Die Großkanzlei Dentons hat mit Nextlaw Labs ein virtuelles Labor entwickelt, in dem Juristen und IT-Spezialisten Legal Tech-Lösungen erarbeiten. Andreas Ziegenhagen, Leiter der deutschen Büros Dentons Europe LLP erzählt, wie dort die Prozesse funktionieren, an welchen Systemen man arbeitet und warum in der Folge die emotionale Intelligenz der Anwälte von immer größerer Bedeutung ist. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Andreas Ziegenhagen ist bei Dentons Managing Partner Deutschland und European Head der Praxisgruppe Restrukturierung. Er ist spezialisiert auf die rechtliche und steuerliche Beratung bei Unternehmenstransaktionen, Restrukturierung und Insolvenzrecht, Unternehmenssteuerrecht und Gesellschafts-, Bank- und Bilanzrecht. Zudem gehört er zu den wenigen deutschen Rechtsanwälten, die gleichzeitig Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sind. Seit Januar 2006 ist er Partner bei Dentons in Berlin und zudem Geschäftsführer der Dentons GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft. Er begann seine Karriere bei Haarmann Hemmelrath, wurde 2001 zum Partner ernannt und 2004 Leiter der Praxisgruppe Insolvenz und Sanierung. Zudem ist er Mitglied im Global Board und European Board von Dentons.
Herr Ziegenhagen, können Sie kurz einen Überblick über die Dinge geben, die in den Nextlaw Labs entwickelt werden?
Nextlaw Labs versteht sich als eine Plattform, die innovative technische Lösungen für Probleme entwickelt, die Anwälten in ihrer täglichen Praxis immer wieder begegnen. Am Anfang geht es darum, diese Herausforderungen im Austausch mit Anwälten und Mandanten zu identifizieren. Anschließend versuchen wir, den Weg zu einer technischen Innovation vom Anfang bis zum Ende in umsetzbare Abschnitte zu gliedern.
Geht es darum, Lösungen zu vereinheitlichen?
Nein, denn für verschiedene und komplexe Probleme gibt es keine einheitlichen Lösungen, weshalb für uns bei der Lösungsfindung immer die enge Zusammenarbeit mit Mandanten und Anwälten entscheidend ist. Wir gehen dabei so vor, wie es beispielsweise auch ein Designer hinsichtlich Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit tun würde. Wir sind immer mit einem konkreten Anwendungsfall beschäftigt, der von unseren Mandanten und Anwälten nachgefragt wird.
Warum haben Sie diese technischen Entwicklungen zunächst in die Nextlaw Labs ausgegliedert?
Innovation ist immer auf schnelle Feedback-Prozesse angewiesen. In einer klassischen Kanzleiumgebung ist das nur schwer umzusetzen. Wir haben für das Testen neuer Software ein sogenanntes Sandbox-Konzept entwickelt, mit dem auch noch nicht ausgereifte Programme in einer Testphase gefahrlos ausprobiert, geprüft und weiterentwickelt werden können, ohne, dass sie Auswirkungen auf unsere normale IT-Struktur haben.
Wie kann man sich diese „Labs“ vorstellen, sitzen da Juristen und IT-Experten gemeinsam in echten oder virtuellen Räumen, findet man tatsächlich eine Art „Labor-Situation“ vor?
Nextlaw Labs ist ein virtuelles Labor, es gibt also in diesem Sinne keine physischen Laborräume, in denen die Entwicklung stattfindet. Stattdessen können wir über mehrere Zeitzonen hinweg mit digitalen Kommunika- tionstools arbeiten und Entwickler und Nutzer auf der ganzen Welt miteinander verbinden. Ein Beispiel für ein erfolgreiches Produkt aus unseren „Labors“ ist „Qualmet“:
Ein Dentons- Mandant, ein amerikanisches Fortune 500-Unternehmen, hatte uns auf ein zentrales Problem für die Rechtsabteilungen in Unternehmen aufmerksam gemacht: Vielen Inhouse- Rechtsabteilungen fehlt ein Standard, um objektiv die Qualität der von externen Beratern erbrachten Rechtsdienstleistungen zu messen. Der Mandant wandte sich an Nextlaw Labs, um ein Tech-Unternehmen aufzubauen, das ein solches System entwickeln kann. Nextlaw Labs hat dann das Know-how an der Schnittstelle von Recht und Technologie zur Verfügung gestellt und Qualmet entwickelt. Dabei haben die Anwälte von Dentons eine zentrale Rolle gespielt. Heute ist Qualmet mit mehreren Beta-Versionen in verschiedenen Inhouse-Rechtsabteilungen im Einsatz.
Anwälte sollten sich so gut wie möglich auf geistig anspruchsvolle Arbeit sowie strategische und kreative Herausforderungen konzentrieren können.
In welchen weiteren Bereichen können neue Techniken zum Einsatz kommen?
Unser Ziel ist es, unsere Anwälte dahingehend zu schulen, sich bei ihren größten Herausforderungen innovativer Mittel zu bedienen. Auf diesem Weg können unsere Anwälte einerseits ihren Mandanten einen Mehrwert bieten und zugleich die Zufriedenheit mit den eigenen Arbeitsbedingungen steigern. Wir sehen Technologie als eine Lösung für insbesondere die repetitive und kleinteilige Arbeit, mit der gerade junge Anwälte häufig konfrontiert sind. Anwälte sollten sich so gut wie möglich auf geistig anspruchsvolle Arbeit sowie strategische und kreative Herausforderungen konzentrieren können. Erst die emotionale Intelligenz im Umgang mit Mandanten macht einen guten Anwalt zu einem sehr guten Anwalt. Was dagegen nie durch Technik ersetzt werden kann, ist die vertrauensvolle Mandantenbeziehung. Technologie kann diese lediglich effizienter gestalten.
Sie sprachen schon von Beta-Versionen, die im Einsatz sind. In der IT-Branche werden diese zu Testzwecken veröffentlicht, Feedbackschlaufen und Verbesserungen sind impliziert. Ist so etwas im Rechtsbereich möglich, schließlich kann jede Fehlleistung für den Mandanten sehr unangenehme Folgen haben.
Der Einsatz von Beta-Versionen ist ein hervorragendes Instrument, um die Lösung eines Problems auf der Grundlage von Feedback weiter zu verfeinern. Noch vorhandene Fehler sind in diesem Sinne hilfreich für die Optimierung. Entscheidend ist, dass unternehmenskritische Risiken identifiziert und ausgeschlossen wurden, bevor eine Beta-Version zum Einsatz kommt. Darüber hinaus besteht das Ziel eines Beta-Release darin, nicht identifizierte Risiken weiter auszuschließen. Dies geschieht idealerweise in einem risikofreien Test-Umfeld und in enger Abstimmung mit dem Mandanten sowie den wichtigsten Akteuren des Unternehmens.
Wir sind überzeugt, dass Legal Tech mit seinen heutigen und zukünftigen Möglichkeiten eine bisher beispiellose Chance bietet, insbesondere für Nachwuchsjuristen und Berufsanfänger.
Mit Blick auf die Absolventen, die nun Ihre Karriere beginnen: Wie können sich junge Juristen heute auf Legal Tech-Innovationen vorbereiten?
Wir sind überzeugt, dass Legal Tech mit seinen heutigen und zukünftigen Möglichkeiten eine bisher beispiellose Chance bietet, insbesondere für Nachwuchsjuristen und Berufsanfänger. Repetitive Tätigkeiten können sinnvoll an technische Programme delegiert werden. Das schafft mehr Raum für die besonders interessanten Aspekte des Anwaltsberufs. Die Fertigkeiten, die für die Ausbildung und den Erfolg eines Nachwuchsjuristen unerlässlich bleiben, sind daher insbesondere Fähigkeit zum kreativen Problemlösen, zum kritischen Denken sowie zum souveränen Umgang mit Sprache. Auch ein solides Hintergrundwissen über gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse, Akteure und Themen bleibt unerlässlich für gute Juristen. All das kann in naher Zukunft – glücklicherweise möchte man sagen – nicht durch künstliche Intelligenz oder eine andere Technologie ersetzt werden.
Glauben Sie daran, dass in großen Kanzleien früher oder später ganz neue Job-Profile an der Schnittstelle zwischen Recht und IT entstehen?
Ich halte das für sehr wahrscheinlich. Ein neues Berufsprofil, das in Großkanzleien bereits deutlich Gestalt annimmt, ist das des Legal Engineer. Im Entwicklungsprozess bei Nextlaw Labs sehen wir, dass technisch versierte Juristen oder Software-Spezialisten mit juristischer Zusatzausbildung immer wichtiger werden. Sie überbrücken die Lücke zwischen juristischer Expertise und Technik und erhöhen mit ihrem doppelten Know-how die Chance, dass sich eine neue Technologie im Rechtsmarkt etablieren kann.
Wir sehen auch eine interessante Dynamik im Bereich von Technologie-Startups, wo sich Gründer mit einem juristischen Abschluss zu Geschäftsleuten mit einer Mischung aus technischen, betriebswirtschaftlichen und juristischen Fähigkeiten entwickeln. Fachleute mit multidisziplinären Fähigkeiten überblicken zusätzlich zu ihrer fachlichen Spezialisierung die größeren Zusammenhänge im Markt und merken gerade dadurch, wo technische Innovationen jenseits von modischen Schlagwörtern überhaupt nachgefragt werden.
Nextlaw Labs
Nextlaw Labs ist eine Plattform, die mit Fokus auf Investition, Entwicklung und Einsatz neuer Technologien den Rechtsmarkt verändern möchte. Sie ist eine autonome Tochtergesellschaft der globalen Wirtschaftskanzlei Dentons mit physischen und virtuellen Standorten in Technologiezentren auf der ganzen Welt. Durch ergänzende und strategische Partnerschaften mit führenden Technologieunternehmen, Start-ups und etablierten Rechtsanbietern investiert NextLaw Labs in vielversprechende Unternehmen und entwickelt eine Technologiereihe mit dem Ziel, den Mandantenservice zu verbessern und die Lösungen für Mandanten zu erweitern.