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Auf Menschen zugehen

Philipp Bremer hatte neben seinem Beruf als Anwalt und Jurist schon immer vielfältige Interessen. Zum Beispiel spielte er nebenbei Theater. 2023 schloss er außerdem eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten ab. Das Wissen daraus bringt ihn nicht nur menschlich voran, sondern auch beruflich. Aufgezeichnet von Christoph Berger

Zur Person

Seit Juli 2021 ist Philipp Bremer Leiter des Rechtsstaatsprogramms Naher Osten und Nordafrika mit Sitz in Beirut, Libanon. Zuvor war er dreieinhalb Jahre als Rechtsanwalt für eine internationale Wirtschaftskanzlei tätig, in dieser Zeit auch sechs Monate als externer Berater vor Ort in der Litigation Communications Abteilung eines internationalen deutschen Automobilherstellers. Er hat Rechtswissenschaften an der Universität Mannheim studiert, sein Rechtsreferendariat absolvierte er u.a. im Europäischen Parlament bei Axel Voss, MdEP in Brüssel und im Büro der Staatsministerin Prof. Maria Böhmer, MdB im Auswärtigen Amt.

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Philipp Bremer war Interdisziplinarität und das Schauen über den Tellerrand der Jurist*innen-Bubble immer ein Anliegen. Das mag einerseits mit seinem Aufwachsen zu tun haben. Bremer ist international aufgewachsen, hatte schon immer viel mit anderen Kulturen und unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu tun. Andererseits hatte er auch immer vielfältige Interessen. So gehörte er während seines Jurastudiums der Improvisationstheatergruppe der Uni an und spielte an einem kleinen Theaterhaus. Ein Hobby und eine Leidenschaft, die ihm nach dem Abschluss schnell einen Job in einer Großkanzlei einbrachte, obwohl Bremer es überhaupt nicht auf eine Laufbahn als Rechtsanwalt abgesehen hatte. Sein Ziel war es, in den diplomatischen Dienst zu kommen.

Eine einzige Bewerbung verschickt er aber trotzdem. Um seine Chancen und Möglichkeiten auszuloten. „17 Minuten nach Abschicken meiner Bewerbung bekam ich von einem Partner der Kanzlei Antwort“, erinnert er sich. Die Kanzlei hatte gerade ein riesiges Mandat übernommen und suchte Anwälte mit Verhandlungskompetenzen.

Im direkt darauffolgenden Telefonat sagte der Kanzleipartner: „Mir ist sehr positiv aufgefallen, dass Sie schon viel Theater gespielt haben. Das finde ich Klasse! Denn in Bezug auf Verhandlungen können wir jemanden gebrauchen, der einen starken Auftritt hat.“ Sprich: Improvisationsschauspieler*innen können mit ihrer Stimme und ihrem Auftritt arbeiten. Zudem sind sie reaktionsschnell.

Alles Fähigkeiten, die auch im Gerichtssaal helfen. Ab diesem Moment wusste Philipp Bremer, dass er unter diesem Menschen arbeiten möchte. Ihm gefiel, dass nicht nur darauf geschaut wurde, ob er Schriftsätze verfassen kann, sondern der Blick ebenso auf andere Skills gelegt wurde. Noch heute dient ihm sein damaliger Chef als Vorbild für den Umgang mit Mitarbeitenden. Außerdem erinnert ihn die damalige Situation immer wieder daran, sich auch Themen abseits der Rechtsbranche zu widmen. Seine Theaterleidenschaft kam Philipp Bremer dann tatsächlich in seiner Kanzleizeit zu Gute. Und das nicht nur im Gerichtssaal. In Workshops vermittelte er Kolleginnen und Kollegen, was er von der Bühne mit in den Anwaltsberuf nehmen konnte. Das sei sowohl von Referendar* innen als auch von Associates und Partner*innen sehr gut aufgenommen worden. Gerade auch weil wahrgenommen wurde, dass es ein Anliegen der jüngeren Generationen ist, sich mit Soft Skills zu beschäftigen. Bremer sagt: „Es entwickelte sich eine große Bereitschaft und Offenheit dafür.“

Auf dem Weg zu sich selbst

Ebenfalls in seine Zeit bei der Großkanzlei fiel für Philipp Bremer die intensive Auseinandersetzung mit einer weiteren Tätigkeit, die, auf den ersten Blick, recht wenig Gemeinsamkeiten mit der Welt der Jurist*innen hat. Er begann berufsbegleitend eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten. Eine persönliche Krise hatte ihn dazu gebracht, sich intensiver mit sich selbst zu beschäftigen. Als er im Rahmen dieser Selbstreflexion auf die Gestalttherapie stieß, war ihm schnell klar: „Ich habe Lust, das zu erlernen.“ Er zitiert Gestalttherapeut Werner Bock: „Was ist, darf sein. Was sein darf, kann sich verändern.“

Laut der Deutschen Vereinigung für Gestalttherapie geht es in dem Verfahren darum, der Vielfalt von Individualität gerecht zu werden. Die Therapeut*innen verstehen sich dabei weniger als Anleiter*innen, sie sind vielmehr Begleiter* innen ihrer Klient*innen, mit denen sie bewusst, dynamisch und experimentell neue Erfahrungen machen. Wobei erwähnt werden muss, dass Gestalttherapie von den Krankenkassen nicht anerkannt wird. Es handelt sich auch nicht um einen geschützten Beruf, der eine festgelegte Ausbildung zum Führen der Bezeichnung voraussetzt.

Verständnis und Offenheit für Mitmenschen

Nach Besuch eines Basiskurses war für Bremer aber klar: „Das macht Freude, erfüllt mich und hilft mir.“ Zudem konnte er sich die dreijährige Ausbildung aufgrund seines Gehalts als Anwalt leisten. Allerdings merkt er an: „Die Ausbildung neben dem Beruf zu absolvieren, war unfassbar anstrengend.“ Zahlreiche Wochenenden und eigentlich als Urlaub vorgesehene Zeit investierte er. Wobei nicht alle Kolleg*innen immer Verständnis für die von ihm frei gewählte Zusatzbelastung hatten. Doch die allermeisten akzeptierten es. Ebenso sein neuer Arbeitgeber: 2021 wechselte Bremer zur Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort wurde er Leiter des Rechtsstaatsprogramms Naher Osten & Nordafrika mit Arbeitsort Beirut im Libanon. Noch einige Male musste er von dort nach Deutschland reisen, um die Ausbildung abzuschließen. „Der Abschluss war mir sehr wichtig, zumal für mich in den drei Jahren mit den Mitlernenden eine sehr wertvolle Gemeinschaft entstanden ist. Wir verbringen einfach gerne Zeit miteinander und schätzen uns“, sagt er.

Doch während 14 der 16 Kursteilnehmer* innen inzwischen tatsächlich als Gestalttherapeut*innen arbeiten, bleibt Philipp Bremer Jurist: „Das, was ich gerade mache, erfüllt mich. Derzeit sehe ich überhaupt keinen Anlass, das zu ändern.“ Daher verzichtet er auch darauf, den endgültigen Abschluss durch die dafür notwendige und nachweisbare Praxiserfahrung und Supervision zu erlangen. Das Erlernte kann er aber durchaus auch beruflich nutzen – in Bezug auf sich, um mit Stress zurechtzukommen, aber auch im Miteinander und der Führung seines Teams: auf Augenhöhe, wertschätzend, unterstützend und empathisch. „Ich habe das Gefühl, Probleme schneller wahrnehmen zu können und sensibel darauf einzugehen“, erklärt Bremer.

Somit sei der Teamspirit und die Teamdynamik extrem hoch. In der Zeit seines Wirkens in dem Verantwortungsbereich habe es erst einen Konflikt gegeben. Was ungewöhnlich ist, birgt doch schon das reale Umfeld mehr als ausreichend Konfliktpotenzial: „Hier im Libanon herrscht eine extreme Wirtschaftskrise, täglich gibt es mehrere Stunden ohne Strom, von einem Rechtsstaat ist hier wenig zu sehen. Alle Menschen leiden furchtbar. Erst gestern waren so viel Proteste in der Stadt, dass alle im Home Office bleiben mussten, weil Reifen auf den Straßen brannten und ein sicheres Durchkommen unmöglich war. All das nehmen die Mitarbeitenden natürlich mit nach Hause und bringen es mit ins Büro.“ Daher laute die erste Frage in den Teamsessions auch immer: „How are you feeling?“

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