Von Wolf Alexander Hanisch
Philosophie ist, wenn jemand mit verbundenen Augen in einem dunklen Zimmer sitzt und eine schwarze Katze sucht, die gar nicht da ist. So geht eine launige Bemerkung, die sich mit der schulterzuckenden Haltung vieler Menschen gegenüber Ihrer Wissenschaft decken dürfte. Wie können Sie die von den Vorzügen der Philosophie überzeugen?
Wer sich mit der Philosophie anfreunden will, braucht natürlich Spaß am Denken. Und das ist etwas, was Studenten durchaus besitzen. Die Philosophie ist darum an Universitäten viel beliebter als Ihre Frage suggeriert. Dass sie zudem in der Wirtschaft ihren Platz hat, zeigt die Tatsache, dass manche ihrer Absolventen nach dem Studium in Unternehmensberatungen einsteigen. An der Ludwig-Maximilians-Universität München bin ich Sprecher des exekutiven interdisziplinären Studiengangs Philosophie-Politik-Wirtschaft oder kurz PPW. Der findet großen Anklang.
Der Benefit des Philosophierens liegt also im präzisen Denken?
So kann man das sagen. Dabei geht es in erster Linie gar nicht mal so sehr um die konkreten Inhalte. In der Philosophie gibt es nichts auswendig zu lernen. Worauf es ankommt, ist vielmehr die Herangehensweise. Und die kann beispielsweise eher formal-logischen, mathematischen Methoden folgen oder eher historisch sein. Wobei Sie natürlich ihr Handwerkszeug beherrschen müssen. Mit der antiken Philosophie können Sie sich nur fundiert auseinandersetzen, wenn sie auch Altgriechisch können.
Wie verträgt sich denn das analytische Denken mit dem in Unternehmen häufig anzutreffenden Diktat des positiven Denkens? Das ist ja eine Sichtweise, die sich weigert, Gefühl und Wahrnehmung voneinander zu trennen. Und gerade diese Trennung ist doch die Stärke der Philosophie…
Richtig. Philosophen haben in der Tat die Aufgabe, konsequentes, rationales Denken einzufordern, was mitunter unbequem sein kann. Aber die Bereitschaft auf sie zu hören wächst ja. Das wird gerade darin ersichtlich, dass moralische Fragen in Unternehmen und der ganzen Gesellschaft eine Renaissance erleben. Denken Sie etwa an die Korruptionsbekämpfung, den Tierschutz oder die Bedeutung der Ethik, wenn es um den medizinischen Fortschritt geht. Da ist die Philosophie gefragt, Themen unbefangen zu durchleuchten und so in Ordnung zu bringen, dass vernünftige Entscheidungen möglich sind. In England zum Beispiel wurde diese Fähigkeit immer hoch geschätzt. Philosophie zu studieren und Banker zu werden ist dort traditionell kein Widerspruch.
Wie passt das denn zu den eher verschulten Master- und Bachelor-Studiengängen, die ja aus der angelsächsischen Welt stammen?
Wahr ist, dass sich deutsche Studenten über die Kurzatmigkeit dieser Studiengänge hierzulande beklagen. Was man ihnen nicht verdenken kann. Diese Neuerungen laufen der klassischen philosophischen Wissenschaftskultur wirklich zuwider. Dass es auch anders geht, erleben Sie aber gerade in den USA, wo BA-Studiengänge eher allgemein-bildend als berufsorientiert sind.
Gleichwohl scheint das Denken in Zusammenhängen immer mehr verloren zu gehen. Wir leben doch in einer enorm technisierten Welt, die oft frustriert. Früher konnte man noch selbst an Autos herumschrauben, wenn sie Probleme machten. Heute muss dafür ein IT-Spezialist mit einem Laptop anrücken. Werden wir von der Technik entmündigt? Und was sagt die Philosophie dazu?
In der Antike war Philosophie viel mehr eine Hilfe zur Lebenskunst mit konkreten Ratschlägen. Dann hat sie sich immer stärker mit Teilproblemen beschäftigt, und heute ist ihre praktische Funktion in den Hintergrund einer weitgehenden Verwissenschaftlichung getreten – von einigen populären Veröffentlichungen in den Bestsellerlisten abgesehen. Aber gerade die zeigen ja, dass der Bedarf nach Lebenshilfe nach wie vor da ist – vielleicht sogar mehr denn je. Die Philosophie reagiert auf ihn allerdings zumeist auf einer anderen Ebene. Es ist zum Beispiel kein Zufall, dass die Bundeskanzlerin nach der Katastrophe von Fukushima eine Ethikkommission eingerichtet hat, in der auch Philosophen saßen. Die Unterstützung der Philosophie ist also auch in Deutschland gefragt, wenn es darum geht, den technischen Fortschritt und andere Entwicklungen grundlegend zu verstehen und vernünftig zu bewerten. Das geschieht zum Beispiel entweder direkt durch Politikberatung oder indirekt – etwa in Form von Podiumsdiskussionen.
Täuscht der Eindruck, dass sich Philosophen ohne akademische Einbindung wie Peter Sloterdijk oder Richard David Precht dabei ungleich stärker hervortun als deren Kollegen von den Universitäten?
Ich denke schon, dass er täuscht. Vor zweieinhalb Jahren veröffentlichte die Zeitschrift Cicero eine Studie, die erhob, welche Wissenschaftler und Intellektuelle Deutungsmacht beanspruchen können, weil sie am häufigsten in den Medien genannt werden. Jürgen Habermas, also der akademische Philosoph schlechthin, landete auf dem ersten Platz. Sloterdijk wurde Zweiter, Nida-Rümelin Dritter. So ein Ranking muss man nicht überbewerten, aber immerhin sind zwei dieser drei Philosophen sehr wohl in den Universitätsbetrieb eingebunden.
Wenn Berufseinsteiger etwas beseelt, dann die Suche nach Erfolg. Was ist Erfolg philosophisch betrachtet? Wie kann man ihn erkennen, wie nach ihm streben?
Eine schöne, schwierige Frage. Klassisch beantwortet bemisst sich der Erfolg nach einem gelingenden Leben. Und ein Leben gelingt dann, wenn ein Mensch begreift, wo und wie er seinen Fähigkeiten und Talenten am besten Ausdruck verschaffen kann. Jemand, der zu diesen Einsichten gelangt und sie umzusetzen versteht, hat Erfolg – auch dann, wenn er damit nicht viel Geld verdient. Darin steckt auch, dass ein Mensch nur dann wirklich frei sein kann, wenn er sich selbst entspricht und nicht allen möglichen Zerstreuungsangeboten unterliegt, die ihn unablässig umgarnen.
Eine Befreiung anderer Art erleben wir auch durch die Globalisierung, die Unternehmen wie Gesellschaften zunehmend interkulturell durchtränkt. Erfinden wir uns gerade alle neu?
Die Phase der Geschichte, in der Nationen für sich selbst leben konnten, scheint mir jedenfalls vorbei zu sein. Immanuel Kant hat sich schon im 18. Jahrhundert mit einer Weltbürgergesellschaft beschäftigt. Heute ist die Zeit wohl reif dafür. Philosophen wie der in Ghana geborene und in Princeton lehrende Kwame Anthony Appiah rufen zu Recht dazu auf, die Vielfalt der Kulturen auch dann als Gewinn zu betrachten, wenn wir nach unterschiedlichen Werten und Wahrheiten leben. Gleichzeitig entsteht aber auch eine Art globale Kultur, an der die Philosophie beträchtlichen Anteil hat. Dazu gehört beispielsweise das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag – eine Einrichtung, deren Existenz noch vor 20 Jahren in weiter Ferne schien.
Wenn Sie Manager eines Unternehmens wären: Hätten Sie eine besondere philosophische Manier zu führen?
Sagen wir eine ethisch begründbare. Gerade redigiere ich die Druckfahnen meines nächsten Buchs, das sich genau damit beschäftigt. Es heißt „Die Optimierungsfalle“ und plädiert dafür, dass sich die ökonomische Führungspraxis nicht aus den kulturellen Bedingungen der Humanität herauslösen darf.
Das ist schön gesagt. Aber kommt man nicht weiter, wenn man die Moral hin und wieder beiseite schiebt?
Das kommt natürlich vor. Aber es ist auf Dauer riskant. Und zwar für alle. Für die Gesellschaft, für das Unternehmen und für einen selbst. Denn wenn bekannt wird, dass man nicht verlässlich ist, erleidet das Berufsleben schnell Schiffbruch. Es ist einfach das falsche Karrieremuster. Wer philosophisch zu denken gelernt hat, versteht das gut.
Julian Nida-Rümelin ist auch Organisator des XXII. Deutschen Kongresses für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Termin: 11.-15.09.2011). Infos:
www.philosophie.uni-muenchen.de
www.dgphil.de
www.julian.nida-ruemelin.de