Seit 2004 sind die Rechte der Flugpassagiere in der EUFluggastrechteverordnung geregelt. Und auch das Bürgerliche Gesetzbuch schützt Passagiere bei weiteren relevanten Flugrechtsvergehen. Diese Gesetze machte sich Igor Maas zunutze, um ein Legal Tech-Unternehmen zu gründen. Die Fragen stellte Christoph Berger.
Zur Person
Igor Maas studierte in den USA Betriebswirtschaftslehre und absolvierte dann einen MBAStudiengang in Grenoble, Frankreich. Danach arbeitete er sieben Jahre lang für kleine, schweizerische Unternehmensberaterboutiquen, später für eine Unternehmensberatung in München. 2016 gründete er mit seinem Cousin und heutigen Partner, Djavad Ali, MyFlyright.
Igor, wie kam es zu der Gründung von MyFlyright?
Wir waren damals schon länger auf der Suche nach einer Idee für eine Unternehmensgründung. Da ich als Unternehmensberater viel unterwegs war, es auf den Reisen immer wieder zu Flugverspätung kam, fragte mein heutiger Partner eines Tages, ob ich meine Fluggastrechte kenne. Damals wusste ich nichts davon. Aber ich schaute mir die Sache genauer an und stellte fest, dass es vielen Menschen wie mir ging und, dass dahinter ein riesiger Markt stecken könnte. So war die Idee geboren. Es gab zwar schon einige Anbieter mit ähnlichem Angebot, doch der Markt war noch längst nicht abgeschöpft.
Grundlage eurer Idee ist eine Rechtsberatung. Wie kam es dann dazu, ein Legal Tech-Unternehmen zu gründen?
Da wir beide keine Juristen sind, machten wir uns auf die Suche nach Lösungsansätzen. In Gesprächen mit Anwälten stellten wir aber fest, dass die Mandanten bei derartigen Fällen nicht die beliebtesten Kunden sind: Zwar gibt es einen Streitwert, der allerdings auch einem Aufwand gegenübergestellt werden muss. Für viele Anwälte lohnt es sich nach einem solchen Vergleich nicht, in diesem Bereich tätig zu werden. Gleichzeitig stellten wir bei unseren Anwaltsbesuchen fest, dass es in den Kanzleien noch zahlreiche ineffiziente Vorgänge gibt. So kam uns die Idee, eine Logik hinter den Prozessen zu suchen und diese festzuhalten. Und eine, die sich digitalisieren lässt. Dann galt es, die Theorie in ein IT-Produkt umzuwandeln. Das war die Geburtsstunde unserer Website.
Die letzten Jahre scheinen zu zeigen, dass euer Produkt ankommt.
Ja, wir haben sehr schnell gemerkt, dass wir mit dem Produkt Kunden abfangen können. Die Hauptherausforderungen bestanden somit in der Technik sowie in den hinter jedem Fall stehenden Prozessen. Die Anschreiben müssen aufgesetzt und die Erfolgschancen eines jeden Fall ausgewertet werden; es braucht ein automatisiertes Monitoring, um Mahnschreiben automatisch zu verschicken; Anwälte müssen über Schnittstellen angegliedert werden, damit sie die Fälle automatisiert in ihre Systeme übertragen bekommen und entsprechende Klagen stellen können. So ist mit der Zeit aus einem Softwareprodukt eine Maschine geworden, in die sämtliche Stakeholder eingebunden sind. Jede Aktion wird dabei im Grunde von der Maschine vorgegeben, alle Beteiligten haben dann wiederum ihre eigenen Systeme, um ihre Aufgaben schneller abarbeiten zu können.
Es gibt demnach noch Aufgaben für den Menschen, die nicht von der Maschine übernommen werden?
Jein. Es gibt sicherlich noch Schritte, in die der Mensch integriert ist, aber vieles läuft auch vollkommen automatisiert. Zum Beispiel: Ob sich aus einer Verspätung oder einem Flugausfall ein Anspruch ergibt, entscheidet in 95 Prozent der Fälle die Maschine.
Ein Vorteil von künstlicher Intelligenz ist, dass sie selbst dazulernt. Trifft das auch auf eure Maschine zu?
Das kann man so sagen, ja. Ein Beispiel: der Vergleich von Fällen, die reinkommen, mit denen, die wir erfolgreich abschließen. Anhand der dabei gewonnenen Daten kann das System seine Prognosen hinsichtlich eines erfolgreichen Ausgangs für uns immer besser vorhersagen. Erfasst werden dabei beispielsweise Wetterdaten, Angaben zum Flugzeugtypen und der Flughafen. Neue Fälle werden dann mit den bereits existierenden Daten sowie dem Ausgang alter Fälle abgeglichen. Ein anderes Beispiel – man wird es kaum glauben: Wir hatten schon Fälle, in denen wir an drei verschiedenen Standorten der Airline klagen konnten. Prinzipiell dachten wir, dass es egal ist, wo wir klagen. Doch wir hatten auch schon Fälle, in denen sich Gerichte zum selben Fall nicht einig waren. Unser System sucht sich daher vor allem die Gerichte, sofern eine Auswahl besteht, die uns wohlgesinnt zu sein scheinen. Natürlich ist dies alles dynamisch zu betrachten. Unser System basiert letztlich auf Statistiken, anhand derer es entscheidet.
Wie viele Fälle landen überhaupt vor Gericht, geht es nicht oftmals vor allem um einen Schriftwechsel mit der jeweiligen Fluggesellschaft?
Du wirst es nicht glauben, aber etwa 40 Prozent der Fälle landen vor Gericht. Und der Umstand ist nicht optimal für uns: Wir gehen mit den Kosten in Vorleistung, Kunden müssen lange auf Entschädigung warten.
Im Mai 2019 habt ihr euren Service auf Gepäck und Zusatzkosten ausgeweitet. Laufen diese Fälle mit einem ähnlichen Algorithmus?
Hierbei befinden wir uns noch in der Lernphase, prinzipiell laufen die Fälle aber nach einem ähnlichen Muster. Wir haben gewisse Hypothesen getroffen, nach denen wir arbeiten, und sammeln nun unsere Erfahrungswerte. Die Herausforderung mit diesen neuen Angeboten ist allerdings, dass sie nicht auf eine EU-Verordnung zurückzuführen sind, sondern auf anderen Gesetzesgrundlagen basieren und es mit diesen vor die Gerichte geht. Das macht zum einen das Prozessieren vor Gericht schwieriger, zum anderen die hinter den Vorgängen stehenden Prozesse komplexer. All das muss von unserem System koordiniert werden.
Als Gründer hast du Einblick in die Legal Tech-Szene: Wie ist deine Einschätzung, wie sehr wird die Rechtsbranche noch von der Digitalisierung durchgerüttelt werden?
Seit unserer Gründung ist es spannend zu sehen, wie das Thema Legal Tech an Fahrt zugenommen hat. Gerade auch in der Politik und bei den Lobbyisten hat es an Bedeutung gewonnen. Allerdings ist die Frage zu stellen, wie viele dieser Start-ups tatsächlich erfolgreich sind. Nach meiner Einschätzung hält sich die Anzahl in Grenzen. Man muss erstens ausreichend Kunden für seine Idee finden, zweitens braucht es extrem gute IT- und Software-Systeme, um die Prozesse effizient durchzuarbeiten – das kostet extrem viel Geld und Know-how, und drittens braucht es eine solide Finanzierung. Das Problem von Gründern ist ja, dass sie extrem viel vorfinanzieren müssen. Mit Geld wird man in dieser Phase nicht wirklich überhäuft und muss lean arbeiten. Die Unternehmen, die diesen Spagat hinbekommen und tatsächlich den Durchbruch schaffen, kann ich aus meiner Sicht an einer Hand abzählen. Aber es werden mehr und die Digitalisierung wird weiter an Bedeutung gewinnen. Das ist spannend zu beobachten.