Wie erkennt man Lügen, entlarvt falsche Identitäten und gewinnt wertvolle Informationen? Professionelle Vernehmungsmethoden bieten spannende Einblicke. Prof. Dr. Michael Saller verrät in diesem Gastbeitrag die Vernehmungsmethoden der Profis.
Zur Person
Prof. Dr. Michael Saller, M.Jur. (Oxford) ist Professor für Wirtschaftsrecht an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena und Special Counsel einer führenden Wirtschaftskanzlei in Frankfurt. Der frühere Ermittler des Bundeskartellamts leitete später als Senior Expert bei der OECD in Paris internationale Projekte und nutzte dabei die Vernehmungstechniken intensiv zur Gesprächs- und Verhandlungsführung. Er lehrt zudem an der Frankfurt School of Finance und der ADG Business School Montabaur.
Oft ist es schwer zu erkennen, ob jemand die Wahrheit sagt, lügt oder einem Irrtum unterliegt. Zudem können ungenaue Fragestellungen und mangelnde Vorbereitung den Informationsgewinn erschweren. Menschen verschweigen, irren oder lügen – teils aus Scham, teils aus Eigennutz.
Die Vernehmungsmethoden der Ermittler
Polizisten, Staatsanwälte und Richter müssen einen Sachverhalt zunächst ermitteln, bevor sie Anklage erheben oder Beschuldigte verurteilen können. Die Strafverfolgungsbehörden befassen sich seit vielen Jahrzehnten umfassend mit Fragestellungen zur Informationsgewinnung und nutzen ausgeklügelte Methoden, um von Zeugen und Tätern Auskunft zu erhalten. Dabei ist vor Gericht der sogenannte „Personalbeweis“ – also der Beweis, der durch die Aussage einer Person erbracht wird – nach wie vor von höchster Bedeutung.
Die Urteile von etwa 95 Prozent aller Strafverfahren und 70 Prozent aller Zivilverfahren beruhen auf Zeugenaussagen. Viele Erkenntnisse aus der Vernehmungslehre können auch außerhalb von Strafverfahren Anwendung finden. Der Ermittler steuert das Gespräch – „Wer fragt, der führt“ –, nutzt dabei bestimmte Fragetechniken und muss anschließend beurteilen, wie zuverlässig die Aussagen seines Gegenübers sind. Manche Zeugen und Beschuldigte werden bereitwillig Informationen liefern, während andere, wenn es für sie vorteilhaft ist, lügen, Fakten verschweigen oder die Aussage gänzlich verweigern.
Bei einer Vernehmung geht es darum, Wissen zu generieren – genauso wie bei einem journalistischen Interview, einer sogenannten Due Diligence, einem Verkaufsgespräch oder auch bei Preisverhandlungen mit einem Zulieferer.
Wissen ist Macht – Informationen zeigen sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen auf.
Der ehemalige FBI-Verhandlungsführer Chris Voss sagte einmal, dass ein guter Verhandlungsführer eine gelungene Verhandlung mit solider Vorbereitung beginnt, ein exzellenter Verhandlungsführer jedoch die Verhandlung selbst nutzt, um zusätzliche Informationen zu erlangen. Allerdings offenbaren Gesprächspartner meist nicht alle Informationen, sei es aus wirtschaftlichem Interesse, aus Angst vor Sanktionen, aus Scham oder aus Selbstschutz.
Völlig unterschiedliche Institutionen – angefangen bei der römisch-katholischen Inquisition, die auch Folter als Vernehmungsmethode einsetzte, über Polizeikräfte, Staatsanwälte und Gerichte, bis hin zu Geheimdiensten wie der CIA und dem Mossad – haben sich mit genau diesen Fragen auseinandergesetzt. Es ist wichtig, zwischen Methoden zur Informationsgewinnung und Methoden zur Erlangung eines Geständnisses zu unterscheiden.
Buchtipp:
„Erzähl mir alles!“ Wie Verhandlungen und (Personal-) Gespräche mit Hilfe professioneller Vernehmungsmethoden effektiver gelingen können. Springer Verlag, 2024, 29,99 €
In den meisten Gesprächen, Interviews, Befragungen, Verhandlungen und auch Vernehmungen geht es um die Gewinnung von Informationen. Eher selten, meist im Rahmen strafrechtlicher Verfolgungen, geht es darum, ein Geständnis zu erwirken. Auch bei der Vernehmung eines Beschuldigten sollte der Ermittler zunächst versuchen, möglichst viele Fakten zu sammeln, bevor er den Versuch unternimmt, ein Geständnis zu erlangen. Werkzeuge zur Informationsgewinnung sind das kognitive Interview, die sogenannte PEACE-Methode sowie journalistische Techniken. Neben den Techniken zur Informationsgewinnung gibt es auch solche, die darauf abzielen, Befragte zu einem Geständnis zu bewegen, wie beispielsweise die Festlegungstechnik. Ein Geständnis gilt nach wie vor als das wertvollste Beweismittel, wenn es darum geht, einen Fall schnell und sauber abzuschließen.
Lügen erkennen
Wer würde nicht gerne wissen, ob der Gesprächspartner die volle Wahrheit sagt, diese ein wenig verdreht oder uns ein komplettes Märchen auftischt? Kein Wunder, dass sich Wissenschaftler in Theorie und Praxis viele Gedanken darüber gemacht haben, ob und wie eine Lüge zu entlarven ist. Auch in Gerichtsprozessen müssen Richter regelmäßig den Wahrheitsgehalt einer Aussage einschätzen.
Lügner nutzen Parallelerlebnisse.
Für ungeübte Lügner ist es schwierig, komplette Geschichten zu erfinden, ohne sich in Widersprüche zu verstricken. Deshalb greifen sie oft auf echte Erlebnisse zurück. Eine Untersuchung zu falschen Identitäten von Kriminellen zeigte beispielsweise, dass diese häufig nur einen kleinen Teil ihrer echten Identität verändern. Um eine Geschichte detailliert erzählen zu können, nutzen Lügner oft sogenannte Parallelerlebnisse. Sie verwenden Details aus früher real erlebten Ereignissen und integrieren diese in ihre Geschichte. So kann ein Befragter, der fälschlicherweise angibt, bei einem Meeting anwesend gewesen zu sein, von einem anderen Meeting berichten, das einige Zeit vorher stattfand. Dadurch ist er in der Lage, Details wie die Sitzordnung, die Getränke oder den Anfahrtsweg zu nennen. Ein Beschuldigter, der für eine fragliche Tatzeit kein Alibi hat, kann detailliert vortragen, wie er zu diesem Zeitpunkt im Kino war, auch wenn er den Film eine Woche zuvor gesehen hat.
Details entlarven Lügner
Die Erzählung eines Parallelereignisses ist schwer zu erkennen, da Merkmale wie Detailreichtum, Gefühlsbeteiligung oder die Konstanz der Geschichte über mehrere Befragungen hinweg die Story glaubhaft erscheinen lassen. Dennoch ist es möglich, auch Erzählungen von Parallelereignissen als solche zu enttarnen. Ein Ansatz kann sein, nach tagesspezifischen Details zu fragen, zum Beispiel, wie das Wetter an diesem Tag war, oder beim Kinobesuch, wer die Eintrittskarte verkauft hat. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Ereignisse vor oder nach dem Parallelereignis abzufragen.
5 weitere Tipps zur Informationsgewinnung
- Mündliche Gespräche führen in der Regel zu mehr Details und relevanteren Informationen als schriftliche Befragungen.
- Nehmen Sie sich bei wichtigen Gesprächen Zeit für Small Talk und den Aufbau einer Verbindung. Zeigen Sie Ihren Gesprächspartnern Wertschätzung.
- Lassen Sie Ihren Gesprächspartner zu Beginn frei sprechen. Unterbrechen Sie nicht und bleiben Sie wertfrei! Den Aussagen im freien Bericht können Sie fast immer vertrauen.
- Schließen Sie nie von der Person auf die Richtigkeit ihrer Aussage. Auch erfolgreiche Geschäftsleute lügen – manchmal sogar sehr gut!
- Irrtümer sind gefährlicher als Lügen, da der Erzähler oft alle Glaubhaftigkeitsmerkmale aufweist.