Professor Jörg Schlaich ist Bauingenieur aus Leidenschaft und weltweit bekannt. Er hat berühmte Bauwerke wie das Dach des Münchner Olympiastadions und die Hoogly-Brücke im indischen Kalkutta gebaut und gehörte auch zur Gruppe “Think”, die mit ihrem Entwurf für den “Ground Zero” den Zuschlag für den Neubau des World Trade Centers knapp verpasste. Von Robert Piterek
Herr Schlaich, Sie haben Bauingenieurwesen und Architektur studiert. Warum sind Sie nicht Architekt geworden?
Prof. Jörg SchlaichIch denke, meine Qualitäten liegen eher im technisch-wissenschaftlichen als im gestalterischen Bereich. Hinzu kam, dass mich ein Professor, der einen Überblick über beide Fachgebiete hatte, während des Studiums ermutigt hat, Bauingenieur zu werden. Er sagte: Wenn du etwas lernen willst, werde Bauingenieur. Der Beruf des Bauingenieurs bietet aber auch einen Vorteil gegenüber dem des Architekten. Bauingenieure können viel leichter begründen, was sie tun, da die technisch-wissenschaftlichen Grundlagen eine feste Argumentationsplattform bieten. Architekten müssen ihre Projekte eher ästhetisch begründen.
Wie kommt man eigentlich als Pfarrerssohn dazu, Bauingenieur zu werden?
In meiner Familie gab es fünf Kinder. Es war einfach klar: Ein Pfarrer reicht. Ich habe mich eher für praktische, handwerkliche Sachen interessiert. Mein Vater hat mich diesbezüglich sehr gefördert. Beeinflusst hat mich meine ältere Schwester, die Architektin war. Zeitgleich mit meinem Abitur beendete ich dann eine Schreinerlehre.
Und ihre christlichen Wurzeln?
Ein im Glauben verankertes soziales Element kann man in jedem Beruf einsetzen. Wo, bleibt einem selbst überlassen. Ich kann mir beispielsweise nur sehr schlecht vorstellen, für das Militär zu arbeiten.
Inwieweit können Sie Ihr architektonisches Wissen in Ihre Arbeit mit einbringen?
Das kann ich voll einbringen. Der Bauingenieur ist durch die Kombination aus Wissen und Intuition kreativ. Ich kann entweder eine Standardbrücke entwerfen oder aber eine Brücke, die sich in die Umgebung einfügt, den Geist des Ortes berücksichtigt. Der Architekt und der Bauingenieur arbeiten mit den gleichen Methoden an unterschiedlichen Dingen. Dabei beeinflussen die Bauten der Bauingenieure manchmal wegen ihrer Größe ihr Umfeld sehr stark. Architekten bauen in erster Linie Häuser, Bauingenieure Türme und Brücken.
Einer Ihrer Partner war Fritz Leonhardt, der nach dem Krieg die Rheinbrücken wieder aufgebaut hat und als einer der wichtigsten Bauingenieure dieser Zeit gilt. Welche Bedeutung hatte Ihr Partner für Sie?
Er hatte einen sehr großen Einfluss auf mich. Ich kam nach dem Diplom in Berlin zu ihm nach Stuttgart und promovierte dann bei ihm. Es gibt leider nur wenige Ingenieure, die gestalterisch interessiert sind. Er war so einer. Er vertraute mir interessante Aufgaben an. Ich sammelte bei ihm entscheidende Erfahrungen und gewann an Selbstbewusstsein.
Wie gelingt es Ihrem Ingenieurbüro, an internationale Großaufträge wie die Hoogly-Brücke in Kalkutta heranzukommen?
Da muss manches zusammenkommen. Ich bin immer sehr viel gereist. Unter anderem bin ich gemeinsam mit meiner Familie im VW-Bus nach Indien gefahren. Auf Tagungen ergaben sich Kontakte. Schließlich trat man an uns heran und erteilte uns den Auftrag. Bei internationalen Ausschreibungen für Großprojekte haben meiner Meinung nach nur die großen weltweit agierenden Ingenieurfirmen zusammen mit einheimischen eine Chance.
Woher nehmen Sie die Kraft, jedes Projekt, und sei es auf den ersten Blick noch so klein, als Herausforderung zu begreifen?
Der Beruf des Bauingenieurs ist hoch interessant, wenn man ihn ausschöpft. Es wundert mich, warum nicht viel mehr Menschen das erkennen. Ein vergleichsweise kleines Projekt, wie der Aussichtsturm auf dem Stuttgarter Killesberg, war so eine besondere Aufgabe. Es ist ein sehr schöner Ort, um eine Aussichtsplattform im Einklang mit der Natur zu bauen. Das reizte mich. Gleichzeitig ärgert es mich, dass überall im Land billige, hässliche Brücken gebaut werden.
Jörg Schlaich über Kreativität: „Niemand wird ohne Kreativität geboren. Wenn ich es kann, kann es jeder! Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Es gibt mehr Bauingenieure als Architekten, die ein Instrument spielen. Nun frage ich: Warum sollten sie diese Kreativität nicht in ihren Beruf einbringen können?“