Auch wenn sie schon im ersten Semester vom Jura-Studium geschockt war, hielt Inger-Maria Mahlke, geboren 1977 in Hamburg, bis zum Ersten Staatsexamen durch. Anschließend aber tat sie das, was sie tun wollte, seit sie fünf Jahre alt war: schreiben. Und das bis heute sehr erfolgreich, sie heimste mehrere Preise ein. Ihr neuer Roman „Wie ihr wollt“ erschien im März dieses Jahres. Das Interview führte Meike Nachtwey
Um Romane und fiktive Texte schreiben zu können, braucht man Fantasie. Braucht man die auch, um Jura zu studieren?
Eigentlich nicht. Jura ist sehr faktisch, und man muss sich immer genau an den Wortlaut halten. Sich selbst etwas auszudenken, ist in diesem Bereich nicht zielführend.
Warum haben Sie Jura studiert?
Ich habe aus dem gleichen Grund Jura studiert, aus dem wahrscheinlich viele dieses Fach gewählt haben: Ich wusste nicht genau, was ich studieren wollte. BWL kam für mich gar nicht infrage, und von Jura haben alle gesagt, dass man nachher ganz viele verschiedene interessante berufliche Wege damit einschlagen kann. Ich habe aber dann nach dem Ersten Staatsexamen doch aufgehört, bin also keine Volljuristin.
Warum haben Sie nicht weitergemacht?
Ich war schon im ersten Semester so geschockt von dem Studium, dass ich erst einmal nicht weitermachen wollte. In der AG Staatsrecht hatte der Dozent eine Anleitung zur Falllösung herausgegeben. Es sei nicht notwendig, eigene Argumente zu entwickeln, stand darin, es ginge bei der Fallbearbeitung nur darum zu zeigen, dass man die Argumente anderer anwenden könne. Nicht selber denken war die Botschaft, oder nur im bereits abgesteckten Rahmen. Ich wollte aber auch nicht noch ein anderes Studium beginnen, und habe mir dann überlegt, dass ich dieses Studium auf jeden Fall zu Ende bringe, damit ich zumindest ein abgeschlossenes Studium in der Tasche habe. Und so habe ich das Studium möglichst schnell durchgezogen, auch wenn mir klar war, dass ich niemals im juristischen Bereich arbeiten will.
Sie haben trotzdem noch an Projekten des Instituts für Kriminologie der FU Berlin mitgearbeitet – wieso?
Ich habe Kriminologie als Wahlfach gewählt, weil es das unjuristischste war, das ich finden konnte. Und es war mit Abstand das für mich Interessanteste, was ich in diesem Studium gemacht habe. Dieses Fach setzt sich mit soziologischen, psychologischen und kriminologischen Aspekten der Kriminologie auseinander, und das fand ich sehr spannend.
Was hat Ihnen an der Arbeit am Institut besonders gefallen?
Ich konnte mich intensiv auf interessante Themen einlassen, durfte auch mal ungewöhnlich denken und andere als die üblichen Quellen hinzuziehen, etwa philosophische Texte. Zudem besteht die Arbeit auch darin, sehr konkret über menschliches Handeln nachzudenken, was bewertungsfrei verläuft – im Gegensatz zum juristischen Denken, wo es um die permanente Bewertung menschlichen Handelns geht.
Wie kamen Sie dann zur Schriftstellerei?
Das wollte ich schon, seit ich fünf Jahre alt war. Da wusste ich nur noch nicht, wie man das macht. Es war mir auch lange unbekannt, dass man Schriftstellerei in Leipzig studieren kann. Und so habe ich einfach geschrieben. Bis ich schlussendlich das Selbstbild hatte: Ich kann schreiben und ich bin jetzt Schriftstellerin.
Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Romane?
Jeden Tag vor die Tür gehen, Menschen sehen und über sie nachdenken. Außerdem braucht man eine gewisse Neugier. Ich habe als Kind meine Mutter fast wahnsinnig gemacht, weil ich immer nach dem „Warum“ gefragt habe. Und das „Warum“ ist bis heute meine Motivation zum Schreiben, es ist ein Versuch, das Leben, die Menschen und die Welt zu verstehen.
Beeinflusst Ihre Kenntnis der Rechtswissenschaften Ihre heutige Tätigkeit?
Wenn im Roman etwas vorkommt, das rechtlich relevant ist – zum Beispiel gab es im letzten Roman ein Insolvenzverfahren –, dann gebe ich mir Mühe, dass alles rechtlich richtig geschrieben ist. Außerdem wurde mir schon häufig gesagt, dass mein Umgang mit Sprache sehr präzise ist. Das ist in den Rechtswissenschaften ja auch so. Hier ist jeder Begriff genau definiert, und man muss sich präzise ausdrücken. Diese Präzision habe ich mir aus dem Juristischen ins Literarische hinübergerettet.
Sie haben einige Preise und Stipendien als Schriftstellerin gewonnen. Über welchen haben Sie sich am meisten gefreut?
Über den ersten Preis, den „Open Mike“ (deutschsprachiger Nachwuchswettbewerb für Prosa und Lyrik, Anm. d. Red.), habe ich mich besonders gefreut, weil er so überraschend kam.
Welcher Fall würde Sie doch noch dazu bringen, als Anwältin arbeiten zu wollen?
Es gibt viele Fälle, gerade im strafrechtlichen Bereich, die mich interessiert haben, da kann ich gar keinen konkreten herauspicken.
Welches Gesetz würden Sie ändern, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten? Und warum?
Das Asylgesetz. Ich würde es grundrechtskonform ausgestalten, denn das ist es meiner Meinung nach nicht.
Wie gehen Sie mit den Urteilen um, die Rezensenten über Ihre Bücher fällen?
Ich habe bisher ja ziemlich viel Glück gehabt, was das angeht, von daher kann ich damit gut umgehen. Diejenigen, die negativ waren, treffen einen ja nur, wenn man weiß, dass sie eigentlich stimmen.
Haben Sie einen Tipp für junge Juristinnen und Juristen, die an ihrer Studienwahl zweifeln?
Das Studium so schnell wie möglich abschließen und anschließend machen, was ihnen wirklich am Herzen liegt. Oder das Studium hinschmeißen und machen, was ihnen am Herzen liegt.
Buchtipp
Inger-Maria Mahlke: Wie Ihr wollt.
Berlin Verlag 2015.
ISBN 978-3827012135.
19,99 Euro