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Interview mit Prof. Dr. Kerstin Thurow

Ein Blick in die Hörsäle deutscher Hochschulen verrät es: Der Prototyp des deutschen Professors ist mindestens 50 Jahre alt und männlich. Nach jungen Professorinnen hält man dagegen lange Ausschau. Der karriereführer sprach mit Kerstin Thurow, einer der jüngsten Professorinnen Deutschlands. Von Anne Thesing

Zur Person

Prof. Dr.-Ing. habil. Kerstin Thurow studierte von 1988 bis 1992 in Rostock Chemie. Anschließend promovierte sie sich in München in der Fachrichtung Metallorganische Chemie. 1999 habilitierte sie sich mit nur 29 Jahren in den Ingenieurwissenschaften. Heute arbeitet sie als Universitätsprofessorin für Laborautomation und Direktorin des „Institute of Automation“ an der Universität Rostock.

Frau Prof. Dr. Thurow, 1999 haben Sie sich mit nur 29 Jahren habilitiert. Haben Sie die Habilitation schon im ersten Semester Ihres Studiums geplant?
Nein, meine Planung vollzog sich in Etappen. Zunächst ging es mir darum, mein Studium zu bewältigen. Da mir das keine Probleme bereitete, habe ich mir auch die Promotion zugetraut. Danach habe ich mich für die Habilitation entschieden, um mir für die Zukunft alle Wege offen zu halten. Der frühe Zeitpunkt für eine Professur war allerdings nicht geplant. Ich hätte diesen Zeitpunkt damals eher bei Ende 30 als bei Ende 20 angesetzt.

1992 schlossen Sie nach nur vier Jahren Ihr Chemiestudium erfolgreich ab. Hatten Sie in der Kürze der Zeit nie das Gefühl, das „soziale Studentenleben“ zu verpassen?
Nein, ich hatte nie das Gefühl, etwas zu verpassen. Unter den Studenten gibt es zwei Positionen: Die einen wollen sehr schnell studieren, um möglichst früh im Berufsleben zu stehen. Die anderen legen mehr Wert darauf, die „schöne Studentenzeit“ in vollen Zügen zu genießen. Ich war ein Vertreter des ersten Standpunktes. Aber natürlich ist das soziale Studentenleben nicht spurlos an mir vorüber gezogen. Ich bin wie jeder andere auf Parties und in Kneipen gegangen.

Sind Sie der Meinung, dass die durchschnittlichen Studienzeiten in Deutschland zu lang sind?
Ja – auch wenn ich mich mit dieser Meinung bei einigen Studenten unbeliebt mache. Innerhalb der in Deutschland angesetzten Regelstudienzeiten lässt sich das Studium durchaus bewältigen. Allerdings müssen die Voraussetzungen, beispielsweise für studienbegleitende Praktika, vorhanden sein. An den Universitäten, die ich kennen gelernt habe, war das der Fall. Wenn die äußeren Umstände stimmen, bin ich ein überzeugter Vertreter des amerikanischen Modells. Das heißt: Studiengebühren. Ich bin der Meinung, dass finanzieller Druck die beste Möglichkeit ist, die Studienzeiten zu verkürzen. Über die Höhe und die Möglichkeit, sozial Schwache zu unterstützen, muss natürlich noch geredet werden.

Was gefällt Ihnen am meisten an Ihrer jetzigen Arbeit als Universitätsprofessorin?
Die Verbindung von Lehre, Forschung und Praxis. Auf der einen Seite bilde ich junge Menschen so aus, dass sie einen guten Job finden können. Auf der anderen Seite arbeite ich eng mit der Industrie zusammen, die mir bestätigt, dass meine Arbeit sinnvoll und gefragt ist. Meine Forschung vollzieht sich nicht in einem abgeschotteten „Wissenschaftlerturm“, sondern wird in der Praxis gebraucht und dankbar aufgenommen. Reine Grundlagenforschung würde mir dagegen nicht gefallen.

Wie nutzen Sie Ihre knapp bemessene Freizeit?
Ich bevorzuge „ruhige“ Beschäftigungen. Besonders gerne lasse ich mir bei Strandspaziergängen den Wind um die Nase wehen. Sehr gerne gehe ich auch ins Theater, höre Musik oder gehe schön essen. All diese Dinge sind für andere vielleicht selbstverständlich. Für mich werden sie nach einem langen Arbeitstag zu etwas Besonderem. Ich habe gelernt, bewusst zu genießen. Sicherlich kommt die Zeit für das Privatleben manchmal zu kurz. Aber die Arbeit macht Spaß, und das ist das Wichtigste. Und da ich im privaten Bereich unterstützt werde, funktioniert es sehr gut.

Der Altersunterschied zu Ihren Studenten ist sehr gering. Wie reagieren die Studenten auf eine so junge Professorin?
In der Anfangszeit hielten mich viele für eine neue Kommilitonin. Die Verwunderung war groß, wenn ich mich zu Beginn der Vorlesung nicht zu ihnen gesetzt habe, sondern nach vorne gegangen bin. Aber es gab keinerlei Autoritätsprobleme. Ich habe gezeigt, dass ich mein Fach beherrsche und das Wissen vermitteln kann – so konnte ich mich problemlos durchsetzen.

Der Altersunterschied zu den anderen Professoren ist dagegen verhältnismäßig groß – zudem sind die meisten männlich. Wie ist das Verhältnis zu Ihren Kollegen?
Ich habe großes Glück gehabt. An meinem Institut herrscht ein sehr angenehmes Arbeitsklima. Geschlecht und Alter spielen hier überhaupt keine Rolle. Natürlich wird bei jungen Leuten, die neue Ideen haben, zweimal hingesehen. Ab und an fällt auch der berühmte Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht, und es hat sich bewährt.“ Aber man lässt mich gewähren. Wenn ich mit neuen Vorschlägen Erfolg habe, sind auch meine Kollegen zufrieden und stolz.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: In den nächsten zehn Jahren wird fast die Hälfte der deutschen Professoren aus Altersgründen ausscheiden. Entsprechender Nachwuchs ist nicht in Sicht. Viele Wissenschaftler ziehen das Ausland oder die freie Wirtschaft vor. Wie können die Hochschulen als Arbeitgeber für Nachwuchswissenschaftler attraktiver werden?
Die Hochschulen müssen den jungen Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, selbstständig zu arbeiten. Wer das Gefühl hat, trotz guter Ideen permanent gebremst zu werden, sucht sich ein anderes System, in dem er seine Ideen verwirklichen kann.
Ein weiterer Aspekt ist leider die Bezahlung. In Deutschland wird man nach dem Alter bezahlt. Junge Wissenschaftler bekommen wesentlich weniger Geld, selbst wenn sie Top-Fachkräfte sind. Leistung wird nicht belohnt. In Amerika kann man dagegen anhand der Drittmittel das eigene Gehalt aufstocken. Glücklicherweise gibt es mittlerweile Ansätze, auch das deutsche Gehaltssystem zu reformieren.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, in die freie Wirtschaft zu wechseln?
Nein, denn ich beschränke mich nicht auf meine Professorentätigkeit. Ich habe ein privates Forschungsinstitut – das Institut für Mess- und Sensorsysteme – mit aufgebaut. Mittlerweile sind daraus zwei kleine Firmen hervorgegangen. Diese führe ich nebenbei weiter mit. Die Professorenstelle habe ich unter der Voraussetzung angenommen, diese beiden Tätigkeiten kombinieren zu können. Angebote aus der Industrie hatte ich auch, aber zurzeit reizt mich das nicht. Der einzige Grund, in die freie Wirtschaft zu gehen, wäre finanzieller Art – und dieser Grund ist für mich im Moment nicht maßgeblich.

Welchen Tipp geben Sie Studenten, die eine Universitätsprofessur anstreben, mit auf den Weg?
Sehr schnell studieren, zielstrebig sein, hartnäckig sein. Das Wichtigste ist die Schnelligkeit. Wenn Sie mit 25 Jahren Ihr Diplom in der Tasche haben und mit 27 oder 28 Jahren promoviert sind, stehen Ihnen in Deutschland sämtliche Türen offen. Darüber hinaus muss man hart gegen sich selbst sein. Jeder kennt Gedanken wie „Ach, heute geht es mir nicht gut“ oder „Heute kann ich eigentlich nicht“. Diese innere Barriere gilt es zu überwinden. Aber auch gegen äußere Widerstände sollte man gewappnet sein und hartnäckig an seinem Ziel festhalten. Sobald ich von außen irgendwelche Einwände oder Zweifel gespürt habe, hat mich das umso mehr motiviert. Ganz nach dem Motto „Jetzt erst recht!“

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