Als sich die Staatsanwältin Jana Ringwald entschied, ein Inhouse-Seminar zum Thema Cyberkriminalität zu besuchen, ahnte sie nicht, wie sehr sie dieses Thema fesseln würde. Heute ermittelt sie als Oberstaatsanwältin bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zusammen mit ihrem Team sehr erfolgreich bei Cyberattacken auf Unternehmen und Vergehen im Darknet. Auf welche Skills es dabei ankommt, erzählt sie im Interview. Die Fragen stellte André Boße
Zur Person
Jana Ringwald ist Oberstaatsanwältin bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Sie leitet dort das Team Cybercrime, das regelmäßig international koordinierte Ermittlungsverfahren mit dem Bundeskriminalamt führt. Jana Ringwald leitet zudem die Zentralstelle zur Verwertung virtueller Währungen der hessischen Justiz und bildet bundesweit Justiz- und Polizeiangehörige in der Sicherstellung und Einziehung von virtuellen Währungen aus. Vor ihrem Einstieg in diesen Bereich hatte sie nach ihrem Jura- und Geschichtsstudium eine konventionelle Karriere als Staatsanwältin gestartet.
Frau Ringwald, vor sieben Jahren besuchten Sie ein Inhouse-Seminar zum Thema Cyberkriminalität. Warum hat diese Weiterbildung alles geändert?
Diese Schulung fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem ich offen für etwas Neues war. In der Justiz gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen Expertentum einerseits und Verwendungsbreite andererseits. Das heißt, es werden Juristen benötigt, die in Feldern wie dem Betäubungsmittelstrafrecht oder dem Wirtschaftsstrafrecht tief in der Materie stecken. Wir dürfen aber nicht zu reinen Fachkräften werden, als Volljuristen müssen wir universell einsetzbar bleiben. Dieser Anspruch an unsere Arbeit wird mit zunehmender Spezialisierung zu einer echten Gratwanderung. Bei mir war es so, dass ich viele Jahre im Wirtschaftsstrafrecht tätig war. Mit Blick auf meine Laufbahn war es notwendig, auch Neuland zu beschreiten.
Was haben die Leiter der Inhouse- Schulung denn richtiggemacht, dass Sie dort Feuer gefangen haben?
Die Kollegen haben uns einen sehr anschaulichen und praxisnahen Eindruck von der Arbeit in ihrem Bereich gegeben. Dass man an das Ermitteln im Darknet ganz anders herangeht als an konventionelle Ermittlungen. Ich war wirklich blutige Anfängerin. Viele schreckt es ab, sich auf etwas völlig Neues wie Internetkriminalität einzulassen. Klar, das juristische Instrumentarium ist dasselbe. Aber es präsentiert sich in diesem Bereich komplett neu. Mich hat das sehr gereizt.
Abseits davon, dass Sie ein neues Feld erobern wollten – warum gerade dieses?
Es gibt eine gewisse Notwendigkeit, sich als Juristin und Staatsanwältin mit Internetthemen zu beschäftigen, weil wir in einer Zeit leben, in der die Cyberwelt immer weiter an Bedeutung gewinnt. Unser Leben findet zu großen Teilen auch im Netz statt. Das spiegelt sich in der kriminellen Welt. Bei der Schulung sah ich die Chance, als Staatsanwältin hier anzuknüpfen.
Wie haben Sie das notwendige Wissen erlangt?
Ich habe mich ins Internet begeben, mir dort das Wissen angeeignet, wie das Internet funktioniert, um zu verstehen, wie ich dort arbeiten muss. Auch Cyberkriminelle holen sich ihr Wissen im Netz. Gewissermaßen bin ich vorgegangen wie sie.
ZIT
Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) wurde 2010 als Außenstelle der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main errichtet. Sie ist erste Ansprechpartnerin des Bundeskriminalamtes für Internetstraftaten bei noch ungeklärter örtlicher Zuständigkeit in Deutschland oder bei Massenverfahren gegen eine Vielzahl von Tatverdächtigen bundesweit. Als operative Zentralstelle bearbeitet die ZIT besonders aufwendige und umfangreiche Ermittlungsverfahren aus den Deliktsbereichen Kinderpornographie, Darknet-Kriminalität, Cyberkriminalität im engeren Sinne wie Hackerbetrug oder Datendiebstahl sowie Hasskriminalität im Internet (Hate Speech).
Wieviel wissen Sie heute darüber?
Realistisch betrachtet, habe ich mir ein qualifiziertes technisches Laienwissen angeeignet. Die Profis, mit denen ich arbeite, wissen natürlich deutlich mehr. Nicht selbst die Expertin zu sein, ist aber auch Teil meines Jobs. Ich muss die neue Materie durchdringen und die Sachlage, nachdem ich meine rechtlichen Schlüsse daraus gezogen habe, zum Beispiel dem Ermittlungsrichter näherbringen. Der schaut vor allen Dingen durch eine juristische Brille auf unsere Anträge.
Sie verbinden also die Welt der Nerds mit der normalen juristischen Welt.
Genau, es ist eine meiner Aufgaben, eine Art kommunikative Brücke zu bauen. Ich habe gerade heute ein Gespräch geführt, bei dem ich meine Spezialisten noch mal gefragt habe: „Die Sache ist also folgendermaßen, hab‘ ich das richtig verstanden?“ Und die sagten: „Nein, das ist dieses Mal ein bisschen anders.“ Und dann wurde mir erläutert, was genau das ist. Auf diese Weise korrigiert zu werden, hilft mit, die jeweilige Sachlage für den justiziellen Apparat vorzubereiten.
Heißt: Für Ihren Job wäre ein IT-Studium eher hinderlich?
So weit würde ich nicht gehen, aber ich werde oft gefragt: „Wäre es nicht besser gewesen, du hättest Informatik studiert?“ Meine Antwort: Man muss es nicht studiert haben. Ideal wäre, man verbände als Staatsanwalt in meinem Bereich beides: IT-Fachwissen und Brückenfunktion. Wichtiger ist aber Zweiteres.
Sehen Sie, die Justiz ist ein sehr konventionelles Gebilde, und sie ist deshalb so beständig, weil sie sich selbst treu geblieben ist. Das bedeutet, dass ultramoderne Themen, zum Beispiel aus der IT-Welt, in diesen Apparat hineinfließen müssen. Dafür braucht es Schnittstellen, an denen das neue Wissen aus der Cyberwelt in die Justiz übergeht.
Kriminalität hält unserer Gesellschaft und Lebensweise den Spiegel vor und legt dort den Finger in die Wunde.
Und das ist Teil Ihres Jobs.
Genau. Denn der Ermittlungsrichter hatte vor meinem Fall vielleicht eine Schlägerei oder eine Urkundenfälschung. Meine Aufgabe ist es, ihm nahezubringen, wie sich das, was sich im Netz abspielt, unter unser Normverständnis subsumieren lässt. Und er muss – genau wie ich zuvor – in die Lage versetzt werden, das überprüfen zu können. Die Grundlage unserer Arbeit sind Tatsachen, aus denen ziehen wir unsere rechtlichen Schlüsse.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Ich surfe nicht permanent im Darknet und ermittle. Diesen Job übernehmen die Ermittler. Mit denen sind meine Kollegen und ich in einem sehr engen Austausch, immer verbunden mit der Frage: Was hat als Nächstes zu geschehen? Was ist zu veranlassen, was ist ein kluger nächster Schritt? Wir müssen viele unserer Fälle buchstäblich selbst gestalten. Weil wir nicht nur dann ermitteln, wenn jemand eine Anzeige erstattet hat.
Wo liegt die Herausforderung bei Ihrer Arbeit?
Wir müssen uns gut überlegen, wie wir unsere Ressourcen einsetzen, wo wir hinschauen, wie wir taktisch vorgehen. Zumal wir permanent im technischen und oft auch im rechtlichen Neuland unterwegs sind. Das heißt, es gibt keine gesetzten juristischen Leitplanken, die uns führen. Das führt dazu, dass wir sehr viel diskutieren. Das ist allerdings auch ein spannender Teil meiner Arbeit.
Bräuchte es ein neues Rechtssystem für die Cyberwelt?
Ich glaube nicht. Klar, unser Rechtssystem ist in einer Zeit entstanden, als Telefone noch Wählscheiben hatten. Aber wir können in diesem Rechtssystem erfolgreich ermitteln, auch bei Cybervergehen. Das bedeutet, das bestehende Reglement klug einzusetzen. Stellenweise gibt es natürlich immer wieder wichtige gesetzgeberische Anpassungen.
Zum Vertiefen:
Jana Ringwald: Digital. Kriminell. Menschlich. Eine Cyberstaatsanwältin ermittelt. 220 Seiten. Murmann 2024. 25,00 €.
Welche Art von Kriminalität findet im Netz statt?
Es ist häufig ein Äquivalent der Fälle, die wir draußen auf der Straße erleben. Drogen- oder Waffenhandel gab es immer, nun haben sie sich ins Netz verlagert. Der Banküberfall von früher ist heute ein Online-Banking-Trojaner: gleiche Grundintention, anderes Mittel. Interessant finde ich, dass Kriminalität immer auch die Gesellschaft spiegelt und da den Finger in die Wunde legt. Ein Online-Banking-Trojaner zum Beispiel profitiert von unserer Bequemlichkeit und dem Wunsch, zu jeder Zeit mobil auf unser Konto zuzugreifen.
Wie gut sind die Unternehmen in Deutschland vor Cyberangriffen geschützt?
Das Thema Cybersicherheit gerät mehr und mehr ins Bewusstsein. Es wird auf höchster Ebene mitgedacht, es gibt Budgets und eine Sensibilität. Gut aufgestellt sind meiner Meinung nach Unternehmen, die davon ausgehen, dass der schlimmste Fall zeitnah eintritt – und die trainieren, in diesem Fall die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Keinem Unternehmen wird es gelingen, niemals angegriffen zu werden. Ein gut geschütztes Unternehmen ist daher eines, das mit dem Ernstfall rechnet und vorbereitet ist.
Blicken Sie mit Sorge auf den Durchbruch der generativen KI?
Ich glaube nicht, dass die generative KI die Grundstruktur von Kriminalität im Netz komplett auf den Kopf stellen wird. Sie ist allerdings ein Skalierungselement, sprich, sie erhöht etwa die Masse an Angriffen oder an betrügerischen E-Mails. Sie erleichtert den Tätern viele technische Zwischenschritte, was zweifelsohne ein ernstzunehmendes Problem darstellt. Darauf müssen wir vorbereitet sein.
Besitzt der Umgang mit Bitcoins mehr kriminelles Potenzial als Bargeld?
Wenn Sie es schaffen, jemandem in einem Park komplett unbeobachtet eine große Menge an Bargeld in einer Papiertüte zu übergeben, hinterlassen Sie deutlich weniger Spuren, als wenn Sie eine kriminelle Bitcoin-Aktion vornehmen. Denn die Datenspuren, die Sie dort hinterlassen, sind durch Tracing-Tools verfolgbar. Grundsätzlich können wir im Bereich der Kryptowährung gut ermitteln: Die Transaktionen sind nachvollziehbar, gerade beim Bitcoin, der auf der Blockchain-Technik beruht. Wobei hinter derartigen Transaktionen kein Klarname steht. Es kommt also vor, dass wir wissen, was passiert ist – aber verschleiert ist, wer das veranlasst hat. Hier wartet dann wieder Ermittlungsarbeit auf uns. Klar ist aber, dass es sich lohnt, bei diesem Thema polizeilich und justiziell zu investieren. Kryptowährungen sind nicht irgendein technischer Gag, sie sind komplett in der Finanzwelt angekommen. Darauf finden wir täglich Antworten.
Was sind die zentralen Skills, die Sie als Cyberstaatsanwältin täglich benötigen?
Mutig zu sein. Ich kann nicht darauf vertrauen, dass mir jemand sagt: „Das habe ich schon mal gemacht, das geht folgendermaßen, Jana.“ Es kommt regelmäßig vor, dass ich Wege beschreite, die vorher noch niemand beschritten hat. Es geht dann kopfüber ins kalte Wasser. Wichtig ist zudem ein großes Abstraktionsvermögen. Ich habe kein Tatmesser in der Asservatenkammer liegen. Mein Team und ich sind auch nie am Tatort. Es liegt alles im Abstrakten. Die Welt, in der wir uns tummeln, besteht aus Daten. Dafür sollte man ein Verständnis mitbringen. Und auch eine gewisse Freude, denn unsere Spuren sind nicht der Fußabdruck im Park, sondern eine Kombination aus Nullen und Einsen.