Das Europarecht ist in aller Munde. Beinahe täglich hören wir von wegweisenden EuGH-Urteilen, neuen Richtlinien aus Brüssel, Beschlüssen und Vorschlägen der EU-Kommission, Kompetenzkonflikten zwischen den Gerichtsbarkeiten. Wer schaut da noch durch? Und kann es „den“ Europarechtler überhaupt noch geben? Von Dr. Ulrich Karpenstein, Partner bei Redeker Sellner Dahs, Berlin/Brüssel
Gewiss kann es den allwissenden „Europa-Anwalt“ ebenso wenig geben, wie einen Anwalt für das gesamte deutsche Recht. Der Normenbestand des europäischen Sekundärrechts ist dafür längst zu groß geworden. Deshalb und dafür gibt es in der Anwalt- und Beamtenschaft Spezialisten, die sich in den europarechtlich geprägten Sachmaterien auskennen, sie begleiten und auf den Einzelfall anwenden – vom Kartell- und Beihilfenrecht, Umwelt-, Zoll- und Außenwirtschaftsrecht, bis hin zum europäischen Asyl- und Gesellschaftsrecht.
Und doch gibt es auch „die“ Europarechtler, die mit wissenschaftlicher Durchdringung das gesamte Spektrum des europäischen Primär- und Sekundärrechts, namentlich in politisch relevanten Fällen, abdecken. Nur wenige Kanzleien bieten dieses Spektrum an – umso vielfältiger und spannender sind die Verfahren, um die es dann geht:
Entsprechen die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Stabilitätsmechanismus dem deutschen und dem europäischen Verfassungsrecht? Lässt sich die Vorratsdatenspeicherung mit der Europäischen Grundrechtecharta vereinbaren? Wie weit reichen nach den EU-Verträgen die Kompetenzen der EU-Kommission und des EuGH zur Sanktionierung der Mitgliedstaaten? Haben die Mitgliedstaaten eine Beurteilungsprärogative zum Schutz ihrer nationalen Interessen, etwa in der Umwelt-, der Verteidigungs- oder der Gesundheitspolitik? Und unter welchen Voraussetzungen haftet Deutschland für die Nichtumsetzung von Unionsrecht?
Interessierte Berufsanfänger tun gut daran, sich Kanzleien oder Behörden, die dieses Spektrum anbieten, schon im Referendariat anzusehen.
Alle diese und unzählige weitere Fragen treten in den unterschiedlichsten Konstellationen auf, werden von Mandanten mit divergierenden Interessen – von den mitgliedstaatlichen Regierungen über Unternehmen und Verbände bis hin zu europäischen Institutionen – aufgeworfen und müssen meist vor Gerichten ausgefochten werden, die unterschiedlicher nicht sein können: Den Unionsgerichten (EuG und EuGH), die für ihre europarechtsfreundliche Entscheidungspraxis bekannt sind und deutschen Zivil- und Fachgerichten, von denen viele das Unionsrecht und den EuGH noch immer scheuen.
Interessierte Berufsanfänger tun gut daran, sich Kanzleien oder Behörden, die dieses Spektrum anbieten, schon im Referendariat anzusehen. Erwartet werden – neben politischem Fingerspitzengefühl – herausragende rechtswissenschaftliche Fähigkeiten, Engagement sowie eine Formulierungsgabe, die den anspruchsvollen Erwartungen der Mandanten – ihrerseits meist erfahrene Juristen aus Rechtsabteilungen – in jeder Hinsicht gerecht wird. Ihnen sei versprochen: Der Aufwand lohnt!