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Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Kliemt im Interview

Die Arbeit wandelt sich – und damit auch das Arbeitsrecht. Prof. Dr. Michael Kliemt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Managing Partner der Kanzlei Kliemt Arbeitsrecht, erzählt im Interview, wie sich der Rechtsbereich dadurch verändert, dass New Work zur Selbstverständlichkeit wird und Systeme mit Künstlicher Intelligenz bei Recruiting-Prozessen helfen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Professor Dr. Michael Kliemt gehört ausweislich der einschlägigen Ranking-Handbücher und Wirtschaftsmagazine zu den führenden Arbeitsrechtlern in Deutschland. Er berät internationale und nationale Unternehmen zu allen Facetten des Arbeitsrechts und verfügt über einen immensen Erfahrungsschatz bei der Beratung von Restrukturierungen, Transformations-, Outsourcing- und Integrationsprojekten, der Flexibilisierung, Vereinheitlichung und Optimierung von Arbeitsbedingungen (v.a. Arbeitszeit, Vergütung) sowie der Implementierung von IT-Systemen. Dabei übernimmt er für die Mandanten sowohl die strategische Konzeptionierung als auch die Verhandlungen mit Gewerkschaften und Betriebsräten. Zudem begleitet er regelmäßig komplexe Complianceund Whistleblower-Fälle. Die von ihm 2002 gegründete Kanzlei Kliemt. Arbeitsrecht hat ihren Stammsitz in Düsseldorf.

Herr Prof. Dr. Kliemt, die Digitalisierung ändert die Arbeitswelt, die Pandemie war ein Boost für diese Transformation. Was sind in Ihren Augen die bestimmenden Elemente von New Work – und wie verändern diese die Themen des Arbeitsrechts?
Die bestimmenden Elemente aus arbeitsrechtlicher Sicht sind Flexibilität, Arbeitszeit, Arbeitssicherheit und insbesondere die etwas angestaubte, aber weiter wichtige Mitbestimmung des Betriebsrats. Die Überwindung des traditionellen Rollenverständnisses der Betriebsräte im Sinne eines umsichtigen Change-Managements ist häufig ein wichtiger Erfolgsfaktor. Dabei ist für die Unternehmen eine zukunftsgerichtete, aber auch arbeitsrechtlich flankierte Digitalisierungsstrategie unverzichtbar. Das Thema New Work betrifft dabei den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses. Denn Arbeitnehmer ist per Definition nur derjenige, der auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags in den Diensten eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Gerade die Ausgestaltung des Weisungsrechtes muss bei New Work-Konzepten völlig neu gedacht werden.

Inwiefern?
Es muss zum Beispiel das von vielen Unternehmen forcierte Konzept eines Intrapreneurs – also von Mitarbeitenden, die selbst ein unternehmerisches Mindset und Handeln entwickeln – überhaupt erst mit den Grundprinzipien des Arbeitsrechts in Einklang gebracht werden. Hierzu ist neben Innovationskraft und Fingerspitzengefühl auch viel Erfahrung notwendig.

Vor einigen Jahren war die Work-Life- Balance ein Buzzword, heute hat man es eher mit einer Work-Life-Verschmelzung zu tun. Wie kann das Arbeitsrecht auf diesen Wandel reagieren, damit es auch weiterhin für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden einen rechtlichen Rahmen gibt, der auch in der Praxis funktioniert?
Notwendig ist insbesondere eine Modernisierung des Arbeitszeitrechts, das noch sehr starr ausgestaltet ist und sich mit modernen Formen flexiblen Arbeitens nur bedingt vereinbaren lässt. Flexible Arbeitszeitmodelle sind ein wesentlicher Aspekt der Verschmelzung von Work und Life. Dies zeigt sich verstärkt bei Themen wie „Workation“, also der Verbindung von Work und Vacation, oder „Mobile Work“. Eine trennscharfe Unterscheidung ist bei vielen Jobs kaum noch möglich. In der anwaltlichen Beratung bedeutet dies, dass die Grenzen des Arbeitsrechts teils neu ausgelotet und mit sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Aspekten austariert werden müssen.

Gab es im Bereich Home-Office oder Mobile Working zuletzt ein in Ihren Augen besonders Urteil, das großen Einfluss auf dieses Thema nehmen wird?
Eine entscheidende Rolle spielt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung aus September 2022. Daran anknüpfend erwarten wir noch in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf zur Novellierung des Arbeitszeitrechts. Auch prägen immer wieder neue Entscheidungen zum Datenschutz und zur Mitbestimmung rund um IT-Systeme die moderne Arbeitswelt, nicht selten erweisen sich diese als Digitalisierungs- und Flexibilisierungs-Hemmnisse.

Wir erleben, insbesondere bei Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften, derzeit eine leichte Tendenz einer Digitalisierungsüberdrüssigkeit bei Belegschaften.

Wie beurteilen Sie aktuell den Stand der Digitalisierung in der Arbeitswelt, wie sehr bestimmt sie bereits das Arbeiten in Unternehmen?
Wir erleben, insbesondere bei Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften, derzeit eine leichte Tendenz einer Digitalisierungsüberdrüssigkeit bei Belegschaften. Teils dürften die Folgen der Corona-Pandemie dazu beigetragen haben. Daher treten bestimmte Aspekte der Digitalisierung wie Datenschutz aber auch Gesundheitsschutz zunehmend in den Vordergrund. Dies steht nach meiner Beobachtung im Einklang mit Entwicklungen bei der Personalarbeit und IT, wonach zunehmend ein stärkerer Fokus auf Usability, störungsfreies Arbeiten oder Absenkung von Überforderungen gelegt wird. Hier ist das Arbeitsrecht einerseits gut gerüstet, andererseits muss man ganz klar sagen, dass es in der Tendenz digitalisierungsfeindlich ist.

Thema Künstliche Intelligenz: Welche rechtlichen Probleme ergeben sich, wenn KI-Systeme zum „Robo-Recruiting“ eingesetzt werden?
Die DSGVO beschränkt den Einsatz von KI im Personalwesen vor und nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses. Sie schützt beispielsweise Bewerber*innen davor, durch Profiling aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert zu werden, ohne dass sich eine natürliche Person mit den Bewerber*innen beschäftigt hat. Die Nutzung von KI als Entscheidungshilfe ist aber möglich, wenn die menschliche Befassung mit den Bewerbungen nicht komplett ersetzt wird. Teils haben solche Systeme jedoch an Akzeptanz verloren, weil in der Vergangenheit durch „falsche“ oder nicht vorurteilsfreie Lerndatensätze bestimmte – verbotene – Diskriminierungsformen vorgekommen sind.

Die DSGVO beschränkt den Einsatz von KI im Personalwesen vor und nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses. Sie schützt beispielsweise Bewerber*innen davor, durch Profiling aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert zu werden, ohne dass sich eine natürliche Person mit den Bewerber*innen beschäftigt hat.

Neben der Erfüllung datenschutzrechtlicher Standards müssen Unternehmen vor dem Einsatz von KI-Systemen mit dem Betriebsrat – sofern im Unternehmen bestehend – das „Wie“ des Einsatzes verhandeln. Hierbei werden häufig interne Spielregeln festgesetzt. In solchen Verhandlungen sehe ich häufig die starke Tendenz der Betriebsräte, den Einsatz von KI zu beschränken – insbesondere dann, wenn die KI auch zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle des Recruitingteams genutzt werden soll. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach ein Kontroll- und Anpassungsdruck der Belegschaft vermieden werden soll.

Ein zentrales Thema für Unternehmen sind die neuen Bestimmungen, um Whistleblowern Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, Hinweise zu geben. Wie schwer tun sich Unternehmen dabei, diese Kanäle einzurichten?
Wir sehen ein großes Interesse von Unternehmen, solche Kanäle einzurichten. Auch, wenn die Gesetzgebungsarbeiten stockend verlaufen: Es besteht für viele Unternehmen demnächst eine gesetzliche Pflicht zur Unterhaltung von Whistleblowing-Systemen. Ob dadurch die Unternehmenskultur gestört oder verbessert wird, ist sicher eine Frage der Perspektive. Immerhin dürften Befürworter des Whistleblowings einwenden, dass positive Effekte in Bezug auf die Einhaltung von Compliance- Standards erzielt werden können. Unabhängig davon können Unternehmen Whistleblowing-Systeme auch extern betreiben und betreuen lassen. Dies führt – neben weiteren Vorteilen – in der Regel dazu, dass Vorwürfe professioneller und objektiver geprüft werden können.

Inwieweit erleben Sie als Partner der Kanzlei und Fachanwalt selbst die Transformation in der Arbeitswelt – und sind Jurist*innen Ihrer Ansicht nach generell gut genug auf diesen Wandel in Richtung New Work vorbereitet?
Neben der Digitalisierung, die wir seit Jahren mit hoher Priorität vorantreiben, sehen wir Änderungen in den Anforderungen an die Bewerber*innen und unsere angestellten Anwält*innen. Home-Office, flexible Arbeitszeiten, flexible Workspaces und modernste Büroausstattung sind für uns heute Selbstverständlichkeiten. Wir streben darüber hinaus in modernen Arbeitsformen höchste Standards auch bei der Ausund Weiterbildung unserer Anwälte an. Hierzu haben wir beispielsweise spezielle Ausbildungskonzepte implementiert, die wir fortlaufend weiterentwickeln. Neben erfahrenen Praktikern und Richtern profitieren unsere Anwält*innen mittlerweile auch von Vorträgen erfahrenen Verhandlungsprofis, Spitzensportler* innen, Resilienz-Coaches oder Expert*innen für Digitalisierung und Legal Design. Bei der Entwicklung eigener Legal Tech-Lösungen ist – neben juristischer Exzellenz – natürlich auch eine gewisse Neugierde und ein technisches Grundverständnis gefragt.

kliemt.blog

Auf der Homepage der Kanzlei bietet das Anwaltsteam um Managing Partner Dr. Michael Kliemt einen Blog- Bereich, in dem die Arbeitsrechtler*innen eine Reihe von Trends und Themen aus dem Fachbereich analysieren und bewerten. So gibt es fachliche Informationen über Fokusthemen wie Digitalisierung, Video-Tutorials oder juristische Einordnungen zu aktuellen Urteilen oder Regularien.

https://kliemt.blog

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