Innerlich scheint er die Ärmel immer hochgekrempelt zu haben, äußerlich sind sie es meistens. Schnell folgt engagiertes Handeln auf präzises Denken – und umgekehrt. Bevor Christian Rach 1991 in den Kreis der Michelin-Sterneköche aufgenommen wurde, studierte er Philosophie und Mathematik. Mitten im Examen entschied er sich, Koch zu werden, behielt aber Sokrates und Archimedes im Sinn.
Den Beweis, dass er rechnen und abstrahieren kann, hat er als Unternehmer erbracht. Der Philosophie, seiner „Freundin der Weisheit“, fühlt er sich auch im Alltag nah.
Zum Beispiel, wenn er als „Rach, der Restauranttester“ kurzzeitig fremde Betriebe führt, als wären es seine eigenen, oder Jugendlichen mit ungeradem Lebenslauf in „Rachs Restaurantschule“ eine berufliche Perspektive bietet. Koch, Coach, Unternehmer, Berater, Ausbilder, Nachwuchsförderer, Buchautor und Lebensmitteltester – Viola Strüder interviewte den visionären Multiberufler am virtuellen Küchentisch.
Zur Person
Sturm und Drang. Die Küche – als Kind sein Lieblings-, später sein Arbeitsplatz. Christian Rach wurde am 6. Juni 1957 in St. Ingbert/Saarland geboren. Sein Vater war Ingenieur, die Mutter Hausfrau. Das Elternhaus war katholisch geprägt, Rach elf Jahre lang Messdiener. Mit 20, als junger Freigeist im Hippie-Look, verlässt er die Heimat und wählt Hamburg als sein Tor zur Welt. Nach dem Zivildienst nimmt er das Studium der Philosophie und Mathematik auf, das er mit Kochen finanziert. 1983, im Examenssemester, entschließt er sich, Koch zu werden, lernt in Grenoble, wird Souschef in Wien, reist durch die Welt und eröffnet 1986 in Hamburg sein erstes Restaurant.
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Herr Rach, der Schriftsteller Joseph Conrad soll gesagt haben: „Streng genommen hat nur eine Sorte Bücher das Glück unserer Erde vermehrt: die Kochbücher.“ Sie haben bislang drei davon geschrieben. Wie sieht das Glück aus, das Ihre Kochbücher den Lesern verheißen?
Joseph Conrad irrt. Es gibt wunderbare Literatur, die über die gesamte Welt verteilt Glück bringt. Kochbücher sind in der Regel Bilderbücher, die beim Betrachter hoffentlich Lust erzeugen.
Voltaire wird der Satz zugeschrieben: „Ich habe gefunden, dass Menschen mit Geist und Witz auch immer eine feine Zunge besitzen, jene aber mit stumpfem Gaumen beides entbehren.“ Wie beschreiben Sie die Verbindung zwischen Geist und Gaumen?
Da hat Voltaire natürlich vollkommen Recht. Der liebe Gott hat uns Geschmack verliehen, das heißt Essen und Trinken ist mehr als reine Nahrungsaufnahme. In vielen Ländern ist es fast das höchste Kulturgut. In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, galt Essen und Trinken dagegen jahrhundertelang tatsächlich lediglich als reine Nahrungsaufnahme. Wir befinden uns allerdings auf dem besten Weg dahin, dass sich das endlich ändert.
Als Mathematiker kennen Sie die Welt der Zahlen, als Koch die der kreativen Genüsse. In welcher Welt ist es schwieriger, die wichtigsten Grundlagen zu lernen?
Kochen fängt im Kopf an, genau das ist die Verbindung zur Mathematik. Ein Koch, der seinen Kopf nicht einschaltet, wird niemals ein guter Koch sein. Grundlage beider Berufe ist das zu erlernende Handwerk. Hat man einen natürlichen Zugang, sprich Freude an der Materie, wird es einem sowohl in der Mathematik als auch in der Kochkunst einfach fallen, sich kreativ zu betätigen. Das will nicht heißen, dass der Unbegabte es nicht auch zu einer gewissen Kunstfertigkeit bringen kann.
Wenn Sie Ihr Berufsleben in ein Menü übersetzen würden: Wie viele Gänge hätte es, und nach welchen Gewürzen würde es – mal fein, mal ausgeprägt – schmecken?
Das Berufsleben in ein Menü zu übersetzen ist natürlich relativ schwierig. Einfach ausgesprochen könnte man sagen Vorspeise, Hauptgang, Dessert, wobei ich als erfahrener Gastronom weiß, dass der Espresso das Wichtigste ist, denn der bleibt im Kopf der Menschen hängen – und ich hoffe, dass man innerhalb eines Berufslebens viele verschiedene Espressi trinken kann. Gewürzt werden sollte jeden Tag neu, damit das Ganze spannend bleibt. Einen festen Karriereplan erachte ich übrigens für äußerst schwierig, weil er einem die Spontaneität und die Kreativität verbaut.
In Ihrer TV-Sendung „Rach, der Restauranttester“ kämpfen Sie gegen die Veränderungsresistenz der Inhaber. Ähnlich geht es vielen Führungskräften, sie verlieren dabei Zeit und Energie. Was ist Ihr Konzept, um den Widerstand möglichst schnell zu brechen?
Klare und schnelle Analyse auf Augenhöhe – aber bitte erst dann, wenn ein Ausweg auch erkennbar ist. Eine Lösung muss also im Kopf vorskizziert sein, ansonsten wirkt die Klarheit verletzend und vorführend, und ich erreiche das Gegenteil. Es kommt darauf an, den Mitstreitern in der Führung, Kommunikation und Analyse Schwächen zu offenbaren und einen Zustand aufzuzeigen, um am Ende zielgerichtet handeln zu können.
Ein Teil der Nachwuchskräfte strebt heute von Anfang an nach Work-Life-Balance. Sie haben nun 23 Jahre lang die 80-Stunden- Arbeitswoche gelebt und sind fast immer auf Betriebstemperatur. Ihr Ratschlag an Einsteiger mit hohem Engagement: Wie behält man die Frische?
Eine 80-Stunden-Arbeitswoche sollte natürlich nicht die Regel sein. Ein selbstständiger Unternehmer kommt meistens mit nicht weniger Stunden davon. Das Risiko, das man als Unternehmer trägt, ist nicht in einer 35- bis 40-Stunden- Woche zu meistern, aber eine gesunde Work-Life-Balance ist natürlich das A und O. Auch der erfolgreiche, strebsame Unternehmer sollte immer auf Ausgleich bedacht sein. Ob in die Natur blicken, Yoga oder Sport treiben: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die nicht in einem festen Rhythmus passieren müssen, die man aber immer wieder zur Entspannung und vor allem zur geistigen Erfrischung nutzen sollte.
Der Mensch kann ohne Gold, nicht aber ohne Salz leben. Was ist für Sie das Salz des Berufslebens, um langfristig erfolgreich zu sein?
Das Salz eines Berufslebens ist die Vision, ist der Traum. Nun kann man natürlich einwenden, dass man an einem Fließband schlecht träumen kann, das ist vollkommen richtig. Aber nicht jedermanns Lebensglück hängt von der beruflichen Erfüllung ab. Wenn ich als Unternehmer tätig bin, sollte ich nie aufhören zu träumen und Visionen zu haben. Wenn ich die habe, sollte ich sie mit Pünktlichkeit, Fleiß, Disziplin und kompetenten Partnern umsetzen.
Gibt es eigentlich eine Formel für gelungene neue Rezepte?
Ich kann nur Rezepte entwerfen, deren Resultat ich später selber gerne esse. Umgekehrt herum: Ich mag keinen Grießbrei, keinen Vanillepudding, also kann ich mit diesen Zutaten auch kein erfolgreiches Rezept entwickeln. Sicher ist aber auch: Rezepte passieren nicht am Reißbrett, es sei denn in der Molekularküche. Rezepte bewähren sich über einen längeren Zeitraum und müssen dann den Beweis erbringen, dass sie die Langstrecke beherrschen.
Stellen wir uns einen Einsteiger vor, der in seinem neuen Job erste Erfolge feiert. Was empfehlen Sie, um als „Dessert“ diesen Erfolg auch genießen zu können?
Gelassenheit und Bodenständigkeit sind die wichtigsten Eigenschaften, um Erfolg genießen zu können. Erfolg um des Erfolges willen ist mit solchen negativen Vorzeichen besetzt, dass er zur Gier führt. Zu wissen, woher man kommt, wo man steht und wohin man will – das sind die Grundlagen.
Angenommen, Sie übernehmen das Regiment in einer Küche unter echten Küchenphilosophen, die bekannt dafür sind, dass sie beim Kochen gern viel reden. Wann ist der Moment, in dem in Ihrer Küche absolut keiner mehr etwas sagen darf?
In dem Moment, wenn Gäste kommen, um das philosophische Dinner zu genießen, muss absolute Ruhe herrschen. Es gibt dann keine Diskussionen, keine philosophischen Ergüsse – stattdessen muss es laufen wie in einem Uhrwerk. Es wird dann nur das gesprochen, was mit dem Kochen und Herstellen der Speisen zu tun hat.
Zum Schluss gefragt: Auf dem Holodeck von Star Trek beamen Sie sich zurück in die Antike und können als Koch und Philosoph visionär in die Geschichte eingreifen: Was erfinden Sie, damit die Menschheit es schafft, die Weisheit mit Löffeln zu fressen?
Vielleicht wäre es sinnvoll, Geld zwar zu erfinden und als Tausch- und Zahlungsmittel zuzulassen, aber die Existenz von Banken oder zumindest ihre Macht als Geldverleiher zu begrenzen.
Bücher von Christian Rach
Das Kochgesetzbuch. Die Grundregeln erfolgreichen Kochens. Edel 2008. ISBN 978-3941378032. 29,95 Euro (Gibt es auch als iPhone-App!)
Das Gästebuch. Kochen für besondere Anlässe. Edel 2009. ISBN 978-3941378292. 14,95 Euro
Rach kocht. Morgens, mittags, abends – lustvoll und gesund. Edel 2010. ISBN 978-3941378889. 24,95 EuroExpertise
Christian Rach ist der Typ Schaffer mit Feinsinn, und diese Mentalität verleiht ihm Glaubwürdigkeit. 1988 baut, hämmert, schraubt und streicht er eigenhändig eine alte Fernfahrerkneipe zum Restaurant um und eröffnet es 1989 als Tafelhaus. 1991 erhält er den begehrten Michelin-Stern und nachfolgend diverse Auszeichnungen der edlen Gastronomieführer. Nebenbei baut er weitere Lokale auf, darunter die Cantina Milano und das Rach & Ritchy.
Ganz bodenständig Restaurants von Grund auf zum langfristigen Erfolg zu führen, war offenbar ein Fingerzeig zu seinem zweiten Job als TV-Coach, mit dem er 2005 einem größeren Publikum bekannt wurde. Jenseits von Powerpoint-Folien basiert das Sendekonzept Rach, der Restauranttester auf angewandter Unternehmensberatung mit Rachs Kernkompetenz Kochen. Alle Restaurants haben den gemeinsamen Nenner, dass sie vor dem Ruin stehen, ehe Rach antritt. Der Gastronomieberater plädiert für das Echte, Ehrliche und individuell Machbare – und gegen bequeme Convenience-Lösungen. Nach seiner Analyse erstellt er ein neues Konzept und motiviert die Inhaber zum Wandel. Innerhalb von einer Woche räumt er auf, sorgt für Hygiene, ändert radikal Inneneinrichtung und Speisekarte, übt geduldig mit dem Personal kochen, verschafft den Betrieben ein neues Image und begleitet die Wiedereröffnung. Ob sich seine Ideen bewährt haben, schaut sich Rach bei seinen Wiederbesuchen der Restaurants an. Gut sechs von zehn Wirten haben mit seiner Unterstützung den Turnaround geschafft, so Rach. Die RTL-Sendung wird in der Spitze im Durchschnitt von sieben Millionen TV-Zuschauern gesehen. Die neue Staffel läuft 2012. Auszeichnungen: Goldene Kamera, 2010 Deutscher Fernsehpreis, 2010.