Im Juni dieses Jahres wurde er zum neuen Präsidenten des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie gewählt: Dr. Hans-Peter Keitel, Vorstandsvorsitzender der Hochtief Aktiengesellschaft. Dem karriereführer berichtet er über die Anforderungen an Jungbauingenieure und Frauen in der Baubranche. Die Fragen stellte Sabine Olschner.
Zur Person
Dr.-Ing. E.h. Hans-Peter Keitel, geboren 1947, studierte Bauingenieurwesen sowie Arbeits- und Wirtschaftswissenschaften in Stuttgart und München und promovierte anschließend an der Technischen Universität München. Nach einigen Jahren als Projektleiter im In- und Ausland und in leitenden Funktionen bei Lahmeyer International Beratende Ingenieure arbeitet er seit 1988 bei Hochtief. Zunächst war er als Direktor beim Vorstand zuständig für das Auslandsgeschäft. Seit 1990 ist Hans-Peter Keitel Mitglied des Vorstands, 1992 wurde er Vorsitzender des Vorstands von Hochtief.
Vielen Abiturienten stellt sich die wohl wichtigste Frage ihres Lebens: Was soll ich studieren? Herr Dr. Keitel – warum haben Sie sich eigentlich für das Studium des Bauingenieurwesens entschieden?
Ich bin in einer Familie mit Bauunternehmen groß geworden. Da lag es für mich nahe, diesen Berufsweg einzuschlagen. Es hat mich immer sehr gereizt, etwas zu schaffen und zu gestalten. Und das nicht nur für kurze Zeit, sondern mit langer Lebensdauer.
Würden Sie den heutigen Abiturienten raten, Bauingenieurwesen zu studieren?
Natürlich. Die Studiengänge an den Technischen Universitäten und Fachhochschulen bieten die Möglichkeit, von Anfang an auf individuelle Begabungen und Interessen einzugehen. Der Beruf des Bauingenieurs bietet unglaublich viele Perspektiven, und auf der Grundlage des Studiums sind heute viele Karrierewege denkbar. Das zeigt der Blick in die Wirtschaft: Bauingenieure sind auch in den Bereichen Projektentwicklung, Facility Management und Finanzierung gefragt. Die Fotos: Hochtief Berufsaussichten sind zudem ausgesprochen gut, denn die Baubranche kämpft mit einem echten Nachwuchsproblem. Wer Interesse an Technik mitbringt, Verantwortung übernehmen möchte, immer Neues kennen lernen und mit seiner Arbeit das Leben vieler Menschen positiv beeinflussen will – der dürfte mit dem Studium zum Bauingenieur gut beraten sein.
Sie pflegen intensiven Kontakt zu zahlreichen Hochschulen. Welchen Eindruck haben Sie von deutschen Universitäten: Bereiten sie ihre Studenten genügend auf den Berufseinstieg vor?
Generell ja. Das Angebot der Universitäten und Fachhochschulen ist sehr differenziert. Je nach Interesse und Begabung können junge Leute zwischen Diplom-, Master- und Bachelorstudium wählen. Wichtig ist zuerst einmal, dass fundiertes technisches Wissen vermittelt wird. Heute zählen aber auch Kenntnisse in Ökonomie und Ökologie sowie das ganzheitliche Denken. In der Wirtschaft brauchen wir Ingenieure, die auch Unternehmer sind. Die Hochschulen sind also gefordert, auch solches Wissen zu vermitteln. Das heißt zum Beispiel, Studierenden frühzeitig die Möglichkeit zu geben, ihre „Soft Skills“ auszubilden.
Welche so genannten Soft Skills sind für die Baubranche unverzichtbar?
Fachkompetenz allein reicht nicht aus, um erfolgreich Projekte zu realisieren: Dazu gehören auch Teamund Kommunikationsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, die Fähigkeit zum ganzheitlichen und vernetzten Denken ebenso wie die Bereitschaft zur Kundenorientierung. Wichtig ist auch der Aspekt der so genannten interkulturellen Kompetenz – also nicht nur Fremdsprachenkenntnisse, sondern ethnische Toleranz und die notwendige Sensibilität im Umgang mit Menschen anderer Kulturen.
Welche Aspekte an Ihrer Arbeit finden Sie besonders spannend?
Die Baubranche prägt das öffentliche Leben unmittelbar. Hochtief zum Beispiel plant und baut Infrastruktur, die Menschen verbindet und ihre Versorgung sicherstellt, ebenso wie Krankenhäuser, Flughäfen, Bürogebäude und Industrieanlagen. Mit unseren Leistungen erreichen wir jeden Tag Millionen Menschen in aller Welt – und gestalten unverwechselbare Lebensräume. Das ist eine großartige Herausforderung und enorme Verantwortung! Zudem ist die Branche ausgesprochen dynamisch. Das Bauunternehmen Hochtief etwa hat sich zu einem internationalen Baudienstleister mit zahlreichen Aktivitäten in aller Welt entwickelt. Das macht für mich die Baubranche zu einer der spannendsten Branchen überhaupt.
Wie wichtig ist für Ingenieure von heute ein Doktortitel?
Das hängt ganz davon ab, in welchem Bereich sie tätig werden möchten. Der Doktortitel ist keine unabdingbare Voraussetzung für Erfolg in unserem Beruf. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, auch in großen Unternehmen. Ein konzentriertes, praxisorientiertes Ingenieurstudium kann all denen gutes Rüstzeug für den Beruf vermitteln, die eher praktisch veranlagt sind. Dort wo es um Forschung geht, um komplexe Zusammenhänge und die ganzheitliche unternehmerische Herausforderung, ist das Feld der vertieft ausgebildeten und promovierten Ingenieure. Wir brauchen in der Bauindustrie auch in Zukunft Menschen, die ihre Aufgaben in großen, gesellschaftlichen Dimensionen reflektieren, die technischen und politischen Sachverstand verbinden und den Einsatz von Kopf und Hand in einen verantwortungsvollen Einklang bringen.
Viele Unternehmen beklagen den Ingenieurmangel in Deutschland. Wie schafft es Hochtief, gute Kandidaten für sich zu gewinnen? Was ist Ihr Beitrag dazu?
Hochtief als einer der weltweit größten Baudienstleister und als internationalstes Bauunternehmen der Welt ist zum Glück eine Wunschadresse für viele junge Ingenieure. Mit dem breiten Leistungsportfolio und der internationalen Präsenz bietet das Unternehmen spannende und langfristige Perspektiven – das macht Hochtief für Absolventen attraktiv. Ich bin überzeugt, dass das auch so bleiben wird. Aber auch die Großen einer Branche müssen sich um junge Talente bemühen, darum spielt ein aktives Personalmarketing eine wichtige Rolle für uns. Wir fördern seit Jahren sehr gute, engagierte Studierende, etwa durch Preise, durch Stipendien oder Praktika auf unseren internationalen Baustellen. Auch unsere Gesellschaften in den USA und Australien sind übrigens mit solchen Programmen in der Nachwuchsförderung aktiv. Wir engagieren uns darüber hinaus dafür, junge Menschen frühzeitig für technische Berufe und unser Unternehmen zu begeistern. Nicht zuletzt bilden wir seit fünf Jahren gewerbliche und technische Mitarbeiter an der konzerneigenen Hochtief- Akademie zu staatlich anerkannten Ingenieuren aus. Das ist in Deutschland einzigartig. Wir wirken mit dieser Initiative dem Mangel an qualifiziertem Nachwuchs entgegen und eröffnen jungen Mitarbeitern attraktive Karrierechancen im Unternehmen.
Als diplomierter Ingenieur haben sie eine wichtige Managementfunktion inne. Was raten Sie technischen Studenten, die sich ebenfalls für eine Managementposition interessieren?
In jedem Falle sollten sich junge Ingenieure klarmachen, dass Fachkompetenz nicht mit Managementkompetenz gleichgesetzt werden kann. Fundiertes fachliches Wissen ist nur die Basis für eine Managerkarriere. Diese erfordert auch die Fähigkeit, Mitarbeiter zu motivieren, Prozesse effektiv zu strukturieren, Ziele klar zu vermitteln, Krisen und Stress zu bewältigen, Konflikte zu lösen und stets das Ganze im Auge zu behalten. Und, ganz wichtig, dabei man selbst zu bleiben und sich Neugierde, Offenheit und Flexibilität zu bewahren. Für junge Ingenieure, die sich eine Managerposition vorstellen können, heißt es: Jede Gelegenheit nutzen, um Erfahrungen zu sammeln. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass eine Managerkarriere nur bedingt planbar ist. Ganz gleich, wie der Berufsweg verläuft: Am wichtigsten ist es, das, was man tut, mit Überzeugung zu tun!
Was bedeutet Karriere für Sie?
Erfolgreich in dem Bereich zu arbeiten, den man als spannend und herausfordernd empfindet. Ich bin in der glücklichen Lage, sagen zu können: Was ich tue, macht mir enormen Spaß!
Gehen Sie als Top-Manager auch mal zu den Hochtief-Mitarbeitern auf die Baustellen – an die Basis sozusagen?
Ja, wann immer ich es schaffe, spreche ich mit unseren Leuten vor Ort. Übrigens längst nicht mehr nur auf Baustellen: Hochtief-Mitarbeiter treffe ich heute auch in Flughäfen, Schulen und Kohleminen, denn unser Geschäft reicht vom Airport und Facility Management bis zum Contract Mining. Für mich sind diese Begegnungen ganz wichtig, denn schließlich bestimmt das operative Geschäft das Geschehen im Konzern. Unsere Strategie entsteht ja nicht im luftleeren Raum, sondern aus unserem Geschäft heraus. Um Trends erfolgreich antizipieren zu können, neue Impulse auf dem Markt zu setzen, Geschäftsfelder zu entwickeln und Mehrwert für die Kunden zu schaffen, müssen wir also genau wissen, wie es auf den Baustellen und im Projektgeschäft aussieht. Nirgends lernt man darüber soviel wie im Gespräch mit den Verantwortlichen vor Ort. Für mich persönlich ist der Besuch auf Baustellen immer wieder ein „Nach-Hause-Kommen“: Eine perfekt organisierte Großbaustelle, auf der aus dem Nichts fantastische Projekte entstehen, hat für mich bis heute nichts an Faszination eingebüßt. Dann weiß ich ganz genau, warum ich meinen Beruf gewählt habe – und warum er mich bis heute begeistert.
Was nehmen Sie persönlich aus Gesprächen mit den Mitarbeitern mit?
Ein Unternehmen ist immer genauso gut wie seine Mitarbeiter. Was sie beschäftigt, ob sie begeistert, motiviert oder auch frustriert sind, hat direkte Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg. Die Leistung jedes Einzelnen trägt zum gemeinsamen Ergebnis bei. Darum ist es mir wichtig, von Mitarbeitern nicht nur zu erfahren, was gut läuft, sondern auch, wo es vielleicht Verbesserungsbedarf gibt – und entsprechend zu reagieren. Es gilt, dafür zu sorgen, dass die Menschen das Unternehmen und seine Ziele verstehen. Weil ich nicht mit jedem persönlich sprechen kann, legen wir großen Wert auf die interne Kommunikation und eine partnerschaftliche Unternehmenskultur. Dabei laden wir unsere Mitarbeiter immer zu einem offenen Feedback ein.
In vielen Industrieunternehmen werden derzeit Anstrengungen unternommen, die Arbeitsbedingungen speziell für Frauen zu verbessern. Wie sieht es in der Baubranche aus: Haben es Frauen schwerer in der männerdominierten Ingenieursbranche?
Nein, das würde ich nicht sagen. Die Dominanz der Männer in diesen Berufen ist ja historisch bedingt, heute gibt es zunehmend mehr Frauen in den klassischen Männerdomänen, nicht nur in der Baubranche. In Sachen Durchsetzungsfähigkeit, Fachkompetenz und Leistungsvermögen stehen die Hochtief-Ingenieurinnen ihren männlichen Kollegen jedenfalls in nichts nach.
Ist die Baubranche prinzipiell eher eine „familienfeindliche“ oder eine „familienfreundliche“ Branche?
Ich glaube, nicht mehr oder weniger als andere Branchen. Wir haben in diesem Punkt insgesamt in Deutschland noch Nachholbedarf, zum Beispiel weil es – anders als bei unseren europäischen Nachbarn – üblich war, dass Mütter jahrelang aus dem Beruf ausstiegen. Aber auch in einem Bauunternehmen gibt es heute viele Möglichkeiten, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, etwa durch flexible Arbeitszeitmodelle. Klar ist allerdings auch, dass ein Baustellenbetrieb sich nicht nach Schulzeiten und Kinderkrankheiten richtet. Aber das ist schließlich in anderen Branchen nicht anders.
Wie hoch ist der Anteil an Ingenieurinnen bei Hochtief? Haben Sie vor, diese Quote zu erhöhen?
Zuerst einmal: Wir haben bei Hochtief keine Frauenquote. Und das soll auch so bleiben, denn wir stellen unsere Mitarbeiter ausschließlich nach ihrer Qualifikation ein und fördern sie entsprechend ihrer Leistung. Toleranz und Chancengleichheit sind klar in den Unternehmensleitlinien verankert und damit verbindlich im gesamten Konzern. Wir unterstützen die Diversity, die Vielfalt der Mitarbeiter, als wesentliches Erfolgselement für unser Unternehmen. Der Anteil der Bauingenieurinnen bei Hochtief in Deutschland beträgt derzeit 8,3 Prozent. Ich bin zuversichtlich, dass diese Zahl in den kommenden Jahren steigen wird. Um diese Entwicklung zu unterstützen, fördern wir das Interesse junger Frauen an technischen Berufen aktiv mit. Hochtief beteiligt sich zum Beispiel an Aktionen wie dem Girls’ Day und der bundesweiten Sommeruniversität.
Zum Schluss gefragt: Was wäre Ihr Traum-Bauprojekt innerhalb der nächsten zehn Jahre?
Da gibt es wirklich mehr als eins! Ich hoffe vor allem, dass die Baubranche in Deutschland wichtige, entscheidende Impulse erfährt – zum Beispiel durch Public-Private- Partnership-Lösungen, für die wir uns engagiert einsetzen, und durch eine umfassende Qualitäts-Offensive, die dem ruinösen Preiswettbewerb ein Ende setzt. Persönlich könnte ich mir einen Ort zum Atemholen vorstellen – ziemlich weit oben in den Bergen!