Angesichts von etwa 32 Millionen Arbeitnehmern in Deutschland liegt die praktische Relevanz des Arbeitsrechts auf der Hand. Eine eigene Gerichtsbarkeit mit dem Bundesarbeitsgericht an der Spitze, über 9000 Fachanwälte – die größte Anzahl aller – und ein Regelungsdickicht von mehr als 30 Einzelgesetzen allein im Individualarbeitsrecht bieten ein ebenso abwechslungsreiches wie juristisch anspruchsvolles Rechtsgebiet. Von Reinhart Kohlmorgen und Thomas Heß.
Die Autoren einer 2006 von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Abhandlung zur Notwendigkeit einer Reform des Arbeitsrechts empfahlen scherzhaft den Arbeitnehmern und Arbeitgebern die „Lektüre des mit 2841 Seiten noch verhältnismäßig handhabbaren Erfurter Kommentars“, um sich einen Überblick über die für sie relevanten Vorschriften zu verschaffen. Tatsächlich ist es dem Gesetzgeber bislang nicht gelungen, ein von vielen Seiten schon seit langer Zeit gefordertes Arbeitsgesetzbuch einzuführen. Vieles im arbeitsrechtlichen Paragrafendschungel ist nach wie vor undurchsichtig: Wer hätte wohl im „Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes“ von 2002 tiefgreifende Änderungen des Rechts zum Betriebsübergang erwartet?
Von diesen gesetzgeberischen Unzulänglichkeiten sollte sich jedoch kein junger Jurist, der sich für Arbeitsrecht interessiert, zu sehr beeindrucken lassen. Kaum ein anderes Rechtsgebiet eröffnet solch eine Fülle spannender und zugleich abwechslungsreicher Sachverhalte, die häufig genug auch einer gerichtlichen Klärung bedürfen. Dabei heißt es immer auch, die höchstrichterliche Rechtsprechung im Auge zu behalten. Fast keine Rechtsfrage kann ohne Beachtung des einschlägigen Richterrechts beantwortet werden, wobei vor allem die Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs in den letzten Jahren für das Arbeitsrecht enorm angewachsen ist. Das Kündigungsschutzgesetz als zentrale Vorschriftensammlung bildet natürlich das konfliktträchtigste Feld für den Arbeitsrechtler ab: Seien es Straftaten oder Beleidigungen gegen den Arbeitgeber, umgekehrt aber auch die schikanöse Behandlung von Arbeitnehmern, die im schillernden Begriff des „Mobbings“ Eingang in den alltäglichen Sprachgebrauch gefunden hat, die Voraussetzungen für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen Langzeitkranker und natürlich das weite Feld betriebsbedingter Entlassungen in Zeiten einer in immer kürzeren Intervallen schwankenden Konjunktur – man möchte fast behaupten, dass der Fachanwalt für Arbeitsrecht kaum je selbst Gefahr laufen dürfte, beschäftigungslos zu werden.
Gerade bei Kündigungen ist aber nicht unbedingt der streitlustige Interessenvertreter gefragt, der scheuklappenartig auf ein für seinen Mandanten günstiges Gerichtsurteil fixiert ist. Vor dem Arbeitsgericht werden zumeist Vergleiche geschlossen, da ist vor allem ein hohes Maß an Pragmatismus gefragt. Häufig möchte sich ein Arbeitnehmer zwar gegen eine aus seiner Sicht ungerechtfertigte Kündigung wehren, eine Rückkehr an den Arbeitsplatz – wie es das Gesetz bei unwirksamen Kündigungen vorsieht – wird aber häufig gar nicht gewollt. Hier muss der Arbeitsrechtler mit Augenmaß, taktischer Finesse und Verhandlungsgeschick vor allem die für seine Partei günstigsten Modalitäten einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Auge haben.
Seiner großen Verantwortung sollte sich der Fachanwalt für Arbeitsrecht immer bewusst sein, geht es doch beim Arbeitsverhältnis – anders als bei einem Nachbarschaftsstreit oder einer Auseinandersetzung um Mängel eines gebraucht gekauften Pkws – zumeist doch um ganz existenzielle Fragen, nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für einen Unternehmer, der durch Stellenabbau seine Firma retten will. Die Bereitschaft, über den arbeitsrechtlichen Tellerrand hinauszuschauen, sollte vorhanden sein. Nicht selten eröffnen sich steuer-, sozial- oder gar strafrechtliche Fragen, wie bei den zuletzt so sehr in die öffentliche Wahrnehmung gerückten Fällen von Kündigungen wegen Bagatelldiebstählen.