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Schriftliche Bewerbung – Auf die andere Art

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Bei jeder Bewerbung stellt sich die Frage: Wie hebe ich mich von meinen Mitbewerbern ab? Auffallen um jeden Preis ist nicht immer die richtige Lösung.

Um Sie als Mitarbeiter einzustellen, braucht man ein Mindestmaß an konkreter Information. Erfahren will man, ob Sie kapieren, was auf Sie zukommt. Ob Sie’s packen. Ob Sie ins Team passen. Ob Sie auf Dauer was bringen. Jobkandidaten reagieren darauf oft mit seltsamen Verrenkungen.

Schon ein chinesisches Wort aus der Yo-Mei-Zeit sagt: „Du kommst vor dem verschlossenen Stadttor an, gibst heftig Zeichen und führst wahre Tänze auf in der Annahme, dass man dich drüben, auf der anderen Seite der Mauer bemerken und hineinwinken wird. Mach doch einfach das Tor auf und gehe hinein.“ – Bewerben heißt, selbst die Tür zu öffnen.

Einfach und direkt
Berufliche Selbstvermarktung und Selbstpräsentation sind heute vielen widersprüchlichen Regeln und Konventionen unterworfen. Je nach Temperament reagieren Bewerber auf den Jobmarkt und seine Spielregeln, indem sie entweder um jeden Preis auffallen oder auf gar keinen Fall aus dem Mainstream abdriften möchten. Also blind Bewerbungsvorlagen kopieren oder offensiv die Blitzkampagne starten? Innovativ oder konventionell handeln?

Versuchen Sie’s mit Einfachheit und Direktheit. Statt zu werben, stellen Sie sich der Bewertung. Statt sich zu verkaufen, arbeiten Sie zu. Statt den Karriere-Gurus zu folgen, folgen Sie der praktischen Vernunft. Kein Mensch muss einzigartig tun. Es reicht, wenn man sich unterscheidet.

Bewerberauswahl beruht auf Wahrnehmung und Differenzierung. Je klarer Sie sich zeichnen, desto besser unterscheiden Sie sich. Wenn Sie sich klar und eindeutig profilieren, heben Sie sich von der grauen Menge der Floskelwerfer und Satzbausteinleger deutlich ab: Sie verstecken sich nicht hinter dem üblichen Blabla. Sie werden sichtbar.

Konzentriert und arrangiert
Anschreiben und Lebenslauf sind eigene Textsorten, aber gleichwertig und gleich wichtig. Beide liefern denselben Satz an Hauptinformationen.

Im Anschreiben haben Bewerber genau eine Seite, um für sich zu sprechen. Es ist eine Mini-Rede. Da Sie nicht wissen, ob man Ihre Rede bis zum Ende der Seite verfolgen wird, liefern Sie Ihre besten Argumente sofort in der ersten Zeile. Legen Sie ohne jede Einleitung los. Keineswegs chronologisch erzählend, dafür gewichtend und aufzählend.

Unterfüttern Sie Ihren Anspruch mit Abschlüssen, Kenntnissen, Fähigkeiten. Gehen Sie auf den Adressaten und auf den Wechsel- oder Bewerbungsgrund ein. Vermitteln Sie am Ende weiteren Gesprächsbedarf. Bingo. Ihr Anschreiben ist garantiert unverwechselbar und funktioniert. Sie werden sich selbst voll und ganz darin wieder erkennen. Jeder wird anerkennen: Ihre Argumentation ist hochwirksam, weil hochkonzentriert.

Das Anschreiben synthetisiert. Der Lebenslauf ist ein Arrangement. Sie reduzieren Informationen so weit wie möglich – bis auf den wesentlichen Datenbestand Ihres beruflichen Selbst.

Entlasten Sie den Job des Personalers durch pfiffiges Informationsdesign. Für die Datenmenge gilt: Viel hilft nicht viel. Die Souveränität des selbstbewussten Bewerbers zeigt sich darin, dass er die Information genau dosiert.

Ehrlich und ansprechend
Vergessen Sie, dass Sie sich individuell präsentieren und Ihre unverwechselbare Persönlichkeit zum Ausdruck bringen wollten. Eine Bewerbung ist kein Ego-Pitch, sondern ein als Antwort maskiertes Angebot. Da zählt allein, was für Sie spricht.

Halten Sie Ihre Schreibe einfach, dann hat es der Personaler einfacher mit Ihnen. Bleiben Sie ehrlich – schon an Ihrer Sprache erkennt man, wenn Sie flunkern. Argumentieren Sie angemessen, dann hört man Ihnen zu. Bauen Sie Ihre Bewerbung ansprechend auf – also: kurz und unkompliziert. Einfach, ehrlich, angemessen, ansprechend. Mit diesen „2E2A“ kommen starke Bewerber ins Jobinterview.

Weder luxuriös noch schlampig
Bewerben ist kein Full-Time-Job. Zeit- und Geldverschwender bewerben sich kreativ, basteln Deckblätter, blamieren sich mit der „Persönlichen Seite Drei“, wählen die Luxusmappe mit Mehrfach-Klappe. All das brauchen Sie nicht. Denn aus solchen Unterlagen liest der Personaler drei Dinge: Unklarheit über das Konzept, Hang zur ästhetischen Entgleisung, fehlendes Bewusstsein über die eigene berufliche Identität.

Mit Anschreiben, Lebenslauf und den handverlesenen Nachweisen, die Ihren Claim belegen, kommen Sie gut aus. Nehmen Sie als Mappe stets das Produkt, mit dem ein Personaler am leichtesten arbeiten kann. Stellen Sie sich seinen Arbeitsablauf bildhaft vor. Prägedruck und Wasserzeichen stehen keineswegs im Zusammenhang mit der Wertigkeit des Bewerbers. Praktikabilität hat für Personaler immer Vorrang. Wer berufshalber Mappen auf- und zuklappt, dem klappt längst nicht mehr vor Staunen der Mund auf.

Äußeres und Form einer Bewerberpräsentation sollten schnurstracks zum Inhalt führen. Zu den Pro-Argumenten. Zu dem, was für einen spricht. Sehr edle und kostspielige Unterlagen machen Personaler ebenso nachdenklich wie eine nachlässig und schlampig zusammengestellte Mappe. Nutzen Sie Ihr Bewerberbudget für neue Lederschuhe und nicht für eine geile Ledermappe.

Fazit: Bleiben Sie straight. Argumentieren Sie konkret. Halten Sie’s einfach. Dann nimmt man Sie ernst.

Autor:
Gerhard Winkler veröffentlicht und berät seit 1997 auf seiner Site jova-nova.com. 2003 veröffentlichte er bei Smartbooks Anders bewerben, 2004 erschien Anders antworten.

telefonische Bewerbung

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Wenn ein Unternehmen in seiner Stellenanzeige telefonische Auskunftsbereitschaft signalisiert, sollten Sie dieses Angebot nutzen und anrufen. Bedenken Sie aber, dass Sie sich bei einem solchen Telefonat quasi in einem Vorstellungsgespräch befinden.

Achten Sie deshalb auf eine ruhige Umgebung, telefonieren Sie zu einem günstigen Zeitpunkt, legen Sie Ihre schriftlichen Unterlagen zum schnellen Nachschlagen bereit, denken Sie an Papier und Bleistift für Notizen, und fragen Sie sich zum zuständigen Gesprächspartner durch.

  • Fragen Sie nach, an wen Sie Ihre schriftliche Bewerbung richten sollen, falls in der Anzeige kein Name genannt ist.
  • Lassen Sie sich Informationsmaterial zusenden: Bewerberbroschüren, Geschäftsberichte, Kataloge etc. So können Sie Ihre Bewerbung unternehmensspezifisch gestalten und auch im Vorstellungsgespräch konkretes Interesse an dem Unternehmen zeigen.

Vielleicht haben Sie Pech und stellen in diesem Gespräch bereits fest, dass eine Bewerbung keine Aussicht auf Erfolg hat – dann haben Sie wenigstens Geld, Zeit und Arbeit gespart.
Ein anderer Einsatzfall ist die – vor eine Initiativbewerbung „geschaltete“ – telefonische Bedarfsklärung. Sie können in der Personal- oder auch Fachabteilung anrufen und vor Ort klären, ob Personalbedarf besteht. Dass dieses Gespräch intensiv vorbereitet und geübt werden sollte, liegt auf der Hand.
Haben Sie sich bei einem Unternehmen beworben und nach mehr als drei Wochen noch keine Informationen über den „Stand der Dinge“ erhalten, können Sie anrufen und – höflich – nachfragen.

Überzeugen auf den zweiten Blick: die Anlagen

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Anlagen sollen vor allem eins: Ihre Qualifikationen und Fähigkeiten dokumentieren. Zwar werfen die meisten Personalfachleute erst in der zweiten Selektionsrunde einen intensiveren Blick auf die Zeugnisse und anderen Unterlagen in Ihrer Bewerbungsmappe. Dann aber haben sie einen sehr hohen Stellenwert bei der Entscheidung für oder gegen ein Vorstellungsgespräch.

Leitfaden für Auswahl und Zusammenstellung

  • Vollständigkeit der Unterlagen: Belegen Sie alle Lebensphasen und Qualifikationen, die Sie im Anschreiben und Lebenslauf erwähnen.
  • Wählen Sie Ihre Anlagen sorgfältig aus. Personaler haben weder Zeit noch Lust, mit überflüssigen oder ungeordneten Unterlagen überschüttet zu werden. Klar strukturierte, übersichtliche Dokumente mit deutlichem Bezug zum Stellenprofil überzeugen.
  • Ordnen Sie die Anlagen nach ihrer Bedeutung. Je höher der Bildungsabschluss und je aktueller das Arbeitszeugnis, desto interessanter sind sie. Die zeitlich jüngsten Angaben sollten an den Lebenslauf anschließen und die ältesten Bescheinigungen an letzter Stelle erscheinen. Maßgeblich ist immer das Datum der Ausstellung.
  • Verschicken Sie keine Originale. Sie könnten verloren gehen oder in verschmutztem oder beschädigtem Zustand zurückkommen. Achten Sie darauf, dass die Kopien von sehr guter Qualität sind.
  • Fremdsprachige Unterlagen, abgesehen von englischen Zeugnissen, sollten übersetzt werden. Das gilt umgekehrt auch für deutschsprachige Unterlagen bei Bewerbungen im Ausland.
  • Weniger ist mehr: Vermeiden Sie ein Zuviel an Papier, Karton oder Klarsichthüllen, das keinen Mehrwert bietet, sondern nur die Lesefreundlichkeit behindert bzw. den Personaler verärgert.

Checkliste: Welche Anlagen gehören in die Bewerbungsmappe?

  • Schul- und Examenszeugnisse
    Ihre tatsächliche Aussagekraft über die berufliche Qualifikation ist strittig. Fest steht aber: Schul- und Examenszeugnisse sind immer Bestandteil von Bewerbungsunterlagen. Gerade bei Berufsanfängern ist das Examenszeugnis die wichtigste Quelle für die Bewertung der fachlichen Eignung. Liegt das Abschlusszeugnis zum Zeitpunkt der Bewerbung noch nicht vor, sollte auf jeden Fall das letzte Zwischenzeugnis (Vordiplom, 1. Staatsexamen …) beigefügt werden. Wenn Sie bereits eine Berufsausbildung absolviert haben, sollten Sie auch diesen Abschluss dokumentieren. Von den Schulzeugnissen ist lediglich das letzte Zeugnis, in der Regel das Abiturzeugnis, von Interesse.
  • Praktikums- und Arbeitszeugnisse
    Praktische Erfahrungen zählen bei den Firmen besonders viel. Daher sind Arbeitszeugnisse aus Berufstätigkeiten vor und während des Studiums, aber auch Praktikumszeugnisse für den zukünftigen Arbeitgeber sehr aufschlussreich. Dabei interessieren die zeitlich nahen Tätigkeiten mehr als das Kurzpraktikum in der Schulzeit. Dem sollte die Anordnung der Zeugnisse Rechnung tragen: Die neueren Belege gehören auch hier nach vorne, direkt hinter den Lebenslauf, die älteren nach hinten. Achten Sie darauf, dass Ihnen nicht nur eine Bescheinigung über das Praktikum ausgestellt wird (einfaches Zeugnis), sondern auch Aussagen über die Aufgaben und erbrachten Leistungen gemacht werden (qualifiziertes Zeugnis).
  • Zertifikate und Bescheinigungen über Zusatzqualifikationen
    Zusatzqualifikationen sind z.B. besondere Computer- oder Sprachkenntnisse.Diese können Sie im Rahmen einer Weiterbildung, eines Begleit- oder Aufbaustudiengangs erworben haben. Auch Zeugnisse, die bestimmte Kommunikations- oder Managementfähigkeiten wie Organisationstalent und gutes Führungsverhalten bescheinigen, können die Bewerbungsmappe sinnvoll ergänzen. Generell gilt: Die bescheinigten Zusatzqualifikationen sollten in Bezug zu Ihrem künftigen Arbeitsplatz stehen. Setzen Sie Schwerpunkte.
  • Arbeitsproben
    Arbeitsproben beweisen die fachliche Qualifikation besser als viele Worte. Sie sind daher für die Werbung in eigener Sache besonders gut geeignet. Jedoch nur in bestimmten Branchen und auch nur dann, wenn sie explizit angefordert werden. Erwartet werden Arbeitsproben in allen kreativen und wissenschaftlichen Berufen. Beispiele eigener Arbeiten sind: Anzeigen, Plakate, Zeichnungen, Pläne, Entwürfe, Fotos, eigene redaktionelle Beiträge und andere Veröffentlichungen.
  • Referenzen
    In seltenen Fällen werden Bewerber in Anzeigen aufgefordert, Referenzen anzugeben. Darunter versteht man die Empfehlung durch Vertrauenspersonen, die aufgrund ihrer beruflichen oder gesellschaftlichen Stellung in der Lage sind, positive Auskünfte über die fachliche Qualifikation oder die Charaktereigenschaften des Bewerbers zu geben. Bei Berufsanfängern spielen Referenzen nur eine untergeordnete Rolle, es sei denn, die Referenzperson steht in direktem Bezug zu dem betreffenden Unternehmen oder dessen Branche.
  • Handschriftenprobe
    Liefern Sie diese nur auf ausdrücklichen Wunsch. Schriftproben fordern Betriebe, um mit Hilfe grafologischer Gutachten Erkenntnisse über die Eignung des Bewerbers für eine bestimmte Stelle und über seinen Charakter zu gewinnen. Schreiben Sie einen Text, der nicht mehr als eine Seite umfasst. Dabei empfiehlt es sich, entweder einen Zeitungsartikel abzuschreiben (Quelle angeben!) oder weitere Informationen über den eigenen Werdegang zu geben.

Interview mit Arnd Zinnhardt

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Arnd Zinnhardt ist bei der Darmstädter Software AG, Deutschlands zweitgrößtem Software-Unternehmen, für zwei Bereiche verantwortlich: die Finanzen und das Personal. Im Interview analysiert er die Besonderheiten einer Branche, deren einzige Konstante die ständige Veränderung ist, und erklärt, warum ein innovatives IT-Unternehmen heute zwei Typen von Mitarbeitern benötigt: querdenkende Klassenkasper und führungsstarke Klassensprecher. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Arnd Zinnhardt, 49, studierte an der Universität zu Köln Wirtschaftswissenschaften und begann seine berufliche Laufbahn beim Wirtschaftsprüfungs- und Consulting-Unternehmen Ernst & Young. Er legte 1992 sein Examen als Steuerberater ab, 1994 folgte das Wirtschaftsprüfexamen, im selben Jahr stieg er bei Ernst & Young zum Prokuristen auf. 1998 wechselte Zinnhardt als Partner zum Wirtschaftsprüfungsunternehmen BDO nach Frankfurt, wo er 2001 zum Office Managing Partner aufstieg.

Im Mai 2002 wechselte der passionierte Marathonläufer in den Vorstand der Software AG und ist dort als Chief Financial Officer (CFO) unter anderem verantwortlich für die Bereiche Finanzwesen, Controlling und Mergers & Acquisitions. Zusätzlich verantwortet er als Arbeitsdirektor des Unternehmens den Bereich Human Resources.

Herr Zinnhardt, bevor Sie bei der Software AG anfingen, haben Sie 14 Jahre lang als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer gearbeitet. Im Vergleich zu anderen Geschäftsfeldern: Was macht die IT-Branche so besonders?
Die Dynamik und die Veränderungsprozesse, die wir in der gesamten Industriewelt erleben, sind in der IT-Branche besonders ausgeprägt. Sie müssen sich nur einmal vor Augen führen, was in den vergangenen fünf bis zehn Jahren in der IT-Industrie alles passiert ist. Ich habe meinen Kindern neulich meinen ersten Rechner gezeigt, mit dem ich gearbeitet habe. Ein früher Apple Macintosh. Ich kam mir dabei vor wie ein Museumsmitarbeiter, der seinen Kindern ein Gerät aus einer uralten Epoche vorstellt. Im Zuge dieses kleinen nostalgischen Ausflugs in die Vergangenheit habe ich an meine ersten E-Mails zurückgedacht, die ich Mitte der 90er-Jahre gesendet hatte. Die gingen von Frankfurt nach Stuttgart – und ich habe parallel dazu beim Kollegen angerufen, um zu fragen, ob diese elektronische Post auch tatsächlich angekommen ist.

Heute schmunzeln wir über solche Anekdoten …
… damals war es revolutionär. Und die Revolution geht ja immer weiter: IT-Entwicklungen haben Auswirkungen auf alle vorstellbaren gesellschaftlichen Bereiche. Nicht nur das Privatleben wird heute massiv von IT beeinflusst: Kein Unternehmen kann heute mehr ohne IT funktionieren. Die wesentlichen Innovationstreiber der vergangenen Jahre sind die direkten Folgen neuer IT-Lösungen, die nahezu alle denkbaren Unternehmensprozesse effizienter und schneller gemacht haben. Es ist unglaublich spannend, in einer Branche zu arbeiten, die einen so großen Einfluss ausübt. Wobei wir vor der Herausforderung stehen, nicht nur auf den Status quo zu blicken, sondern uns immer auch zu überlegen, wie die Welt in zwei oder drei Jahren aussehen wird – und welche Anforderungen die Menschen und Unternehmen dann an die IT stellen.

Ihre Zukunftsfähigkeit müssen aber doch heute Unternehmen aus allen Branchen überprüfen, oder?
Ja, aber nirgendwo sind die Zyklen kürzer als in der IT-Industrie. Wenn wir einen Businessplan für die kommenden drei Jahre aufstellen, dann wissen wir schon jetzt, dass es sich dabei um nicht mehr als eine ungefähre Hochrechnung handeln kann. Wir wissen, dass sich die Rahmenparameter, von denen wir heute ausgehen, schon in ein paar Monaten so massiv geändert haben können, dass sie jeden noch so guten Plan auf den Kopf stellen.

Was bedeutet das für Einsteiger in diese Branche? Was müssen Sie – neben fachlichen Qualitäten – mitbringen?
Entscheidend sind hohe Anpassungsbereitschaft und Kreativität. Man muss sich klar machen: Wer in die IT-Branche geht, wird dort keinen Platz finden, an dem er wie ein Beamter arbeiten kann. Wer heute einsteigt, muss begreifen, dass er sich im Laufe seiner Karriere niemals auf seinem Wissen ausruhen kann. Das Wissen von heute ist schon in fünf Jahren so obsolet, dass es kaum noch etwas wert sein wird. Eine gewisse Abenteuerlust sollte man als Einsteiger also mitbringen. Genau richtig positioniert ist jemand, der es spannend findet, wenn das Lernen nach dem Studium nicht aufhört, sondern erst so richtig beginnt.

Was sind dabei die wichtigsten Lernerfahrungen?
Während des Studiums kämpft man meistens für sich, manchmal auch in Teams, aber immer mit dem gemeinsamen Interesse, das Studium so schnell wie möglich erfolgreich zu absolvieren. Im Berufsleben kommt es dann jedoch vor allem darauf an, Leute, die eine andere Gefühls- und Motivationslage haben, für Ideen gewinnen zu können. Keine erfolgreiche Karriere kommt ohne Psychologie aus.

Welchen Rat geben Sie Einsteigern, auf was müssen sie in dieser Hinsicht gewappnet sein?
Es gibt dieses schöne Sprichwort: „Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.“ Viele Einsteiger sind zu Beginn sehr ungeduldig. Das ist im Grunde auch gut so. Aber es ist auch gut, wenn die Ungeduld im Laufe der ersten Monate einer gewissen Abgeklärtheit weicht. Denn dann zeigt sich, dass Unternehmen auch in dieser so dynamischen Branche Organisationen sind, bei denen Veränderungen eine Zeit brauchen und vor allem Beharrlichkeit zum Ziel führt.

Im Bereich „Karriere“ auf Ihrer Homepage beschreiben Sie zwei sehr unterschiedliche Typen, die Sie für Ihr Unternehmen suchen: den Klassenkasper und den Klassensprecher. Was erhoffen Sie sich von diesen Typen?
Wenn man sich vor Augen führt, wie Karrierepfade verlaufen können, dann gibt es vereinfacht gesagt die Management- und die Fachlaufbahn. Bei letzterer ist ein Experte gefragt, der in der Lage ist, sein Thema voranzutreiben und dabei ganz neue Konzepte zu entwickeln, die Bestehendes auch mal komplett umschmeißen. Von einem Typ des Klassenkaspers verspreche ich mir diese Kreativität und dieses Querdenkertum. Einem Klassensprecher ist es dagegen bereits früh gelungen, eine Führungsposition innerhalb einer Gruppe einzunehmen. Er hat im besten Fall schon früh eine authentische Führungskultur entwickelt – und genau diese ist für eine Managementkarriere entscheidend, bei der es darum geht, Leute für eine gemeinsame Sache zu gewinnen.

Noch einmal zurück zum Querdenker: Bekommen denn auch schon die Einsteiger den Raum und die Gelegenheit, sich in dieser Hinsicht auszuzeichnen?
Darauf legen wir großen Wert, ja. Wenn man innerhalb einer Gruppe auf der Suche nach einer innovativen Lösung ist, dann ist eine ergebnisoffene Diskussion der Grundstein dafür, dass diese letztlich gefunden wird. Der größte Feind einer lebendigen und zielführenden Unternehmenskultur ist permanentes Ja-Sagertum. Es verhindert, dass unterschiedliche Meinungen in den Entscheidungsprozess einfließen – und diese Diversität ist in einer Branche, die sich so schnell wandelt, von immenser Bedeutung. Es muss in jedem Team Leute geben, die gerne widersprechen. Ich erwarte von unseren Einsteigern, dass sie etwas zu sagen haben. Wobei eines klar sein muss: Sobald nach der Diskussion eine Entscheidung getroffen wurde, wird diese auch exekutiert. Und dann ist Loyalität gefragt – und zwar auch vom Typ Klassenkasper.

Zum Unternehmen

Die Software AG ist nach Jahresumsatz hinter SAP das zweitgrößte Software- Unternehmen Deutschlands und das viertgrößte Europas. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Darmstadt versteht sich als Weltmarktführer für den Bereich Business Process Excellence, also von Software-Lösungen, die in Unternehmen Geschäftsprozesse verbessern.

Gegründet wurde die Firma bereits im Jahr 1969 von einem Team deutscher Software-Pioniere, zu denen auch Peter Pagé und der Mathematiker Peter Schnell gehörten. Das Datenbank-Management-System Adabas kam Anfang der 70er-Jahre erstmals bei Banken und Behörden zum Einsatz und ist bis heute eine erfolgreiche Marke des Unternehmens. Weitere Garanten des wirtschaftlichen Erfolges sind zudem die Analyse-Plattform Aris sowie die Prozess-Automatisierungssoftware webMethods. Heute hat die Software AG – die 2009 das bis dahin drittgrößte deutsche Software-Unternehmen IDS Scheer übernahm – rund 6000 Mitarbeiter.

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Interview mit Erik Zabel

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Der Team-Telekom-Kapitän Erik Zabel ist zwar bei der diesjährigen Tour de France von seinem Teamkollegen Alexander Winokurow in den Schatten gestellt worden. Seine Bilanz der vergangenen Jahre kann sich aber sehen lassen: Sechs grüne und ein gelbes Trikot gewann er bei der Tour. Fragen des Erfolgs beantwortete Zabel dem karriereführer. von Christoph Berger und Stefan Trees

Was bedeutet für Sie Erfolg?
Realistisch gesteckte Ziele zu erreichen.

Welches waren Ihre Schlüsselerlebnisse auf dem Weg zum Erfolg?
Der erste Sieg in einem Jugendrennen. Aber das ist schon ewig lange her. Es hat mir aber gezeigt, dass ich etwas erreichen kann, wenn ich nur will.

Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Sich auf den Punkt konzentrieren können.

Wie sollten erfolgreiche Menschen mit ihrem Erfolg umgehen?
Mit dem Wissen, dass Erfolg eine sehr, sehr schnell lebige Angelegenheit ist.

Wie motivieren Sie sich immer wieder neu?
Ich will einfach unbedingt gewinnen. Das ist fast so etwas wie eine Sucht für mich geworden.

Sind Niederlagen für Erfolge wichtig?
Sie sind die Voraussetzung für den Erfolg.

Wie motivieren Sie sich in Zeiten von Niederlagen?
Nicht zu gewinnen, gehört genauso dazu wie zu gewinnen. Es ist für mich etwas ganz Normales.

Wie wichtig ist es, Mensch zu bleiben, um Erfolg zu haben?
Nur so geht’s.

Wie wichtig ist ein Ausgleich neben Ihrem Beruf?
Die Familie gibt mir die nötige Kraft.

Woran erkennen Sie wirklich erfolgreiche Menschen?
Sie sind nicht nur erfolgreich in ihrem Beruf, sondern zumeist auch beeindruckende Persönlichkeiten.

Arbeiten Sie auf Anerkennung von außen hin oder zählt für Sie der persönliche Erfolg?
Beide Komponenten sind nicht voneinander zu trennen.

Unterscheidet sich Ihr heutiges Erfolgsdenken vom Beginn Ihrer Karriere?
Ich genieße die Erfolge jetzt vielleicht intensiver.

Messen Sie Ihren Erfolg nur an Ihrem Ranglistenplatz oder gibt es weitere Messlatten?
Sagen wir so: Ein guter Ranglistenplatz ist vielleicht die Bestätigung für meinen Erfolg, aber keine Befriedigung.

Als Fahrer in einem Team sind Sie auch von der Mannschaft abhängig. Wie motivieren Sie Ihre Teamkollegen immer wieder aufs neue?
Durch meine Erfolge! Die Jungs setzen sich schließlich voll für mich ein und stellen den eigenen Erfolg hinten an.

Interview mit Gaby-Luise Wüst

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Gaby-Luise Wüst hat China bereits als Trainee bei BMW kennen gelernt. Bis heute ist die Betriebswirtin fasziniert von der Aufbruchstimmung, die in der Bevölkerung eine ungeheure Energie freisetzt. Als General Manager betreut sie von Peking aus die Importeursmärkte Hongkong, Taiwan und Macau. Im karriereführer spricht sie über Pionierarbeit in Peking, kulturelle Besonderheiten und die Autovorlieben der Chinesen.

Zur Person

Gaby-Luise Wüst, geboren 1967 in Speyer/ Rhein, absolvierte an der European Business School in Oestrich-Winkel ein betriebswirtschaftliches Studium. Anschließend stieg sie über ein internationales Traineeprogramm beim Automobilhersteller BMW Group ein. Bereits in dieser Phase arbeitete sie neun Monate in Peking. Später betreute sie von München aus den asiatischen Markt im Bereich Sales & Marketing. Von 1998 bis 2001 war die Betriebswirtin verantwortlich für PR und Marketing der Niederlassung München. Danach zog es sie wieder in das internationale Geschäft, betreute zunächst die Importeursmärkte in Afrika und in der Karibik, bevor sie 2003 in China beim Aufbau des Joint Venture BMW Brilliance einstieg. Seit Anfang 2007 ist die 39-Jährige General Manager der Importeursmärkte Hongkong, Taiwan und Macau. Gaby-Luise Wüst lebt in Peking.

Nach dem Studium sind Sie als Trainee bei BMW eingestiegen. Sind Sie ein großer Autofan?
Autos fand ich schon immer spannend, aber ich bin nicht so autoverrückt wie manch einer meiner Kollegen. BMW war für mich eine starke Marke, und mich hat die Internationalität des Unternehmens angesprochen. Daher war BMW für mich damals der Traumarbeitgeber.

Sie sind General Manager für die Märkte Hongkong, Taiwan, Macau. Von wo aus arbeiten Sie?
Mein Hauptsitz liegt in Peking, weil hier unser Regional Headquarter angesiedelt ist. Allerdings reise ich natürlich viel nach Hongkong, Taiwan und Macau. Dort bin ich einmal im Monat für ein bis zwei Wochen. Etwa dreimal im Jahre bin ich geschäftlich in München.

Wie ist BMW in den Märkten Hongkong, Taiwan und Macau aufgestellt?
Die Märkte Hongkong und Taiwan weisen kein starkes Wachstum mehr auf. Das sind unabhängige Unternehmer, die mit der BMW AG eine festen Vertrag haben und das Importgeschäft betreiben. Die Importeure haben wiederum Verträge mit Händlern, die das Retailgeschäft übernehmen. Meine Aufgabe ist es, diese Importeure zu betreuen. Wir reden über Zielvereinbarungen – qualitativer und quantitativer Art. Dazu gehören auch das Monitoring des Zielerreichungsprozesses und natürlich die Unterstützung, wenn es Probleme gibt – im Prinzip beinhaltet meine Arbeit eine permanente Beratung zu den einzelnen Prozessen im Importeurs- aber auch im Retailbetrieb.

Was ist der Unterschied zwischen diesen Märkten und Festlandchina?
In China haben wir eine eigene Tochtergesellschaft und ein Joint Venture, das den BMW 3er und BMW 5er produziert und vertreibt. Dort stellt allein die schiere Größe des Marktes eine Herausforderung dar. Zwischen den Märkten gibt es durchaus auch Unterschiede in der Mentalität. Die Chinesen in Hongkong beispielsweise sind sehr viel internationaler als die in Mainland China.

Sind in den unterschiedlichen Märkten auch jeweils andere Autos interessant?
Auf jeden Fall. In Mainland China haben wir eine sehr große lokale Produktion auch von lokalen Brands, die sich aber hauptsächlich auf das Basissegment, den Massenmarkt konzentrieren. Im Premiumsegment, in dem sich BMW bewegt, bevorzugen die Festlandchinesen große, geräumige Autos. Prestige und Luxus spielen eine große Rolle. Hongkong und Macau konzentriert sich mehr auf den Premiumsektor und auch die Nischenmodelle sind gefragt: Cabrios, BMW 6er, Z4. Dabei sollte es möglichst immer das allerneuste Modell sein. Taiwan hingegen ist schon sehr viel mehr vergleichbar mit der Struktur in Europa. Dort sind wir mit unseren BMW 3er und 5er sehr stark vertreten, aber auch mit dem 7er.

Welche Chancen sehen Sie für BMW langfristig in diesen Gebieten?
Die Märkte Hongkong und Taiwan weisen kein starkes Wachstum mehr auf. Hier versuchen wir unsere Position durch ein verbessertes Produktangebot und einen besseren Service auszubauen. Macau spielt eine Sonderrolle. Durch den wachsenden Casino-, Veranstaltungs- und Konferenzbetrieb hat sich noch einmal ein ganz eigener Bedarf entwickelt, beispielsweise an Flottenfahrzeugen für Hotels.

Wie war Ihre erste Begegnung mit China?
Ich war bereits 1994 als Trainee das erste Mal in China: Das war eine sehr spannende Zeit. BMW hatte in Peking gerade ein Repräsentanz Office eröffnet, das war natürlich auch für mich als Berufseinsteigerin eine tolle Chance. Wir waren eine ganz kleine Mannschaft, jeder musste im Prinzip alles machen. Ich war damals „Mädchen für alles“, musste das Büro einrichten, Material besorgen, Visitenkarten drucken und so weiter. Das hört sich alles so einfach an, aber 1994 war das in China noch recht kompliziert. Dann haben wir die Businessprozesse, damals mit unseren Importeuren, aufgebaut. Es herrschte eine wahnsinnige Aufbruchstimmung. Wir haben richtige Pionierarbeit geleistet.

Und wie ist die Situation heute?
Seitdem hat sich China stark geöffnet und weiterentwickelt. Dennoch ist die Situation vergleichbar: Immer noch herrscht diese Aufbruchstimmung. Mittlerweile geht ja auch viel Geschäft ins Landesinnere, und dort ist die Stimmung ähnlich wie vor zehn Jahren in Peking.

Wie haben Sie sich damals auf Ihren ersten Einsatz in China vorbereitet?
Meine Vorbereitungszeit war sehr kurz, aber ich hatte Gelegenheit, ein interkulturelles Training zu besuchen. Privat habe ich sehr viel Zeit investiert, habe viel über das Land und seine Kultur gelesen. Vor Ort habe ich mich gleich unter das Studentenvolk gemischt, um Menschen kennen zu lernen und tiefer in das Land einzutauchen.

Was fasziniert Sie an der Region?
Die Atmosphäre ist schon sehr anders als in Europa, alles ist schnelllebig und impulsiv. Tagtäglich gibt es Herausforderungen zu meistern. Es ist alles nicht so einfach wie in Europa: Man kann die Schriftzeichen nicht lesen, wird vielleicht nicht immer verstanden – aber wenn man sich darauf einlässt, ist das eine unglaublich spannende Sache.

Was beeindruckt Sie am meisten?
Die Stimmung, die am Markt herrscht, von der jeder in der Bevölkerung betroffen ist. Fast alle können in irgendeiner Form am Aufbruch partizipieren, und die meisten sehen darin auch eine Chance, ihr Leben zu verbessern. Dadurch wird eine ungeheure Energie freigesetzt, die überall zu spüren ist.

Wie begegnet man Ihnen als weibliche Führungskraft?
Das ist hier kein großes Thema. Viele chinesische Frauen arbeiten in hohen politischen und wirtschaftlichen Funktionen. Hier wird eine Frau in Führungsposition akzeptiert – egal ob sie aus dem Westen kommt oder aus China.

Wie sollten sich Absolventen vorbereiten, die im China-Geschäft tätig werden möchten?
Wenn man im chinesischen Umfeld arbeiten möchte, ist es sinnvoll, schon während des Studiums Praktika vor Ort zu machen oder ein Auslandssemester zu verbringen. Es empfiehlt sich, möglichst viel Zeit in China zu verbringen, um ein Gefühl für das Land und die Menschen zu bekommen. Neugierde und Aufgeschlossenheit gehören dazu, aber auch Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen, weil doch nicht immer alles so rund läuft, wie wir das aus Europa gewohnt sind.

Zum Unternehmen

Die BMW Group deckt mit den Marken BMW, MINI und Rolls-Royce als einziges Automobilunternehmen weltweit alle relevanten Premiumsegmente ab. Sie gehört mit einem Umsatz von 48,99 Milliarden Euro, einem jährlichen Absatz von 1,37 Millionen Automobilen und 100.000 BMW Motorrädern sowie über 106.000 Mitarbeitern zu den größten Automobilherstellern weltweit. Als internationales Unternehmen verfügt BMW derzeit über 23 Produktions- und Montagestandorte in 12 Ländern.

In China ist die BMW Group seit 1994 mit einer Repräsentanz in Beijing vertreten. Im September 2003 erweiterte sie ihr internationales Produktionsnetzwerk um einen Standort im Nordosten Chinas. Seitdem laufen in der Provinz Liaoning im Werk Shenyang BMW Automobile vom Band. Begonnen hat die Produktion mit dem BMW 3er, gefolgt vom BMW 5er. Das Werk, das mit Brilliance China Automotive Holdings Ltd. ein Joint Venture betreibt, produziert Fahrzeuge ausschließlich für den lokalen Markt und trägt damit zur Erschließung und Durchdringung des chinesischen Marktes bei.

Interview mit Bettina Würth

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Bei der Adolf Würth GmbH & Co. KG fing sie mit 23 Jahren ihre Ausbildung an – heute leitet sie als Vorsitzende des Beirats die Geschicke des Künzelsauer Familienunternehmens. Bettina Würth folgt damit ihrem Vater Reinhold, der seine Firma in den vergangenen fünf Jahrzehnten zum weltweit größten Handelsunternehmen in der Befestigungs- und Montagetechnik gemacht hat. Im Interview mit S-taff spricht sie über Neugier, Weiterentwicklung und Frauen in einer Männerbranche.

Zur Person

Geboren am 9. Oktober 1961 in Schwäbisch Hall, machte Bettina Würth mit 23 Jahren eine Ausbildung zur Industriekauffrau bei der Adolf Würth GmbH & Co. KG. Von da an arbeitete sie sich Stück für Stück im familieneigenen Unternehmen hoch: Sie leitete den Bereich Vertrieb, Produkt und Marketing in der Division Bau, wurde verantwortliche Regioleiterin für Umsatz und Personal in Nord- und Ostdeutschland und stieg 2001 als Mitglied in die Konzernführung der Würth-Gruppe ein. Im März 2006 übernahm sie von ihrem Vater den Beiratsvorsitz des Unternehmens. Sie setzt sich unter anderem besonders für die Themen Nachwuchsförderung und Teamorientierung ein. Bettina Würth ist verheiratet und vierfache Mutter.

Sie haben in der elften Klasse die Schule abgebrochen und sich dem klassischen Berufseinstieg zunächst verweigert. Wie haben Sie trotzdem den Dreh zur erfolgreichen Unternehmerin geschafft?
Ich habe die Schule nach der elften Klasse mit mittlerer Reife verlassen und anschließend eine Findungsphase eingelegt. Ich denke, wenn man eine gewisse Zeit für seine Orientierung nutzt, findet man heraus, was für einen wichtig ist. Danach habe ich eine Ausbildung zur Industriekauffrau innerhalb der Würth-Gruppe absolviert. Nach und nach habe ich alle Bereiche des Unternehmens kennen gelernt. Ich habe dabei gemerkt, dass mich die einzelnen Prozesse im Unternehmen faszinieren. Vor allem für den Vertrieb – unser Kerngeschäft – habe ich eine große Begeisterung entwickelt. So bin ich Schritt für Schritt meinen Weg gegangen.

Wie bewältigen Sie die Gratwanderung in der Würth-Gruppe, das zu bewahren, was Ihr Vater aufgebaut hat, und Neues ins Unternehmen einzubringen?
Einer unserer Grundsätze lautet: „Wir machen alles Erfolgreiche konsequent weiter und packen neue Dinge an.“ Es geht nicht darum, mit Zwang etwas Neues in das Unternehmen zu bringen. Außerdem ist mein Vater weiterhin als Vorsitzender des Stiftungsaufsichtsrates aktiv, und seine Ratschläge werden sowohl von der Konzernführung als auch von mir gerne angenommen. Darüber hinaus stimme ich mich bei wichtigen Entscheidungen mit meinem Vater ab. Die Grundwerte unserer Firmenkultur sind tief verankert, und unsere Bodenständigkeit lässt uns nie vergessen, wo wir herkommen. Dabei wollen wir allerdings nie stehen bleiben und haben eine grundlegend offene Haltung zum Beispiel neuen Geschäftsfeldern gegenüber. Wie wichtig uns das ist, zeigt schon unser Jahresmotto: „Vibrierende Neugier“.

Mussten Sie sich als Frau eigentlich in der männerdominierten Montagetechnikbranche erst durchsetzen?
Ja, aber grundsätzlich hänge ich das Thema „Frauen in Managementpositionen“ nicht so hoch. Ich liebe es, bei unseren Kunden im Handwerk zu sein, und fühle mich in dieser Welt sehr wohl.

Glauben Sie denn, dass Frauen die gleichen Karrierechancen haben wie Männer?
Ja, ich glaube bei uns im Unternehmen schon. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich als Frau benachteiligt bin. Und im Gespräch mit anderen Frauen bei uns im Unternehmen haben mir diese das Gleiche berichtet.

Einer Ihrer Arbeitsschwerpunkte ist das Personal. Wie wichtig sind für Sie Querdenker und gemischte Männer-Frauen-Teams?
Für mich ist wichtig, dass wir im Unternehmen Mitarbeiter haben, die sich einbringen, die Verbesserungsvorschläge machen, aber sich auch gleich mit möglichen Lösungen beschäftigen, die Ärmel hochkrempeln und ganz pragmatisch an der Umsetzung arbeiten. Gemischte Teams sind notwendig, um ein Gleichgewicht an Ratio und Emotion zu schaffen.

Wie sehen Sie Ihre neue Rolle als Beiratschefin? Was hat sich für Sie im Gegensatz zur Arbeit in der Konzernführung geändert?
In der Konzernführung habe ich eine operative Tätigkeit wahrgenommen. Als Vorsitzende des Beirats sind meine Aufgaben auf die strategische Unternehmensführung ausgerichtet. Der Beirat ist ein Kontrollgremium. Ich nehme eine beratende Funktion ein, zum Beispiel wenn es um Personalentscheidungen geht. Das heißt, ich habe operative Aufgaben abgegeben. Trotzdem setze ich mich intensiv mit den anstehenden Themen auseinander, um diese Kontrollaufgabe auch gut ausführen zu können.

Sie begleiten – wie jeder Innendienstmitarbeiter bei Würth – einmal pro Jahr den Außendienst. Wie werden sich Vertriebsstrukturen in den nächsten Jahren verändern? Was können Neueinsteiger erwarten?
Das Einkaufsverhalten unserer Kunden wandelt sich. Wir passen uns mit einem stationären Handel, der unseren Direktvertrieb ergänzt, an diesen Wandel an. Somit bleiben wir unserer Linie des Verkaufens über Außendienstmitarbeiter treu, können aber zusätzlich noch einen Mehrwert schaffen. Würth bietet Neueinsteigern im Außendienst erstklassige Qualifizierungsmöglichkeiten zum Beispiel über das Würth Junior-Verkäuferprogramm.

Stimmt es, dass Sie in Ihrem Büro keinen Computer haben?
Ja.

Und warum nicht?
Ich werde mir erst einen Computer anschaffen, wenn er mit mir spricht. (lacht)

Ihr Motto lautet: „Nie stehen bleiben und sich kontinuierlich weiterentwickeln.“ Was sind Ihre nächsten Ziele?
Das Unternehmen soll weiter gesund wachsen. Wir wollen Chancen nutzen, aber auch mit einem scharfen Blick dafür sorgen, dass unsere Grundwerte bewahrt werden und nicht verwässern. Die Mitarbeiter in diese Richtung zu motivieren, liegt mir sehr am Herzen.

Welchen Tipp haben Sie für junge Leute, die nach dem Studium erst am Anfang ihrer Karriere stehen und es wie Sie an die Spitze eines Unternehmens schaffen wollen?
Neugierig sein, Dinge hinterfragen, eine eigene Identität entwickeln und sich nicht verbiegen gehört genauso dazu wie Ausdauer, Fleiß, Eigenverantwortlichkeit und Freude an der Arbeit. Das sind sicherlich wichtige Grundeigenschaften, die man mitbringen sollte, wenn man im Beruf erfolgreich sein möchte.

Zum Unternehmen

Von Schrauben und Dübeln über Möbel- und Baubeschläge bis hin zu Werkzeug und Arbeitsschutzkleidung reicht das Sortiment der Würth-Gruppe. Mit über 100.000 Produkten wurde aus dem einstigen Schraubenspezialisten ein Experte für Montagetechnik. Weltweit beliefert Würth mittlerweile über 2,9 Millionen Kunden aus Handwerk und Industrie. 1945 von Adolf Würth gegründet, entwickelte sich das Familienunternehmen mit Sitz im baden-württembergischen Künzelsau zu einem internationalen Handelsunternehmen, das mit 370 Gesellschaften in 83 Ländern der Welt tätig ist und über 55.000 Mitarbeiter beschäftigt, über 29.000 davon als Verkäufer im Außendienst. Nach dem frühen Tod des Vaters übernahm Reinhold Würth 1954 mit gerade einmal 19 Jahren die Schraubengroßhandlung mit einem Umsatz von rund 80.000 Euro. 2006 lag der Umsatz der Würth-Gruppe bei 7,74 Milliarden Euro. Im März 2006 gab Reinhold Würth den Posten als Vorsitzender des Beirats an seine Tochter Bettina ab.

Interview mit Prof. Dr. rer. nat. Martin Winterkorn

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Mit einem VW Käfer begann einst seine Liebe zum Auto, heute führt Martin Winterkorn mit Audi eine ganze Automarke.Winterkorn ist ein echter „Audianer“ und Auto-Liebhaber durch und durch. Im karriereführer spricht er über Zukunftsmärkte, Qualifikationen und Deutschland als Land der Ideen. Die Fragen stellte Sabine Olschner.

Zur Person

Prof. Dr. rer. nat. Martin Winterkorn ist seit März 2002 Vorstandsvorsitzender der Audi AG sowie Vorstandsmitglied im VW-Konzern. Geboren am 24. Mai 1947, studierte der Leonberger von 1966 bis 1973 Metallkunde und Metallphysik an der Universität Stuttgart. Anschließend promovierte er am Max-Planck- Institut für Metallforschung. Nach vier Jahren bei Bosch wechselte er 1981 als Vorstandsassistent zu dem Ingolstädter Autohersteller. 15 Jahre und eine Reihe von leitenden Funktionen später übernahm Winterkorn den Vorstand für die „Technische Entwicklung“ der Marke Volkswagen. Im Juli 2000 wurde er Mitglied des VW-Konzernvorstands für den Geschäftsbereich „Forschung und Entwicklung“. Der zweifache Familienvater lehrt als Professor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest sowie an der Technischen Universität Dresden.

Woher rührt Ihre Leidenschaft fürs Auto?
Ich war schon immer von Autos fasziniert. Denn das Auto ist nicht nur Fortbewegungsmittel; es bedeutet Fahrspaß, Leistung, Technik, Innovation und schönes Design. Mein erstes Auto war ein Käfer, an dem ich als Student auch ab und zu geschraubt habe. Nach dem Studium in Stuttgart habe ich bei Bosch angefangen, in der Kältemittelentwicklung. Das war zwar sehr interessant. Aber meine Begeisterung fürs Auto hat sich auch beruflich bald durchgesetzt – und dabei ist es bis heute geblieben.

Sportwagen, Geländewagen oder Cabriolet – welchen Wagen fahren Sie am liebsten?
Jeder Fahrzeugtyp hat seine Vorteile. Hinter welches Steuer ich mich setze, ist von mehreren Faktoren abhängig, zum Beispiel von Entfernung, Strecke und Wetter. Auf meinen Dienstreisen fahre ich meistens im Audi A8, denn unser Luxusmodell bietet besonderen Fahrkomfort. Seit kurzem genieße ich immer öfter das tolle Fahrerlebnis in unserem neuen SUV, dem Audi Q7.

Wie sähe Ihr perfektes Auto aus?
Wie ein Audi.

Wo liegen in der Automobilbranche die Märkte der Zukunft?
Das ist bei jeder Marke anders. Audi ist in Westeuropa bereits in mehreren Segmenten Marktführer. Potenzial haben wir noch in den USA, in Asien, Osteuropa und den Golfstaaten.

Wie können sich Ingenieurabsolventen auf den Einsatz in diesen Märkten vorbereiten?
Gute Sprachkenntnisse und Auslandserfahrung schon während des Studiums sind generell nützlich. Innerhalb unserer Personalentwicklung bietet die Audi Akademie ein gezieltes Training-on-thejob für den Einsatz im Ausland. Das betrifft die spezifischen fachlichen Anforderungen des jeweiligen Marktes ebenso wie Sprachunterricht und Kommunikationstechniken, die speziell auf die Kultur des Landes zugeschnitten sind.

Audi gilt bei Hochschulabsolventen als attraktiver Arbeitgeber.Wie erklären Sie sich das?
Die Beliebtheit von Audi ist zum einen auf das gute Image der Marke und unsere attraktive Produktpalette zurückzuführen, die wir in den kommenden Jahren mit vielen zusätzlichen Modellen erweitern werden. Die neuen Herausforderungen in der Fahrzeugentwicklung sind vor allem für Ingenieure interessant. Zum anderen bieten wir jungen Nachwuchskräften sichere und leistungsgerecht vergütete Arbeitsplätze mit sehr guten Entwicklungs- und Aufstiegschancen. Und natürlich spielt für Absolventen auch eine Rolle, dass Audi extrem erfolgreich ist: Das Jahr 2005 war das zehnte Rekordjahr in Folge.

Als Professor an der TU Dresden haben Sie engen Kontakt zu Studenten.Wie gut sind die deutschen Ingenieurabsolventen auf den Einsatz in der Wirtschaft vorbereitet?
Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten.Wir stellen an unsere Bewerber hohe Anforderungen. Fachliche Qualifikation, hohe Motivation, Analysefähigkeit, unternehmerisches Denken und Handeln sind Grundvoraussetzungen. Neben guten Studienleistungen und praktischer Erfahrung ist für uns die Persönlichkeit des Bewerbers sehr wichtig. So genannte Soft Skills wie Teamfähigkeit und soziale Kompetenz haben an Bedeutung gewonnen.

Welche Rolle spielt der Bereich Forschung und Entwicklung für Audi?
Eine sehr große. Das wird schon an unserem Anspruch „Vorsprung durch Technik“ deutlich. Audi ist ein Unternehmen, das für Innovationskraft steht. Beispiele sind Leichtbautechnik, quattro-Antrieb, fortschrittliche Motorentechnologie wie TDI und FSI und Hightech-Elektronik wie das MMIBediensystem. Forschung und Entwicklung müssen der Konkurrenz immer eine Nasenlänge voraus sein. Nur so kann ein Unternehmen wie Audi im internationalen Wettbewerb eine Spitzenposition einnehmen.

Wie fördern Sie Motivation, Engagement und Kreativität der Mitarbeiter?
Ein wichtiger Motivationsfaktor ist die hohe Identifikation mit unseren Produkten. Die meisten Mitarbeiter fühlen sich als „Audianer“ und wollen die Marke weiter nach vorne bringen, ich spüre diese Begeisterung jeden Tag aufs Neue. Es ist uns wichtig, dass die Mitarbeiter Freude an ihrer Arbeit haben. Jeder erhält daher vielfältige Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Wir fördern gezielt Engagement und Kreativität, zum Beispiel durch unser Ideenprogramm: Jede gute Idee zur Verbesserung der Arbeitsabläufe wird belohnt, das kann sehr lukrativ sein. Noch wichtiger als finanzielle Anreize sind Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume der Mitarbeiter, um neue Herausforderungen mit Teamgeist zu meistern.

Audi ist Partner der Initiative „Deutschland, Land der Ideen“. Sind denn die deutschen Ingenieure besonders gut bei der Ideenfindung?
Vor allem bei technischen Innovationen hat „Made in Germany“ nach wie vor weltweit einen guten Ruf. Das ist unter anderem auf gut ausgebildete Ingenieure zurückzuführen. Mit den beiden Standorten Ingolstadt und Neckarsulm steht Audi zum Standort Deutschland. Auf den Lorbeeren früherer Erfolge dürfen sich die Deutschen jedoch keinesfalls ausruhen, denn die internationale Konkurrenz ist stark.

Sie haben als Vorstandsassistent bei Audi begonnen. Ist diese Position eine gute Voraussetzung für eine Karriere in einem Unternehmen?
Als ich 1981 Vorstandsassistent wurde, hatte ich schon einige Jahre Berufserfahrung. Diese Position ist weniger Voraussetzung als Teil der Karriere. Unsere Vorstandsassistenten erfüllen anspruchsvolle, bereichsübergreifende Aufgaben.Wenn sie diesen Job einige Jahre gut machen, bieten sich im Anschluss für gewöhnlich interessante Möglichkeiten.

Was sollten Absolventen beherzigen, wenn sie es in die Führungsebene eines Unternehmens schaffen wollen?
Neben fachlichen Fähigkeiten sind Ehrgeiz, Ausdauer und die Bereitschaft zum kontinuierlichen Lernen wichtig. Am ehesten kommt weiter,wer Spaß an seiner Arbeit hat – dann kommt der Erfolg oft von ganz alleine.

Interview mit Anton Winkler

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Oberstaatsanwalt Anton Winkler arbeitet an der Schnittstelle zwischen Justiz und Öffentlichkeit. Er ist Sprecher des Bayerischen Justizministeriums und erzählt im karriereführer-Interview, was ihn an deutschen Kriminalfilmen und Gerichtsshows stört, warum sich die Justiz noch stärker der Öffentlichkeit öffnen muss und wie junge Juristen ein gutes Verhältnis zu den immer wissbegierigeren Medien aufbauen können. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Anton Winkler, Jahrgang 1954, legte 1983 sein zweites Staatsexamen ab und arbeitete zunächst in der Finanzverwaltung. 1987 wechselte er zur Justiz nach München, wo er als Staatsanwalt und als Richter tätig war. Seit 2000 ist er Oberstaatsanwalt, von 2003 und bis zum Sommer 2009 war er zusätzlich Pressesprecher der Staatsanwaltschaft München.
In dieser Funktion war er erster Ansprechpartner für die Medien in vielen aufsehenerregenden Fällen, unter anderen bei den Vorbereitungen für den Prozess gegen den als NS-Verbrecher angeklagten John Demjanjuk, bei den Korruptionsverfahren gegen Siemens und MAN sowie im Prozess um den Erpresser von BMW-Erbin Susanne Klatten. Anton Winkler wechselte Anfang September 2009 ins Bayerische Justizministerium. Dort ist er Sprecher und Leiter des Pressereferats.

Herr Winkler, schauen Sie häufig deutsche Kriminalfilme im Fernsehen?
Das kommt schon vor, ja.

Mir fällt auf, dass die Oberstaatsanwälte in diesen Filmen entweder die Ermittlungen behindern oder selber Dreck am Stecken haben. Wie zufrieden sind Sie mit dem Bild Ihrer Zunft in fiktiven Stoffen?
Mir tut es manchmal weh, wie die Justiz in Spielfilmen dargestellt wird. Da ist der Oberstaatsanwalt mal der Verrückte, mal der Rächer, mal ein Wüterich – und das stimmt ganz einfach nicht. Die Staatsanwälte in unserer Justiz sind besonnene Menschen. Selbstverständlich gibt es Fälle, in denen ein Staatsanwalt hart entscheiden und auftreten muss. Denken Sie an Fälle, wenn Ihnen ein sexueller Missbrauchstäter an Kindern gegenübersitzt. Aber der Staatsanwalt, der regelmäßig ausrastet, kommt in der Praxis nicht vor. Übrigens genauso wenig wie der Richter, der kein Interesse an der Arbeit hat.

Vielleicht wird es Zeit für eine Einführung in die Realität der Justiz für Drehbuchautoren.
Nach manchen Filmen spüre ich schon den Impuls, am nächsten Morgen den Kontakt zu suchen, um zu fragen: Liebe Leute, wie kommt ihr eigentlich dazu, die Justiz so total daneben darzustellen? Es kommt aber auch vor, dass Drehbuchautoren bei mir anrufen und mich fragen, was sie bei der Inszenierung einer bestimmten Szene in einem Gericht beachten müssen oder welche Strafen bei einem bestimmten Delikt überhaupt möglich sind. Ich freue mich über solche Anrufe. Aber es zeigt sich schon, dass viele überhaupt nicht wissen, was in Deutschland bei Durchsuchungsmaßnahmen oder im Gerichtssaal wirklich passiert.

Hat denn diese schiefe Darstellung in Filmen Auswirkungen auf das Bild der Öffentlichkeit von der Justiz?
Das kann man feststellen, ja. Nehmen Sie die Gerichtsshows, die mit der Realität überhaupt nichts mehr zu tun haben – außer, dass vorne ein Richter sitzt. Bitter ist, dass sich die Atmosphäre, die in diesen Filmen im Gerichtssaal herrscht, langsam in die Praxis überträgt. Da haben Sie im Zuschauerraum hinten Leute sitzen, die meinen, sie könnten sich wie im Fernsehen lauthals einmischen und ihre Meinung kundtun. Die sind dann tatsächlich verdutzt, wenn sie vom Richter ermahnt werden oder ihnen vielleicht sogar ein Ordnungsgeld angedroht wird.

Ist denn garantiert, dass sich Juristen nicht von diesen Stimmungen beeinflussen lassen?
Das wäre in der Tat problematisch. Aber noch wissen Richter, Staats- und Rechtsanwälte, wie sie ihren Job auszuüben haben.

Sie sagen „noch“. Haben Sie Befürchtungen, dass jüngere Juristen in dieser Hinsicht Probleme bekommen?
Nein, denn jeder, der ein Jurastudium abgeschlossen und in der Referendarzeit in der Praxis gearbeitet hat, weiß, wie es in der Justiz wirklich zugeht. Es kommen keine jungen Leute in den Beruf, die glauben, sie könnten den Fernsehzirkus auch in der Realität veranstalten.

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In der Justiz hat sich der Begriff der Litigation-PR etabliert, also einer den Prozess begleitenden Öffentlichkeitsarbeit. Werden Public Relations in der Justiz derzeit über- oder unterschätzt?
Ich glaube, in der Justiz wird noch zu wenig Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Mir liegt viel daran, die Justiz transparent zu machen. Früher war es so, dass sich fast ausschließlich die Verteidigung öffentlich geäußert hat. Dabei hat der Rechtsanwalt selbstverständlich für seinen Mandanten gesprochen, wodurch viele Urteile in der Öffentlichkeit als skandalös wahrgenommen wurden. Ich möchte daher, dass auch wir gefragt werden. Dass wir unsere Meinung äußern und dafür geradestehen, warum wir jemanden angeklagt oder ein Verfahren eingestellt haben. In dieser Hinsicht muss sich die Justiz öffnen, um der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen. Aber vielleicht noch ein Satz zum Begriff Litigation-PR. Hier wird es bedenklich, weil diese gelegentlich versucht, über die Medienarbeit die Justiz zu beeinflussen. Und das darf nicht passieren. Richter und Schöffen müssen ihre Entscheidungen auch künftig alleine auf Grundlage der Hauptverhandlung finden. So steht es im Gesetz: Nur, was im Gerichtssaal gesprochen wird und stattfindet, kann für die Urteilsfindung als Entscheidungsgrundlage dienen. Was in den Medien gesagt oder geschrieben wird, darf keine Rolle spielen.

Muss ein Richter dann aufhören, bestimmte Zeitungen zu lesen?
Nein, das natürlich nicht. Aber jeder Richter muss die zwei Dinge, Verhandlung und Medien, strikt trennen können. Was den deutschen Richtern auch gelingt.

Sind denn die Rechts- oder Staatsanwälte auf die verstärkt nachgefragten Auftritte in den Medien vorbereitet?
Generell schon, ja. Es kommt natürlich vor, dass ein Kollege von der Justiz oder auch von der Polizei mal Dinge sagt, die wenig glücklich sind. Daher ist es wichtig, stets mit Augenmaß zu kommunizieren. Egal, wie hoch der Druck der Medien auch sein mag.

Haben Sie einen Tipp für junge Juristen, wie es gelingt, dieses Augenmaß zu erhalten?
Sauber und korrekt arbeiten. Seinen Beruf in der Justiz würdig ausüben. Und zwar nach innen wie nach außen. Vor Mikrofonen, im Gerichtssaal, aber auch in den Akten. Denn wer Fehler vermeidet, bietet keine Angriffsfläche. Ich empfehle zudem, die Berichte der Medien tatsächlich auch zu lesen. Nur wenn ich mitbekomme, was Journalisten über eine Verhandlung schreiben, weiß ich, wie bestimmte Medien funktionieren und wie sie berichten. Ob neutral oder Position beziehend, nüchtern oder auf den Skandal zielend. Nur dadurch lerne ich, wie ich mit den Medien umgehen muss, wann ich vorsichtig sein muss und welchen Journalisten ich als vertrauenswürdig einschätzen kann, um ihm auch mal Hintergrundinformationen erzählen zu können. Denn eines ist auch klar: Nur ein Journalist, der korrekte Informationen bekommt, ist in der Lage, objektiv, fair und verständlich über die Justiz zu schreiben. Und solange diese Kriterien erfüllt sind, ist es auch vollkommen in Ordnung, wenn der Beitrag kritisch ausfällt.

Zum Unternehmen

Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit Sitz in München ist oberste Dienstbehörde für rund 14.000 Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger, Bewährungs- und Gerichtshelfer, Beamte und Arbeitnehmer sowie für etwa 4500 Beamte und Arbeitnehmer im Justizvollzug.

Die politische Leitung und Verantwortung hat die derzeitige Ministerin Dr. Beate Merk (CSU); seit 30. Oktober 2008 ist sie zusätzlich für den Verbraucherschutz zuständig. Im Ministerium selbst sind derzeit rund 195 Mitarbeiter tätig, darunter rund 75 Beamte des höheren Dienstes. Es ist zuständig für die drei Oberlandesgerichte in München, Nürnberg und Bamberg sowie für 22 Land- und 73 Amtsgerichte.

Interview mit Jörg Will

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(Aus BerufSZiel 1.2008) Jörg Will erscheint und geht gleich ans Limit. Gedanklich. Bei unserem Heftthema „Höhentraining“ fühlt er sich an den Film „Am Limit“ erinnert: zwei Bergsteiger, bekannt als die „Huberbuam“, wollen gemeinsam den Rekord im Speedklettern an einer Steilwand im Yosemite-Park aufstellen. Will ist fasziniert: von der Extrem-Situation, dem gemeinsamen Kraftakt der Brüder, der Rivalität unter- und dem unabdingbaren Vertrauen zueinander. Aber auch von tiefen Stürzen, die dank der Körperbeherrschung nur zu leichten Verletzungen führen. Der Personalberater gibt damit Stichworte für das Gespräch mit Sabine Olschner und Viola Strüder. „Welche Gefühle der Bergsteiger lassen sich auf Management-Situationen übertragen?“, wollen wir von ihm wissen. Antwort: der Ehrgeiz, der Kampfgeist, die Angst zu scheitern und das Bewusstsein, dass ohne Vertrauen nichts geht. Und ohne Glück auch nicht.

Zur Person

Jörg Will übernahm 1996 die Leitung des Kölner ifp – Institut für Personal- und Unternehmensberatung. Das Unternehmen für Auswahl und Beurteilung von Führungskräften wurde von seinem Vater Horst Will gegründet. Nach der Schule entschied sich der Kölner zunächst für eine Lehre als Bankkaufmann, eine Ausbildung, die ihm seine Eltern nahegelegt haben. Im Anschluss an die Ausbildung studierte Will Betriebswirtschaftslehre an der Universität Passau, bevor er sich mit dem Unternehmen seines Vaters selbstständig machte. Zu den Hobbys des dreifachen Familienvaters gehören Segeln und Bergwandern.

Braucht man in Ihrem Beruf als Headhunter Jagdinstinkt?
Man braucht Instinkt, ja, aber weniger zum „Jagen“. Es ist vielmehr der Instinkt herauszufinden, welche Person für eine bestimmte Position die richtige wäre und Spaß an dieser Aufgabe haben könnte.

Sie haben fast täglich mit Top-Managern der verschiedensten Branchen zu tun. Was fasziniert Sie am Thema Führung?
Natürlich ist mir das Thema durch meinen Vater, der das ifp gegründet hat, in die Wiege gelegt worden. Für mich stand schon früh fest, dass ich in das Geschäft einsteigen würde. Ich persönlich finde es sehr interessant, aus unserer Perspektive zu beobachten, wie unterschiedlich Führung aussehen kann, welche Persönlichkeiten hinter den Führungskräften stehen. Viele überzeugen mich und haben für mich eine gewisse Vorbildfunktion, weil sie bewusst einen anderen Weg gehen. Mit anderen kann ich mich weniger identifizieren.

Welche Wege sind denn für Sie die überzeugendsten? Es gibt Führungskräfte, die trotz der Dimension ihrer Aufgabe ein gewisses Wertegerüst nicht verlassen.
Das beeindruckt mich. Derzeit wird ja häufig darüber diskutiert, wie Manager mit Werten umgehen und ab wann sie Grenzen überschreiten. Ich kenne immer mehr, die diese Wertegrenzen niemals überschreiten würden und damit sehr erfolgreich sind. Häufig sind das Führungskräfte aus dem Mittelstand, die dem Druck des Kapitalmarktes nicht ausgesetzt sind. Sie handeln langfristiger und damit nachhaltiger. Börsennotierte Unternehmen beschäftigen häufig einen anderen Typus von Manager. Darunter gibt es nur wenige, die sich dem Druck von außen entgegenstellen.

Welche weiteren Unterschiede zwischen Managern im Mittelstand und in börsennotierten Großunternehmen gibt es?
Führungskräfte im Mittelstand sind häufig Unternehmer und gleichzeitig Eigentümer der Firma. Sie gehen mit einem anderen Verantwortungsbewusstsein an die Sache heran. Sie sind sich – von Ausnahmen abgesehen – ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stärker bewusst. Auch für sein Umfeld trägt der Unternehmer oft mehr Verantwortung. Das liegt sicherlich auch daran, dass sein Betrieb häufig auf dem Land ansässig ist und der Unternehmer dort auch lebt. Daher kann er es sich gar nicht leisten, Entscheidungen zu treffen, die sich gegen die Menschen vor Ort richten. Unternehmer sind auch eher bereit, für ihre Entscheidungen einzutreten. Sie wissen: Wenn es eine schlechte Entscheidung war, muss ich persönlich dafür zahlen. Manager in Großunternehmen nehmen aufgrund der Größe des Unternehmens die Wirkung ihrer Entscheidungen manchmal gar nicht richtig wahr.

Gibt es Eigenschaften, die allen Top-Managern, egal welcher Unternehmensgröße, gemein sind?
Auf jeden Fall sind alle nachhaltig erfolgreichen Top-Manager intelligent, das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Eine zweite Eigenschaft, die man braucht, um ein guter Manager zu sein, ist Demut. Manager und Unternehmer, die sich nicht so sehr selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern vielmehr das Unternehmen, sind erfolgreicher als andere. Und nicht zuletzt müssen Führungskräfte Dinge gestalten und weitertreiben wollen.

Oft fällt in diesem Zusammenhang das Stichwort Persönlichkeit. Was genau ist das eigentlich?
Ein Begriff, den wir gerne in diesem Zusammenhang verwenden, ist Authentizität. Bei unserer Personalauswahl fragen wir uns oft: Bekommen wir von der Person einen greifbaren Eindruck, oder haben wir jemanden vor uns, der fassadenhaft wirkt, an den wir nicht so richtig herankommen? Authentizität hat viel mit Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit zu tun. Menschen mit Persönlichkeit sind in der Lage, sich eine Meinung zu bilden und diese auch zu vertreten – ohne dabei mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Sie schaffen es, jemand anderen von ihrem Standpunkt zu überzeugen, und die Menschen folgen ihnen. Mein Tipp: Machen Sie einen guten Job. Nur dadurch reift die Persönlichkeit – oder eben nicht. Auf diesem Weg findet die Auslese statt zwischen Menschen, die das Zeug zur Führungskraft haben, und denjenigen, die das Zeug nicht haben. Ich glaube, man kann sich nicht gezielt zum Manager entwickeln. Man kann viel lernen, aber man muss auch bestimmte Gaben haben.

Wie erkenne ich denn, ob ich diese Gaben oder Begabungen habe?
Irgendwann spürt man, dass man als Führungskraft akzeptiert wird. Zum Beispiel, weil die Menschen, für die man verantwortlich ist, sich an einen wenden und den Austausch suchen. Wenn dieser Austausch nicht stattfindet, muss sich eine Führungskraft ernsthaft fragen, warum keiner mit ihr spricht. Die Begabung zur Führung erkennt man auch, indem man Feedback aus dem Umfeld einfordert, es wahr- und auch ernst nimmt.

Was sind die wichtigsten Kriterien, auf die Unternehmen bei der Einstellung von Führungskräften achten?
Ich glaube, in Deutschland achtet man bei der Auswahl von Mitarbeitern noch viel zu sehr auf formale Kriterien und zu wenig auf die Persönlichkeit. Die Bereitschaft ist gering, jemanden einzustellen, von dem man eigentlich persönlich überzeugt ist, aber der aufgrund fehlender Fachkompetenzen ein höheres Risiko für das Unternehmen sein mag. In managergeführten Unternehmen herrscht die Tendenz, es eher mit vertrauten Profilen zu versuchen. Ein Grund dafür mag sein: Wenn das Engagement schiefgeht, kann man zumindest sagen, dass dies formal nicht absehbar war. Eigentümerunternehmer hingegen sagen sich eher einmal: Was dieser Mensch bei uns können muss, bringe ich ihm bei. Aber das ist der richtige Mann – oder auch die richtige Frau –, der hat die richtige Denke, der passt ins Unternehmen. Dies ist zwar mit mehr Risiko verbunden, aber der Unternehmer glaubt einfach stärker an die Persönlichkeit. Und wenn man bedenkt, dass bei Führungspositionen letztlich nicht die Fachkompetenz, sondern die Persönlichkeit entscheidet, dann ist das der richtige Weg.

Wie wichtig sind in dem Zusammenhang Zeugnisse?
Wenn Zeugnisse allzu viele Standardfloskeln enthalten, sind sie recht wertlos. Je mehr ein Vorgesetzter sich Mühe gegeben hat, jemanden zu beurteilen, umso interessanter wird ein Zeugnis zur Bewertung. Letztlich sind Zeugnisse aber sowieso nur ein kleiner Ausschnitt aus vielen Aspekten bei der Entscheidung für einen Mitarbeiter.

Welche Rolle spielen Netzwerke, vor allem die internetbasierten?
Ich bin davon überzeugt: Tragfähige Netzwerke basieren immer und ausschließlich auf persönlichen und belastbaren Beziehungen. Die Betonung liegt auf der Silbe „Last“. Im Erfolgsfall brauche ich kein Netzwerk, ich brauche es, wenn es nicht gut geht. Ich halte daher nicht allzu viel von Online-Netzwerken, über die derzeit so viel gesprochen wird. Die helfen einem nicht bei der Karriere.

Viele junge Leute wechseln vor allem am Anfang ihrer Karriere im Zwei- oder Drei-Jahres-Rhythmus den Job. Ziehen sie sich dadurch nicht aus der Verantwortung heraus, weil sie für mögliche Misserfolge, die sich abzeichnen, nicht mehr geradestehen müssen?
Zwei Jahre sind sehr wenig, um nachhaltig Leistung zu beurteilen. Doch es ist ein Unterschied, ob man alle zwei Jahre das Unternehmen wechselt oder ob sich innerhalb eines Betriebs die Aufgabe verändert. Unternehmenswechsel alle zwei Jahre führen sicherlich nicht zum Erfolg. Ganz im Gegenteil: Interessant ist, wer innerhalb des Unternehmens seine Schritte macht, wo man ihn mitsamt seiner Schwächen kennt. Wenn er trotz dieser Schwächen befördert wird, dann spricht das für ihn. Interne Beförderungen haben daher bei der Bewertung einer Vita einen sehr hohen Stellenwert für mich. Nur wer seine Aufgaben zu Ende führt und sich auch mal durchbeißen muss, wer auch mal verlieren kann und gelernt hat, durch Täler zu gehen, kann daran wachsen.

Verlieren Führungskräfte ab einem gewissen Level ihre Fähigkeit, Kritik anzunehmen?
Meiner Ansicht nach ist das weniger eine Frage der Hierarchie als vielmehr eine Frage des Alters. Viele Menschen werden im Alter nicht gerade offener für Kritik und für Veränderung. Wahrscheinlich sind sie oft durchaus kritikfähig – aber sie bekommen keine Kritik, weil sich kaum jemand traut. Starke Führungskräfte achten allerdings darauf, dass sie von guten Leuten umgeben sind, die auch mal Kritik üben. Ja-Sager überleben nicht lange, sie kommen schnell unter die Räder. Hier sind wir wieder bei der Eigenschaft Demut: Diese hat auch etwas mit Selbstkritik zu tun, mit der Bereitschaft, auch einmal eine Meinung gegen sich gelten zu lassen und einzusehen, dass man nicht immer alles richtig macht. Gute Führungskräfte sollten sich immer wieder mit den Mitarbeitern austauschene, um zu verstehen, was auf den verschiedensten Ebenen und Bereichen gedacht und getan wird.

Wie funktioniert eigentlich die Führung von Mitarbeitern auf höchster Ebene?
Je höher man kommt, umso stärker fokussiert man sich auf sein Ziel. Führungskräfte müssen stets bemüht sein, ihre Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Je höher sie kommen, umso mehr können sie davon ausgehen, dass sie ihre Mitarbeiter nicht mehr motivieren müssen.

Läuft es auf dieser Ebene nicht darauf hinaus, dass gezielte Fragen das Führungsinstrument sind und „Leitplanken“ gesetzt werden?
Nein, das Führungsinstrument ist die Persönlichkeit. Die Spielräume, die man in der Führung hat, werden jedoch nach oben immer geringer: Jede Abweichung, die Sie oben zulassen, vergrößert sich nach unten. Das ist wie beim Segeln: Wenn man um zwei Grad vom Kurs abweicht, merkt man dies in den ersten zwei Stunden nicht unbedingt – aber nach zwei Tagen haben Sie viel Zeit und Ihr Ziel aus den Augen verloren.

Was sind die Nachteile des Vorstandsdaseins?
Bei aller Verantwortung, die man trägt, ist eine hohe Fremdbestimmtheit sicherlich sehr belastend. Bei manchen Vorständen sind die Kalender schon im Januar für das ganze Jahr durchgeplant.

Ist es überhaupt ein erstrebenswertes Ziel, Top-Manager zu werden?
Ich glaube, die nachhaltig erfolgreichen Top-Manager haben sich nie zum Ziel gesetzt, Top-Manager zu werden. Sie haben einfach immer nur einen guten Job gemacht.

Statt einen Job von der Pike auf lernen zu wollen, sagen viele junge Leute gleich zu Beginn: „Ich will in die Strategie“. Was raten Sie denen?
Ich würde Ihnen sagen, dass sie in der Strategie wahrscheinlich einen interessanten Einstieg finden werden – aber auch Gefahr laufen, dort hängen zu bleiben. Für die Karriere und auch die eigene Entwicklung ist es enorm wichtig, auch das operative Geschäft zu kennen. Damit einher geht nämlich nicht nur fachliches Wissen, sondern auch ein Reifungsprozess der Persönlichkeit. Ein Einstieg in die Strategie kann gut sein, aber man muss erkennen, dass der Weg zur größeren Verantwortung meist über ein fundiertes Verständnis für das gesamte Unternehmen führt. Führung hat viel mit Akzeptanz zu tun. Und Akzeptanz schafft man vor allem dadurch, dass die Menschen merken: Das ist jemand, der weiß, wovon er redet.

Zum Schluss: Ihre Tipps zum Thema „Höhentraining“ im Unternehmen?
Das beginnt schon vor dem Studienabschluss: Ich empfehle, lieber ein verrücktes Projekt in Russland zu übernehmen, als das dritte Praktikum in einer Unternehmensberatung oder in der Investmentbank zu absolvieren. Erweitern Sie Ihren Horizont und bilden Sie dadurch Ihre Persönlichkeit! Nach dem Abschluss gilt: Beim Berufseinstieg nicht aufs Geld schauen, sondern eher darauf, was Sie in dem Job lernen können. Berufswechslern rate ich: Sie können aufs Geld schauen, aber bitte erst recht spät. Ihre Bezugspersonen im Unternehmen sind wichtiger als ein hohes Gehalt. Denn diese Menschen werden Einfluss auf Ihre Entwicklung haben. Nur so können Sie langfristig Karriere machen. Und nicht zuletzt: Man muss Dinge mit einer gewissen Überzeugung tun. Wenn man merkt, dass man sich dauerhaft verbiegen muss, dass bestimmte Dinge nicht zu einem passen, sollte man sich lieber etwas anderes suchen.

In Führung gegangen:

In der 9. Klasse hat Will die Schüler Union an seinem Gymnasium in Rösrath aufgebaut, die Jugendorganisation der CDU. In der 11. Klasse ist er wieder aus der Partei ausgetreten. Beim Segeln hat er gelernt, Menschen anzuleiten, genau das zu tun, was man ihnen sagt, und zwar genau in diesem Moment. In turbulenten Situationen kann nicht immer diskutiert werden: „Man muss Verantwortung für ein Schiff und für die Menschen auf dem Schiff übernehmen“, so Will.

Interview mit Wendelin Wiedeking

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Dr. Wendelin Wiedeking schaffte es nach der schweren Unternehmenskrise von Porsche zu Beginn der 90er Jahre, das Unternehmen wieder an die Spitze der deutschen Wirtschaft zu bringen. Im karriereführer spricht er über die Zukunft der Branche und der Ingenieure sowie über Kreativität, Visionen und Ziele. Die Fragen stellte Meike Nachtwey.

Zur Person

Dr. Wendelin Wiedeking wurde 1952 in Ahlen (Westfalen) geboren. Nach dem Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre der RWTH Aachen, wo er auch promovierte.

1983 kam er erstmals mit Porsche in Kontakt und ging als Referent des Vorstandes Produktion und Materialwirtschaft nach Zuffenhausen. Fünf Jahre später wechselte er zur GLYCO Metall-Werke KG in Wiesbaden, wo er 1990 Vorsitzender der Geschäftsleitung wurde.

1991 kehrte Wiedeking als Vorstandsmitglied des Bereiches Produktion und Materialwirtschaft zu Porsche zurück. Zu diesem Zeitpunkt war das Unternehmen auf einem Tiefpunkt angekommen.

Bereits ein Jahr später rückte Wiedeking als Sprecher des Vorstands an die Spitze und leitete einen erfolgreichen Umstrukturierungsprozess ein, der Porsche zu einem der profitabelsten Automobil-Unternehmen weltweit machte.

Seit 1993 ist er Vorstandsvorsitzender der Porsche AG.

Welches Auto würden Sie fahren, wenn es keinen Porsche gäbe?
Da bringen Sie mich jetzt aber etwas in Verlegenheit. Ich bin nun einmal ein begeisterter Porsche-Fahrer. Selbst der Traktor, mit dem ich in der Freizeit meinen privaten Kartoffelacker bestelle, ist ein Porsche – ein historischer Porsche-Schlepper, Baujahr 1961. Als junger Mann, als ich mir noch keinen Porsche leisten konnte, bin ich natürlich auch andere Fabrikate gefahren. Mein erstes Auto war ein VW-Käfer. Und später, während meines Maschinenbau- Studiums, konnte ich mir mit meinem selbstverdienten Geld sogar einen gebrauchten Mercedes leisten. Klar, andere Hersteller bauen ebenfalls schöne Fahrzeuge. Aber ein Porsche ist eben doch etwas ganz Besonderes, ja sogar Einzigartiges.

Den deutschen Herstellern wird vorgeworfen, sie hätten sich bisher zu wenig um den Klimaschutz gekümmert. Müssen die Unternehmen umdenken, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Keine Frage, der Klimaschutz ist ein wichtiges Anliegen. Aber wir müssen diese Diskussion ehrlich führen. Die deutsche Automobilindustrie hat in den vergangenen Jahren Milliarden in die Entwicklung verbrauchs- und emissionsarmer Fahrzeuge investiert und dabei erhebliche Fortschritte erzielt. Würden die ausländischen Hersteller bei ihren Kleinwagen die gleichen innovativen Technologien einsetzen wie die deutschen Premium- Hersteller bei ihren Oberklasse- Fahrzeugen und Sportwagen, wäre die internationale Automobilindustrie den von der Politik vorgegebenen CO2-Reduktionszielen heute schon sehr viel näher. Das sollten wir zunächst einmal zur Kenntnis nehmen. Selbstverständlich dürfen wir uns jetzt nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Die Unternehmen müssen auch künftig gezielt forschen und entwickeln, um den CO2-Ausstoß weiter zu minimieren. Das ist und bleibt eine große Herausforderung. Allerdings sollte niemand so tun, als ob allein die deutsche Automobilindustrie das Weltklima retten könnte. Die Erwärmung der Atmosphäre ist ein weltweites Problem, das nur global unter Einbeziehung sämtlicher Ursachen gelöst werden kann. Der Pkw-Verkehr trägt ja nur knapp zwölf Prozent zu den gesamten CO2-Emissionen bei.

Wie sieht die Zukunft der Automobilbranche aus?
Das lässt sich so pauschal kaum beantworten. Die Hersteller stehen heute weltweit in einem heftigen Wettbewerb. Und noch ist es nicht ausgemacht, ob am Ende tatsächlich alle überleben werden. Den deutschen Unternehmen geht es aber insgesamt gut – einigen, wie beispielsweise Porsche, sogar sehr gut. Und ich bin davon überzeugt, dass die deutschen Automobilhersteller und ihre Zulieferpartner noch ein großes Zukunftspotenzial haben.

Und wie sieht die Zukunft der heutigen Jung-Ingenieure aus?
Wer heute Ingenieurswissenschaften studiert, der muss sich um seine spätere berufliche Zukunft sicher keine allzu großen Sorgen machen. Derzeit gibt es weit mehr Stellenangebote für Ingenieure als Bewerber. Und daran wird sich auf mittlere Sicht kaum etwas ändern. Auch wenn wir bei Porsche unsere freien Ingenieursstellen immer noch recht schnell besetzen können, so gibt es doch viele Unternehmen, die heute über einen Nachwuchsmangel klagen. Es wird in unserem Land immer einen großen Bedarf für hochqualifizierte Ingenieure geben. Denn die deutsche Wirtschaft lebt nun einmal vorrangig von innovativen Spitzentechnologien, für die am Weltmarkt vergleichsweise hohe Preise erzielt werden können. Im Innovationswettbewerb muss der Standort Deutschland die Nase vorne haben. Und dafür brauchen die Unternehmen das Know-how von Ingenieuren.

Welchen Tipp geben Sie jungen Ingenieuren auf dem Weg ins Berufsleben?
Das erfolgreich abgeschlossene Studium ist nur der Anfang. Die eigentliche Bewährungsprobe beginnt mit dem ersten Job. Da muss man Engagement und Verantwortung zeigen. Nur wer hart arbeitet und sich ständig weiter fortbildet, wird im Beruf Erfolg haben.

Glauben Sie, dass Ingenieurinnen die gleichen Karrierechancen haben wie Männer?
Die Zeiten, in denen Frauen im Ingenieursberuf gegenüber Männern benachteiligt waren, sind zum Glück vorbei. In deutschen Unternehmen hat man längst begriffen, dass Ingenieurinnen ihren Job ebenso gut machen wie ihre männlichen Kollegen. Ich sehe da ein ganz anderes Problem: Es gibt leider immer noch viel zu wenig Mädchen, die sich in der Schule für Fächer wie Physik und Mathematik begeistern – und in der Folge daher auch zu wenig Abiturientinnen, die einen technikwissenschaftlichen Studiengang wählen. Wir würden in unserem Entwicklungszentrum gerne mehr junge Nachwuchs- Ingenieurinnen einstellen, wenn es sie denn gäbe. Aus diesem Grund unterstützt Porsche beispielsweise auch Femtec, das Hochschulkarrierezentrum für Frauen in den Ingenieur- und Naturwissenschaften an der TU Berlin. Eigentlich müsste man aber schon in der Grundschule, spätestens aber in den Gymnasien ansetzen und die Schülerinnen dabei unterstützen, sich stärker den naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu widmen.

Wie definieren Sie Karriere?
Karriere heißt, sich ehrgeizige Ziele vorzunehmen und diese dann konsequent und mit harter Arbeit zu verfolgen. Und wenn ein Ziel erreicht ist, darf man sich nicht selbstzufrieden zurücklehnen, sondern muss die Messlatte eben noch ein Stück höher legen. So arbeitet man sich Schritt für Schritt, von einer Herausforderung zur nächsten weiter nach oben – und wächst beständig an seinen Aufgaben.

Sie fordern in Ihrem Buch „Anders ist besser“ mehr Geradlinigkeit – ist das auch eine Forderung an Hochschulabsolventen, die Karriere machen wollen?
Geradlinigkeit ist zweifellos eine ganz hervorragende Charaktereigenschaft, die weder im Privatleben noch im Beruf schadet. Im Gegenteil: Wer keine eigenen, klaren Ziele hat, sondern ziellos den ständig wechselnden Trends hinterherläuft, wird sich auf seinem Karriereweg verzetteln und auf Dauer mittelmäßig bleiben.

Welche Eigenschaften muss ein Hochschulabsolvent mitbringen, wenn er in die Führungsetage eines Unternehmens aufsteigen will?
Zunächst einmal fundiertes Fachwissen. Das ist die notwendige Basis. Dann aber auch eine gute Portion Ehrgeiz, Selbstbewusstsein, Mut, Entscheidungsfreude und Durchsetzungsfähigkeit. Und was auf keinen Fall fehlen darf, ist das Verantwortungsbewusstsein. Man sollte sich immer darüber im Klaren sein, welche Auswirkungen das eigene Handeln für Kunden, Mitarbeiter, Aktionäre und die Gesellschaft insgesamt hat.

Heutzutage sind kreative Thinktanks gefordert – warum ist Kreativität aus Ihrer Sicht wichtig?
Ganz einfach: Weil es für Unternehmen unabdingbar ist, aus dem Windschatten der Wettbewerber herauszutreten, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und eigene Wege zu gehen. Der kreative Einsatz von Wissen ist ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor. Nur wer die besseren Ideen, die intelligenteren Konzepte und die klügste Strategie hat, um seine Kunden dauerhaft zufrieden zu stellen, ist in der Lage, sich positiv aus dem Wettbewerbsumfeld herauszuheben, die Konkurrenten zu überflügeln und am Markt eine Spitzenposition zu besetzen. Kreativität ist allerdings kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um definierte Ziele zu erreichen. Dessen sollte man sich immer bewusst sein.

Wie kann der Nachwuchs selbst kreativer werden – und was tut Porsche dafür, dass sein Nachwuchs kreativer wird?
Kreativität kann sich erst dann richtig und zielgerichtet entfalten, wenn auch das notwendige Handwerkszeug und fachliche Know-how vorhanden ist. Denn Ingenieure sind keine Künstler, sondern qualifizierte Experten, die technische Lösungen entwickeln, die dem Kunden einen echten Mehrwert bringen und ihn dauerhaft zufrieden stellen. Wir bei Porsche unterstützen unsere Nachwuchskräfte deshalb darin, ihr Wissen ständig weiter zu vertiefen und zu verbessern – etwa durch maßgeschneiderte Trainingsund Förderprogramme, mit denen sie ihre individuellen Fähigkeiten weiterentwickeln können.

Was bedeutet für Sie Erfolg?
Erfolg heißt, Ziele, die man sich selbst gesteckt hat oder die einem vorgegeben wurden, in einem angemessenen Zeitrahmen zu erreichen und das einmal Erreichte dauerhaft abzusichern.

Was war Ihr größter Erfolg?
Der Turn-around von Porsche nach der schweren Unternehmenskrise zu Beginn der 90er Jahre. Den kann und will ich mir aber nicht alleine ans Revers heften. Das war natürlich eine Teamleistung, an der alle beteiligt gewesen sind: der Vorstand und das Management genauso wie der Aufsichtsrat und die Familien Porsche und Piëch, die als Gesellschafter auch in der Krise ohne Wenn und Aber zu unserem Unternehmen standen. Eine besonders lobende Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang aber die Belegschaft. Unsere Mitarbeiter haben die notwendigen Veränderungen nicht nur mitgetragen, sondern aktiv mit großem Engagement in ihren Bereichen umgesetzt. Wir haben damals zusammengehalten und alle an einem Strang gezogen, sonst hätte das nicht funktioniert. Und diese Kultur pflegen wir noch heute. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass man sich den Erfolg jeden Tag neu erarbeiten muss.

Sie fordern, dass Unternehmen eine Vision entwickeln und leben sollen – wie ist Ihre Vision?
Unabhängig zu sein, im Denken wie im Handeln, und dabei niemals die Verantwortung zu vernachlässigen, die ich gegenüber unseren Kunden, den Mitarbeitern und Geschäftspartnern, den Aktionären, aber auch der Gesellschaft insgesamt trage. Das ist allerdings weit mehr als nur meine persönliche Vision. Das wird bei Porsche von allen Mitarbeitern gelebt. Wir verstehen uns als ein Unternehmen, dass seine Unabhängigkeit unter allen Umständen bewahren will, ohne dabei seine Verantwortung aus dem Blick zu verlieren.

Was ist Ihr nächstes Ziel bei Porsche?
Ein wichtiger Meilenstein für Porsche ist zweifellos die künftig vierte Baureihe, der Panamera, den wir 2009 einführen werden. Dabei handelt es sich um einen viertürigen Gran Turismo, mit dem wir unsere Kundenbasis beträchtlich erweitern werden. Außerdem arbeiten wir gerade mit Hochdruck an der Entwicklung eines Hybrid-Antriebs für den Cayenne, der noch in diesem Jahrzehnt auf den Markt kommen wird. Auch der Panamera wird einen Hybrid-Antrieb erhalten.

Sie bezeichnen Porsche als den kleinsten unabhängigen Autobauer der Welt und sind gleichzeitig Anteilseigner von VW – welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit kleine Einheiten sich am Markt gegenüber den Großen durchsetzen?
Die Unternehmensgröße allein ist sicherlich nicht der alles entscheidende Erfolgsfaktor. Innovationsstärke, Prozess- und Kosteneffizienz, Flexibilität, eine schlanke Organisationsstruktur und die konsequente Kundenorientierung spielen für den geschäftlichen Erfolg eine weit bedeutendere Rolle. Und was das betrifft, sind kleinere Unternehmen den großen oft mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Das heißt aber nicht, dass große Konzerne notwendigerweise schwerfällig und unflexibel sein müssen. Wir erleben ja gerade bei Volkswagen, dem größten europäischen Automobilhersteller, hautnah mit, wie schnell sich eine Unternehmensorganisation dieser Größenordnung verändern und an neue Gegebenheiten anpassen kann. Und dass Porsche als größter Einzelaktionär diesen Prozess heute strategisch mitgestalten kann, ist eine Herausforderung, die wirklich viel Spaß macht.

Zum Unternehmen

Porsche ist das kleinste selbstständige Automobilunternehmen der Welt. Hervorgegangen ist das heutige Unternehmen aus dem von Professor Ferdinand Porsche senior (1875-1951) im Jahre 1931 in Stuttgart gegründeten Konstruktionsbüro. Der erste Sportwagen mit dem Namen Porsche wurde 1948 von Ferry Porsche (1909-1998), dem Sohn des Firmengründers, als Porsche 356 Nr. 1 im österreichischen Gmünd/Kärnten gebaut. Seit 1950 laufen die Porsche-Sportwagen am heutigen Stammsitz in Stuttgart-Zuffenhausen vom Produktionsband. Porsche ist weltweit in mittlerweile rund 80 Märkten vertreten.

Nach tiefgreifenden Umstrukturierungen Anfang der neunziger Jahre wurde der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG 1996 der Titel „Fabrik des Jahres“ verliehen. Noch drei Jahre zuvor hatte sich das Unternehmen in einer schweren Krise befunden. Dr. Wendelin Wiedeking, der im Geschäftsjahr 1992/93 den Vorstandsvorsitz der Porsche AG übernahm, gelang es innerhalb relativ kurzer Zeit, den angeschlagenen Sportwagenhersteller in die Gewinnzone zurückzuführen und damit dessen Selbstständigkeit zu sichern. Ausschlaggebend hierfür waren Strukturveränderungen in praktisch allen Bereichen des Unternehmens: Nach dem Vorbild japanischen Unternehmensmanagements und den Prinzipien von Lean Production wurden schlankere Strukturen eingeführt und die Prozesse in Produktion, Entwicklung, Vertrieb und Verwaltung optimiert.

Die Produktpolitik wurde den Markterfordernissen angepasst, die Fabrik in Zuffenhausen neu konzipiert und ausgebaut. Porsche ist damit in der Lage, seine Sportwagen hoch effizient zu produzieren und flexibel auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren.

Interview mit Götz W. Werner

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Drogist, Denker, Ruderer – Götz W. Werner stellt den Menschen bei seiner Unternehmensführung in den Mittelpunkt. Sabine Olschner sprach mit ihm über Theaterworkshops, Goethe und unternehmerisches Handeln.

Zur Person

Professor Götz W. Werner wird im Februar 1944 als Sohn einer Drogistenfamilie geboren. Nach der mittleren Reife und einer Lehre zum Drogisten arbeitet er für verschiedene Drogerieunternehmen. Im Alter von 29 Jahren gründet er seinen eigenen Laden: die Drogeriemarktkette dm.
Für seine am Menschen orientierte Unternehmensphilosophie sowie sein Engagement für soziale und kulturelle Projekte bekam Werner 2004 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der 61-Jährige ist Mitglied mehrerer Aufsichtsräte und Beiräte international und national operierender Unternehmen. Seit Oktober 2003 leitet er das Inter fakultative Institut für Entrepreneurship an der Universität Karlsruhe (TH). Götz W. Werner ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von sieben Kindern. Privat hält er sich seit vielen Jahren mit Rudern fit.

Herr Professor Werner, wieso haben Sie sich 1973 ausgerechnet mit einer Drogerie selbstständig gemacht?
Das liegt bei uns in der Familie: Schon mein Urgroßvater hatte seinerzeit eine Drogerie. Da auch mein Vater Drogist war, stand mein Berufsziel schon früh fest: Als kleiner Junge habe ich mir einen weißen Kittel gewünscht, um damit im Laden herumzulaufen, und es war klar, dass auch ich Drogist werden wollte. Mit 26 Jahren sollte ich dann das Geschäft meines Vaters übernehmen. Letztendlich habe ich allerdings nur sechs Wochen im Betrieb meines Vaters gearbeitet und bin dann ausgeschieden, weil wir unterschiedliche Auffassungen hatten, wie das Geschäft weitergeführt werden sollte. Nach einigen Jahren in einer anderen Drogerie in Karlsruhe habe ich mich selbstständig gemacht. Da ich für meine Ideen keine Mitstreiter gefunden habe, blieb mir nichts anderes übrig, als sie selbst umzusetzen.

Welche Idee war das konkret?
Ich wollte eine Discount-Drogerie eröffnen: mit einem straffen Sortiment, niedrigen Preise, einem hohen Warenumschlag. Dies war möglich, weil Mitte der 70er-Jahre die Preisbindung für Drogerieartikel aufgehoben worden war. Unser dm-Geschäft war der erste Drogeriemarkt, der in Süddeutschland eröffnet wurde, vorher hatte es nur kleine Drogerie Geschäfte gegeben. Der erste Laden hatte 180 Quadratmeter und führte rund 2 000 Artikel. Heute sind die Läden bis zu 1 000 Quadratmeter groß und führen ein Sortiment mit bis zu 13000 Artikeln. Deospray gab es früher zum Beispiel nur in den drei Sorten frisch, mild und herb, während es heutzutage Dutzende unterschiedliche Deosprays gibt. Hier hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert.

In Ihren Drogeriemärkten liest man den abgewandelten Goethe-Spruch: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“. Wie verträgt sich denn Goethe mit Zahnpasta?
Es geht hier um die Frage, ob man den Kunden als reinen Verbraucher ansieht oder als Mitmenschen. In dem Spruch kommt also eine grundsätzliche Haltung unseres Unternehmens zum Ausdruck. Wir sehen den Kunden als Partner. Wir wollen ihm im Rahmen unserer Möglichkeiten die Produkte geben, die er tatsächlich braucht, so dass er sich langfristig mit uns verbinden kann. Der abgewandelte Goethe-Spruch spielt aber auch für unsere Mitarbeiter eine Rolle. Wenn die Mitarbeiter unter dem Eindruck eines solchen Slogans stehen, treten sie anders gegenüber der Kundschaft auf, als wenn wir sie drängen würden, dem Kunden auf jeden Fall etwas zu verkaufen. Aus diesem Grund gibt es in unserem Unternehmen auch keine Provision, wie es zum Beispiel bei Optikern oder Textilhändlern die Regel ist. Dort bekommt der Kunde unter Umständen etwas aufgeschwatzt, was ihm gar nicht gut steht oder passt. Uns ist es wichtiger, die tatsächlichen Bedürfnisse des Kunden im Auge zu haben.

In der Unternehmenszentrale von dm ist ein anderes Zitat von Freiherr von Stein zu lesen: „Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Bevormundung hemmt sein Reifen.“ Was bedeutet dies für Sie und Ihr Unternehmen?
Sie kennen sicher auch den Ausspruch, der Lenin zugeschrieben wird: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Wenn ich diese Philosophie bei einem Unternehmen mit 800 Filialen anwenden würde, könnte ich gar nicht mehr ruhig schlafen. Ich bin der Auffassung, man muss in die Menschen investieren und ihnen etwas zutrauen, so dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Es ist eine Grundfrage, ob man den Menschen kontrollieren oder ihm Verantwortung übertragen will. Meiner Meinung nach ist jeder verantwortungswillig und auch verantwortungsfähig. Damit habe ich ein ganz anderes Menschenbild als Lenin.

Wie kamen Sie zu dieser Lebenseinstellung, die ja in der Wirtschaft eher selten anzutreffen ist?
Wenn man ein Geschäft langfristig erfolgreich betreiben will, kommt man meiner Meinung nach um so eine Einstellung nicht herum. Vor allem im Handel sind wir ja darauf angewiesen, dass sich alle gegenseitig helfen, denn wir leben in einer totalen Arbeitsteiligkeit. Das heißt, dass immer jemand etwas für mich leistet und ich etwas für jemand anderen leiste. Wir sind zum Beispiel darauf angewiesen, dass die Lieferanten pünktlich die Ware anliefern, so dass wir wiederum unseren Kunden pünktlich die Ware anbieten können. Somit muss ich immer die Bedürfnisse beider Seiten im Blick haben. Je mehr dieses Prozessbewusstsein ausgeprägt ist, umso besser funktioniert ein Unternehmen. Im Großen und Ganzen klappt das sehr gut bei uns, obwohl es natürlich immer auch mal Enttäuschungen gibt. Wer Vertrauen gibt, wird zwangsläufig hin und wieder mal enttäuscht. Aber dadurch darf man sich nicht von seinem Weg abbringen lassen, wenn man diesen einmal für richtig erkannt hat.

dm schreibt sich auf die Fahnen, eine „dialogische Unternehmenskultur“ zu haben – was heißt das genau?
Das bedeutet, dass man sich mit jedem Mitarbeiter auf Augenhöhe bewegt und man in den menschlichen Beziehungen keine Hierarchien kennt. Alle unsere Mitarbeiter sollen sich bemühen, miteinander so ins Gespräch zu kommen, dass sie sich gegenseitig verstehen und respektieren. Ein Lehrling soll dabei nicht anders behandelt werden als ein Kollege aus der Geschäftsleitung. Es geht um den Dialog und nicht darum, gehorsam Befehle auszuführen. Wir wollen, dass unsere Kollegen Dinge ausführen, weil sie einsehen, dass es vernünftig ist, und nicht, weil ihnen gesagt wurde, dass sie sie ausführen sollen.

Teil der Berufsausbildung bei dm sind Theaterworkshops – tragen diese auch zur dialogischen Unternehmenskultur bei?
Unbedingt! Wir führen die Workshops bereits im vierten Jahr durch, allein in diesem Jahr waren es 51 Gruppen. Wir versuchen, durch die Workshops die Lehrlinge aus den verschiedenen Kulturen, die wir im Einzelhandel haben, einander näher zu bringen. Es ist mittlerweile empirisch bewiesen, dass Theaterworkshops ein sehr gutes Mittel zur Persönlichkeitsfindung und zur Teambildung sind. Die Teilnehmer lernen, dass sie sich aufeinander verlassen müssen und sind außerdem schöpferisch tätig, was dem Selbstbewusstsein gut tut.

Sie haben vor ihrer Existenzgründung nicht studiert. Haben Sie das jemals bereut?
Bereut habe ich es nie, obwohl ich schon oft gedacht habe, dass mir heute das eine oder andere sicher leichter fallen würde, wenn ich damals studiert hätte. Was man in der akademischen Ausbildung lernt, lässt sich später nicht mehr nachholen. Je früher man mit dem Lernen anfängt, umso besser. Ich persönlich meine, die Nachwuchskräfte sollten sich viel mehr mit Sprachen beschäftigen, etwas, das ich persönlich versäumt habe. Aber wenn ich in meiner Biografie zurückschaue, kann ich doch sagen, dass alles irgendwie seinen Sinn gehabt hat. Meine Entwicklung wäre wahrscheinlich eine ganz andere gewesen, wenn ich studiert hätte.

Würden Sie Gründungswilligen empfehlen, sich im Handel selbständig zu machen – auch wenn es der Branche derzeit nicht besonders gut geht?
Der Handel hat den großen Vorteil, dass man mit wenig Aufwand starten kann. Die Einstiegsbarriere ist – zum Beispiel im Vergleich zur Produktion – recht gering, schon ein kleiner Laden genügt zu Beginn. Ich selbst habe damals ganz ohne Eigenkapital angefangen. Sicher ist: Überall, wo Menschen sich befinden, sind sie darauf angewiesen, dass sie sich mit Gütern und Dienstleistungen eindecken können. Beim Einzelhandel ist das Wichtigste die Standortfrage. Viele Existenzgründer im Einzelhandel achten viel zu wenig auf die Lage ihres Geschäftes. Wir bemerken diesen Effekt immer wieder Wenn ein dm-Markt umzieht und den Standort verbessert, wirkt sich das sofort auf den Umsatz aus.

Würden Sie dem Satz zustimmen, dass der Handel bei Berufseinsteigern ein schlechtes Image hat?
Man darf nicht vergessen: Deutschland ist eine Industrienation, die mit Technologie und Produktion groß geworden ist, während andere Länder wie Großbritannien oder die Niederlande Händlernationen sind. Dort hat der Handel auch ein sehr gutes Renommee. Letztendlich ist das Image des Handels also auch kulturell geprägt.

Sie leiten das Institut für Entrepreneurship in Karlsruhe. Was möchten Sie den jungen Leuten dort vermitteln?
Es gibt drei Säulen, dessen Zusammenhang ich den jungen Menschen klarmachen will: „Unternimm Dich selbst“, „Unternehmen für andere“ und „Unternehmen Zukunft“. Die erste Säule fängt bei jedem persönlich an: Wer sich ziellos in der Welt treiben lässt, wird das Unternehmerische nie verstehen, er wird nie seinen eigenen Weg gehen und selbstbestimmt etwas tun können. Die zweite Säule meint den Kunden: Man muss sich klar machen, was es heißt, etwas für andere zu tun und einen Kundennutzen zu generieren. Die dritte Säule zeigt, wie man ein zukunftsträchtiges Unternehmen gestaltet. Das Institut richtet sich jedoch nicht nur an Menschen, die sich eine eigene Existenz aufbauen wollen, sondern es geht um das unternehmerische Denken im Allgemeinen. Auch innerhalb eines Unternehmens braucht es viele unternehmerisch denkende Menschen, die mehr als nur ihren Arbeitausschnitt sehen. Wenn sich biografisch die Möglichkeit ergibt, sich selbstständig zu machen, dann ist es umso besser.

Kann denn jeder Unternehmensgründer werden, oder ist das eine Typfrage?
Meiner Ansicht nach ist das eine Schicksalsfrage. Es muss aber auch nicht jeder ein Unternehmen gründen. Eine unternehmerische Grundhaltung hingegen kann sich jeder aneignen.

Auf den Punkt:

Was wollten Sie als kleiner Junge werden?
Kapitän auf einem Neckarschiff.

Was wollten Sie am Start Ihres Berufslebens?
Das väterliche Unternehmen übernehmen.

Was ist Ihr Hauptcharakterzug?
Beharrliche Konsequenz, wenn ich etwas als richtig erkannt habe.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an anderen?
Wenn sie bereit sind, sich von ihren Vorstellungen zu lösen und offen sind für Neues. Denn das ist die Voraussetzung für Entwicklung.

Was dulden Sie auf keinen Fall?
Arroganz und Statusdenken.

Was ist Ihnen sehr unangenehm?
Wenn jemand Forderungen an mich stellt.

Was entschuldigen Sie sofort?
Irrtum.

Was nehmen Sie unbedingt auf eine Reise mit?
Das, was ich gerade lese.

Wo tanken Sie Energie auf?
In der Familie und in der Beschäftigung mit geistigen Dingen.

Was war Ihr größter Flop?
Ich hatte so viele – aber Gott sei Dank keinen wirklich großen.

Und Ihr größtes Erfolgserlebnis?
Hm, da kann ich auf Anhieb gar keins nennen…

Zum Unternehmen

Die Drogeriemarktkette dm zählt seit 2004 zu den 200 umsatzstärksten Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Der Umsatz in Deutschland lag 2004 bei 2 220 Millionen Euro. In Europa hat der Konzern die Drei-Milliarden- Euro-Marke überschritten. In rund 1500 Filialen europaweit, davon rund 700 in Deutschland, sind über 21 200 Mitarbeiter beschäftigt (in Deutschland: ca. 13 500).