmen suchen.“

Wirtschaftsrecht in der Finanzwelt

Die Welt der Unternehmen wandelt sich rasant, bestimmend sind zwei Megatrends: Globalisierung und Digitalisierung. Im Zuge dieser Entwicklungen stellen sich die Unternehmen immer internationaler auf. Die digitale Transformation sorgt dafür, dass sich nicht nur Geschäftsmodelle ändern oder ausweiten, sondern innerhalb der Unternehmen ganz neue Organisationsformen gefunden werden – zum Beispiel durch Ausgliederungen von Create-ups, die für Innovationen sorgen wollen. Doch einige Schritte sind nicht unriskant, die Risiken einzuschätzen, ist kompliziert. Viele dieser Restrukturierungen verlangen daher nach anwaltlicher Beratung, wobei sich Karrierewege ergeben können, die von einer Kanzlei auch kurz direkt ins Herz der Finanzwelt führen.

CodeX FutureLaw Conference

Auf den CodeX Konferenzen des Stanford Center for Legal Informatics arbeiten Forscher, Rechtsanwälte, Unternehmer und Technologen an neuen Entwicklungen des Rechts – vor allem hinsichtlich technologischer Möglichkeiten. Weitere Informationen unter: https://goo.gl/GseNlA

Dr. Josef Parzinger, Associate in der Restrukturierungsgruppe im Münchener Büro der Kanzlei Kirkland Ellis, absolvierte jüngst ein Secondment am internationalen Finanzplatz London: Als Research Analyst suchte er für einen Fonds nach Investitionsmöglichkeiten – ein Job, der ihn an die Tätigkeit eines Goldgräbers erinnerte: „Man schürft viel Sand und findet hin und wieder ein Goldkörnchen.“ Für den Fonds analysierte er Unternehmen in finanzieller Schieflage, die für ein Investment interessant waren. Das Augenmerk lag auf der Kapitalstruktur, der Liquidität und den Vermögensgegenständen. „Wichtig war es, ein Verständnis für die aktuelle Situation des Unternehmens und die Gründe einer eventuellen gegenwärtigen Krise zu bekommen“, sagt Parzinger.

Zustande kam die Abordnung nach London auf Anfrage des Mandanten. „Das passte perfekt zu meinem Plan, einige Zeit außerhalb der Kanzlei bei einem Unternehmen zu arbeiten und dort zu lernen.“ Sein Chef habe die Pläne voll unterstützt, viel gelernt hat der Anwalt in der Welt der Fonds auf jeden Fall. „In diesem Sektor arbeiten viele smarte und kreative Leute“, sagt er. „Selbst wenn eine Investition auf dem ursprünglich gedachten Weg nicht in Frage kommt, findet man häufig andere Ansatzpunkte, um Werte zu heben.“

Um Investments zu finden, muss eine große Menge an Informationen verarbeitet werden. Dazu zählt die tägliche Lektüre der Financial Times und von zig E-Mails verschiedener News-Provider. „Und nebenher lief Bloomberg.“ Überfordert habe er sich als Anwalt in der Finanzwelt jedoch nicht gefühlt. „Die Analyse von Unternehmen ist kein Hexenwerk, sondern durchaus erlernbar. Wenn es dann ins Detail geht, sind natürlich finanzanalytisches Wissen und Erfahrung enorm hilfreich.“

Digital macht vieles neu

Maschinen lernen, kommunizieren untereinander und steuern autonom Systeme: Einige Rechtsbereiche stehen dadurch vor ungelösten Fragen. „Bisher betrachten wir zum Beispiel Haftungsfragen rein deterministisch: Kann ich nachweisen, dass die Bremsen falsch montiert waren und das Auto deshalb nicht rechtzeitig anhalten konnte, haftet der Autohersteller“, erklärt IT-Fachanwalt Jens Nebel von Kümmerlein. Bei der Künstlichen Intelligenz handele es sich jedoch um Systeme, bei denen niemand weiß, nach welcher Regel sie überhaupt agiert haben. „Die KI stellt die Regel ja selbst auf. Und weil das System ständig weiterlernt, kann man dessen Entscheidungsprozess nicht mehr reproduzieren.“ Dann zeigten sich Lücken im Haftungssystem. „Und die wird nur der Gesetzgeber schließen können, zum Beispiel durch die Einführung von Pflichtversicherungen wie etwa im Kfz-Bereich.“

Wichtig sei stets, nicht nur schematisch Cash-Flows in Excel-Tabellen darzustellen, sondern die Besonderheiten jedes Unternehmens zu beachten. Zu den Mandanten der Wirtschaftskanzlei Kirkland Ellis zählen Unternehmen als Schuldner, Gläubiger und Gesellschafter – die Anwälte arbeiten für alle Seiten, analysieren Kreditverträge, prüfen die Sicherheiten und planen die Verhandlungen über die finanzielle Restrukturierung. „Auch die Haftung des Managements im Krisenfall und gesellschaftsrechtliche Themen beschäftigen uns immer wieder“, sagt Parzinger. Im Grunde gehe es bei seiner Arbeit darum, finanzielle Deals aus anwaltlicher Sicht zu bewerten. „Da ist es wichtig, den Deal wirtschaftlich zu verstehen.“ Flexibel sein, schnell handeln und innovative Wege ausfindig machen – diese Kompetenzen gehören in dieser Branche zum Handwerkszeug.

EU-Patentrecht

Ein europäisches Einheitspatent und ein gemeinsames Patentgericht: Die EU hat das Ziel, für ihren politischen Geltungsbereich ein einheitliches Patentrecht zu schaffen. Noch gibt es politische und juristische Debatten, doch dass das EU-Einheitspatent eines Tages kommen wird, bezweifelt niemand. „Es wird dann zusammen mit dem Einheitlichen Patentgericht ein zusätzliches Werkzeug im bereits gut gefüllten Werkzeugkasten des Patentanwalts und des Rechtsanwalts im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes sein“, beurteilt Dr. Sophie Ertl, Patentanwältin und Partnerin in der Kanzlei Maiwald die Pläne. Das Einheitspatent trete dabei als ein neues Schutzrecht neben die bereits vorhandenen nationalen und europäischen Patente, die wiederum bestehen bleiben. „Dadurch ergibt sich eine Vielzahl strategischer Möglichkeiten, um Patente zu erlangen, durchzusetzen oder zu verteidigen“, sagt Sophie Ertl.

Für Patentinhaber sei ein Verfahren vor dem geplanten Einheitsgericht zugleich attraktiv und riskant: Ein einziges Verfahren reicht dann aus, um das Patent für alle Staaten, die das Übereinkommen unterzeichnen werden, durchzusetzen. Das ist verlockend. „Es kann aber auch sein, dass er sein Patent auf einen Schlag in allen Mitgliedsländern verliert“, erklärt Sophie Ertl. Dadurch steige der Beratungsbedarf: „Es wird keinen goldenen Weg geben, meine Arbeit als Patentanwältin wird daher noch strategischer und mandantenspezifischer werden“ – womit die Stunde für Patentspezialisten schlage, die ein Faible für Strategien mitbringen und gerne in engem Kontakt mit den Mandanten arbeiten.

Das weite Feld Datenschutz

Auf der Internetseite Datenschutz.org befasst sich der Berufsverband der Rechtsjournalisten e.V. intensiv mit dem Datenschutz in Deutschland und der Europäischen Union, der Inneren Sicherheit, dem Datenschutz im Internet, dem Öffentlichen Datenschutz und dem Datenschutz im Arbeitsrecht. Zudem wurde ein Bereich für die Rechte Betroffener eingerichtet. Unter dem Menü-Punkt „Datensicherheit“ finden sich schließlich Informationen zu den Themen „Anonym surfen“, „Datensicherheit beim Smartphone“ sowie „Datensicherheit in der Cloud“. Weitere Infos unter:

www.datenschutz.org

Insbesondere für angehende Juristen mit Interesse an technischen Zusammenhängen sei der gewerbliche Rechtsschutz, und insbesondere das Patentrecht, daher ein interessantes Betätigungsfeld. „Juristen kommen besonders bei der Durchsetzung und Verteidigung von Patenten zum Einsatz, sie führen unter anderem die Verletzungsverfahren vor den ordentlichen Gerichten.“ Dies geschieht häufig in Zusammenarbeit mit Patentanwälten, die über eine technische Ausbildung verfügen – wodurch sich eine reizvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit ergibt. Und diese Kooperationen sind wichtig, weil sich durch die Digitalisierung neue Fragen für das Patentrecht ergeben. Themen sind hier zum Beispiel der Schutz des geistigen Eigentums bei Software.

„Aber auch der Maschinenbau bietet mit dem 3D-Druck interessante Fragen“, sagt Sophie Ertl. Das rechtliche Dilemma: „Das 3D-Drucken wird zu einem großen Teil in privaten Haushalten stattfinden, die Herstellung von Produkten im privaten Bereich ist jedoch patentfrei.“ Beim Verfassen von Patentanmeldungen müssten solche Problematiken daher Jahre vor der tatsächlichen Patentdurchsetzung im Auge behalten und möglicherweise durch andere Schutzrechte abgesichert werden.

Buchtipp: „Data for the people“

Für knapp zwei Jahre war der Datenschutzexperte Andreas Weigend Chef- Wissenschaftler für Amazon. Als IT-Querdenker hat er einen besonderen Blick auf die Datenspuren, die wir Menschen hinterlassen. Sein Credo: Wer an der modernen Gesellschaft teilnimmt, hinterlässt ganz selbstverständlich eine Datenspur. In seinem Buch „Data for the people: Wie wir die Macht über unsere Daten zurückerobern“ erklärt er anschaulich, warum Daten für die Unternehmen so wichtig sind – und weshalb es bedeutsam ist, dass die Nutzer das wissen. Auf dieser Basis formuliert er „sechs Grundrechte für Daten“, die einen Einblick für die Themen geben, die den Datenschutz morgen prägen werden. Andreas Weigend: „Data for the People. Wie wir die Macht über unsere Daten zurückerobern“, Murmann, 2017, Buch: 26,90 Euro, E-Book: 9,99 Euro

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