Prof. Dr. Dirk Heckmann zählt zu den renommiertesten Internet- Rechtlern Deutschlands. Als Mitglied der Datenethikkommission der Bundesregierung ist er im stetigen Dialog mit juristischen Kollegen, Data-Experten und Politikern, um das Verhältnis zwischen Recht und Digitalisierung zu optimieren. Den derzeitigen Wandel beschreibt er wie folgt: „Wir kommen vom Recht der Digitalisierung zu einer Digitalisierung des Rechts.“ Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Prof. Dr. Dirk Heckmann studierte Rechtswissenschaften in Trier. Nach Abschluss seiner juristischen Staatsprüfungen ab, einer wissenschaftlichen Assistenz und Promotion trat er 1996 eine Professorenstelle an der Uni Passau an. Als nebenamtlicher Verfassungsrichter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof widmet sich Heckmann besonders dem Grundrechtsschutz der Bürger. 2018 wurde er in die Datenethikkommission der Bundesregierung berufen. Neben zahlreichen anderen Funktionen ist Heckmann zudem Direktor im Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) sowie Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik DGRI. Zum 1.10. wird er Professor für Recht und Sicherheit der Digitalisierung an der TU München.
Herr Prof. Heckmann, Sie sind ab Oktober Inhaber des neuen Lehrstuhls für Recht und Sicherheit der Digitalisierung an der Technischen Universität München. Die Digitalisierung, so heißt es, durchdringe alle Lebensbereiche. Wie wirkt sie sich auf das Recht aus?
Die digitale Transformation erfasst auch das Recht. So verliert das Recht einerseits zunehmend an Steuerungskraft, etwa im Urheberschutz oder Persönlichkeitsschutz. Obwohl dessen gesetzliche Regelungen selbstverständlich auch im Internet gelten, werden diese vielfach ignoriert – zum Beispiel beim illegalen File-Sharing oder Cybermobbing, Rechtsverstöße werden nicht sanktioniert. Andererseits bietet Digitalisierung auch neue Chancen automatisierter Rechtsdurchsetzung, die ihrerseits aber – wie die Uploadfilter im Urheberrecht – nicht unumstritten sind. Oder denken wir an das autonome Fahren, bei dem die Durchsetzung der Straßenverkehrsordnung durch die Programmierung der digitalen Verkehrs infrastruktur abgelöst wird. „Code is law“, wie Lawrence Lessig schon vor 20 Jahren zutreffend sagte. Dies gilt heute mehr denn je. Wir kommen vom Recht der Digitalisierung zu einer Digitalisierung des Rechts.
Mit Blick auf die Begriffe „Recht und Sicherheit“: Stehen diese beim Thema der Digitalisierung in einem kausalen Zusammenhang?
Bei zunehmender Digitalisierung aller Lebensbereiche hat die Gewährleistung von IT-Sicherheit eine überragende Bedeutung: Ohne diese sind alle Bemü hungen um eine Modernisierung der Verwaltung (E-Government), der Justiz (E-Justice), des Gesundheitswesens (E-Health) oder der Wirtschaft (E-Business, Industrie 4.0) Makulatur. Wenn IT-Systeme versagen, leiden auch die durch sie gesteuerten Lebensbereiche. Ein Lehrstuhl, der sich mit dem Recht der Digitalisierung befasst, muss deren Sicherheit immer mitdenken.
Wie beurteilen Sie denn aktuell die Sicherheitslage in der digitalen Welt? Wo haben wir zuletzt gute Fortschritte gemacht, wo nehmen die Herausforderungen überhand, weil sich zu wenig tut?
Liest man die jährlichen Lageberichte des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), ergibt sich ein trauriges Bild: Die Bedrohungslagen nehmen zu, die Methoden der Angreifer werden immer professioneller, die Komplexität der IT-Systeme erschwert deren Absicherung. Von „Fortschritt“ kann man allenfalls bei dem Bewusstsein um IT-Unsicherheit und deren Überwindung sprechen. Die bisherige IT-Sicherheitsgesetzgebung greift zu kurz, weshalb ich in einem großen Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnik Alternativen zur IT-Sicherheitsregulierung entwickle. Die Ergebnisse werden Anfang 2020 vorliegen.
Ich sehe unterdessen in KI-Anwendungen – die ihrerseits auf der Analyse großer Datenmengen, also Big Data beruhen – ein großes Potenzial.
Technische Entwicklungen wie Big Data oder Künstliche Intelligenz rufen bei vielen Menschen eher ein Potenzial von Bedrohung hervor, als eine Lust auf den technischen Fortschritt. Liegen die Menschen mit diesem skeptischen Gefühl richtig?
Das nachvollziehbare Unsicherheitsgefühl der Menschen mit Blick auf technische Innovationen wie dem Einsatz sogenannter Künstlicher Intelligenz, also selbstlernender Systeme, beruht im Wesentlichen auf dem fehlenden Verständnis für die zugegebenermaßen komplexen Zusammenhänge. Ich sehe unterdessen in KI-Anwendungen – die ihrerseits auf der Analyse großer Datenmengen, also Big Data beruhen – ein großes Potenzial. Denken wir nur an die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge durch bessere Diagnosen und zielgerichtete Therapien. Recht hat hier die Aufgabe, einen regulatorischen Rahmen herzustellen, in dem Chancen und Risiken, etwa für Privatheit und Persönlichkeitsschutz, in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.
Wie beurteilen Sie generell den „Gleichschritt“ von Recht und digitaler Entwicklung, kann das Recht das Tempo noch mitgehen, muss es das überhaupt?
Sicherlich hinkt das Recht der Digitalisierung hinterher; das ist dem demokratischen Prozess einerseits und der rasanten technologischen Entwicklung andererseits geschuldet. Dies muss aber kein Nachteil sein. Wir beobachten heute eine neue Auseinandersetzung um politische Ziele, ihre Durchsetzung und das Aushandeln von Interessen. Pointiert formuliert: Sie erreichen manchmal mehr Menschen über ein Youtube-Video als über eine parlamentarische Debatte. Natürlich ersetzen solche Diskurse nicht die demokratischen Verfahren, die unsere Verfassung aus guten Gründen vorschreibt. Sie tragen aber zur Akzeptanz der Menschen hinsichtlich bestimmter Verhaltensweisen im Internet bei und bewirken damit etwas, was im klassischen Schema „Befehl und Zwang“ heute oft nicht mehr funktioniert: den tatsächlichen Ausgleich von Interessen durch faires Verhalten. Gesetze bieten nach wie vor einen notwendigen regulatorischen Rahmen, auch in digitalisierten Lebensbereichen. Wie sich Menschen aber tatsächlich verhalten, hängt nicht weniger von sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen ab, auf die das Recht nur bedingt Einfluss hat.
Wir brauchen faktisch einsetzbare Alternativen zu fragwürdigen IT-Systemen aus den USA oder China – und nicht den untauglichen Versuch, diese durch Gesetze fernzuhalten.
Die digitale Welt verlangt in einigen Bereichen nach internationalen Gesetzen. Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist ein Anfang, zunächst wurde sie sehr kritisch betrachtet. Wie bewerten Sie die Verordnung heute?
Die DSGVO hat das vor ihr geltende Datenschutzrecht in Deutschland kaum verändert, sehr wohl aber Bewusstsein geschaffen für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Das war notwendig und dient letztlich dem Schutz von Privatheit und Persönlichkeitsschutz in einer zunehmend transparenten digitalen Welt, die den einzelnen durch Profilbildung determiniert. Teilweise erweist sich die DSGVO sogar als Exportschlager, schaut man nach Kalifornien, wo sie Vorbild neuer Datenschutzregulierung ist. Im Übrigen brauchen wir in Europa weniger Regulierung als vielmehr eine Mentalität zur verantwortungsbewussten Gestaltung von Technologien. Wir brauchen faktisch einsetzbare Alternativen zu fragwürdigen IT-Systemen aus den USA oder China – und nicht den untauglichen Versuch, diese durch Gesetze fernzuhalten.
Mit Blick auf junge Juristen, die im Bereich Recht und Digitalisierung Karriere machen möchten, welches Knowhow und welche Interessen abseits des Jura-Fachwissens sind für Sie wichtig?
Jura sollte interdisziplinär, praxisorientiert und mit Leidenschaft für Innovationen gelehrt und gelernt werden. Digitalisierung sollte nicht nur Gegenstand, sondern auch Mittel der Lehre sein, um technische Zusammenhänge besser zu begreifen. Man sollte deren Durchdringung nicht als anstrengend, sondern als bereichernd empfinden.
Die Themen der Digitalisierung entwickeln sich schnell weiter, immer wieder tauchen neue auf. Wie informieren Sie sich? Wie halten Sie persönlich Schritt?
Neben der Lektüre hervorragender Newsletter und Blogs ist es besonders der persönliche Austausch in meinem großen fachlichen Netzwerk mit Vertretern der Hochschulen, Unternehmen, Ministerien oder Verbände, von dem ich täglich profitiere. In meinen Forschungsprojekten lerne ich viel von meinen Projektpartnern aus den anderen Fachdisziplinen.
Zum Lehrstuhl
Mit der Berufung von Prof. Dr. Dirk Heckmann setzt die TU München in der Forschung zur Digitalisierung einen neuen Akzent: Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche führe zu völlig neuen juristischen Herausforderungen, heißt es in einer Pressemitteilung der Uni zur Personalie. „Die Rechtsordnung muss die technischen Entwicklungen nicht nur berücksichtigen, Technologien ermöglichen bereits eine automatisierte Rechtsdurchsetzung.“ Mit der Berufung von Dirk Heckmann zum Professor für Recht und Sicherheit der Digitalisierung eröffne die TUM ein neues Feld in der Forschung zur Digitalisierung und setzte dabei konsequent auf die Verschränkung der Sozial- und Technikwissenschaften. Mit diesem fachübergreifenden Ansatz wolle sie dazu beitragen, den gesellschaftlichen Wandel durch rasante technologische Entwicklung zu verstehen und verantwortungsbewusst zu gestalten.