In seinem Buch „Lüg mich nicht an!“ beschreibt der Jurist und Gerechtigkeitsforscher Markus Schollmeyer seine Erfahrungen bei der Wahrheitssuche. Doch er betont, dass es sich dabei nicht um ein Fachbuch für Anwälte handelt. Denn: Ehrlichkeit und Wahrheit würde uns allen ein besseres Leben ermöglichen. Die Fragen stellte Christoph Berger
Zur Person
Markus Schollmeyer, geboren 1969, studierte Rechtswissenschaften und Journalismus in Los Angeles, Hamburg und München. Seit 30 Jahren ist er zugelassener Rechtsanwalt und seit 15 Jahren als Coach in München tätig. Seit Gründung seines Instituts für Gerechtigkeitsforschung ist er in Medien und auf Kongressen Redner und Experte zu den Themen Fairness, Gerechtigkeit und soziale Intelligenz. Neben seinen Mitgliedschaften in diversen Vereinen und Verbänden engagiert er sich als (Mit)Gründer zahlreicher Start-ups weltweit. 2019 war er Experte in der Sat-1-Sendung „Ungelogen – das ehrlichste Gespräch“, die den Impuls zum vorliegenden Buch gab. www.markusschollmeyer.com
Herr Schollmeyer, wie definieren Sie den Begriff Wahrheit?
Die Wahrheit ist eine Feststellung, die frei von Lügen, Verfälschungen und Unrichtigkeiten ist.
Und gibt es diese eine Wahrheit an sich?
Nein, die gibt es nicht. Aber es gibt Wahrheit, Augenzeugen kennen sie zum Beispiel.
Ich habe den Eindruck, dass es heute immer schwieriger wird, über Wahrheit zu sprechen, jeder Mensch hat seine eigene Wahrheit.
Es gilt, zwischen Wahrheit und Meinung zu unterscheiden. Beim Austausch von Meinungen fühlen sich Menschen angegriffen und sagen: Das stimmt doch überhaupt nicht. Meinungen können immer stimmen.
Aber zu was führen Unrichtigkeiten und Lügen?
Lügen spalten die Gesellschaft.
Muss jeder Mensch damit rechnen, belogen zu werden?
Klar, mehrmals am Tag sogar.
In Ihrem Buch „Lüg mich nicht an!“ schreiben Sie, dass es für Wahrheit Vertrauen bedarf. Ist Vertrauen dann nicht Naivität?
Wenn ich vertrauen kann, bin ich nie naiv. Nur, wenn ich nicht vertrauen kann, wenn ich nicht erkenne, dass ich belogen werde, bin ich naiv. Naivität wäre es, auf die Richtigkeit der Dinge zu vertrauen, auf „es wird schon irgendwie werden“.
Welche Rolle spielt die Wahrheit in der Welt des Rechts?
So gut wie keine. Die Wahrheit interessiert vor Gericht nur die wenigsten Leute. Dort geht es nur darum, das Verfahren abzuschließen, um Prozesseffektivität. Und der erfolgreichste Anwalt ist der, der die Interessen des Mandanten durchsetzt. Ob dies mit einer Lüge geschieht oder nicht, ist vollkommen egal – nirgendwo wird mehr gelogen als vor Gericht. Das Gericht ist ein Ort geworden, an dem sich Menschen auf körperlich gewaltfreie Art ihre Vorteile sichern wollen.
Wie wichtig ist es aber für den Anwalt, die Wahrheit über seine Mandanten zu kennen?
Dies würde ich als sehr wichtig erachten, da man ansonsten schnell instrumentalisiert wird. Das wäre dann wieder Naivität.
Aus Ihrer Erfahrung: Ist das Vertrauen zwischen Anwalt und Mandant in der Regel von Beginn an so vertrauensvoll, dass der Anwalt die Wahrheit erfährt?
Das hängt davon ab, wie sich der Anwalt aufstellt. Wenn bei der Annahme des Mandats klargemacht wird, dass Ehrlichkeit erwartet wird und die Konsequenz für Nichtwahrheit die Niederlegung des Mandats bedeuten kann, dann knicken die meisten Mandanten ein und packen aus. Auch durch gutes Zuhören und Hinterfragen kommt man der Wahrheit näher.
Manchmal tun sich aber auch Anwälte leichter, wenn sie davon ausgehen, einen unschuldigen statt den wahren Täter vor sich zu haben.
In Ihrem Buch gehen Sie auch auf zulässige Lügen im Bewerbungsgespräch ein.
Vom Bundesarbeitsgericht wurden unzulässige Fragen festgestellt. Der Klassiker: Sind Sie schwanger? Auch eine Schwerbehinderung muss nicht angegeben werden, die Frage danach kann unwahr beantwortet werden. Es sei denn, sie beeinträchtigt die später auszuübende Tätigkeit.
Wie bewerten Sie demnach die Tatsache, dass das Recht oftmals über der Wahrheit steht?
Das ist ein grober Fehler. Das Recht hat der Wahrheit zu dienen und zu folgen. Und nicht andersrum.
Man kann ja beobachten und schauen, in welchen Situationen ein Mensch besonders nervös wird, und zu denen kann man nachfragen.
Das Finden der Wahrheit ist jedoch äußerst kompliziert. Wie steht sich jeder Mensch selbst beim Finden der Wahrheit im Weg?
Wenn er nur von sich ausgeht und sich nicht auf sein Gegenüber einlässt. Wer auf der Suche nach der Wahrheit ist, muss erst einmal wissen, wer er selbst ist, ansonsten kommt es zu Verzerrungen. Wer man ist, lässt sich übrigens relativ schnell mit Hilfe des Tests in meinem Buch rausfinden. Denn es ist so: Je ähnlicher mir ein Mensch ist, desto symphytischer ist er mir. Ist mir jemand hingegen unsympathisch, unterstelle ich ihm schnell mal eine Lüge.
Wie funktioniert die von Ihnen entwickelte BACON-Methode, mit deren Hilfe man der Wahrheit auf die Spur kommen kann?
Ein Lügendetektor funktioniert, indem er gewisse Werte eines Menschen misst. Verändern sich diese, geht man von Stress aus – und bei einer Lüge hat der Mensch Stress. Der Name meiner Methode resultiert aus „baseline context“. Ich schaue mir also die Basis eines Menschen an, ist er ruhig oder hektisch oder abgeklärt oder introvertiert. Und diese Erkenntnisse vergleiche ich mit dem Verhalten in konkreten Situationen. Man kann ja beobachten und schauen, in welchen Situationen ein Mensch besonders nervös wird, und zu denen kann man nachfragen.
Und in der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung, warum ist die Wahrheit für die Allgemeinheit so wichtig?
Weil man sie als gemeinsames Fundament für die Einigung der Gesellschaft nehmen und damit der Spaltung entgegenwirken könnte. Der eigene Vorteil und das Verdrehen der Tatsachen sind ja nicht das Ziel des Lebens. Oder anders gesagt: Es gibt Dinge, die über dem eigenen Vorteil stehen. Man muss sich das mal vorstellen. Wegen Lügen wurden schon Kriege begonnen. Lügen führen immer zu Konflikten, und von denen haben wir genug in der Welt. Mit der Wahrheit könnte man die Welt zumindest ein wenig friedlicher und harmonischer gestalten und damit ein besseres Leben für alle ermöglichen. Es geht dabei nicht um neue Umverteilungsmaßnahmen oder finanzielle Aspekte. Nehmen Sie das Beispiel Mobbing: Diese Art der psychischen Gewalt basiert auch meist auf Lügen.
Ihr Buch ist demnach ein Plädoyer für mehr Ehrlichkeit?
Der Arbeitstitel des Buches war „Der Wert der Wahrheit“. Diesen „Wert“ würde ich gerne wieder in Erinnerung bringen. Die Wahrheit hält die Gesellschaft zusammen, die Unwahrheit spaltet sie. Wobei verschwiegene Wahrheit auch unwahr ist.
Markus Schollmeyer:
Lüg mich nicht an! Kösel Verlag 2021, 16 Euro