Geplant hatte er seine Karriere in der Politik nicht, aber schon als Student setzte er sich für die Rechte der Schwächeren ein. Als UNO-Beauftragter kämpfte er für die Menschenrechte im Sudan und auch heute verteidigt Gerhart Baum als Rechtsanwalt die Grundrechte seiner Mandanten. Im karriereführer spricht er über Streitkultur, Engagement und die Fähigkeiten, die Hochschulabsolventen heutzutage mitbringen müssen, um erfolgreich zu sein. von Meike Nachtwey
Zur Person
Gerhart Rudolf Baum wurde am 28. Oktober 1932 in Dresden geboren. 1954 wurde Baum Mitglied der FDP. 1961 schloss er das juristische Studium mit dem 2. Staatsexamen ab. Er arbeitete zunächst als Anwalt und wurde 1962 Mitglied der Geschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. 1972 bis 1994 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Er arbeitete als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern. 1978 wurde er selbst zum Innenminister ernannt. Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 trat er aus diesem Amt zurück. Von 1993 an war Gerhart R. Baum für die UNO tätig, unter anderem als UNO-Beauftragter für die Menschenrechte im Sudan. Seit 1994 arbeitet er wieder als Rechtsanwalt und kämpft für die Grundrechte seiner Mandanten.
Herr Baum, hätten Sie als junger Jurastudent gedacht, dass Sie eines Tages auf eine Karriere wie die Ihre zurückblicken können?
Nein. Ich habe das auch nicht angestrebt. Ich hatte nach dem Krieg den Wunsch, mitzuwirken beim Aufbau unserer Demokratie. Ich befürchtete, dass diese Demokratie nicht gelingen könnte. Dann habe ich mich immer stärker engagiert und schließlich gemerkt, dass es sich lohnt. Das Ergebnis, dass wir jetzt eine „geglückte Demokratie“ sind, macht mich stolz auf die Generationen, die das geschafft haben.
Hat Ihnen die Anwaltstätigkeit während Ihrer Zeit als Politiker gefehlt?
Nein. Ich habe mich sehr stark auf die Politik konzentriert und gesehen, dass beides, eine freie Anwaltstätigkeit und eine intensive Beschäftigung mit der Politik, nicht vereinbar ist. Die juristische Ausbildung hat mir in der Politik allerdings sehr geholfen.
Wie sind Sie zurück zur Anwaltstätigkeit gekommen?
Meine Anwaltstätigkeit hat erst sehr spät, in der Endphase meines Bundestagsmandats, begonnen. Ich entdeckte erst langsam, dass ich in der Politik keine, aber im Anwaltsberuf eine neue chancenreiche Lebensphase haben könnte. Ich habe mich dann auf Luftverkehrsrecht, Beratungen in Osteuropa, Anleger- und Verbraucherschutz spezialisiert.
Wie hat sich die Anwaltswelt verändert, seit Sie Berufsanfänger waren?
Sie ist viel nüchterner und kommerzieller geworden. Man muss sich spezialisieren. Man sollte den jungen Leuten heute von Anfang an sagen, dass sie sich Spezialkenntnisse aneignen. Dann haben sie Chancen. Und sie sollten auch Sprachen lernen.Wenigstens eine, mit der sie über die Grenzen Deutschlands hinweg tätig sein können.
Welche Eigenschaften braucht man heute sonst noch, um als Jurist erfolgreich zu sein?
Man braucht gute Sach- und Menschenkenntnis. Und man braucht kommunikative Fähigkeiten. Ich finde es problematisch, wenn Anwälte sich in ihren juristischen Elfenbeinturm zurückziehen und vor lauter Schriftsätzen nicht merken, was in der Gesellschaft passiert. Alles, was einen Anwalt beschäftigt, hat irgendeinen Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Anwälte müssen wach bleiben für die Entwicklungen in der Gesellschaft und nach Möglichkeit daran teilnehmen.
Wie hat Ihre Arbeit als Politiker Ihre Arbeit als Anwalt geprägt?
Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit lag im Grunde immer bei den wirtschaftlich und gesellschaftlich Schwächeren. Dabei habe ich mich wohl gefühlt. Auch in der Politik bin ich für die Einhaltung der Menschenrechte eingetreten, unter anderem in der Menschenrechtskommission der UNO. Das hat sich in meiner Anwaltstätigkeit fortgesetzt. Ich bin da sehr konsequent. Ich vertrete zum Beispiel keine Banken. Ich habe nichts gegen Banken, aber ich bin der Meinung, dass die Schwächeren auch politische Unterstützung brauchen. Viele meiner früheren Kollegen sind in Aufsichtsräten von Versicherungen oder Banken. Das sind lukrative Positionen. Auf der Seite der Verbraucher kämpfen nur sehr Wenige.
Was muss ein junger Anwalt mitbringen, damit Sie ihn einstellen?
Er muss eine gewisse Leidenschaft für die Sache mitbringen, er muss überzeugt sein, dass das, was er macht wichtig ist. Er muss teamfähig sein und sich voll einbringen.
Ist Herzblut auch wichtig?
Ich denke schon. Man hat mit Menschen zu tun, die Schwierigkeiten und Sorgen haben. Man kann sie nur dann gut vertreten, wenn man nicht nur die juristischen Probleme sieht, sondern auch den Menschen dahinter. Das ist eine Sache der Überzeugungskraft. Der Anwalt muss sich mit Menschen und ihren Problemen auseinandersetzen. Nicht nur mit Paragrafen.
Wo kann man besser Karriere machen: in der Politik oder als Jurist?
Man kann als Jurist sehr gut Karriere machen. Als tüchtiger Anwalt kann man auf jeden Fall mehr Geld verdienen. Aber der Politikerberuf hat auch einen großen Reiz. Man hat zum Beispiel als Minister, aber auch in anderen Funktionen große Gestaltungsmöglichkeiten und muss Verantwortung übernehmen. Ich möchte das nicht missen. Sie müssen ständig um Zustimmung kämpfen, das hält beweglich.
Wünschen Sie sich mehr Engagement von der Generation, die jetzt am Anfang ihrer Karriere steht?
Ich stelle oft Gleichgültigkeit fest. In meinen Augen nimmt die jüngere Generation an den Entwicklungen der Gesellschaft nicht genügend teil. Ich wünsche mir schon mehr öffentliches Engagement.Wo auch immer das sei: in Vereinen, in politischen Initiativen, in Kirchen. Es muss nicht immer die Partei sein. Aber eine stärkere Gemeinwohlorientierung muss eingefordert werden.
Ihr demnächst erscheinendes Buch, in dem Sie für die Grundrechte und gegen den Sicherheitswahn plädieren, trägt den Untertitel: „Eine Streitschrift“. Wie wichtig ist eine gesunde Streitkultur?
Eine Streitkultur ist unglaublich wichtig. Ich habe oft erlebt, dass ich bei einer politischen Entscheidung sicher war und erst durch den Diskurs mit anderen plötzlich sah, dass die Entscheidung korrigiert werden musste. In einer Demokratie müssen Entscheidungen Gegenstände öffentlicher Auseinandersetzung werden. Erst dadurch reifen sie.
Sie sind viel beschäftigt: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich bin zwar für mein Alter immer noch sehr aktiv, gehe aber mittlerweile alles etwas gelassener und geruhsamer an. Meine Frau und ich sind kulturell sehr interessiert und reisen gerne. Wichtig ist, dass man neugierig bleibt. Ich bin neugierig auf die Menschen, die ich treffe. Ich stelle mich den Herausforderungen schwieriger Diskussionen. Neugierig bleiben, beweglich bleiben – auch körperlich – das ist wichtig.
Ihr Tipp für Hochschulabsolventen?
Sie sollten sich natürlich auf ihre Leistungen konzentrieren, dabei aber nicht vergessen, dass sie in einer lebendigen Gesellschaft leben, die sie mitgestalten können. Sie sollten offen bleiben, für Dinge, die um sie herum passieren und internationale Erfahrungen sammeln.
Die Verfassungsklagen
2004 erreichte Gerhart R. Baum zusammen mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Burkhard Hirsch die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde, dass große Teile des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Großer Lauschangriff) verfassungswidrig seien, da sie gegen die Menschenwürde verstießen.
2006 gelang eine weitere erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen das Luftsicherheitsgesetz. Der Abschuss von Passagierflugzeugen im Entführungsfall verstößt laut Urteil gegen das Grundgesetz. Es ist weder mit dem Recht auf Leben noch mit der Garantie der Menschenwürde vereinbar. Die aktuellste Verfassungsbeschwerde gegen die durch die nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetze legalisierte Online-Durchsuchung hatte am 27. Februar 2008 Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die betreffende Regelung für nichtig, da sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die im November 2007 beschlossene Vorratsdatenspeicherung ist anhängig.