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Interview mit Anton Winkler

Oberstaatsanwalt Anton Winkler arbeitet an der Schnittstelle zwischen Justiz und Öffentlichkeit. Er ist Sprecher des Bayerischen Justizministeriums und erzählt im karriereführer-Interview, was ihn an deutschen Kriminalfilmen und Gerichtsshows stört, warum sich die Justiz noch stärker der Öffentlichkeit öffnen muss und wie junge Juristen ein gutes Verhältnis zu den immer wissbegierigeren Medien aufbauen können. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Anton Winkler, Jahrgang 1954, legte 1983 sein zweites Staatsexamen ab und arbeitete zunächst in der Finanzverwaltung. 1987 wechselte er zur Justiz nach München, wo er als Staatsanwalt und als Richter tätig war. Seit 2000 ist er Oberstaatsanwalt, von 2003 und bis zum Sommer 2009 war er zusätzlich Pressesprecher der Staatsanwaltschaft München.
In dieser Funktion war er erster Ansprechpartner für die Medien in vielen aufsehenerregenden Fällen, unter anderen bei den Vorbereitungen für den Prozess gegen den als NS-Verbrecher angeklagten John Demjanjuk, bei den Korruptionsverfahren gegen Siemens und MAN sowie im Prozess um den Erpresser von BMW-Erbin Susanne Klatten. Anton Winkler wechselte Anfang September 2009 ins Bayerische Justizministerium. Dort ist er Sprecher und Leiter des Pressereferats.

Herr Winkler, schauen Sie häufig deutsche Kriminalfilme im Fernsehen?
Das kommt schon vor, ja.

Mir fällt auf, dass die Oberstaatsanwälte in diesen Filmen entweder die Ermittlungen behindern oder selber Dreck am Stecken haben. Wie zufrieden sind Sie mit dem Bild Ihrer Zunft in fiktiven Stoffen?
Mir tut es manchmal weh, wie die Justiz in Spielfilmen dargestellt wird. Da ist der Oberstaatsanwalt mal der Verrückte, mal der Rächer, mal ein Wüterich – und das stimmt ganz einfach nicht. Die Staatsanwälte in unserer Justiz sind besonnene Menschen. Selbstverständlich gibt es Fälle, in denen ein Staatsanwalt hart entscheiden und auftreten muss. Denken Sie an Fälle, wenn Ihnen ein sexueller Missbrauchstäter an Kindern gegenübersitzt. Aber der Staatsanwalt, der regelmäßig ausrastet, kommt in der Praxis nicht vor. Übrigens genauso wenig wie der Richter, der kein Interesse an der Arbeit hat.

Vielleicht wird es Zeit für eine Einführung in die Realität der Justiz für Drehbuchautoren.
Nach manchen Filmen spüre ich schon den Impuls, am nächsten Morgen den Kontakt zu suchen, um zu fragen: Liebe Leute, wie kommt ihr eigentlich dazu, die Justiz so total daneben darzustellen? Es kommt aber auch vor, dass Drehbuchautoren bei mir anrufen und mich fragen, was sie bei der Inszenierung einer bestimmten Szene in einem Gericht beachten müssen oder welche Strafen bei einem bestimmten Delikt überhaupt möglich sind. Ich freue mich über solche Anrufe. Aber es zeigt sich schon, dass viele überhaupt nicht wissen, was in Deutschland bei Durchsuchungsmaßnahmen oder im Gerichtssaal wirklich passiert.

Hat denn diese schiefe Darstellung in Filmen Auswirkungen auf das Bild der Öffentlichkeit von der Justiz?
Das kann man feststellen, ja. Nehmen Sie die Gerichtsshows, die mit der Realität überhaupt nichts mehr zu tun haben – außer, dass vorne ein Richter sitzt. Bitter ist, dass sich die Atmosphäre, die in diesen Filmen im Gerichtssaal herrscht, langsam in die Praxis überträgt. Da haben Sie im Zuschauerraum hinten Leute sitzen, die meinen, sie könnten sich wie im Fernsehen lauthals einmischen und ihre Meinung kundtun. Die sind dann tatsächlich verdutzt, wenn sie vom Richter ermahnt werden oder ihnen vielleicht sogar ein Ordnungsgeld angedroht wird.

Ist denn garantiert, dass sich Juristen nicht von diesen Stimmungen beeinflussen lassen?
Das wäre in der Tat problematisch. Aber noch wissen Richter, Staats- und Rechtsanwälte, wie sie ihren Job auszuüben haben.

Sie sagen „noch“. Haben Sie Befürchtungen, dass jüngere Juristen in dieser Hinsicht Probleme bekommen?
Nein, denn jeder, der ein Jurastudium abgeschlossen und in der Referendarzeit in der Praxis gearbeitet hat, weiß, wie es in der Justiz wirklich zugeht. Es kommen keine jungen Leute in den Beruf, die glauben, sie könnten den Fernsehzirkus auch in der Realität veranstalten.

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In der Justiz hat sich der Begriff der Litigation-PR etabliert, also einer den Prozess begleitenden Öffentlichkeitsarbeit. Werden Public Relations in der Justiz derzeit über- oder unterschätzt?
Ich glaube, in der Justiz wird noch zu wenig Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Mir liegt viel daran, die Justiz transparent zu machen. Früher war es so, dass sich fast ausschließlich die Verteidigung öffentlich geäußert hat. Dabei hat der Rechtsanwalt selbstverständlich für seinen Mandanten gesprochen, wodurch viele Urteile in der Öffentlichkeit als skandalös wahrgenommen wurden. Ich möchte daher, dass auch wir gefragt werden. Dass wir unsere Meinung äußern und dafür geradestehen, warum wir jemanden angeklagt oder ein Verfahren eingestellt haben. In dieser Hinsicht muss sich die Justiz öffnen, um der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen. Aber vielleicht noch ein Satz zum Begriff Litigation-PR. Hier wird es bedenklich, weil diese gelegentlich versucht, über die Medienarbeit die Justiz zu beeinflussen. Und das darf nicht passieren. Richter und Schöffen müssen ihre Entscheidungen auch künftig alleine auf Grundlage der Hauptverhandlung finden. So steht es im Gesetz: Nur, was im Gerichtssaal gesprochen wird und stattfindet, kann für die Urteilsfindung als Entscheidungsgrundlage dienen. Was in den Medien gesagt oder geschrieben wird, darf keine Rolle spielen.

Muss ein Richter dann aufhören, bestimmte Zeitungen zu lesen?
Nein, das natürlich nicht. Aber jeder Richter muss die zwei Dinge, Verhandlung und Medien, strikt trennen können. Was den deutschen Richtern auch gelingt.

Sind denn die Rechts- oder Staatsanwälte auf die verstärkt nachgefragten Auftritte in den Medien vorbereitet?
Generell schon, ja. Es kommt natürlich vor, dass ein Kollege von der Justiz oder auch von der Polizei mal Dinge sagt, die wenig glücklich sind. Daher ist es wichtig, stets mit Augenmaß zu kommunizieren. Egal, wie hoch der Druck der Medien auch sein mag.

Haben Sie einen Tipp für junge Juristen, wie es gelingt, dieses Augenmaß zu erhalten?
Sauber und korrekt arbeiten. Seinen Beruf in der Justiz würdig ausüben. Und zwar nach innen wie nach außen. Vor Mikrofonen, im Gerichtssaal, aber auch in den Akten. Denn wer Fehler vermeidet, bietet keine Angriffsfläche. Ich empfehle zudem, die Berichte der Medien tatsächlich auch zu lesen. Nur wenn ich mitbekomme, was Journalisten über eine Verhandlung schreiben, weiß ich, wie bestimmte Medien funktionieren und wie sie berichten. Ob neutral oder Position beziehend, nüchtern oder auf den Skandal zielend. Nur dadurch lerne ich, wie ich mit den Medien umgehen muss, wann ich vorsichtig sein muss und welchen Journalisten ich als vertrauenswürdig einschätzen kann, um ihm auch mal Hintergrundinformationen erzählen zu können. Denn eines ist auch klar: Nur ein Journalist, der korrekte Informationen bekommt, ist in der Lage, objektiv, fair und verständlich über die Justiz zu schreiben. Und solange diese Kriterien erfüllt sind, ist es auch vollkommen in Ordnung, wenn der Beitrag kritisch ausfällt.

Zum Unternehmen

Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit Sitz in München ist oberste Dienstbehörde für rund 14.000 Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger, Bewährungs- und Gerichtshelfer, Beamte und Arbeitnehmer sowie für etwa 4500 Beamte und Arbeitnehmer im Justizvollzug.

Die politische Leitung und Verantwortung hat die derzeitige Ministerin Dr. Beate Merk (CSU); seit 30. Oktober 2008 ist sie zusätzlich für den Verbraucherschutz zuständig. Im Ministerium selbst sind derzeit rund 195 Mitarbeiter tätig, darunter rund 75 Beamte des höheren Dienstes. Es ist zuständig für die drei Oberlandesgerichte in München, Nürnberg und Bamberg sowie für 22 Land- und 73 Amtsgerichte.

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