Dr. Wendelin Wiedeking schaffte es nach der schweren Unternehmenskrise von Porsche zu Beginn der 90er Jahre, das Unternehmen wieder an die Spitze der deutschen Wirtschaft zu bringen. Im karriereführer spricht er über die Zukunft der Branche und der Ingenieure sowie über Kreativität, Visionen und Ziele. Die Fragen stellte Meike Nachtwey.
Zur Person
Dr. Wendelin Wiedeking wurde 1952 in Ahlen (Westfalen) geboren. Nach dem Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre der RWTH Aachen, wo er auch promovierte.
1983 kam er erstmals mit Porsche in Kontakt und ging als Referent des Vorstandes Produktion und Materialwirtschaft nach Zuffenhausen. Fünf Jahre später wechselte er zur GLYCO Metall-Werke KG in Wiesbaden, wo er 1990 Vorsitzender der Geschäftsleitung wurde.
1991 kehrte Wiedeking als Vorstandsmitglied des Bereiches Produktion und Materialwirtschaft zu Porsche zurück. Zu diesem Zeitpunkt war das Unternehmen auf einem Tiefpunkt angekommen.
Bereits ein Jahr später rückte Wiedeking als Sprecher des Vorstands an die Spitze und leitete einen erfolgreichen Umstrukturierungsprozess ein, der Porsche zu einem der profitabelsten Automobil-Unternehmen weltweit machte.
Seit 1993 ist er Vorstandsvorsitzender der Porsche AG.
Welches Auto würden Sie fahren, wenn es keinen Porsche gäbe?
Da bringen Sie mich jetzt aber etwas in Verlegenheit. Ich bin nun einmal ein begeisterter Porsche-Fahrer. Selbst der Traktor, mit dem ich in der Freizeit meinen privaten Kartoffelacker bestelle, ist ein Porsche – ein historischer Porsche-Schlepper, Baujahr 1961. Als junger Mann, als ich mir noch keinen Porsche leisten konnte, bin ich natürlich auch andere Fabrikate gefahren. Mein erstes Auto war ein VW-Käfer. Und später, während meines Maschinenbau- Studiums, konnte ich mir mit meinem selbstverdienten Geld sogar einen gebrauchten Mercedes leisten. Klar, andere Hersteller bauen ebenfalls schöne Fahrzeuge. Aber ein Porsche ist eben doch etwas ganz Besonderes, ja sogar Einzigartiges.
Den deutschen Herstellern wird vorgeworfen, sie hätten sich bisher zu wenig um den Klimaschutz gekümmert. Müssen die Unternehmen umdenken, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Keine Frage, der Klimaschutz ist ein wichtiges Anliegen. Aber wir müssen diese Diskussion ehrlich führen. Die deutsche Automobilindustrie hat in den vergangenen Jahren Milliarden in die Entwicklung verbrauchs- und emissionsarmer Fahrzeuge investiert und dabei erhebliche Fortschritte erzielt. Würden die ausländischen Hersteller bei ihren Kleinwagen die gleichen innovativen Technologien einsetzen wie die deutschen Premium- Hersteller bei ihren Oberklasse- Fahrzeugen und Sportwagen, wäre die internationale Automobilindustrie den von der Politik vorgegebenen CO2-Reduktionszielen heute schon sehr viel näher. Das sollten wir zunächst einmal zur Kenntnis nehmen. Selbstverständlich dürfen wir uns jetzt nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Die Unternehmen müssen auch künftig gezielt forschen und entwickeln, um den CO2-Ausstoß weiter zu minimieren. Das ist und bleibt eine große Herausforderung. Allerdings sollte niemand so tun, als ob allein die deutsche Automobilindustrie das Weltklima retten könnte. Die Erwärmung der Atmosphäre ist ein weltweites Problem, das nur global unter Einbeziehung sämtlicher Ursachen gelöst werden kann. Der Pkw-Verkehr trägt ja nur knapp zwölf Prozent zu den gesamten CO2-Emissionen bei.
Wie sieht die Zukunft der Automobilbranche aus?
Das lässt sich so pauschal kaum beantworten. Die Hersteller stehen heute weltweit in einem heftigen Wettbewerb. Und noch ist es nicht ausgemacht, ob am Ende tatsächlich alle überleben werden. Den deutschen Unternehmen geht es aber insgesamt gut – einigen, wie beispielsweise Porsche, sogar sehr gut. Und ich bin davon überzeugt, dass die deutschen Automobilhersteller und ihre Zulieferpartner noch ein großes Zukunftspotenzial haben.
Und wie sieht die Zukunft der heutigen Jung-Ingenieure aus?
Wer heute Ingenieurswissenschaften studiert, der muss sich um seine spätere berufliche Zukunft sicher keine allzu großen Sorgen machen. Derzeit gibt es weit mehr Stellenangebote für Ingenieure als Bewerber. Und daran wird sich auf mittlere Sicht kaum etwas ändern. Auch wenn wir bei Porsche unsere freien Ingenieursstellen immer noch recht schnell besetzen können, so gibt es doch viele Unternehmen, die heute über einen Nachwuchsmangel klagen. Es wird in unserem Land immer einen großen Bedarf für hochqualifizierte Ingenieure geben. Denn die deutsche Wirtschaft lebt nun einmal vorrangig von innovativen Spitzentechnologien, für die am Weltmarkt vergleichsweise hohe Preise erzielt werden können. Im Innovationswettbewerb muss der Standort Deutschland die Nase vorne haben. Und dafür brauchen die Unternehmen das Know-how von Ingenieuren.
Welchen Tipp geben Sie jungen Ingenieuren auf dem Weg ins Berufsleben?
Das erfolgreich abgeschlossene Studium ist nur der Anfang. Die eigentliche Bewährungsprobe beginnt mit dem ersten Job. Da muss man Engagement und Verantwortung zeigen. Nur wer hart arbeitet und sich ständig weiter fortbildet, wird im Beruf Erfolg haben.
Glauben Sie, dass Ingenieurinnen die gleichen Karrierechancen haben wie Männer?
Die Zeiten, in denen Frauen im Ingenieursberuf gegenüber Männern benachteiligt waren, sind zum Glück vorbei. In deutschen Unternehmen hat man längst begriffen, dass Ingenieurinnen ihren Job ebenso gut machen wie ihre männlichen Kollegen. Ich sehe da ein ganz anderes Problem: Es gibt leider immer noch viel zu wenig Mädchen, die sich in der Schule für Fächer wie Physik und Mathematik begeistern – und in der Folge daher auch zu wenig Abiturientinnen, die einen technikwissenschaftlichen Studiengang wählen. Wir würden in unserem Entwicklungszentrum gerne mehr junge Nachwuchs- Ingenieurinnen einstellen, wenn es sie denn gäbe. Aus diesem Grund unterstützt Porsche beispielsweise auch Femtec, das Hochschulkarrierezentrum für Frauen in den Ingenieur- und Naturwissenschaften an der TU Berlin. Eigentlich müsste man aber schon in der Grundschule, spätestens aber in den Gymnasien ansetzen und die Schülerinnen dabei unterstützen, sich stärker den naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu widmen.
Wie definieren Sie Karriere?
Karriere heißt, sich ehrgeizige Ziele vorzunehmen und diese dann konsequent und mit harter Arbeit zu verfolgen. Und wenn ein Ziel erreicht ist, darf man sich nicht selbstzufrieden zurücklehnen, sondern muss die Messlatte eben noch ein Stück höher legen. So arbeitet man sich Schritt für Schritt, von einer Herausforderung zur nächsten weiter nach oben – und wächst beständig an seinen Aufgaben.
Sie fordern in Ihrem Buch „Anders ist besser“ mehr Geradlinigkeit – ist das auch eine Forderung an Hochschulabsolventen, die Karriere machen wollen?
Geradlinigkeit ist zweifellos eine ganz hervorragende Charaktereigenschaft, die weder im Privatleben noch im Beruf schadet. Im Gegenteil: Wer keine eigenen, klaren Ziele hat, sondern ziellos den ständig wechselnden Trends hinterherläuft, wird sich auf seinem Karriereweg verzetteln und auf Dauer mittelmäßig bleiben.
Welche Eigenschaften muss ein Hochschulabsolvent mitbringen, wenn er in die Führungsetage eines Unternehmens aufsteigen will?
Zunächst einmal fundiertes Fachwissen. Das ist die notwendige Basis. Dann aber auch eine gute Portion Ehrgeiz, Selbstbewusstsein, Mut, Entscheidungsfreude und Durchsetzungsfähigkeit. Und was auf keinen Fall fehlen darf, ist das Verantwortungsbewusstsein. Man sollte sich immer darüber im Klaren sein, welche Auswirkungen das eigene Handeln für Kunden, Mitarbeiter, Aktionäre und die Gesellschaft insgesamt hat.
Heutzutage sind kreative Thinktanks gefordert – warum ist Kreativität aus Ihrer Sicht wichtig?
Ganz einfach: Weil es für Unternehmen unabdingbar ist, aus dem Windschatten der Wettbewerber herauszutreten, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und eigene Wege zu gehen. Der kreative Einsatz von Wissen ist ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor. Nur wer die besseren Ideen, die intelligenteren Konzepte und die klügste Strategie hat, um seine Kunden dauerhaft zufrieden zu stellen, ist in der Lage, sich positiv aus dem Wettbewerbsumfeld herauszuheben, die Konkurrenten zu überflügeln und am Markt eine Spitzenposition zu besetzen. Kreativität ist allerdings kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um definierte Ziele zu erreichen. Dessen sollte man sich immer bewusst sein.
Wie kann der Nachwuchs selbst kreativer werden – und was tut Porsche dafür, dass sein Nachwuchs kreativer wird?
Kreativität kann sich erst dann richtig und zielgerichtet entfalten, wenn auch das notwendige Handwerkszeug und fachliche Know-how vorhanden ist. Denn Ingenieure sind keine Künstler, sondern qualifizierte Experten, die technische Lösungen entwickeln, die dem Kunden einen echten Mehrwert bringen und ihn dauerhaft zufrieden stellen. Wir bei Porsche unterstützen unsere Nachwuchskräfte deshalb darin, ihr Wissen ständig weiter zu vertiefen und zu verbessern – etwa durch maßgeschneiderte Trainingsund Förderprogramme, mit denen sie ihre individuellen Fähigkeiten weiterentwickeln können.
Was bedeutet für Sie Erfolg?
Erfolg heißt, Ziele, die man sich selbst gesteckt hat oder die einem vorgegeben wurden, in einem angemessenen Zeitrahmen zu erreichen und das einmal Erreichte dauerhaft abzusichern.
Was war Ihr größter Erfolg?
Der Turn-around von Porsche nach der schweren Unternehmenskrise zu Beginn der 90er Jahre. Den kann und will ich mir aber nicht alleine ans Revers heften. Das war natürlich eine Teamleistung, an der alle beteiligt gewesen sind: der Vorstand und das Management genauso wie der Aufsichtsrat und die Familien Porsche und Piëch, die als Gesellschafter auch in der Krise ohne Wenn und Aber zu unserem Unternehmen standen. Eine besonders lobende Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang aber die Belegschaft. Unsere Mitarbeiter haben die notwendigen Veränderungen nicht nur mitgetragen, sondern aktiv mit großem Engagement in ihren Bereichen umgesetzt. Wir haben damals zusammengehalten und alle an einem Strang gezogen, sonst hätte das nicht funktioniert. Und diese Kultur pflegen wir noch heute. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass man sich den Erfolg jeden Tag neu erarbeiten muss.
Sie fordern, dass Unternehmen eine Vision entwickeln und leben sollen – wie ist Ihre Vision?
Unabhängig zu sein, im Denken wie im Handeln, und dabei niemals die Verantwortung zu vernachlässigen, die ich gegenüber unseren Kunden, den Mitarbeitern und Geschäftspartnern, den Aktionären, aber auch der Gesellschaft insgesamt trage. Das ist allerdings weit mehr als nur meine persönliche Vision. Das wird bei Porsche von allen Mitarbeitern gelebt. Wir verstehen uns als ein Unternehmen, dass seine Unabhängigkeit unter allen Umständen bewahren will, ohne dabei seine Verantwortung aus dem Blick zu verlieren.
Was ist Ihr nächstes Ziel bei Porsche?
Ein wichtiger Meilenstein für Porsche ist zweifellos die künftig vierte Baureihe, der Panamera, den wir 2009 einführen werden. Dabei handelt es sich um einen viertürigen Gran Turismo, mit dem wir unsere Kundenbasis beträchtlich erweitern werden. Außerdem arbeiten wir gerade mit Hochdruck an der Entwicklung eines Hybrid-Antriebs für den Cayenne, der noch in diesem Jahrzehnt auf den Markt kommen wird. Auch der Panamera wird einen Hybrid-Antrieb erhalten.
Sie bezeichnen Porsche als den kleinsten unabhängigen Autobauer der Welt und sind gleichzeitig Anteilseigner von VW – welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit kleine Einheiten sich am Markt gegenüber den Großen durchsetzen?
Die Unternehmensgröße allein ist sicherlich nicht der alles entscheidende Erfolgsfaktor. Innovationsstärke, Prozess- und Kosteneffizienz, Flexibilität, eine schlanke Organisationsstruktur und die konsequente Kundenorientierung spielen für den geschäftlichen Erfolg eine weit bedeutendere Rolle. Und was das betrifft, sind kleinere Unternehmen den großen oft mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Das heißt aber nicht, dass große Konzerne notwendigerweise schwerfällig und unflexibel sein müssen. Wir erleben ja gerade bei Volkswagen, dem größten europäischen Automobilhersteller, hautnah mit, wie schnell sich eine Unternehmensorganisation dieser Größenordnung verändern und an neue Gegebenheiten anpassen kann. Und dass Porsche als größter Einzelaktionär diesen Prozess heute strategisch mitgestalten kann, ist eine Herausforderung, die wirklich viel Spaß macht.
Zum Unternehmen
Porsche ist das kleinste selbstständige Automobilunternehmen der Welt. Hervorgegangen ist das heutige Unternehmen aus dem von Professor Ferdinand Porsche senior (1875-1951) im Jahre 1931 in Stuttgart gegründeten Konstruktionsbüro. Der erste Sportwagen mit dem Namen Porsche wurde 1948 von Ferry Porsche (1909-1998), dem Sohn des Firmengründers, als Porsche 356 Nr. 1 im österreichischen Gmünd/Kärnten gebaut. Seit 1950 laufen die Porsche-Sportwagen am heutigen Stammsitz in Stuttgart-Zuffenhausen vom Produktionsband. Porsche ist weltweit in mittlerweile rund 80 Märkten vertreten.
Nach tiefgreifenden Umstrukturierungen Anfang der neunziger Jahre wurde der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG 1996 der Titel „Fabrik des Jahres“ verliehen. Noch drei Jahre zuvor hatte sich das Unternehmen in einer schweren Krise befunden. Dr. Wendelin Wiedeking, der im Geschäftsjahr 1992/93 den Vorstandsvorsitz der Porsche AG übernahm, gelang es innerhalb relativ kurzer Zeit, den angeschlagenen Sportwagenhersteller in die Gewinnzone zurückzuführen und damit dessen Selbstständigkeit zu sichern. Ausschlaggebend hierfür waren Strukturveränderungen in praktisch allen Bereichen des Unternehmens: Nach dem Vorbild japanischen Unternehmensmanagements und den Prinzipien von Lean Production wurden schlankere Strukturen eingeführt und die Prozesse in Produktion, Entwicklung, Vertrieb und Verwaltung optimiert.
Die Produktpolitik wurde den Markterfordernissen angepasst, die Fabrik in Zuffenhausen neu konzipiert und ausgebaut. Porsche ist damit in der Lage, seine Sportwagen hoch effizient zu produzieren und flexibel auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren.