Thomas Sattelberger ist als Personalchef gerne auf der Höhe der Zeit. Statt von Entwicklungen überrascht zu werden, denkt der Personalvorstand der Telekom lieber voraus. Sein Credo: Wissen wird immer wichtiger, der Expertenkarriere gehört die Zukunft. Ein Gespräch über das, was die Telekom von ihren Mitarbeitern erwartet – und was diese vom Konzern erwarten dürfen. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Thomas Sattelberger ist seit Mai 2007 Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Deutschen Telekom. Der im Juni 1949 in Munderkingen/ Donau geborene Diplom-Betriebswirt war von Juli 2003 bis zu seiner Bestellung zum Telekom-Personalvorstand in derselben Funktion Mitglied des Vorstandes der Continental AG in Hannover. Dort verantwortete und gestaltete er insbesondere die zukunftsfähige und strategische Ausrichtung der Personalarbeit, die konzernweite Personalentwicklung, das weltweite Talentmanagement sowie das Arbeitskosten und Effizienzmanagement.
Von 1994 bis 2003 war Sattelberger für die Deutsche Lufthansa in Frankfurt tätig. Seine berufliche Karriere begann Sattelberger, der sein Lehramtsstudium abbrach und danach in Stuttgart BWL studierte, 1975 bei Daimler-Benz in Stuttgart, wo er in verschiedenen Funktionen für die Führungskräfteentwicklung zuständig war. Von 1982 bis 1988 war er bei der ebenfalls zum Daimler-Konzern gehörenden MTU Motoren- und Turbinen-Union in München und Friedrichshafen unter anderem für die Führungskräfteentwicklung der MTU-Gruppe zuständig.
Herr Sattelberger, in einem neuen Positionspapier der Telekom schreiben Sie, die Wirtschaft werde immer wissensintensiver. Woran machen Sie das fest?
Gesamtgesellschaftlich hat in den vergangenen 20 Jahren der Anteil der industriellen Handarbeit dramatisch abgenommen – und zwar zugunsten der Wissensarbeit. Bei der Telekom bedeutet das beispielsweise: Für das Berufsbild des Kupfermonteurs ist das Ende eingeläutet, stattdessen sprechen wir heute von einem Systemmonteur, der auch berät und Verkaufskompetenz mitbringt. In der Folge sehen wir in vielen Branchen seit Jahren einen deutlichen Trend hin zur Akademisierung von Berufen. Egal ob Vertrieb, IT, Personal oder Kundenservice: Analytische und tiefschürfende Problemlösungskompetenz ist gefragt. Und auch wissenschaftliche Bildungsabschlüsse unterliegen einem Veralterungsprozess.
Sind die Absolventen, die die Hochschulen verlassen, sofort soweit, dass Sie Ihnen in dieser Hinsicht helfen können?
In den ersten Jahren ja. Dann aber sehen wir auf etlichen Feldern ganz deutlich den Bedarf nach wissenschaftlicher Weiterbildung. Das Hochschulsystem gibt für Berufstätige heute kaum Antworten auf die Anforderungen. Darum haben wir innerhalb des Konzerns die Förderungsphilosophie Bologna@Telekom entwickelt. Wir haben berufsbegleitende Angebote zum Erwerb von Master- und Bachelorabschlüssen geschaffen, für die sich jährlich Hunderte von Talenten bewerben – und zwar nicht allein aus individueller Lust und Laune, sondern auch angeregt durch ihre Führungskräfte. Die fordern und fördern. Zudem bieten wir jährlich 400 jungen Absolventen die Chance des dualen Erststudiums.
Wie ändert sich die Unternehmenskultur in einem Konzern, in dem immer mehr Akademiker arbeiten?
Das gestalten wir als dynamische, fließende Veränderung innerhalb der Geschäftsbereiche, nicht als „Ruck“ durch plötzliche Veränderung: Mehr Wissens- und Experten- Communities entstehen. Zudem schaffen wir neue Karrierepfade, zum Beispiel Expertenkarrieren. Führung wird offener und moderierender. Ein Blick auf die Zahlen zeigt zum Beispiel, dass sich das Verhältnis der Mitarbeiter, die raus zum Kunden fahren, und der Mitarbeiter in den Service-Centern geändert hat. Durch den technologischen Wandel lässt sich heute vieles aus der Ferne warten.
Kritiker werfen Ihnen vor, dadurch zu einem unpersönlichen Konzern zu werden…
…und übersehen dabei die moderne Fülle an Vorteilen. So muss der Kunde etwa nicht mehr zu Hause sein, wenn wir aus „der Ferne“ Probleme lösen. Von zentralen Knotenpunkten aus sehen wir, wo eine mögliche Störung liegt und beheben diese teilweise sofort. Wir werden damit auch fixer in der Problemlösung. Die alte Idee eines Telekommunikationskonzerns als Flächenorganisation verliert an Bedeutung. Stattdessen bündeln wir Talent und Fähigkeiten in zentralen Planungs- und Steuerungseinheiten, was uns noch leistungsfähiger macht.
Was bedeutet das für akademische Mitarbeiter? Was ist ihre Rolle in einem so strukturierten Unternehmen?
Wir beobachten einen deutlichen Wandel des Selbstverständnisses, den man heute noch etwas prophetisch „Enterprise 2.0“ nennt. Mitarbeiter handeln zunehmend in dem Bewusstsein: Ich bin Unternehmer meines Wissens. Ich bin Herr oder Frau der Dinge – und nicht jemand, der sich nur in formale Autoritätsstrukturen einreiht. Ich rede und handle auf Augenhöhe mit anderen Experten. Wir spüren auch, dass in wissensintensiven Bereichen die Ansprüche und Erwartungen an die Freiheit über Arbeitszeit und Arbeitsort steigen.
Wie reagieren Sie auf diese Ansprüche?
Sie werden vollkommen zu Recht formuliert. Mehr Souveränität hinsichtlich Zeit und Ort ist ein wichtiges Thema: Übrigens nicht zu verwechseln mit „Selbstausbeutung“ eines Mitarbeiters. Es geht um das persönliche Maßschneidern. Deshalb sind individuelle Work-Life-Balance-Konzepte fester Bestandteil unserer Kulturpolitik. Ein Experte möchte auch nicht in sieben- oder achtstufigen Pyramiden arbeiten, in denen eine Idee oder Konzeption Monate benötigt, bis sie abgenickt wird – von jemandem, der nichts von der Thematik versteht. Deswegen werden unsere Hierarchien flacher. Ein Wissensexperte hat das Bedürfnis nach einer neuen Form von Arbeitsorganisation. Er ist nicht in klassischen Kästchenorganisationen zu Hause, sondern in fließenden Projektorganisationen. Wir als Unternehmen müssen deshalb lernen, Projektmanagement, Projektkultur und Wissensmanagement noch besser zu ermöglichen.
Hat sich bei den Wissensarbeitern auch der Blick auf den Begriff Karriere geändert?
Zusätzlich zur traditionellen Managementkarriere tritt die Expertenkarriere: Einfluss nehmen statt Macht ausüben. Viele Wissensexperten legen keinen großen Wert auf eine Laufbahn, die in die Administration führt. Sie stellen für sich den Anspruch auf, herausragend in ihrem Fach zu werden. In den 1980er- Jahren stand die Expertenkarriere schon einmal im Blickpunkt. Sie geriet dann ein wenig in Vergessenheit, gewinnt aber heute wieder an Bedeutung.
Wie verhindern Sie, dass Expertenkarrieren in der Fachidiotie münden?
Wissensmanagement heißt ja nicht nur tiefer, sondern auch breiter, interdisziplinärer. Eine Expertenkarriere bedarf zudem ganz besonderer Führungseigenschaften. Ich muss andere Menschen für mich gewinnen können – und zwar ohne formale Macht zu besitzen. Dafür benötige ich Kommunikationskompetenzen. Ich muss mir quer durch die Disziplinen meine Leute zusammenholen und Heterogenität organisieren.
Wie und wo lernt ein Experte diese anspruchsvollen zusätzlichen Skills?
Erst einmal durch Verantwortung für komplexere Aufgaben, in denen er sich bewährt. Dann durch gute Vorgesetzte als Coaches. Flankierend haben wir einen großen Trainingsbereich, der die Mitarbeiter mit einem breiten Programm bei der persönlichen Qualifikation unterstützt, gegebenenfalls mit Hilfe von externen Spezialisten sowie ausgezeichneten Hochschulen, also mit Lehrstühlen, die keine Scheu haben, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, und Wert auf eine praxisorientierte und ganzheitliche Lehre legen. Da hängt letztlich viel vom pädagogischen Ethos des Professors ab.
Welche Rolle spielen die Unternehmen bei der zusätzlichen Qualifikation – gerade auch mit Blick auf die zeitlich immer engeren Studienabläufe nach der Bologna-Reform?
Gute Unternehmen beklagen sich nicht ständig, dass sie eine Art Reparaturbetrieb für ein unausgegorenes Hochschulsystem sind, sondern nutzen die Chance einer gezielten, individuellen und dadurch sehr effektiven Personalentwicklung. Es muss also kein frisch gebackener Absolvent befürchten, Opfer der Reform zu sein und schlechtere Karrierechancen zu besitzen. Gibt es eine fachliche oder methodische Lücke, wird sie geschlossen – das ist nicht tragisch. Sehen Sie, die deutsche Wirtschaft beklagt sich seit 30 Jahren über die Qualität von Hochschulabsolventen. Und trotzdem ist sie in sehr vielen Bereichen Weltspitze. Das deutsche Gesamtsystem funktioniert doch ganz ordentlich.
Erkennen Sie denn Leute, die das Zeug zu einer exzellenten Expertenkarriere haben, an bestimmten, regelmäßig in Erscheinung tretenden Eigenschaften?
Nein. Rekrutierer, die das behaupten, leiden an Omnipotenzwahn. Wir sollten uns dagegen darauf verlassen, dass eine gute Unternehmenskultur Mitarbeitern das Ausschöpfen ihrer Begabungen ermöglicht. Für mich ist ein gutes Unternehmen ein Melting Pot, in dem letztlich 95 Prozent aller Mitarbeiter den richtigen Platz für ihre Fähigkeiten finden. Darauf vertraue ich. Daher schaue ich bei den Bewerbern weniger darauf, ob sie zu einem vorher definierten Standard passen, sondern ob ich Leidenschaft, Motivation und Persönlichkeit spüre. Mich interessiert, ob jemand aus seinen Stärken etwas macht. Und ob er die Abbrüche, die jeder Mensch in seinem Lebenslauf hat, konstruktiv verarbeitet.
Diese Abbrüche sind also kein Grund mehr, jemandem keine Chance zu geben.
Es gehört in einer Wissensgesellschaft dazu, immer mal wieder ins kalte Wasser zu springen. Früher war man nur einmal Lehrling, dann Geselle, dann Meister. Ich selbst war in meinem Berufsleben vier Mal Lehrling (lacht). Der Wechsel und auch das immer mal wieder Neuanfangen gehören heute dazu. Natürlich nicht das Job-Hoppen, weil da vieles unfertig bleibt. Aber drei Dinge sollte man sich auf die Fahne schreiben, wenn man in der Wissensgesellschaft als Experte eine Karriere machen möchte: lernen, lernen, lernen.
Zum Unternehmen
Die Deutsche Telekom ist weltweit eines der führenden Dienstleistungsunternehmen der Telekommunikations- und Informationstechnologiebranche. Als international ausgerichteter Konzern ist die Telekom in rund 50 Ländern vertreten. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen mit Hauptsitz in Bonn rund 260.000 Mitarbeiter (Stand vom Juni 2009).
Die Deutsche Telekom hat ihr Geschäft in drei Marken aufgeteilt. Dabei steht die Marke T-Home für Produkte für Zuhause, T-Mobile für mobile Dienstleistungen und Produkte für unterwegs. Unter der Marke T-Systems hat der Konzern Angebote für Großunternehmen. Das Unternehmen widmet sich Personalthemen wie Diversity, Work-Life-Balance sowie den Fragen zu Gender und Generation. Zudem bietet die Telekom Weiterbildungsmaßnahmen „on the job“, zum Beispiel einen berufsbegleitenden Studiengang im Rahmen des Programms Bologna@Telekom.
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