Titel bauen Karrieren? Diese Zeiten sind vorbei. Wenn Kanzleien heute Zusatzausbildungen verlangen, dann nicht wegen der Etikette, sondern weil sie Beleg dafür sind, was ein Jurist kann. Es gibt auch Sozietäten, die kaum Wert auf Titel legen – aber andere Ansprüche haben. Von André Boße
Niemand mag es, wenn der Wecker schellt. Gut, dass es die Schlummertaste gibt, die einem noch fünf Minuten in den weichen Federn schenkt. Viele versinken dann noch einmal kurz in den Träumen. Juristen jedoch, die mitten in der Promotion stecken, machen mitunter ganz andere Erfahrungen. Sie stecken so sehr im Thema ihrer Doktorarbeit, dass ihnen manchmal morgens im Halbschlaf ein Licht aufgeht. Dr. Jens Schönfeld ist das so ergangen, als er 2004 in Bonn promovierte. „Man gewinnt sehr viel Selbstvertrauen in sein Können, wenn man morgens aufwacht und eine gute Idee für die Doktorarbeit hat“, sagt der 43-jährige Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg. Klar, bei der Promotion geht es auch um den Titel. Um den Dr. jur. auf der Visitenkarte. Doch Schönfeld ist davon überzeugt, dass die Promotionszeit dabei hilft, sich selber auf die Schliche zu kommen. „Man lernt dann eine Menge über sich selbst“, sagt er. „Man erlebt ein Auf und Ab zwischen Selbstzweifeln und Erfolgserlebnissen.“ Und häufig sei diese Selbsterfahrung wichtiger als der Doktortitel selbst.
Juristen kennen heute eine Vielzahl von Zusatzausbildungen, Abschlüssen und Titeln. Vom klassischen Dr. jur. über den LL.M. und MBA bis hin zu immer neuen Fachanwaltsthemen. Wer sich in den großen deutschen Kanzleien umhört, merkt schnell, dass die Sozietäten unterschiedlich auf Titel und zusätzliche Qualifikation blicken. Es gibt Kanzleien, die nur wenig Wert auf die Kürzel vor und nach dem Namen legen. Für andere ist der Dr. jur. weiterhin Standard – und das, obwohl die Promotionsquote der Juristen in Deutschland nur bei gut elf Prozent liegt. Die Kanzlei Flick Gocke Schaumburg ist eine dieser Sozietäten. „Man lernt bei der Promotion eine Reihe technischer Dinge, die für die Arbeit als Anwalt sehr wichtig sind“, sagt Jens Schönfeld. „Zum Beispiel, wie man ein Thema auf den Punkt bringt, wie man sich selbst und seine Arbeit organisiert oder wie man einen Text vernünftig schreibt. Wer diese Erfahrung gemacht hat, geht nach meiner Meinung organisierter und strukturierter auch an Projekte im Beruf heran.“ Fast alle der knapp 90 Partner der Kanzlei haben promoviert. Wer als Einsteiger noch keinen Doktortitel hat, wird motiviert, die Promotion berufsbegleitend nachzulegen. „Das kann gelingen, wenn man das 3:3:1-Prinzip verfolgt: drei Tage Arbeit, drei Tage Promotion und ein Tag in der Woche Entspannung“, so Schönfeld. „Man braucht dafür Selbstdisziplin. Aber wenn man ein gutes Thema hat, das zu einem passt und das man auch mit der beruflichen Praxis verknüpfen kann, kann das gut funktionieren.“
Für das berufliche Vorankommen ist die Promotion besonders dann sinnvoll, wenn man in eine Kanzlei einsteigt, die viel Wert auf wissenschaftliches Arbeiten legt. Ob das der Fall ist, zeigt zum Beispiel ein Blick auf die Partner- und Anwaltsliste auf der Homepage: Je höher die Dr.-Quote, desto mehr Wert wird die Sozietät auf den Titel legen.
Doktortitel öffnet Türen
Einen Vorteil bietet der Doktortitel zudem den Nachwuchsjuristen, die nicht in einer großen Kanzlei starten möchten. „Einzelpraxen oder kleinere Boutiquen stärken durch den Doktortitel die Sichtbarkeit im Anwaltsmarkt“, hat Dr. Matthias Dombert festgestellt. Seine Kanzlei Dombert Rechtsanwälte hat sich als kleineres Team auf Fragen des Verwaltungs- und Verfassungsrechts spezialisiert. Alle Partner haben promoviert – auch, weil der Doktortitel den Juristen die Türen zu den Hochschulen öffnet. „Die Außenwirkung einer Promotion zeigt sich vor allem im Zusammenhang mit der Nachwuchsgewinnung“, sagt Dombert, der auch Honorarprofessor für Öffentliches Recht an der Uni Potsdam ist. „Sie ermöglicht uns einen leichteren Zugang zu Universitäten – ein Vorteil, der gerade für eine Boutique unseres Zuschnitts nicht zu unterschätzen ist.“
LL.M. – aber bitte im Ausland
Bei den großen Wirtschaftskanzleien geht der Trend hingegen dahin, dass die Promotion gerne gesehen, aber nicht vorausgesetzt wird. „Der Doktortitel liefert den Beleg für die Fähigkeit, wissenschaftlich zu arbeiten. Entsprechend wird er bei der Einstellung honoriert. Er ist aber keine Einstellungsvoraussetzung – zumal sich nicht empirisch belegen lässt, dass promovierte Anwälte erfolgreicher sind als nicht-promovierte“, sagt Dr. Stephan Brandes, Partner der Wirtschaftssozietät SZA mit Büros in Mannheim und Frankfurt. Generell sind in seiner Sozietät alle relevanten zusätzlichen Titel willkommen: Der Master of Business Administration (MBA), den laut Brandes jedoch eher wenige Bewerber vorzuweisen haben, sowie der Master of Laws (LL.M.) – wenn dieser im Ausland erreicht wurde. „Dann nämlich steht der LL.M. für Sprachkenntnisse und Lebenserfahrung in einem fremden Kulturkreis“, so der SZA-Partner.
Generell begrüßen die Kanzleien, dass die Palette an wichtigen Weiterbildungen für junge Juristen deutlich breiter geworden ist. Grund dafür sind die gestiegenen Erwartungen der Mandanten. „Für Berufsanfänger in einer Wirtschaftskanzlei ist es heute geradezu Pflicht, die unternehmerischen Aspekte hinter den rechtlichen Fragestellungen der Mandanten zu verstehen“, sagt Torsten Schneider, Director Human Resources bei der Kölner Rechtsanwaltsgesellschaft Luther. Das Anforderungsprofil der Wirtschaftskanzlei: Einsteiger müssen sich mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen auskennen, ein Verständnis für die Abläufe in Unternehmen mitbringen, im Idealfall auch die Trends in einzelnen Branchen kennen und in der Lage sein, Nicht-Juristen komplexe rechtliche Fragestellungen zu erklären. „Allerdings bereitet die juristische Ausbildung darauf nicht vor, und auch typische Managementfähigkeiten lernt man nicht im Studium“, sagt Schneider. Bei Luther setzt man auf die interne Weiterbildung in der hauseigenen Academy. „Diese Programme begleiten junge Anwälte auf dem Karriereweg“, so der Personalverantwortliche.
Promotion als „Privatvergnügen“
Für ein Lernen ohne Titeljagd plädiert Dr. Christian Czychowski, Fachanwalt für IT-Recht sowie Urheber- und Medienrecht bei der Kanzlei Boehmert & Boehmert, eine der größten deutschen Kanzleien für geistiges Eigentum. Der Jurist, obwohl selber promoviert, hält Titel schlicht für nicht notwendig. Der Doktortitel wird in seiner Kanzlei als eine Art „Privatvergnügen“ gesehen, der keine großen Auswirkungen auf den Werdegang in der Sozietät hat. Selbst die drei neuen Fachanwaltstitel, die für die Kanzlei Relevanz besitzen (Gewerblicher Rechtsschutz, Urheber- und Medienrecht sowie Informationstechnologierecht) werden nicht zwingend von den Bewerbern gefordert. „Wir unterstützen allerdings Nachwuchskräfte, indem wir einen Großteil der Kosten für die Fachanwaltskurse übernehmen.“ Wichtiger als die Aufdrucke auf den Visitenkarten ist Czychowski die informelle Weiterbildung. „Wie ein Arzt muss auch ein Jurist auf der Höhe der Zeit bleiben“, sagt er. „Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, sei es der Besuch von hochkarätigen Symposien, die Lektüre von relevanten Zeitschriften, der Besuch von insbesondere internationalen Konferenzen und natürlich der persönliche Austausch in der Community.“
So unterschiedlich die diversen Kanzleien die Bedeutung von Titeln und formalen Zusatzqualifikationen einschätzen, so einig sind sie sich darin, dass die Zeiten vorbei sind, in denen ein Titel per se eine gute Karriere bedeutete. „Wer heute auf erfolgreiche Anwaltskarrieren blickt, wird feststellen, dass Titel genauso an Bedeutung verloren haben wie die Frage nach Herkunft und Geschlecht“, bewertet Luther-Personalchef Schneider – zumal sich rechtliche Rahmenbedingungen und technologische Trends so schnell änderten, dass sich, so Schneider, „keiner mehr darauf verlassen kann, dass sein Fachwissen in ein paar Jahren noch von gleicher Bedeutung wie heute ist“. Woher man weiß, was einem fehlt? Da hilft die kontinuierliche Reflexion des eigenen Tuns – Feedback von anderen inklusive. „Aber machen Sie bitte nicht den Fehler, ausschließlich gegen Ihre Schwächen anzukämpfen“, wendet sich Schneider direkt an den ambitionierten Nachwuchs. „Der Abbau von Schwächen ist mühsam und wegen der meist nur kleinen Fortschritte häufig demotivierend. Größeren Erfolg hat man damit, relevante Stärken auszubauen und Wissenslücken zu schließen.“ Dann kommt es schneller zu Erfolgserlebnissen – und das gefällt dem Nachwuchs genauso wie gestandenen Partnern.