Neben den klassischen Berufseinstiegsoptionen bietet sich Anwält*innen zunehmend eine weitere Alternative: die Arbeit als Projekt-Anwält*in. Zeitlich auf das jeweilige Projekt begrenzt und zu klar definierten Konditionen wird diese Arbeitsform von Agenturen organisiert – Mandantenakquisition inklusive. Von Christoph Berger
Schaut man sich an, welche Kennzeichen mit New Work verbunden werden, so werden in sämtlichen Aufzählungen unter anderem immer wieder neue und flexible Arbeitsstrukturen sowie zeitliche, räumliche und organisatorische Flexibilität genannt. Ebenso werden Selbstständigkeit und Freelancertum mit der Transformation der Arbeitswelt in Verbindung gebracht. Fragt man Absolvent*innen, was sie sich von ihrem Job erhoffen, so sind dies laut der aktuellen Zenjob Gen-Z-Studie für 50 Prozent feste Arbeitszeiten. Für die andere Hälfte ist es Flexibilität. Hier ist die Generation also in sich gespalten. Eindeutig ist die Antwort hingegen auf die Frage nach Autonomie hinsichtlich der Zeiteinteilung: 83 Prozent wünschen sich diese. Flexibilität, selbstbestimmtes Arbeiten und eine ausgewogene Work- Life-Balance sind in jedem Fall Jobcharakteristika, die in den letzten Jahren stark an Bedeutung für die Absolvent* innen und Berufseinsteiger*innen gewonnen haben.
Und es sind Attribute, die neue Akteure in der Rechtsbranche mit ihren Konzepten versprechen. Dabei handelt es sich nicht um eine neue Kanzlei-Form, sondern vielmehr um Agenturen, die sich auf die Vermittlung von Projektjurist*innen spezialisiert haben. Sie vermitteln Anwält*innen auf Zeit, das heißt Projektjuristen, immer wieder auch Lawyers on Demand oder Legal Interim Manager genannt. Eine solche Agentur beziehungsweise solch ein Professional Service Provider ist zum Beispiel Vario Legal. „Wir verstehen uns als Partner für Mandanten und Rechtsanwälte“, erklärt Susanne Mühlbauer, Account Managerin des Unternehmens. Ziel sei es, dass sowohl die Anwälte als auch die Mandanten zufrieden seien. Die eigene Rolle beschreibt Mühlbauer folgendermaßen: „Als Partner der Anwälte unterstützen wir sie dabei, spannende Mandate zu akquirieren, in dem wir passende Projekte für sie identifizieren und den Kontakt zum Mandanten haben. Darüber hinaus unterstützen wir sie dabei, sich optimal zu präsentieren und ihr Profil zu schärfen.“
Dazu gehöre nicht nur die Begleitung während der Projekte, sondern auch in den Zwischenphasen: „Wir helfen beispielsweise beim Vertragsabschluss, bei inhaltlichen Fragen und stehen immer gerne mit Rat und Tat oder einem offenen Ohr zur Seite.“ Koordinierung des Vertragsabschlusses deshalb, da die von Vario vermittelten Anwält*innen eine Mandats- und eine Vergütungsvereinbarung direkt mit den Mandaten abschließen und auch direkt von diesen bezahlt werden.
Abwechslungsreiche Projekte
Und in welchen Projekten werden die „Jurist*innen auf Abruf“ eingesetzt? Susanne Mühlbauer erklärt: „Typische Einsatzszenarien sind etwa die personelle Überbrückung von Elternzeiten oder Vakanzen.“ Auch Unterstützung bei Sonderprojekten, zum Beispiel bei Transaktionen oder bei umfangreichen Rechtsstreitigkeiten, würden von Mandantenseite angefragt. „Wir arbeiten mit einem handverlesenen Pool hochqualifizierter Anwälte aus den verschiedensten Fachbereichen“, erklärt Mühlbauer. Um in diesen Pool aufgenommen zu werden, wird nicht nur großer Wert auf die rechtliche Expertise der Anwälte*innen gelegt, sondern genauso auf deren Soft Skills: zum Beispiel ein offenes Mindset, Kollegialität, Zuverlässigkeit und gute kommunikative Fähigkeiten. Voraussetzung ist außerdem, dass die Anwälte mit Projektstart eigenständig und kompetent beraten können. Mühlbauer empfiehlt daher, drei Jahre Berufserfahrung mitzubringen, idealerweise mit Inhouse- oder Großkanzleierfahrung.
Ein Muss sind zwei erfolgreich abgeschlossene Examina sowie verhandlungssichere Deutsch- und Englischkenntnisse aufgrund der internationalen Mandantschaft. Project Lawyering ist im anglo-amerikanischen Rechtskreis als dritter Karriereweg bereits etabliert. In Deutschland ist das Konzept im Kommen und stetig wachsend. „Doch auch hierzulande gibt es immer mehr Kollegen, die sich für eine Tätigkeit als Interim- Anwalt entscheiden“, weiß Mühlbauer. Wobei die Gründe dafür vielfältig sind. „Viele Projektanwälte, die häufig zuvor mehrere Jahre in Rechtsabteilungen oder Kanzleien tätig waren, finden die Möglichkeit attraktiv, spannende und abwechslungsreiche Mandatstätigkeit mit persönlicher Unabhängigkeit und Flexibilität zu verbinden, etwa weil sie aufgrund ihrer familiären Situation auf ein flexibleres Tätigkeitsmodell angewiesen sind.“
Eine Einschätzung, die Julius Mörder von Centurion Plus teilt. „Da wir immer auf Projektbasis zusammenarbeiten, bestehen keinerlei Verpflichtungen ein „Mandat“ anzunehmen, sollten die Anwälte gerade Kapazitätsengpässe haben. Zudem ergeben sich häufig Folgemandate, bei denen Centurion Plus nicht zwangsläufig eingebunden sein muss“, erklärt der Anwalt. Auch er hebt den Agenturcharakter hervor, indem er betont, dass Centurion Plus keinerlei Rechtsdienstleistungen in Deutschland anbiete, sondern „Lawyers-on-Demand“ an Unternehmen, Gründer und Privatpersonen vermitteln würde. Vor allem solche, die auf Unternehmensgründungen und Einwanderungsfragen spezialisiert seien. Und, was wohl der Projektarbeit geschuldet ist: „Wichtiger als Noten sind für uns Zuverlässigkeit und englische Sprachkenntnisse, da unsere Kunden überwiegend aus dem Ausland kommen.“ Centurion übernimmt alle administrativen Aufgaben und ist für den reibungslosen Ablauf des Projekts verantwortlich. „Für die Anwälte hat das den Vorteil, dass wir die Akquise übernehmen“, sagt Mörder.
Keine Konkurrenz, sondern ergänzende Funktion
In einem Fachbeitrag schreibt der Legal Interim Manager Dr. Alexander Deicke, dass Legal Interim Manager nicht zwingend in Konkurrenz zu Unternehmensjuristen oder Syndikusanwälten stehen, da ihnen oft eine ergänzende Funktion zukomme – bei Legal-Interim-Einsätzen gehe es im Gegensatz zu externer Beratung vielmehr um die konkrete Umsetzung im Unternehmen beziehungsweise beim Mandanten. Und: „Dabei ist der Markt für zeitlich befristete Einsätze aus meiner Sicht ganz klar ein Wachstumsmarkt. Nirgends sonst sind Skaleneffekte in diesem Umfang möglich. Wenn dann noch über eine Digitalisierung hinsichtlich der Vermittlung nachgedacht wird, wie zum Beispiel durch eine Matching-Plattform, hätten wir ein disruptives Geschäftsmodell.“
Für junge Jurist*innen bedeutet die Arbeit als Projektjurist*in, an interessante Mandate zu kommen bei gleichzeitiger Erhaltung der eigenen Flexibilität. Zudem kann die Arbeitsform eine Möglichkeit bieten, sich finanziell bei der eigenen Kanzleigründung abzusichern und „Leerphasen“ zu überbrücken. Oder, wie Susanne Mühlbauer von Vario Legal bereits gesagt hat: Die Verbindung spannender und abwechslungsreicher Mandatstätigkeit mit persönlicher Unabhängigkeit und Flexibilität. Also: New Law.
Podcast-Tipp:
Wie verändert die Digitalisierung die Rechtsbranche? Wird Künstliche Intelligenz Anwälte arbeitslos machen? Welche Geschäftsmodelle werden sich durchsetzen? Welche Fähigkeiten sind in der Zukunft gefragt? Diesen Fragen widmet sich der Podcast recode.law:
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