Der juristische Nachwuchs erwartet von den Kanzleien, dass sie ethische Standards entwickeln und diese auch einhalten. Und zwar mit der Konsequenz, bestimmte Mandate dann abzulehnen, wenn sie gegen die Kriterien verstoßen. Für die Kanzleien entscheidet sich bei diesem Thema, ob es ihnen gelingt, die besten Talente für sich zu gewinnen. Ein Essay von André Boße
Das US-amerikanische Portal law.com, das über Nachrichten und Trends aus der Welt der Anwaltskanzleien berichtet, machte vor wenigen Monaten mit einem ungewöhnlichen Ranking auf sich aufmerksam. Statt die bei Mandanten beliebtesten oder fachspezifisch besten Law Firms zu listen, befragte die Autorin Hannah Walker international tätige Kanzleien, ob sie Mandate aus ethischen Gründen ablehnen – und wenn ja, aus welchen Gründen. Es ist ein ungewöhnlicher Ansatz für ein solches Ranking, in dem es eigentlich darum geht, zu zeigen, für wen man arbeitet – und nicht umgekehrt. Doch ungewöhnliche Zeiten verlangen nach ungewöhnlichen Studien.
5 Gründe für eine CSR-Strategie
In der Studie „Die Relevanz von CSR für die Zukunft“ vom Bucerius Center on the Legal Profession definieren die Studienautorinnen fünf Gründe, warum Kanzleien jetzt eine umfassende CSR-Strategie
erarbeiten sollten:
- Um im Recruiting Personal zu gewinnen.
- Um im HR-Bereich Personal langfristig zu binden.
- Um mit den Nachhaltigkeitsstandards der Mandanten übereinzustimmen.
- Um der Kanzlei eine zukunftsweisende Reputation zu geben.
- Um der Verantwortung für die Gesellschaft gerecht zu werden.
Quelle: Die Studie ist im Internet über die Homepage der Bucerius Law School abrufbar.
„Anwaltskanzleien taten sich traditionell schwer darin, ethische Linien zu benennen“, schreibt die Autorin. Schließlich stehe das Berufsfeld für die Devise, dass jede und jeder ein Anrecht auf juristische Beratung habe. „Jüngste Entwicklungen haben aber dafür gesorgt, ethische Haltungen zu entwickeln, wo es vorher keine gab.“ Konkret benennt Hannah Walker den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit den damit verbundenen Sanktionen, aber auch die weiter steigende Bedeutung des Klima- und Umweltschutzes sowie die Einhaltung von Menschen- und Kinderrechten.
In ihrer Studienzusammenfassung hält die Autorin fest, dass die Sozietäten in der Regel nicht prinzipiell Sektoren ausschließen, sondern Entscheidungen von Fall zu Fall treffen würden. „Viele der befragten Kanzleien gaben an, dass sie spezifische Komitees, Boards und Teams installiert haben, die sich der Prüfung der Mandate mit Blick auf verantwortungsvolle Geschäfte widmen.“ Diese Organisationen innerhalb der großen Kanzleien seien dabei von großer Bedeutung, da es in diesen Law Firms mit ihren Partnerstrukturen sowie Büros in verschiedenen Staaten mit jeweils unterschiedlichen Regularien ein komplexes Unterfangen darstellt, einheitliche ethische Standards zu entwickeln. Wobei diese Kriterien wichtig sind, um über ein Werkzeug zur Prüfung von Mandaten zu verfügen.
Geld zu bieten, reicht nicht mehr
Dass die Kanzleien im Rahmen dieser Befragung selbstbewusst angegeben haben, welche Art von Mandaten sie ablehnen, hat nach Argumentation der Autorin Hannah Walker vor allem damit zu tun, dass die junge Generation der Jurist*innen diese Haltung und Transparenz einfordert: Ein „lauter werdender Chor der jüngeren Anwält*innen“ treibe die Kanzleien dazu, das Thema Ethik nicht länger zu negieren, sondern dazu eine Haltung zu entwickeln und aus dieser heraus auch Konsequenzen abzuleiten, wenn ein Mandat offensichtlich den Kriterien entgegensteht. Diesen „Chor“ genauer zu beschreiben, ist der Anspruch der Studie „Die Relevanz von CSR für die Zukunft“, veröffentlicht vom Bucerius Center on the Legal Profession, das regelmäßig Analysen zu rechtsmarktrelevanten Themen durchführt.
Verein „Recht und Nachhaltigkeit”
2021 gründeten Studierende, Promovierende und junge Wissenschaftler:innen, die sich den rechtlichen Fragestellungen des innovationsgeprägten Rechts- und Interessengebiets „Recht und Nachhaltigkeit“ widmen, den Verein „Recht und Nachhaltigkeit e.V. – RuN“. „Der Nachhaltigkeitsbegriff kennt viele Definitionen”, heißt es auf der Website des Vereins. Nachhaltigkeit sei das Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden dürfe, als künftig wieder bereitgestellt werden könne. Das Herzstück des Vereins sind interne und öffentliche Diskussionsrunden, Vortragsreihen, Workshops, Studienfahrten und weitere Events. Um, wie es heißt, die Rechtswelt von morgen mitzugestalten.
Dabei steht CSR für Corporate Social Responsibility, also der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens. Warum dieses Thema für Kanzleien eine zentrale Bedeutung besitzt, schreiben die Studienautorinnen Franziska Adelmann und Emma Ziercke im Vorwort: Handlungsbedarf bestehe bei den Kanzleien nicht nur, um der ethischen Verantwortung gerecht zu werden, sondern auch, um im Umfeld einer „Knappheit an Talenten“ für eben jenen begehrten Nachwuchs attraktiv zu sein: „Es ist für Anwaltskanzleien an der Zeit, CSR ernst zu nehmen“, heißt es.
„Finanzielle Anreize reichen nicht mehr aus, um Talente nachhaltig für sich zu gewinnen.“ Zwar bleibe das Gehalt direkt nach dem Rechtsgebiet einer Kanzlei sowie der in der Kanzleikultur verankerten Work-Life-Balance der drittwichtigste Faktor bei der Auswahl einer Kanzlei als Arbeitgeber, doch folgten direkt danach ethische Kategorien wie die „Vereinbarkeit meiner Werte mit den nach außen kommunizierten Werten der Kanzlei“, die „ökologische Nachhaltigkeit der Kanzlei“ oder dem „Vorhandensein einer Corporate Responsibility Strategie“. Franziska Adelmann und Emma Ziercke interpretieren das Ergebnis so, dass in dem Moment, in dem junge Talente die Wahl zwischen Kanzleien haben, die eine fachlich interessante Arbeit und ein vergleichbares Gehalt bieten, sie sich dann für einen Arbeitgeber entscheiden, „der zu ihnen passt“ – und berücksichtigten dann Faktoren wie die Übereinstimmung der Werte und die soziale Verantwortung des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitenden „in besonderem Maße“, wie es in der Studie heißt.
CSR in Kanzleien: Viel Luft nach oben
Dass der jungen Generation CSR-Aspekte bei der Auswahl ihres Arbeitgebers wichtig sind, ist ein zentrales Ergebnis der Studie. Ein weiteres dreht sich um die Frage, was die Kanzleien bei diesem Thema zu bieten haben. Und hier zeigen die Daten: Es ist noch sehr viel Luft nach oben. „Fragt man Studierende und Young Professionals, wie gut deutsche Kanzleien ihre Ansprüche an die Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung eines Arbeitgebers erfüllen, vergeben sie auf einer Skala von 0 bis 5 im Durchschnitt 2,1 von 5 Punkten“, fassen die beiden Studienautorinnen das Ergebnis ihrer Befragung zusammen – und interpretieren: „Die durchschnittliche Kanzlei scheint bisher nicht erfolgreich erkannt zu haben, welche Erwartungen die junge Generation hat oder sich jedenfalls nicht ausreichend mit den Elementen der CSR beschäftigt zu haben.“
ESG in Rechtsabteilungen von Unternehmen
Die „Wolters Kluwer Future Ready Lawyer Studie 2022: Den Wandel anführen“ hat unter anderem hervorgebracht, dass der Bedarf an Erstellung und Verbreitung von ESG-Richtlinien und -Prozedere steigt: Demnach berichten „84 Prozent aller Rechtsabteilungen, ihre Kanzleien hätten im vergangenen Jahr verstärkt nach den ESG-Richtlinien ihres Unternehmens gefragt; 67 Prozent aller Rechtsabteilungen verlangen derzeit von Kanzleien deren Nachhaltigkeitsnachweise beziehungsweise die ESG-Richtlinien; weitere 30 Prozent planen dies innerhalb der nächsten drei Jahre“.
So hätten sich im Rahmen der Studie viele Studierende und Young Professionals enttäuscht darüber geäußert, „dass die im Vorhinein vermittelten Vorstellungen nicht der Realität entsprächen und gesetzte Ziele nicht erfüllt würden“. Entsprechend wichtig sei eine transparente Kommunikation, die es den Bewerbenden ermögliche, „zu entscheiden, ob ihre Werte mit den Werten der Kanzlei vereinbar sind“. Und noch einen Rat für die Kanzleien haben die Studienautorinnen an die potenziellen Arbeitgeber: „Nur, weil sich die Bewerbenden im Bewerbungsprozess nicht explizit danach erkundigen, bedeutet das nicht, dass CSR für sie nicht relevant ist.“ Das Gegenteil ist der Fall: Für viele Vertreter*innen der jungen Generation sind Themen wie Klimaschutz oder soziales Engagement heute ganz einfach eine Selbstverständlichkeit. Kanzleien, die hier wenig bis gar nichts zu bieten haben, enttäuschen ihre Talente und gefährden damit ein nachhaltiges Arbeitsverhältnis.
Ethisch fragwürdige Mandate ablehnen
Die Studie des Bucerius Center on the Legal Profession zeigt, dass 94,6 Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass Kanzleien nicht jedes Mandat annehmen sollten.
Womit wir bei der Frage sind, was der juristische Nachwuchs darüber denkt, bestimmte Mandate abzulehnen, wenn sie nicht mit den ethischen Standards der Kanzlei in Einklang zu bringen sind. Die Studie des Bucerius Center on the Legal Profession zeigt, dass 94,6 Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass Kanzleien nicht jedes Mandat annehmen sollten. Die Option, für die Abwägung über Annahme oder Ablehnung potenziell problematischer Mandate einen Kriterienkatalog zu erstellen, wird von einer deutlichen Mehrheit der Befragten befürwortet. Interessant ist dabei, dass viele Teilnehmenden die „Mandatsauswahl als erheblichen Faktor für den ökologischen Fußabdruck der Kanzleien wahrnehmen“, wie es in der Studie heißt. „Sie erwarten von Kanzleien also, auch die Tätigkeit ihrer Mandant*innen beziehungsweise den Einfluss ihrer Mandate auf die Umwelt als Teil ihrer Verantwortung zu betrachten.“
People, Planet und Profit in Einklang bringen
Der kritische Blick darauf, womit diese Unternehmen ihr Geld verdienen und auf welche Weise sie es mit welchen Folgen erwirtschaften, dürfte für die großen Wirtschaftskanzleien sehr bald zum Standard werden.
In ihrem Studienfazit fordern Franziska Adelmann und Emma Ziercke: „People – Planet – Profit: Alle drei Elemente müssen in einen besseren Ausgleich gebracht werden als bisher.“ Zwar sei das Ziel einer Kanzlei natürlich auch weiterhin, möglichst gute anwaltliche Dienstleistungen für Mandant*innen zu erbringen. „Maßgeblich für den Erfolg der Kanzlei ist dabei jedoch das Engagement und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden. Gerade deshalb muss eine exzellente Kanzleikultur angestrebt werden, die auf überzeugenden Werten basiert. Sie muss die Bedürfnisse von derzeitigen und zukünftigen Mitarbeitenden erfüllen.“
Wobei eines sicher sein dürfte: Die kommenden Nachwuchsgenerationen werden den CSR-Themen nicht weniger Bedeutung geben als es bei der jetzigen der Fall ist. Insbesondere beim Thema Klimaschutz darf es auch für Kanzleien keine Ausreden mehr geben. Weder bei der eigenen Arbeit – zum Beispiel mit Blick auf Dienstreisen mit dem Flugzeug oder dem Energie- und Ressourcenmanagement in der Kanzlei –, noch bei der anwaltlichen Arbeit für die Mandanten aus der freien Wirtschaft: Der kritische Blick darauf, womit diese Unternehmen ihr Geld verdienen und auf welche Weise sie es mit welchen Folgen erwirtschaften, dürfte für die großen Wirtschaftskanzleien sehr bald zum Standard werden.
Wirtschaft und Moral – ein Widerstreit?
Unter dem Titel „Wirtschaft und Moral – Ein Widerstreit? Denkanstöße zu Ökonomie und Ethik“ haben die zwei Geisteswissenschaftler Mathias Lindenau und Marcel Meier Kressing ein einführendes Buch herausgegeben, das zusammenbringt, was scheinbar unvereinbaren Sphären angehört: Ökonomie und Ethik. Aus einer sachlichen Perspektive heraus beleuchten die Texte unterschiedliche Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ethik, abseits der Vorurteile, nach denen die Ethik eine moralisierende und weltfremde Instanz sei, während die Ökonomie mit Profitsucht und Gier gleichzusetzen sei. Mathias Lindenau, Marcel Meier Kressing (Hrsg.): „Wirtschaft und Moral – Ein Widerstreit? Denkanstöße zu Ökonomie und Ethik“, transcript, 2022, 19 Euro