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Legal Tech-Pionier Dr. Stephan Breidenbach

Prof. Dr. Stephan Breidenbach ist nicht nur einer der angesehensten Wirtschaftsmediatoren Deutschlands. Der Rechtsprofessor von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder zählt auch zu den Vordenkern digitaler Innovationen in der Arbeit von Juristen. Im Interview erklärt er, warum an Legal Tech kein Weg vorbeiführt und wo die großen Vorteile der digitalen Standardisierungen liegen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Stephan Breidenbach arbeitet als Hochschullehrer, Mediator und Unternehmer. Zu seiner Expertise zählen die Innovationen im Bereich Legal Tech. Er hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder inne, ist Professor für Mediation an der Universität Wien und hatte Gastprofessuren unter anderem in Peking, St. Gallen und Klagenfurt. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist Stephan Breidenbach als Wirtschaftsmediator und Schiedsrichter in nationalen und internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten tätig. Zusammen mit dem Hirnforscher Gerald Hüther hat er die Initiative „Schule im Aufbruch“ gegründet. Stephan Breidenbach ist mit der Anthropologin, Autorin und Internetunternehmerin Joana Breidenbach verheiratet und hat zwei Kinder.

Herr Prof. Dr. Breidenbach, Sie verwenden in Ihren Blogs zum Thema Legal Tech Begriffe wie Industrialisierung und Fertigungsstraße. Handelt es sich dabei um Formulierungen, die einigen Kollegen Kopfschmerzen bereiten, weil sie sich als Juristen und mit ihrer Arbeit bei diesen industriellen Fabrik-Metaphern nicht wiederfinden?

Jede Berufsgruppe, die aus einer technischen Entwicklung heraus mit der Standardisierung ihrer Tätigkeit konfrontiert wird, hat damit zu Beginn Schwierigkeiten. Denn die Vorstellung, dass die eigene hochgeschätzte Arbeit aus wiederkehrenden Situationen, Bausteinen und Textelementen besteht, ist für viele gewöhnungsbedürftig. Nicht nur für Juristen.

Ergibt sich daraus für Juristen ein Akzeptanzproblem beim Thema Legal Tech oder haben sich die Juristen mittlerweile daran gewöhnt, dass ihr Beruf wie viele andere auch standardisierbar und automatisierbar ist?

Die Entwicklung geht sehr schnell. Das von mir beschriebene anfängliche Akzeptanzproblem verschwindet gerade in vielen Organisation und Kanzleien. An seine Stelle tritt die Einsicht, dass die Juristen lieber diese Entwicklung mitgestalten wollen, als sich ihr auszuliefern. Selbstverständlich gibt es immer noch eine sehr große Gruppe von juristischen Berufsträgern, die hoffen oder auch glauben, dass diese Welle vorübergeht.

Sie glauben das nicht?

Nein. Digitalisierung ist jedoch keine Modeerscheinung, sondern ein Phänomen, das unsere Gesellschaft und damit auch sehr viele Berufe grundlegend verändert.

Abseits der digitalen Fertigungsstraße, entlang derer viele juristische Arbeiten digital abgearbeitet werden können: Wann und wo ist der juristische Denker noch gefragt?

Der juristische Sachverstand ist mehr gefragt denn je! Die Erstellung dieser digitalen Produkte verlangt eine bisher nicht gekannte Präzision und Prozessorientierung innerhalb der juristischen Arbeit. Gute Juristen sind hier gefragt.

Jedenfalls wird jede Form von repetitiven Elementen in juristischen Tätigkeiten im ersten Schritt industrialisiert werden.

Also Entwickler von Legal Tech-Lösungen?

Genau. Dafür müssen sie aber noch besser ausgebildet werden.

Blicken wir auf die positiven Effekte von Legal Tech: Welche konkreten Vorteile ergeben sich für die Arbeit der Juristen, wenn sie die Digitalisierung voll ausschöpfen?

Schon die erste Stufe in der Digitalisierung, also die Industrialisierung oder auch Standardisierung auf hohem Niveau, macht die Arbeit des Juristen um ein Vielfaches effektiver. Verträge, Schriftsätze und Dokumente werden in einem Bruchteil der bisherigen Zeit generiert und transparent verwaltet. Der entscheidende Vorteil entwickelt sich daraus, dass Legal Tech die Qualitätskontrolle verlagert – nämlich in die Konzeptionsphase der Erstellung digitaler Produkte: Nicht jeder macht alles, sondern die jeweils besten Spezialisten erstellen ein digitales Produkt, das viele andere dann mit Verstand nutzen können. Das bedeutet einen erheblichen Anstieg an Qualität.

Wird der Jurist damit zum Anwender?

Man muss eines beachten: Mandanten suchen keine Anwälte, sondern in erster Linie suchen sie nach Lösungen für ihre Herausforderungen und Probleme. Nehmen wir das Beispiel eines Fluggastes, dessen Flieger drei Stunden Verspätung hat. Dieser Mensch sucht keinen Anwalt, auch wenn er das vielleicht so sagt. Nein, er wünscht sich eine Entschädigung. Aus diesem Bedürfnis des Mandanten heraus lassen sich Anwendungen, Produkte und Angebote entwickeln.

Und neue Märkte erschließen.

Ja, weil bislang wenig lukrative Tätigkeiten des Anwaltes durch Legal Tech in einen lukrativen Markt verwandelt werden: Mit Hilfe der Technik werden die Bedürfnisse und Wünsche des Mandanten in den Vordergrund gestellt. Der erste Ansatz ist, ihm eine Lösung zu bieten.

Bei allen klugen Gedanken über die Digitalisierung: In sehr vielen juristischen Bereichen ist das Fax-Gerät weiterhin das Kommunikationsmittel Nummer eins, wenn es um wichtige Schriftstücke geht. Erst gerade wurde die Einführung einer digitalen Plattform in Köln zurückgestellt, weil es technische Probleme bei den Gerichten gab. Hinkt die technische Struktur in Deutschland hinterher?

Buchtipp

Cover Rechtshandbuch Legal-Tech, Amazon-Werbelink
Stephan Breidenbach, Florian Glatz: Rechtshandbuch Legal Tech. C.H. Beck 2018. Amazon-Werbelink

Ja, jedenfalls was die Gerichte angeht. Einzelne Organisationen und Kanzleien arbeiten dagegen bereits mit hervorragender IT-Struktur. Soweit es große Organisationen oder gar die öffentliche Hand betrifft, benötigen wir tatsächlich einen massiven Innovationsschub.

Schlägt dennoch die Stunde der jungen Juristen, die juristisches Denken mit IT-Kenntnissen und vor allem auch digitalem Know-how aus Ihrer Lebenswelt verbinden?

Ja, vorausgesetzt sie verbinden ihre technischen Einsichten mit präzisem juristischem Denken. Davon braucht es mehr – und nicht weniger.

Was raten Sie einem jungen Juristen, der mit Ideen zu Legal Tech und zur Digitalisierung in einer Kanzlei oder an einem Gericht einsteigt, dann aber merkt, dass sehr viele Kollegen noch lange nicht so weit sind und seine innovativen Ideen bremsen?

Mein Rat: Suchen Sie sich einen Arbeitgeber oder eine Organisation, in der sie nicht die Zukunft verschlafen!

Mein Rat: Suchen Sie sich einen Arbeitgeber oder eine Organisation, in der sie nicht die Zukunft verschlafen! Oder, wenn Sie Unternehmergeist mitbringen: Machen sie sich selbstständig!

Wie könnte denn die Juristen-Arbeitswelt 4.0 aussehen, analog zur Industrie 4.0, welches Szenario mit Blick auf eine vollkommene Digitalisierung ist Ihrer Ansicht nach vorstellbar?

Niemand konnte bei der Erfindung des Buchdrucks voraussehen, welche Konsequenzen diese Innovation haben würde. Das gleiche gilt für die Digitalisierung. Jedenfalls wird jede Form von repetitiven Elementen in juristischen Tätigkeiten im ersten Schritt industrialisiert werden – und dann in einem zweiten Schritt mit künstlicher Intelligenz angereichert. Das wird unter anderem bedeuten, dass das Recht in digitale Transaktionen und Prozesse eingebettet wird, man spricht hier von „Embedded Law“: Viele IT-Produkte enthalten dann, eingebaut in die Software, eine vertragliche Limitierung. Das wird eine großflächige Entwicklung werden.

Berlin Legal Tech

Mitte Februar 2018 fand die zweite Berlin Legal Tech statt, ein in Deutschland einzigartiges Event im Legal Tech-Bereich unter der Leitung von Prof. Dr. Stephan Breidenbach und dem auf Blockchain-Technologie spezialisierten Rechtsanwalt und Unternehmer Florian Glatz. Die drei großen Themen des Events waren Industrialisierung, Künstliche Intelligenz und Blockchain. Breidenbach und Glatz sind auch Autoren des Standardwerks „Rechtshandbuch Legal Tech“. Mehr Informationen zur Konferenz und dem begleitenden Hackathon unter www.berlinlegal.tech.

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