Als „Guardian“ (Wächter) des Frankfurter Liebfrauenklosters und Online-Priester ist Bruder Paulus ein Manager der anderen Art. In Zeiten der Krise rät er Hochschulabsolventen zu Bescheidenheit und Besinnung auf ihre Fähigkeiten. Gleichzeitig kämpft er mit Hilfe von Internet und TV unermüdlich für eine Rückbesinnung auf christliche Werte. von Robert Piterek
In Frankfurts Mitte
In Sichtweite des Klosters: Das Commerzbank-GebäudeEingebettet in Frankfurts Mitte, unweit der bekannten Einkaufsmeile Zeil und der U-Bahnstation Konstablerwache, liegt das Kapuzinerkloster Liebfrauen. Der Blick die Straße hinunter wird vom Commerzbank-Hochhaus begrenzt, eine Blechlawine staut sich neben den Außenmauern des 102 Jahre alten Gebäudes. Motoren brummen, Stimmengewirr dringt an die Ohren.
Drinnen bietet sich ein völlig anderes Bild: Ein langer Tisch mit Teelichtern vor einer Madonnenstatue verbreitet eine andächtige Atmosphäre. Die runden, spitz auslaufenden Tore, durch die Besucher in das eigentliche Klosters gelangen, führen über stille mit Efeu bewachsene Plätze in schlichte Flure, die von Heiligenbildern gesäumt werden.Spartanisch eingerichter Raum In den spartanisch eingerichteten Zimmern, in denen die Gläubigen mit den Geistlichen zusammentreffen, hängt statt einem Heiligenbild ein Kruzifix. Abgesehen von dem Segensspruch an der Tür, der hier an keinem Eingang fehlt, bietet der Raum keinen anderen Blickfang.
Der Onlinepfarrer
Ein Gespräch mit Bruder Paulus steht an. Der Kapuzinermönch und “Guardian” oder Wächter des Klosters, vergleichbar einem Abt, ist kein gewöhnlicher Mönch. Er ist Onlinepfarrer, bekannt geworden durch seine allmorgendliche Kommentierung der Bild-Schlagzeile auf seiner Internetseite www.bruder-paulus Die Reaktion des Kapuzinermönchs auf den Bild-Titel vom 5. September 2002 “TV-Star hat sein ganzes Vermögen verspielt. Lippert pleite” stammt aus dem Buch Tobi: “Hab keine Angst, mein Sohn, weil wir verarmt sind. Du hast ein großes Vermögen, wenn du nur Gott fürchtest, alle Sünde meidest und das tust, was ihm gefällt.” Eine Antwort die deutlich darauf hinweist, dass die eigentliche Arbeit von Bruder Paulus die eines Seelsorgers ist.
Pro Tag wird das Internetportal von 500 Menschen besucht. Auch der eine oder andere TV-Verantwortliche muss schon einmal unter den “virtuellen” Besuchern gewesen sein. Denn Bruder Paulus wird allmählich vom Online- zum TV-Pfarrer. Mit der Sendung “So gesehen”, eine Art Wort-zum-Sonntag in Sat1, und der Mitte September angelaufenen N24-Talkshow “Ethik”, bei der unter anderen Berlins Partygirl Nr. 1 Ariane Sommer und Ex-Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer auftreten werden, erreicht er mittlerweile ein wesentlich größeres Publikum als im World Wide Web.
“Ich will die Zahl der kirchlichen Nachrichten verdoppeln”
Bruder PaulusDann steht er da: Ein großer Mann mit Brille, Bart und einer brauen Mönchskutte, die von einem simplen Gürtelkordel zusammengehalten wird. Wie er so bekannt geworden ist? “Durch die verrückte Kombination, dass ein Mönch im Internet die Bild-Schlagzeilen kommentiert”, ist sich Bruder Paulus sicher und nennt ein Beispiel: “Ein Beichtstuhl im Puff ist für die Leute eben interessanter als in der Kirche.” Darüber hinaus ist er davon überzeugt, dass die Themen, die er aufgreift die “menschlichen” Themen sind. “Die Leute sollen begreifen, dass Gott mitten in ihrem Leben vorkommt.”
Die Plattform Internet hat der Gottesmann nicht ohne Grund ausgewählt, denn er will, dass die Leute zuhören. Ihm schwebt ein klares Ziel vor: “Nur zwei Prozent der Nachrichten in den Medien sind kirchliche Nachrichten. Das will ich verdoppeln.” Im Fernsehen ist er deshalb gern. Weil er gern im Rampenlicht steht, aber auch weil die Botschaft wichtig ist – die Botschaft Gottes. Und warum er? ”Ich bin jemand, der brauchbar ist für´s schnelle Wort,” sagt er bestimmt und ergänzt ”das Internet ist ein flüchtiges Medium. Ich bin schnelllebig, spontan und kreativ.” Charaktereigenschaften, die auch Schwäche offenbaren, wie sich Bruder Paulus eingesteht und derentwegen er in der Welt am Sonntag als Boulevard-Katholik bezeichnet wurde. Andererseits, merkt er an, habe schon der Apostel Paulus gesagt: “Da wo ich schwach bin, werde ich stark.”
Ein Priester, der die Medien nutzen will, um dem Wort Gottes wieder mehr Gehör zu verschaffen. Eine Aufgabe für die sich Großstadt-Priester Bruder Paulus berufen fühlt. Denkt man an das von etlichen Hochhäusern umgebene Kloster am Liebfrauenberg – alt und neu passen hier irgendwie zusammen – dann wird man zuversichtlich, dass ihm das Zusammenwachsen der Wertewelten von Religion und Gegenwart ebenfalls gelingt. Bruder Paulus versucht überall dort einzugreifen, wo soziale Lücken klaffen. Für Führungskräfte gibt er Management-Seminare. Im ihrem Mittelpunkt steht die Frage des solidarischen Umgangs mit den Mitarbeitern. “Die Wirtschaft steht jetzt in der Krise unter großem Druck, da will ich Kirche auch präsent machen,” sagt er. Auch das Internet hat für Bruder Paulus eine Brückenfunktion, denn das neue Medium erleichtert es den ratsuchenden Menschen, sich zu öffnen. LiebfrauenklosterDeshalb ist der prominente Kapuzinermönch auch überzeugt, dass Internet-Seelsorge Zukunft hat: “So konkret und ehrlich wie per Internet bin ich noch nie mit Menschen so schnell in Kontakt gekommen. Für die Zukunft der Kirche heißt dies, dass wir hier einen Schwerpunkt setzen müssen.”
Manager des lieben Gottes
Angesprochen auf das Titelthema des karriereführer Hochschulen und die Managerrolle, die sich Bruder Paulus zuschreibt, hat der wortgewandte Mönch direkt eine Antwort parat: “Ich sehe mich als Manager des lieben Gottes, denn das Priesteramt ist die Zuteilung von Führungsaufgaben durch Gott.” Paulus Terwitte, wie er mit vollem Namen heißt, räumt zwar ein, dass der heilige Franziskus keine “Ersten” wollte, doch als “Guardian” des Liebfrauenklosters, das von neun Brüdern bewohnt wird, fallen ihm natürlich Führungsaufgaben zu. Welche? “Die Brüder sollen Brot und Essen haben,” antwortet er mit seiner tiefen Stimme. Seine Führungsaufgabe gegenüber der Gemeinde schätzt er jedoch anders ein: “Mündig machen ist die wesentliche Aufgabe meiner Führung.” Während des Gesprächs spielt der Gottesmann immer wieder leicht abwesend mit dem Knoten am Ende seiner Gürtelkordel. Innenhof LiebfrauenklosterNach der Frage zu seinem Werdegang, setzt er nach einer kurzen Pause jedoch dazu an, seine Geschichte zu erzählen. Die leitet er aber, wie es seine Art ist, zunächst mit einer philosophischen Feststellung ein. “Als ich mich mit 19 Jahren den Kapuzinern anschloss, stand ich vor der Entscheidung mich führen zu lassen oder zu führen. Entschieden habe ich mich für letzteres.”
Geboren wurde Bruder Paulus im westfälischen Stadtlohn als Sohn eines Gemüsehändlers. Nach dem “Aha-Erlebnis” mit 19 war die nächste wichtige Station im Leben des heute 41jährigen Geistlichen das Studium der Diplomtheologie.Dann folgte im Alter von 26 Jahren die Priesterweihe. Anschließend lernte er vier Jahre bei einem Seelsorger. Mit 30 übertrug ihm der Orden zum ersten Mal die Leitung eines Klosters im Münsterland.
Alle Fähigkeiten in die Waagschale
Darauf angesprochen was er Hochschulabsolventen in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit für die Zukunft rät, wird Bruder Paulus ernst. Jetzt fällt die Professionalität gegenüber Medienvertretern, die der Geistliche sonst so gut beherrscht, für einen Moment von ihm ab. “Sie sollen täglich so handeln, dass sie sich abends noch im Spiegel ansehen können,” sagt er und fährt fort “und sie sollten all die von Gott verliehenen Fertigkeiten und Fähigkeiten in die Waagschale werfen und nicht danach sehen, wie viel man damit verdient.” Die Antwort auf die Frage, welche Rolle Gott dabei spielen soll ist knapp und von einem festen Glauben geprägt: “Gott hat die Fähigkeiten verliehen und hilft.” Straßenschild
Die Wirtschaftslage und die Skandale in den Führungsetagen der Manager machen Bruder Paulus nachdenklich. Sätze wie “ich habe Sorgen, dass die Ehrlichen nicht nach oben kommen” und “viel herauszuschlagen hat heutzutage Konjunktur” und “man wird nicht geächtet, wenn man 20 Millionen auf dem Konto hat” kommen ihm jetzt über die Lippen. Nein, auch wenn er es auf Nachfrage nicht explizit sagt, er hält nichts von den in Ungnade gefallenen Managern vom Kaliber eines Klaus Esser von Mannesmann oder eines Klaus Lederer von Babcock Borsig. Eines aber sagt er deutlich: “Nur Gott steht ein Urteil über sie zu.”
Für die Zukunft erhofft sich der Gottesmann eine neue Bescheidenheit, eine neue Solidarität zwischen Arm und Reich. Paulus: “Es muss Arbeit angeboten werden, die auch von Armen gemacht werden kann, notfalls muss sie erfunden werden.”
Die moderne Version der zehn Gebote
Die biblischen zehn Gebote kleidet Bruder Paulus auf die Gegenwart bezogen in folgende Worte:
Du bist zur Freiheit befreit von mir, deinem Gott. Kapierst du das, wirst du
- Dich nicht von Hochglanzbroschüren gefangenrund auslaufende Tore im Kloster nehmen lassen.
- Mit dem, was du tust und sagst, niemanden kaputtreden wollen.
- Dir von Geld und Erfolg nicht Deine Zeit bestimmen lassen.
- Die Zeit, die deine Eltern dir gaben, ihnen am Ende ihres Lebens zurückerstatten.
- Den Wert des Lebens, sei es noch im Mutterschoß oder sei es im Koma, als Auftrag und nicht als Störung ansehen.
- In Freundschaft und Ehe nach dem Willen zu Respekt den ganzen Lebensbogen entlang leben und dem tödlichen Lustprinzip den Freiheitskampf ansagen.
- Dich mit dem zufrieden geben, was du dir ehrlich erwirtschaftet hast.
- Lieber wahr und klar sein, als verlogen und wischi-waschi-mäßig.
- Lange genug zweifeln und nicht aufhören zu denken, bis du fähig wirst, dein Knie vor mir zu beugen.
- Freude im Leid aus der Entschiedenheit suchen und nicht im Spaß an die Freude im Überall-Nirgends.
Schließlich bringt sich der korpulente Kapuzinermönch noch für einige Fotos vor der Madonnenstatue im Klosterhof in Pose. Eine “kraftvolle Woche” wünscht er zum Abschied. Draußen herrscht immer noch reger Betrieb.
An Blumenladen und McDonalds vorbei geht es zurück zur sonnige Zeil, die an diesem Freitag Treffpunkt für Frankfurts Biker ist. Ein Fahrradzubehörshop reiht sich hier an den nächsten. Gesundheitsdrinks werden herumgereicht, Markennamen bestimmen das Straßenbild. „Einen Fragenden mit langem Atem auf dem Weg begleiten“, lautet Paulus’ Antwort auf die Ansatzpunkte seiner Mission in den Zeiten eines erodierenden christlichen Werteverständnisses. Statt in Richtung des Klosters streben die Menschen auf der Zeil aber zu den Fahrradständen und Boutiquen – und surfen abends vielleicht doch auf seine Internetseite.