Im „ARD-Mittagsmagazin“ und in der „Börse im Ersten“ präsentiert Frank Lehmann Neues vom Aktienmarkt. Der Wahlschwabe hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen und weiß, wie trockene Themen auch spannend vermittelt werden können. Er lud den karriereführer ein, das Fernsehgeschäft mal aus der Nähe zu betrachten. Von Heike Jüds
Händler, die sich über Zeichensprache aus der dritten Reihe bemerkbar machen müssen, drängen sich heute nicht mehr um die schulterhohen Pulte. Auch flitzt niemand mehr zwischen Fernschreibern, die in kleinen Kabuffen stehen und den Pulten hin und her. Heutzutage herrscht auf dem Parkett eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Die Betriebsamkeit an der Frankfurter Börse hat sich eine Etage nach oben verlagert. Auf dem Balkon ringsum drängen sich Sender und Rundfunkanstalten. Dicht an dicht, immer mit Blick auf die Börsenkurse, sind Kameras, Computer und Beleuchtung aufgebaut.
Vormittagsansichten
Frank Lehmann ist der Börsenexperte der ARD. Mit seiner sonoren Bassstimme erklärt Frank Lehmann den Wandel, der sich im Laufe der letzten Jahre hier an der alten Börse in Frankfurt vollzogen hat. Das denkmalgeschützte Gebäude hat trotz aller Veränderungen seinen Reiz nicht verloren. Im Jahre 1989 reagierte die Rundfunkanstalt ARD auf das Interesse der breiten Bevölkerung am Aktiengeschäft. Börsensendungen wurden in das Programmfenster aufgenommen. Frank Lehmann war zu dieser Zeit Leiter der Wirtschaftsredaktion beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main. Im „Mittagsmagazin“ wurden für das ARD fünf bis sechs Minuten aus der Börse gesendet und bis heute wechseln sich ARD und ZDF wöchentlich damit ab. Im Juli 2000 wurde dieser Service auch in die „Tagesthemen“ aufgenommen. Das Interesse, das sich über die Einschaltquoten zeigte, wuchs, und so „haben wir im November 2000 das neue Stück ‚Börse im Ersten‘ erfunden.“ Frank Lehmann lehnt sich ein wenig stolz auf seinem Stuhl in der Cafeteria zurück. „Wichtig ist immer, dass man erklärt warum heute was an der Börse passiert. Die Fakten bringen und gleich sagen warum.“ Lehmann, der bekannt dafür ist, dass er die eher trockenen Themen mit viel Schmackes rüberbringt, wird scherzhaft auch der „Börsenbabbeler“ genannt. „Ist doch egal, Hauptsache, Ihr guckt“, entfährt es ihm begleitet von einem leichten Schulterzucken. „Wichtig ist, verstanden zu werden, den roten Faden zu finden. Nicht nur Vorstände sehen diese Sendung gerne, auch deren Frauen, wie mir schon erzählt wurde.“ Er lacht kurz und beugt sich nach vorne. Die historischen Parallelen zu den heutigen Ereignissen zu finden, hat er sich zum Ziel gesetzt. Bei seiner Tochter hat er festgestellt, dass so etwas gar nicht an den Schulen unterrichtet wird. Natürlich lässt sich nicht alles auf die heutige Zeit übertragen, aber gewisse Gesetzmäßigkeiten findet er heute wie damals, zum Beispiel im Anlegerverhalten. Diese Zusammenhänge erläutert er nicht nur in der „Zwei-Minuten-Terrine“, wie er die Sendung vor der „Tagesschau“ liebevoll nennt. Manchmal wird er zu einer Sparkasseneinweihung eingeladen. Dann hält er zu diesem Thema auch mal einen Vortrag. In André Kostolany hat er einen Mentor gefunden. Dessen „budapeschter ost-westliche Weisheiten“ hat Lehmann zum Teil verinnerlicht. „Zum Beispiel: ‚Gier ist die Wurzel allen Übels.‘ Das haben wir alles in den Zeiten des Booms erlebt“, zitiert er ihn direkt. Kostolany gilt heute als Meister der Börsenspekulation. Er hat mehr als 70 Jahre an allen Börsen der Welt spekuliert, bevor er im Herbst 1999 im Alter von 93 Jahren verstarb. Lehmann übernimmt aber ebenso gerne berühmte chinesische Weisheiten, die vor 1000 Jahren ihre Gültigkeit hatten wie heute.
Auf die Zutaten kommt es an
Bei der „Frankfurter Rundschau“ absolvierte Lehmann eine kaufmännische Lehre. Nach seinem anschließenden betriebswirtschaftlichem Studium wollte er ins so genannte Management einsteigen. Das Angebot für ein internationales Trainee bei einem Nahrungsmittelkonzern hatte er schon in der Tasche, als ein Anruf aus der Redaktion der Rundschau kam. Dort war bekannt, dass Lehmann in seiner Freizeit ruderte. Der „Papst der Ruderei“, der immer für die Zeitung geschrieben hatte, war über 80-jährig gestorben und nun suchten sie händeringend jemanden, der schnell einspringen konnte. „So bin ich zum Journalismus gekommen, zufällig und quasi hintenrum“, und als würde es ihn heute noch wundern, „der Anruf kam frei nach dem Motto: Du hast Rudern gelernt, hast bei uns eine Lehre gemacht, ein bisschen schreiben kannst du doch auch. Also jetzt komm, probier das mal.“ Er ließ das Management sausen und probierte dort auch noch andere Bereiche des Sports aus, verfolgte aber den Weg des Journalismus weiter. Lehmann vertiefte sein Wissen durch ein Volontariat in der Nachrichtenagentur vwd. Der Anbieter von Finanzinformationen im deutschen Sprachraum versorgt täglich Finanzdienstleister und -institute, Unternehmen sowie Medien mit Nachrichten. In den Abendstunden nahm Lehmann beim Hessischen Rundfunk bei einem Regisseur Sprechunterricht. Der hat ihm dann auch zu einem Praktikum beim Sender geraten. Die waren direkt begeistert, weil der neue Praktikant Ahnung von dem hatte, was er sagte. Später betreute er die Sendung: „Marktwirtschaft für jedermann“. Und wieder half ihm der Zufall. „Es wurde immer ein ganz wichtiger Hörfunkmann aus Bonn für die Sendung bestellt. Eines Tages passierte ihm ein Unglück. Er musste in der Kantine die Zeit bis zur Sendung überbrücken und zog sich einen Cognac nach dem anderen rein – bis er förmlich abstürzte. Der Chefredakteur brauchte schnell einen Ersatz. Innerhalb von einer Stunde bin ich da eingesprungen“, lacht Lehmann.
Heute gibt es diesen Weg der Zufälle kaum noch. Es wird auf ein abgeschlossenes Studium und Volontariat großen Wert gelegt. Die Bewerber müssen zeigen, dass sie genügend Praxiserfahrung haben. „Vor allem neugierig muss man in diesem Beruf sein und bleiben“, betont er. „Raum, um sich groß auszuprobieren, den gibt es beim Fernsehen nicht.“
Mahlzeit
Ein geregelter Alltag existiert an der Börse nicht. Ständig ändern sich die Kurse, neue Meldungen müssen berücksichtigt werden. Die Texte für seine Berichte schreibt Lehmann selbst. Während er das beschreibt, schaut er zu, wie sich sein Kollege Klaus-Rainer Jakisch auf den Live-Schnitt für das „Mittagsmagazin“ vorbereitet. Der Moderator hat sich ein paar Stichworte notiert und geht mit der Regisseurin den Ablauf durch. Nur das Zeitfenster ist festgelegt. Es geht um einen Bericht über die Heidelberger Druckmaschinen. Die Reihenfolge der Bilder muss auf den Text abgestimmt werden. Die entsprechenden Grafiken werden ebenfalls im Schneideraum eingepasst. Jakisch geht noch schnell in die „Maske“. Es ist 14:00 Uhr, das „Mittagsmagazin“ hat begonnen. Alle Bänder liegen bereit, die Kamera wird ausgerichtet, das Licht abgestimmt – Kamera ab!
Das Alltagsgeschäft
Lehmann in AktionZwischen zwei Sätzen spricht Lehmann eine Kollegin auf den grauen Markt an – ein gefährliches Unterfangen wie er findet. Er möchte wohl am Abend darüber berichten. „Unsere Zielgruppe sind die drei- bis 103-Jährigen. Die „Tagesschau“ hat sechs bis sieben Millionen Zuschauer und wir haben davon die Hälfte. Von diesen drei Millionen sind etwa ein Drittel absolute Freaks, die sich im Aktiengeschäft auskennen“, so Lehmann. Das Reizvolle an seiner Arbeit ist, dass er vorher nie weiß, wie der Aktienmarkt an dem Tag reagieren wird. „Börse ist jeden Tag spannend. Selbst das Wetter kann man besser vorhersagen. Der Punkt ist, dass der Mensch und sein irrationales Verhalten das Geschehen steuert.“
Sein Arbeitstag beginnt morgens im Mutterhaus des Hessischen Rundfunks mit organisatorischen Dingen, die seine Aufgabe als Abteilungsleiter mit sich bringen. Mittags geht Lehmann an die Börse und guckt, was los ist. Was er den Zuschauern abends anbieten kann. Sein Arbeitstag endet meistens gegen 20:00 Uhr, mit dem Beginn der „Tagesschau“. Die Sendezeit für „Börse im Ersten“ wird durch die Anzahl der Werbeblöcke bestimmt. Die genaue Zeit erfährt er am Nachmittag des Vortags. „Dadurch sind wir auch ein Spiegelbild der Wirtschaft. Wenn wir viel Sendezeit haben, heißt das, es wird wenig geworben. Das ist dann schlecht für die Konjunktur.“ Ein Computer stoppt die Zeit sekundengenau. So muss der Börsenexperte genau darauf achten, dass er nicht mitten im Satz abgeschnitten wird. Auch eine Kunst.
Nachtisch
Die Kunst hat ihm in vielen Dingen weiter geholfen. Er ist sich sicher, dass sein Hobby der Schauspielerei, das Stehen vor der Kamera erleichtert hat. Das Stehen auf der Bühne war wohl auch der Grund für sein damaliges Sprechtraining. Zuletzt stand Lehmann in einem ganz anderen Kontext vor der Kamera. Christine Westermann und Götz Alzmann hatten ihn nach Köln zu der Sendung „Zimmer frei“ eingeladen. „Das hat richtig Spaß gemacht. Singen musste ich da auch.“ Er lacht. „Ich bin ein Anhänger deutschen Liedguts und habe ‚Am Brunnen vor dem Tore‘ gesungen.“ In seinem Heimat- und Geschichtsverein hat er erfahren, dass das Libretto in seiner Heimatgemeinde entstanden ist. „Die Linde steht noch da, nur der Brunnen ist weg.“