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Embedded Systems

Big Data , Smart Factories und das Internet der Dinge – die Industrie 4.0 ist in aller Munde, und mit ihr etablieren sich neue Technologien in den Unternehmen. Der Ruf der Wirtschaft nach interdisziplinär ausgebildeten Fachkräften wird immer lauter. Wer an der Universität Freiburg den berufsbegleitenden Online-Masterstudiengang „Intelligente Eingebettete Mikrosysteme“ (IEMS) absolviert, bekommt Beruf und Weiterbildung unter einen Hut. Von Sabrina Reinshagen, Universität Freiburg, Weiterbildungsprogramm Intelligente Eingebettete Mikrosysteme IEMS

Droht Gefahr, übernehmen im Auto von heute Assistenzsysteme wie ESP oder ABS die Kontrolle. Steigt ein neuer Fahrer ein, passen sich die Außenspiegel und Kopfstützen automatisch an seine Körpergröße an, das Auto der Zukunft soll sich sogar selbstständig durch den Straßenverkehr bewegen. Dafür verantwortlich ist ein Netz aus vielen eingebetteten Systemen. Diese winzigen Computer, die man nicht sieht, stecken nicht nur im Auto, sondern regeln viele für uns alltägliche Dinge: Eingebettete Systeme machen das Smartphone erst wirklich smart, sorgen dafür, dass unsere Waschmaschine so energiesparend wie möglich arbeitet, oder schlagen Alarm, wenn der Kaffeeautomat dringend wieder entkalkt werden muss. Mit hoher Geschwindigkeit verarbeiten sie Daten und Signale und steuern und überwachen Funktionen. Vernetzt zu sogenannten Cyber-Physical Systems meistern sie intelligent und dynamisch auch komplexe Aufgaben.

Nicht nur in der Produktwelt, auch in der Fertigungsindustrie setzt man auf eingebettete Systeme. Mit der vierten industriellen Revolution erobern neue Technologien die Industrie. In der intelligenten Fabrik der Zukunft läuft die Produktion vollständig automatisiert ab und kann in Echtzeit überwacht werden. Alle Maschinen sind über das Internet der Dinge miteinander verbunden und lassen sich über Smartphones oder andere Assistenzsysteme flexibel steuern und optimieren. Mit dem Einzug der Industrie 4.0 in die Arbeitswelt entstehen neue Arbeitsfelder, die vor allem von Ingenieuren spezialisierte Fähigkeiten verlangen. Interdisziplinarität lautet das Stichwort: An der Schnittstelle von Informatik und Mikrosystemtechnik wird fieberhaft an der Entwicklung und Implementierung von eingebetteten Systemen gearbeitet.

„Ingenieure neuen Typs“ – so nennt Bernd Becker die Fachkräfte, die den Umstieg auf die intelligente Produktion meistern sollen. Der Professor ist Lehrstuhlinhaber an der Technischen Fakultät der Universität Freiburg und fördert neben der Lehre im Fach Rechnerarchitektur vor allem den Austausch mit den Kollegen am Institut für Informatik und dem angrenzenden Institut für Mikrosystemtechnik. Nicht erst die nächste Generation der Ingenieure soll von den Möglichkeiten der interdisziplinären Ausbildung profitieren, auch die universitäre Weiterbildung hält Becker für unverzichtbar. „Die Nachfrage – sowohl vonseiten der Industrie als auch von berufstätigen Ingenieuren – zeigt uns, dass Bedarf und Interesse am Erwerb interdisziplinärer Kompetenzen besteht. Die Zahl der Einsatzfelder für Spezialisten im Bereich eingebetteter Systeme ist hoch, auch die Anforderungen in diesem Bereich steigen. Somit sind auch und vor allem Ingenieure mit Berufserfahrung gefragt.“

Als wissenschaftlicher Leiter des Weiterbildungsprogrammes IEMS wirbt er für die berufsbegleitende Weiterbildung und setzt dabei auch im Bereich der Lehre auf Innovationen. Denn wer im angebotenen Online-Masterstudiengang studiert, sieht nur an einigen wenigen Tagen im Semester einen Hörsaal von innen. Ein Großteil der Lehre findet im Netz statt: In E-Lectures werden die Vorlesungsinhalte vermittelt, die Betreuung durch die Lehrenden und der Austausch mit den Kommilitonen finden über Foren oder Videochats statt. Alle Materialien und Informationen sind damit rund um die Uhr verfügbar. Selbst der Praxisbezug kommt in dieser Form der Lehre nicht zu kurz: Im Hardwarepraktikum bekommt jeder Student per Post einen Roboterbausatz zugeschickt, setzt ihn zu Hause zusammen und programmiert ihn im Laufe des Semesters mit verschiedenen Funktionen.

So flexibel wie die Einteilung der Lernzeiten ist auch der Studienplan, weiß Katrin Weber, Geschäftsführerin bei IEMS. „Unsere Studenten sollen im Arbeitsalltag und im Hinblick auf ihre weitere Karriere von den Inhalten natürlich profitieren, ein starrer Lehrplan wäre dabei sehr hinderlich. Viele Arbeitgeber unterstützten ihre Mitarbeiter, indem sie zum Beispiel ihre Arbeitszeit reduzieren.“ Wer zwischenzeitlich mehr arbeiten muss oder aus persönlichen Gründen weniger Zeit für sein Studium aufbringen kann, kann seinen Studienplan entsprechend anpassen. Ganz individuell können sich Ingenieure, Techniker und Meister auch in einzelnen Online-Kursen weiterbilden, ohne die zeitliche Belastung eines Masterstudiums. Da vor allem bei der Entwicklung eingebetteter Software zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden müssen, denen man als Ingenieur oder IT-Spezialist bei der Entwicklung von klassischen Softwaresystemen noch nicht begegnet ist, lernen Interessierte in dem sechsmonatigen Weiterbildungskurs „Projektmanagement in Software Engineering für Embedded Systems“, wie sie einen Softwareentwicklungsprozess im Embedded Systems-Bereich anhand agiler Methoden planen und umsetzen.

Die Wege, die die Absolventen des Masterstudiengangs einschlagen, sind so vielfältig wie ihre bisherigen Lebensläufe. Egal ob sie einen Bachelor an einer Fachhochschule erworben oder Informatik oder Elektrotechnik an einer Universität studiert haben – mit den im interdisziplinären Masterstudium gewonnenen Kenntnissen und ihrer Berufserfahrung sind sie gefragte Fachkräfte für zahlreiche Branchen. Schon jetzt sind vernetzte eingebettete Systeme in der Industrie ein viel diskutiertes Thema – mit stark steigender Tendenz.

Buchtipps

Peter Marwedel:
Eingebettete Systeme.
Springer Verlag 2008.
ISBN 978-3540340485.
32,99 Euro

Walter Lange, Martin Bogdan:
Entwurf und Synthese von Eingebetteten Systemen: Ein Lehrbuch.
Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2013.
ISBN 978-3486718409.
39,80 Euro

Usability als Ansporn

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Das Thema benutzerfreundliche Software wird immer wichtiger. Künftig steht nicht mehr die Maximierung der Funktionalitäten im Vordergrund der Entwicklung von Software, sondern deren Nutzerfreundlichkeit. Dies hat auch Auswirkungen auf die Arbeit von Ingenieuren. Von Prof. Dr. Hans-Georg Hopf, Leiter Usability Engineering Centers an der Technischen Hochschule Nürnberg

Die Journalistin Sybille Herbert hat ein Buch mit dem Titel „Bin ich zu blöd“ veröffentlicht. Die Kurzbeschreibung beginnt mit dem Statement: „Der Alltag wird immer komplizierter, die Welt wird unbedienbar.“ Sybille Herbert trifft mit dieser Feststellung den Nerv vieler Menschen. Die Bedienung von Produkten, insbesondere auch von Software-Produkten wird oft zum Problem: Die Gebrauchstauglichkeit oder auch Nutzerfreundlichkeit vieler Produkte lässt deutlich zu wünschen übrig!

Diese sogenannte Usability wird immer wichtiger: Immer mehr erfahren wir im täglichen Leben, dass wir von Dienstleistern in die Pflicht genommen werden, in ihr Dienstleistungsgeschäft eingebaut werden, zum Beispiel von ihnen über ein Internetportal selbst einen Teil einer Dienstleistung übernehmen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Entwicklung im E-Banking, bei Online-Shops oder bei Online-Bewerbungsportalen: Wir pflegen unsere Daten für diese Unternehmen, scannen Dokumente ein und stellen sie in das Unternehmensportal ein, und holen unsere Post, Kontoauszüge, Rechnungen oder Bescheide im Internetportal des Unternehmens ab. In Online-Portalen übernehmen wir Aufgaben, die früher beim Unternehmen lagen. Solche Anwendungen müssen für den Kunden so einfach und intuitiv bedienbar wie möglich gestaltet werden.

Gebrauchstauglichkeit ist damit nicht nur im Interesse der Nutzer. Es liegt auch im wirtschaftlichen Interesse der Hersteller, Hürden in der Gebrauchstauglichkeit aus dem Weg zu räumen: Der Benutzer soll das richtige Bedienelement zum richtigen Zeitpunkt schnell finden können, seine Ziele zufriedenstellend mit dem Werkzeug erreichen, vielleicht sogar eine gewisse Freude in der Benutzung empfinden. Die Anwendung soll zum Erlebnis werden. Mit Methoden des Usability Engineering können Hersteller diese Anforderungen umsetzen und ihren Produkten neue Marktchancen erschließen. Gebrauchstauglichkeit und Nutzererlebnisse sollten möglichst früh im Entwicklungsprozess berücksichtigt und durch geeignete Methoden in multidisziplinären Teams umgesetzt werden. Ingenieure, Softwareentwickler, Psychologen und Designer müssen gemeinsam eine optimale Lösung finden und hierfür auch eine entsprechende zielführende und effiziente Kommunikation führen.

Dies ist eine echte Herausforderung für alle Beteiligten, da die unterschiedlichen „mentalen Modelle“ beim Erarbeiten von multidisziplinären Lösungen aufeinanderprallen und man lernen muss, auch fachliche Argumente der anderen Disziplin bei der Konstruktion einer Lösung zu bedenken, die man selbst als nicht so gewichtig einschätzt.

Linktipp

Berufsverband der Deutschen Usability und User Experience Professionals:
www.germanupa.de

In 48 Stunden die Welt verändern

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Verteiler: Angehende Ingenieure
CC: Kreative Köpfe
Ort: TU Dresden und weitere 119 Orte weltweit
Datum: August 2014
Aufgezeichnet von: Cindy Ullmann, Projektkommunikation Zukunftskonzept, TU Dresden

Freitag, 18 Uhr: An der Technischen Universität Dresden warten 50 kreative Köpfe gespannt auf die Verkündung des geheimen Mottos des Global Service Jams 2014. Als die Videobotschaft den Grundriss eines Würfels zeigt, herrscht überraschte Stille, dann ist vereinzelt Lachen zu hören.

Vom 7. bis 9. März 2014 war also ein Würfel für 1500 Jammer an 120 Orten weltweit Ausgangspunkt und Inspiration für neue Service-Ideen. Der Global Service Jam animiert seit 2011 Menschen auf allen Kontinenten, sich über neue Dienstleistungen Gedanken zu machen und ein besseres Leben vorzudenken. In Dresden fand der Global Service Jam bereits zum zweiten Mal statt. Dieses Jahr kamen am Zentrum für Synergie-Entwicklung (ZSE) der TU Dresden Designer, Produkt- und Servicemanager, Softwarearchitekten sowie Forscher und Wissenschaftler für ein Wochenende zusammen, um gemeinsam originelle Ideen zu ganz alltäglichen Problemen zu entwickeln. Das an der TU Dresden angesiedelte Forschungsprojekt WINIMIS zur Erforschung von Weiterbildungsformaten rund um das Thema Innovationsmanagement war Gastgeber und kooperierte eng mit den Dresdner Unternehmen T-Systems MMS, queo und ujamii.

Samstag, 9 Uhr: Angeleitet von den Organisatoren geht es mit viel Energie an die Ausformung der Ideen. Getreu dem Motto „Machen statt Reden“ produzieren die Jammer mit Lego-Steinen, Haftnotizen und anderen Materialien Prototypen. Um ihre Entwürfe zu verbessern, tauschen sich die Dresdner Teams mehrmals mit Jammern aus Klaipeda in Litauen aus. Ein Team entwickelte unter dem Namen „Re-Pack“ ein Pfandsystem für Verpackungen, um Plastikbeutel und anderen Verpackungsmüll zu vermeiden. Bei einem Einkauf im Supermarkt können gegen Pfand verschieden große Boxen – und hier ist die Verbindung zum Würfel – ausgeliehen werden, die auf einem leeren Einkaufswagengestell platziert werden. An der Kasse werden die Boxen direkt auf das Band gestellt und anschließend im Auto verstaut – alles ohne lästiges Aus- und Umpacken der Lebensmittel. Beim nächsten Einkauf können die Boxen wiederverwendet oder abgegeben werden – ein nachhaltiger und umweltschonender Service.

Weltweit wurden nach den Grundprinzipien des Service Design Thinking, einer kreativen Arbeitsweise zur Entwicklung neuer Dienstleistungsideen, 530 Ideen entwickelt. Alle Ergebnisse werden auf der Webplattform „Planet Jam“ gesammelt. Nach dem Jam verbleiben die Ideen mit einer Creative Commons-Lizenz auf der Plattform.

Sonntag, 18 Uhr: Die Dresdner Jammer blicken zufrieden auf 48 Stunden kreative Arbeit, Spaß und Tüftelei zurück. Als Erkenntnis nehmen sie mit, dass neben der verrückten Idee häufig eine großartige Idee liegt. Wer sich davon selbst überzeugen möchte, kann nächstes Jahr vom 27. Februar bis 1. März 2015 am Global Service Jam teilnehmen.

BIQ – das Algenhaus

BIQ – das Algenhaus leitet eine neue Ära des nachhaltigen Wohnens ein. Mit dem innovativen Projekt entstand in Hamburg-Wilhelmsburg das erste Haus weltweit, das sich über eine Gebäudefassade aus Photobiokollektoren selbst mit Energie versorgt. Von Meike Nachtwey.

Sie ist grün und sie lebt, die Fassade von BIQ – das Algenhaus. In ihrem Inneren werden Mikroalgen kultiviert, die unter Sonneneinstrahlung und Zugabe von CO2 sowie flüssigen Nährstoffen Biomasse und Wärme produzieren. Als Weltneuheit wurde im Algenhaus erstmals an einem Gebäude eine Bioreaktorfassade angebracht. Diese vorgeschaltete Fassade wurde an der sonnenbeschienenen Südseite des Gebäudes installiert und produziert mithilfe von Algen über seine 129 einzelnen Biokollektoren sowohl Wärme als auch Biomasse. Über eine im Erdgeschoss installierte Energiezentrale werden die Algen und die zum Wachstum benötigten Nährstoffe wie Kohlenstoffdioxid, Stickstoff und Phosphor über die rotweißen Versorgungsleitungen in die Kollektoren eingeleitet. Mit der produzierten Wärme beziehungsweise Biomasse werden die Wohnungen im Algenhaus beheizt.

Damit die Fassade als Bioreaktor funktioniert, sind auf der der Sonne zugewandten Vorderseite lichtdurchlässige, plattenförmige Kollektoren erforderlich, in deren Hohlraum das für die Algenzucht notwendige Kulturmedium zirkuliert. Ihnen vorgespannte Scheiben schützen die Kollektoren vor Wärmeverlust und wirken so als thermische Isolation sowie gleichzeitig als Schallschutz. Für die optimale Ausnutzung der Sonnenstrahlen wird auf der Vorderseite reflektionsfreies Weißglas verwendet. Über den Wasserkreislauf werden die Algen kontinuierlich mit flüssigen Nährstoffen und CO2 versorgt. Eine ständige Durchmischung des Wassers im Kollektor erfolgt durch große Luftblasen. Mithilfe der Sonnenkraft vermehren sich die Algen dann, bis sie schließlich als Biomasse zur Ernte in den Technikraum im Innern des Hauses weitergeleitet werden. In einem externen Prozess wird aus der Biomasse Biogas hergestellt. Mithilfe eines Gasbrennwertkessels wird das Biogas verbrannt. Die entstehende Wärme erhitzt das Brauchwasser für die einzelnen Wohnungen. Das Kohlendioxid wird in die Bioreaktorfassade zurückgeleitet. Somit schließt sich der Energiekreislauf. Überschüssige Wärme kann bei Überproduktion an das Nahwärmenetz abgegeben oder in die Erdwärmesonden eingespeist werden.

BIQ – das Algenhaus verfügt über 200 Quadratmeter Algenfassade. Bei einem Ertrag von 15 Gramm Trockenmasse pro Quadratmeter und Tag kann bei der Umwandlung von Biomasse in Biogas ein Nettoenergiegewinn von etwa 4500 Kilowattstunden pro Jahr erzielt werden. Zum Vergleich: Eine vierköpfige Familie verbraucht im Jahr circa 4000 Kilowattstunden. Die Algenfassade könnte so den gesamten Haushalt einer Familie mit Biostrom versorgen.

Weitere Infos unter: www.biq-wilhelmsburg.de

Interview mit Gartenbauingenieurin Heike Boomgaarden

Heike Boomgaarden zählt zu den ausgewählten Social Entrepreneurs in Deutschland, ist eine der Ashoka-Fellows 2014 und Preisträgerin im Wettbewerb „Mut zur Nachhaltigkeit“. Ihre Lieblingspflanze ist der Apfelbaum und sie hat die Stadt Andernach „essbar“ gemacht. Das Projekt der „Essbaren Stadt“ hat im Jahr 2014 sowohl die Lenné-Medaille wie auch den Zeit Wissen-Preis erhalten. Das Interview führte Meike Nachtwey.

Heike Boomgaarden Foto: privat
Heike Boomgaarden, Foto: privat

Sie sind Gartenbauingenieurin – war das schon immer Ihr Berufswunsch?
Ich wollte schon immer etwas mit Obstbau machen und habe zunächst eine Ausbildung zur Obstbauerin gemacht, anschließend habe ich das Diplom-Studium Gartenbau absolviert. Gleichzeitig mit dem Aufbau meines Ingenieurbüros startete ich meine Familienplanung. Beides zusammen war sehr anstrengend und fordernd. Aber es hat alles gut geklappt, und ich kann nur jeder jungen Frau raten, nicht auf Familie oder Job zu verzichten, wenn sie beides will.

Sie haben das Konzept der „Essbaren Stadt“ entwickelt. Was verbirgt sich hinter dieser Idee?
Es handelt sich um ein ganzheitliches Konzept, mein Arbeitstitel dazu war „ökohumanes Leben“. Ziel ist es, Natur und Stadt wieder zusammenzubringen, um die Defizite, die wir heute im urbanen Leben haben, auszugleichen: Entfremdung von der Natur, Depressionen, kompletter Wegfall der Biodiversität, Verwahrlosung der Grünflächen, fehlendes Geld zur Pflege der Standardgrünflächen, Erhitzung der Städte, Feinstaubprobleme. All diese Themen haben wir in Augenschein genommen und daraus die „Essbare Stadt“ gemacht. Andernach ist die erste Stadt, die dieses Konzept mit uns umsetzt.

Wie funktioniert die „Essbare Stadt“ Andernach?
Wir machen zunächst die Pflanzpläne und stellen Pflanzen zusammen, die pflegeleicht sind, für die Stadt wenig Kosten verursachen und die standortgerecht sind – dabei ist gartenbauliche Kompetenz gefragt. Nach der Abstimmung mit der Stadt und der Kommune werden in ganz Andernach insgesamt etwa 8000 Quadratmeter mit Gemüsepflanzen und dazu das Drei- oder Vierfache an Obstflächen bepflanzt. Im größten Lehrgarten Deutschlands, einer 14 Hektar großen Permakulturanlage in Kassel, werden Assistenten, zum Beispiel Langzeitarbeitslose, ausgebildet, die in Andernach zum Teil die Pflegemaßnahmen für das Gemüse und das Obst übernehmen. So erhalten Menschen neue Perspektiven und haben eine sehr hohe Wiedereingliederungsrate. Aber auch die städtischen Gärtner und Bürger der Stadt übernehmen die Pflege. Es gibt zum Beispiel Kindergärten, die sich um das Gießen aller Blumen kümmern.

Wie kamen Sie auf die Idee der „Essbaren Stadt“?
Wir haben nicht nur viele Probleme in den Städten und mit der Urbanisierung, auch die Menschen entfernen sich immer weiter voneinander. Ich sage immer: Wenn wir zusammen im Garten stehen, sind wir alle gleich. Egal welche Nationalität, welches Alter: Jeder kann helfen und mitmachen. So helfen wir uns Menschen und der Natur. Das war der Grundgedanke.

Im öffentlichen Raum besteht immer auch die Gefahr des Vandalismus. Wie gehen Sie damit um?
Vandalismus ist ein großes Problem in den Städten. Aber wenn man gemeinsam eine lebenswerte Umgebung gestaltet, dann passen alle gemeinsam auch darauf auf. Das hat mit sozialer Kontrolle zu tun. Die Flächen sind mitten in der Stadt, dort ist immer jemand, der ein Auge darauf wirft. Außerdem haben wir Jugendliche mit ins Boot geholt, indem wir sie zu „Wächtern der Gärten“ ernannt und ihnen klargemacht haben, dass es ihre Stadt ist, ihre Umgebung, ihre Pflanzen und sie diejenigen sind, die hier etwas verändern können. Wenn durch solche Maßnahmen eine ethnobotanische Bindung, wie ich es nenne, geschaffen wird, wird auch nichts zerstört.

Redaktionstipp

Unternehmen punkten bei der Generation Y mit Nachhaltigkeit, das ergab die Studie „The big green talent machine“ von Bain & Company. Die Studie kann auf der Homepage von Bain kostenlos als PDF heruntergeladen werden.

Kann eine „Essbare Stadt“ dabei helfen, Armutsprobleme zu lösen?
Eine „Essbare Stadt“ kann Bewusstsein wecken, aber ganze Familien können wir davon nicht ernähren. Es geht auch mehr darum, dass zum Beispiel die Kinder lernen, was Granatäpfel sind, welche Bohnensorten es gibt und so weiter. In den größeren Städten mit mehr Flächen kann man durchaus auch Ernährungsprobleme lösen. Paris hat beispielsweise begonnen, seinen Bürgern große Nutzflächen zur Verfügung zu stellen. Angefangen hat eigentlich alles mit dem Guerilla Gardening, bei dem öffentliches Grün wieder zum persönlichen Eigentum gemacht wurde. Nicht mehr „Rasen betreten verboten“, sondern „Betreten erwünscht und Pflücken erlaubt“ lautet jetzt das Motto.

Welche Probleme sollten Ihrer Meinung nach von Ingenieuren noch gelöst werden?
Energietechnische Probleme in der Stadt könnten auf regionaler Ebene gelöst werden. Ein gutes Beispiel ist „Urban Farming“. Das ist eine Art Hochhaus in der Stadt, in dem Gemüse wächst. Hier wird auf großer Fläche in der Vertikalen mit geringem Aufwand in Bioqualität produziert. Das wird in Zukunft eine gefragte Ingenieurleistung sein.

Verraten Sie uns Ihr nächstes Projekt?
Städte haben Riesenprobleme: Sie sind zu voll, zu laut, kämpfen mit Slumbildung, Verwahrlosung, dem Abwandern von Fachkräften … Sie müssen sich etwas einfallen lassen, sonst sind sie nicht mehr lebens- und liebenswert. Sie müssen etwas tun, damit man sich wieder in ihnen zu Hause fühlen kann. Im Projekt „Mut zur Lücke“ wollen wir Baulücken anders nutzen, damit Bürger ihre Plätze bekommen, zum Beispiel einen Boule-Platz oder Gemeinschaftsgärten, um miteinander neue Lebensformen leben zu können. Ich bin dann dafür zuständig, dass es schön wird.

Was können junge Ingenieure von Ihnen lernen?
Ausgefahrene Wege zu verlassen und Mut zur Innovation zu haben. Ich denke, Ingenieure, die eine breite Ausbildung und gleichzeitig die Möglichkeit haben, sich weltweit zu informieren, auszuwählen und abzuwägen, können selektieren und müssen nicht die alten Wege gehen. Ich plädiere zum Mut zur Idee. Die Zeit dafür war noch nie so gut wie heute.

Andernach – Die essbare Stadt

Im bundesweiten Innovationswettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ 2013/14 wurde die Stadtverwaltung Andernach für ihr Projekt „Andernach – Die essbare Stadt“ ausgezeichnet. Zum Thema „Ideen finden Stadt“ liefert das Projekt eine Antwort auf die Frage, wie öffentliche Parks zu Obst- und Gemüsegärten für die Einwohner werden können. Ob Erdbeeren, Salat oder Zwiebeln: Die Stadtverwaltung lässt überall Gemüse, Obst und Kräuter anbauen – und jeder darf sich bedienen. So werden öffentliche Parks und Grünanlagen zum Garten für die Bürger. Die öffentlichen Nutzpflanzen zeigen, wie man sich gesund ernährt und steigern die Wertschätzung für regionale Lebensmittel. Ob jäten oder ernten: Jeder darf mitmachen.
Quelle: www.andernach.de

„Mit Blick aufs große Ganze“

Als Astronaut startete Ron Garan zwei Mal zur internationalen Raumstation ISS. Mehr als 27 Stunden verbrachte er dort bei Außenbordeinsätzen im Weltraum. Mit auf die Erde gebracht hat der 53-jährige Managementcoach sein Konzept der Orbit-Perspektive. Sein Gedanke: Wer technische Herausforderungen von oben und langfristig betrachtet, findet die besseren Lösungen. Von André Boße

Zur Person

Ron Garan, geboren am 30. Juni 1961 bei New York, hat einen Bachelorabschluss in Ökonomie und absolvierte seinen Master in Luft- und Raumfahrttechnik. Er ist zudem ausgebildeter Pilot der US-Air-Force und wurde 2000 als Astronaut ausgewählt. Sein erster Raumflug führte ihn 2008 zur internationalen Raumstation ISS. 2011 verbrachte er als Bordingenieur mehr als fünf Monate auf der Station. Nach seiner Rückkehr auf die Erde entwickelte er sein Konzept der Orbit-Perspektive. Er berät auch in Deutschland große Unternehmen und tritt dort als Coach und Dozent auf. Derzeit arbeitet der Vater von drei Kindern an seinem ersten Buch „The Orbital Perspective: Lessons in Seeing the Big Picture from a Journey of 71 Million Miles“, das im Februar 2015 zunächst auf Englisch erscheinen wird. www.rongaran.com

Mr. Garan, was verstehen Sie unter der Orbit-Perspektive?
Wenn Sie im Wörterbuch den Begriff Perspektive nachschlagen, finden Sie zwei Definitionen. Die erste beschreibt die Möglichkeit, ein dreidimensionales Objekt auf einer zweidimensionalen Oberfläche zu zeichnen. Das lernt man im Kunstunterricht. Die zweite Definition beschreibt einen bestimmten Punkt, von dem aus man auf ein Objekt blickt. Die Orbit-Perspektive bringt beide Definitionen zusammen. Bis vor Kurzem spielte sich unser Leben auf einer zweidimensionalen Fläche ab. Natürlich wissen wir, dass die Erde rund ist. Aber wir gehen weiterhin mit der Erde und der Umwelt um, als sei sie flach. Wir kümmern uns zu wenig um nachhaltige Aspekte und versuchen, die komplexen Entwicklungen auf der Erde anhand von Grafiken oder Tabellen zu analysieren. In der Orbit-Perspektive schwenken wir unseren Blick zurück. Nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich. Wir machen uns ein dreidimensionales Bild vom großen Ganzen und blicken dabei auch auf die Langzeiteffekte.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für dieses Vorgehen?
Wenn Sie Tageszeitungen studieren, werden Sie beinahe täglich von schweren Autounfällen lesen. Sie erhalten damit ein zweidimensionales Bild vom Risiko des Autofahrens und ziehen den Schluss: Wer in ein Auto steigt, begibt sich in Gefahr – das war immer so und wird auch so bleiben. Die Sache ändert sich jedoch, wenn wir die Orbit-Perspektive einnehmen. Wir entfernen uns dann von diesen lokalen Ereignissen und schauen auf das große Bild. Hier sehen wir, dass es heute aussichtsreiche Versuche gibt, die „Vision “ zu realisieren – also die Vision von null Verkehrstoten. Das ist ein großes Ziel, keine Frage. Wir sehen aber auch die Fortschritte auf dem Weg hin zu dieser Vision. Wir entdecken Fahrerassistenzsysteme, die den Fahrer schützen. Fahrzeuge, die miteinander kommunizieren und sich vor Gefahren warnen. Autos, die autonom fahren und den Risikofaktor Mensch entschärfen. Wenn sie all dies aus der Orbit-Perspektive betrachten, erscheint dann die „Vision “ nicht machbar?

Schon – aber wie kann die Orbit-Perspektive helfen, diese Vision konkret umzusetzen?
Ein zweidimensional denkendes Unternehmen aus der Auto- oder IT-Industrie wird sich sagen: Wir entwickeln unsere eigenen Systeme und hoffen, dass die Kunden unsere neue Technik nachfragen. Unternehmen, die aus der Orbit-Perspektive heraus handeln, tun etwas anderes. Sie schließen Allianzen, weil sie wissen, dass sich technische Entwicklungen viel schneller mit interdisziplinären Kooperationen realisieren lassen.

Warum lohnt es sich für einen jungen Ingenieur, in seinem Unternehmen für diese Allianzen zu werben?
Weil heute folgende Regel gilt: „Wenn ich verliere, heißt das noch lange nicht, dass du gewinnst.“ Wir stehen heute eben nicht mehr auf dem Marktplatz, verkaufen Äpfel und können davon ausgehen, dass ein Kunde, der nicht zum Nachbarstand geht, automatisch zu uns kommen wird. Die Sache ist heute komplizierter. Wesentlich klüger ist es daher für Unternehmen, technische Allianzen zu schmieden, damit neue Märkte entstehen. Die ISS ist ein gutes Beispiel für solche Kooperationen: Sie ist eine Win-win-Situation, nämlich das Resultat der Zusammenarbeit von Ländern, die sich lange als Konkurrenten verstanden. Keine Nation hätte alleine eine solche Station aufbauen können. Die Orbit-Perspektive zeigt: Wer dreidimensional denkt, macht Dinge möglich, von denen man in Zweidimensionalität nur träumen kann.

Was macht eigentlich eine Maschinenbauerin mit Schwerpunkt chemische Verfahrenstechnik?

Nach dem Abitur habe ich mich für das Fach Maschinenbau an der RWTH Aachen eingeschrieben und zum Beginn des Hauptstudiums die Vertiefungsrichtung chemische Verfahrenstechnik gewählt. Von Christiane Follmann, 28 Jahre, Projektingenieurin beim Spezialchemie-Konzern Lanxess.

Ein Auslandssemester in Singapur bot mir dann erstmals die Möglichkeit, echte Praxiserfahrung in Sachen Chemieanlagenbau zu sammeln: Im Rahmen einer Gruppenarbeit konnte ich zusammen mit einigen Kommilitonen einen kleinen chemischen Betrieb planen und auslegen. Dazu gehörte unter anderem, für Rührkessel und Kolonnen die Geometrie, die richtige Temperatur und den Druck so festzulegen, dass die Reaktion optimal abläuft und das Produkt am Ende auch die gewünschten Eigenschaften aufweist. Das Entwickeln von Ideen, das Finden von Lösungen für kleine und große Problemstellungen sowie die rege Zusammenarbeit mit den Kommilitonen haben riesigen Spaß gemacht – und waren letztlich entscheidend für meinen Entschluss, später im Bereich Chemieanlagenbau arbeiten zu wollen.

Heute ist mein Arbeitsplatz bei Lanxess am Standort Leverkusen. Unsere Abteilung „Site Engineering“ arbeitet eng mit allen Geschäftsbereichen des Spezialchemie-Konzerns zusammen und unterstützt bei der Erweiterung von Produktionsanlagen. Wir begleiten dabei den gesamten Prozess: von der Planung, Leitung und Koordination über die Umsetzung bis hin zur Inbetriebnahme. Gleich zu Anfang meiner Berufslaufbahn habe ich bei der Kapazitätserweiterung eines Produktionsbetriebs mitgearbeitet und konnte hier früh Verantwortung für einzelne Teilprojekte übernehmen.

In meinem Arbeitsalltag ist vor allem ein regelmäßiger Austausch mit den Kollegen der unterschiedlichen Gewerke wichtig, zum Beispiel aus den Bereichen Rohrleitungsbau oder Verfahrensentwicklung. Ich erhalte in Projektbesprechungen Informationen über den aktuellen Stand des Projekts und koordiniere die weitere Planung und die nächsten Schritte. Wenn es um die Bestellung der richtigen Maschinen und Apparate für ein Projekt geht, bin ich das Bindeglied zwischen Betrieb und Lieferant. Ich stelle Anfragen bei den einzelnen Herstellern, überprüfe die Angebote auf technische Richtigkeit und stimme mich mit dem Betrieb ab, so dass eine spezifikationsgerechte Bestellung erfolgen kann. Während der Montagephase bin ich vor Ort in der chemischen Anlage und koordiniere den Montageverlauf.

An meiner Tätigkeit gefällt mir besonders, dass ich sehr selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten kann. Durch die abwechslungsreichen Aufgaben ist jeder Arbeitstag anders. Das macht die Arbeit als Chemieingenieurin so spannend.

Job-Steckbrief Maschinenbauerin mit Schwerpunkt chemische Verfahrenstechnik

Voraussetzungen:
Sehr guter Hochschulabschluss des Chemieingenieurwesens, der Verfahrenstechnik, des Maschinen- oder Anlagenbaus, erste praktische Erfahrungen (Praktika, Bachelor-/Masterarbeiten in der Industrie), erste internationale Erfahrungen (z. B. Auslandssemester oder Praktika) wünschenswert, Engagement, Teamfähigkeit, Eigeninitiative, hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein, sehr gute Deutsch- und Englischkenntnisse

Einstiegsmöglichkeiten:
Forschung und Entwicklung, Projektmanagement, Betriebsbetreuung

Informationen:
Verband der Chemischen Industrie e. V.: www.vci.de
Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie e. V. (VAA – Führungskräfte Chemie): www.vaa.de

Interview mit Christoph Kübel

Als Geschäftsführer und Arbeitsdirektor von Bosch ist Christoph Kübel ein Experte für Ingenieurarbeitsplätze. Im Interview erklärt der 54-Jährige, wie Ingenieure heute arbeiten und welche Ansprüche ein Technikkonzern an seinen technischen Nachwuchs stellt. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Christoph Kübel, geboren 1959 in Stuttgart, ist seit Januar 2012 Geschäftsführer und Arbeitsdirektor der Robert Bosch GmbH. Er studierte Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Pforzheim; das Diplomexamen legte er 1986 ab. Er begann seine Karriere als Teilnehmer des Bosch-Führungskräftenachwuchsprogramms JMP (Junior Managers Program) und ist im Laufe der Jahre vom Trainee bis zum Personalgeschäftsführer aufgestiegen. Christoph Kübel ist begeisterter Hobbyläufer und nutzt die Mittagszeit häufig für Joggingrunden mit anderen sportlich interessierten Kollegen.

Herr Kübel, wenn ein Bosch-Ingenieur, der vor zehn Jahren seine berufliche Laufbahn beendet hat, heute noch einmal den Konzern besuchen und seine jungen Kollegen beobachten würde, über welche Entwicklung würde er sich am meisten wundern?
Er wird bei uns neben bekannten Produkten ganz neuartige Aufgabengebiete finden. Wir wollen alle unsere elektronischen Geräte internetfähig machen – sowohl im Bereich der Mobilitätslösungen und der Industrietechnik als auch in der Energie- und Gebäudetechnik und bei den Gebrauchsgütern. Bei Bosch geht es also um weit mehr als automatisiertes Fahren. Unsere Ingenieure arbeiten an Smart Homes, intelligenten Energiesystemen oder auch an der vernetzten Produktion. In Bezug auf die Arbeitskultur wird der Besucher erleben, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bei uns weiterhin einen hohen Stellenwert hat. Und er wird dabei unseren Wandel hin zu einer flexiblen Arbeitskultur beobachten. In unserem Unternehmen steht nicht mehr die Präsenz am Arbeitsplatz im Mittelpunkt, sondern das Ergebnis der Arbeit.

Ingenieure in technischen Unternehmen werden heute zunehmend zu Alleskönnern. Man verlangt viel Fachwissen, dazu aber auch beinahe sämtliches Know-how eines Managers. Überfordert man Ingenieure damit?
Bei uns stellt sich das etwas anders dar. Gerade die Vielfalt der Mitarbeiter und damit auch ihrer Persönlichkeiten ist unsere Stärke. Bosch lebt von seiner Innovationskraft. Wir haben vergangenes Jahr weltweit rund 5000 Patente angemeldet, also 20 pro Arbeitstag. Dafür brauchen wir unsere hochqualifizierten Mitarbeiter, wobei Fach- und Führungskräfte gleichermaßen wichtig sind. Damit jeder seine Fähigkeiten und Neigungen optimal einbringen kann, bieten wir daher Fach-, Führungs- und Projektkarrieren, zwischen denen ein Wechsel auch gefördert wird.

Gibt es eine Fähigkeit, die in Bezug auf Ingenieure sehr selten genannt wird – die Sie aber als unverzichtbar erachten?
Das Arbeiten in internationalen Teams über verschiedene Kulturgrenzen hinweg, gute kommunikative Fähigkeiten und eine ausgeprägte Kundenorientierung sind nach wie vor gefragt. Speziell im Bereich vernetzter Produkte ist darüber hinaus ein Zusammenspiel unterschiedlicher Fachrichtungen erforderlich, insbesondere bei der Software. Deshalb wird aus meiner Sicht ein domänenübergreifendes Studium immer unverzichtbarer. Der Maschinenbauingenieur muss künftig zum Beispiel Elektrotechnik sowie Informations- und Kommunikationstechnologien noch besser kennen sowie sich mit seinen Fachkollegen anderer Disziplinen verstehen können. Und das gilt umgekehrt natürlich auch.

Sie haben die Vernetzung der Produkte angesprochen, das sogenannte Internet der Dinge in der Industrie 4.0. Dadurch wird die Berufswelt der Ingenieure deutlicher als früher von der IT bestimmt. Wenn die Maschinen alles selber können, wofür braucht man dann noch Ingenieure?
Zunächst muss die Maschine ja entwickelt und gebaut werden. Dafür benötigen wir Ingenieure. Gerade in der Diskussion um Industrie 4.0 wird gern von der menschenleeren Fabrik gesprochen. Das ist aber eher eine Illusion. Der Mensch wird auch in der vernetzten Produktion den Takt angeben und wichtige Steuerungsaufgaben übernehmen. Gut ausgebildete und hochqualifizierte Fachkräfte werden daher weiterhin gebraucht.

Die Generation Y stellt an den Arbeitgeber der Wahl viele Ansprüche. Leisten kann sie es sich, weil sie durch den Fachkräftemangel sehr begehrt ist. Wie fühlen Sie sich als Arbeitsdirektor in einer Arbeitswelt, in der Unternehmen sich vielfach bei Talenten bewerben müssen – und nicht mehr umgekehrt?
Ich erlebe Bosch als attraktiven Arbeitgeber. Wir zählen allein in Deutschland jährlich mehr als 200.000 Online-Bewerbungen. In Arbeitgeberrankings erreichen wir regelmäßig Spitzenplätze. Deshalb spüren wir erfreulicherweise noch keinen pauschalen Fachkräftemangel. Aber wir wollen uns darauf nicht ausruhen. Deshalb entwickeln wir unsere flexible und familienbewusste Arbeitskultur stetig weiter. Das tun wir auch aus der Überzeugung heraus, dass unsere Mitarbeiter attraktive Arbeitsbedingungen brauchen, um ihre Fähigkeiten, Neigungen und ihr Know-how optimal ins Unternehmen einbringen zu können. Gleichzeitig unterstützen wir sie dabei, Beruf und Privates in verschiedenen Lebensphasen gut miteinander vereinbaren zu können. Davon profitieren beide Seiten. Dass wir damit bei Nachwuchskräften hoch im Kurs stehen, sehen wir als Bestätigung.

In Ihrem internationalen Konzern sind die Teams global vernetzt. Worauf kommt es an, wenn man eine interkulturelle Sprache finden möchte, die einen konstruktiven Dialog in diesen Teams ermöglicht?
Wir sind ein Unternehmen, das langfristig orientiert ist. Wir streben einerseits nach dauerhaftem wirtschaftlichen Erfolg und einer führenden Marktposition, bei allem was wir tun. Andererseits übernehmen wir auch gesellschaftliche Verantwortung. Diese Haltung und unsere werteorientierte Unternehmenskultur verbinden unsere Mitarbeiter. Gerade die hohe Integrationskraft unserer Kultur ist die Grundlage für die tägliche Zusammenarbeit unserer weltweit 281.000 Mitarbeiter.

Eine weitere Herausforderung für einen Technikkonzern wie dem Ihren ist der demografische Wandel. Wie organisieren Sie im Unternehmen den Wissenstransfer von der erfahrenen auf die junge Generation?
Die Zusammenarbeit in altersgemischten Teams ist Teil unserer weltweiten Diversity-Strategie und gehört zu unserem Arbeitsalltag. Wir schätzen und nutzen die Vielfalt an Denkweisen, Erfahrungen und Lebensentwürfen für den langfristigen Unternehmenserfolg. Das beginnt schon beim Berufseinstieg: Erfahrene Kollegen übernehmen etwa für die Zeit der Einarbeitung eine Patenschaft. Aber auch unsere pensionierten Mitarbeiter sind uns wichtig. Im Ruhestand sind viele Kollegen als Seniorexperten im Einsatz und unterstützen mit ihren Erfahrungen oftmals jüngere Mitarbeiter als Berater.

Zum Unternehmen

Die Bosch-Gruppe ist ein international tätiges Technologie- und Dienstleistungsunternehmen mit Sitz in Gerlingen bei Stuttgart. Das Geschäft basiert auf vier Unternehmens- und Geschäftsbereichen: Im Bereich Kraftfahrzeugtechnik ist der Konzern einer der weltweit größten Zulieferer für die Autoindustrie, zudem entwickelt und produziert der Konzern Gebrauchsgüter (Elektrowerkzeuge und Hausgeräte), bietet in der Industrietechnik Lösungen für Antriebs-, Steuerungs- und Verpackungstechnik sowie im Bereich Energie- und Gebäudetechnik Produkte und Lösungen auf den Gebieten Thermo- sowie Sicherheitstechnik. Derzeit sind bei Bosch weltweit rund 281.000 Mitarbeiter beschäftigt. 2013 investierte die Gruppe rund 4,5 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung und meldete rund 5000 Patente an – das sind durchschnittlich 20 Patente pro Tag.

„Viele machen einen großen Karrieresprung“

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Die Frankfurt School of Finance & Management bietet für Ingenieure ein MBA-Programm an, mit dem sie sich fit für Führungspositionen machen können. Prof. Dr. Horst Löchel leitet das Programm. Im Interview erzählt er, warum der MBA die Ingenieure voranbringt und was sie bei diesem Studium erwartet. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Horst Löchel, Foto: Frankfurt School of Finance & Management
Prof. Dr. Horst Löchel, Foto: Frankfurt School of Finance & Management

Prof. Dr. Horst Löchel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance & Management und dort Programmdirektor des MBA-Programms und akademischer Direktor des EMBA-Programms. Er lehrt und forscht über die Entwicklung der Weltwirtschaft mit einem Schwerpunkt auf China. Löchel ist zudem Gastprofessor für VWL an der China Europe International Business School (CEIBS) in Shanghai sowie Mitglied des Aufsichtsrates des Shanghai International Banking and Finance Institutes (SIBFI).

Herr Löchel, liegt der MBA für Ingenieure im Trend?
Wir beobachten tatsächlich, dass sich immer mehr Ingenieure für einen Managementstudiengang bewerben, weil man diese Fähigkeiten in einem technischen Studiengang eben nicht lernt.

Reicht es nicht aus, an der Hochschule nebenher die wichtigsten BWL-Kurse zu belegen?
Natürlich kann ein Ingenieurstudent Nebenfächer mit wirtschaftlichen Inhalten belegen oder entsprechende Seminare besuchen. Es macht jedoch einen Unterschied, ob man das nebenher macht oder sich in einem MBA-Studiengang ausschließlich mit Management-Know-how beschäftigt. Zumal es beim MBA nicht nur um funktionelles Wissen wie zum Beispiel das Rechnungswesen geht, sondern vor allem um Führungsfähigkeiten, Verhandlungstechniken, Konfliktmanagement oder auch Change- Management-Ansätze.

Was erwartet einen Ingenieur bei Ihren MBA-Studiengängen?
Ich definiere ein MBA-Studium gerne als eine Reise. Die Gruppe behandelt die Fallstudien gemeinsam im Klassenraum. Das Lernen findet hauptsächlich während des Kommunikationsprozesses statt und ist nicht zu vergleichen mit den Vorlesungen an den Hochschulen.

Bleiben die Ingenieure unter sich?
Nein, sie sitzen in diesen Gruppen zusammen mit IT-Spezialisten, Rechtsanwälten, Finanzexperten oder auch Naturwissenschaftlern. Das Geheimnis liegt in der Diversifikation: Jede Disziplin hat andere Ansätze, setzt andere Prioritäten.

Sie bieten zwei Arten, den Executive-und den Full-Time-MBA. Wo liegt der Unterschied?
Beim Executive-MBA setzen wir eine gewisse Managementerfahrung voraus, man sollte zudem mindestens seit fünf Jahren im Beruf stehen. Das Programm läuft größtenteils am Wochenende, sodass die Teilnehmer in der Regel voll weiter arbeiten. Der Full-Time-MBA richtet sich an Nachwuchs, der mindestens zwei Jahre Berufserfahrung besitzt. Managementerfahrungen sind hier noch nicht notwendig, wobei auch dieser Abschluss trotz seines Namens als Teilzeitstudium organisiert werden kann.

Welche Rolle spielen beim MBA geisteswissenschaftliche Diszplinen?
Der MBA verfolgt das Ziel eines ganzheitlichen Managementkonzepts, indem er die starke Trennung zwischen den Disziplinen aufhebt, die sich einerseits mit Gesellschaft und andererseits mit Wirtschaft befassen. Dennoch: Der MBA orientiert sich am Business, an den Unternehmen. Es geht also in der Regel nicht um die Volkswirtschaft, sondern um die Frage, wie man innerhalb eines Unternehmens erfolgreich Projekte umsetzt. Aber hier kommen eben auch Aspekte anderer Wissenschaften, jedoch auch ethische Fragen ins Spiel. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein MBA wird nicht nur nach Lehrbüchern unterrichtet, sondern nach dem, was uns das Leben vorgibt.

Welche Rolle spielen ethische Fragen?
Durch die Finanzkrise ist das Thema Ethik weiter ins Zentrum gerückt. Es stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, das Interesse eines Unternehmens mit dem Interesse des Gemeinwohls auszubalancieren. Und darum geht es auch in den Seminaren.

Dürfen die MBA-Studenten auf Unterstützung durch die Unternehmen hoffen, bei denen sie angestellt sind?
Bis zu zwei Drittel der Unternehmen unterstützen ihre MBA-Kandidaten, indem sie Freiräume schaffen, die Urlaubszeit anders organisieren oder den MBA mitfinanzieren. Das Motiv liegt auf der Hand: Die Unternehmen wollen, dass ihre Leute weiterkommen.

Klappt das denn auch? Gibt es eine Erfolgsquote?
Es gibt eine ausreichende Zahl von Absolventen, denen durch den MBA ein Karrieresprung gelungen ist. Zuletzt hatten wir einen Ingenieur, der vor dem MBA für kleinere Projekte zuständig war und heute einen deutlich höheren Verantwortungsbereich leitet. Ich würde schätzen, dass aus unseren Klassen mit etwa 40 Leuten rund ein Drittel bis die Hälfte einen wirklich deutlichen Karrieresprung nach oben macht.

Führung will gelernt sein

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Ein Blick in die Vorstände der großen Technikkonzerne zeigt: Die Unternehmen setzen verstärkt auf Ingenieure als Spitzenmanager. Denn wenn es darum geht, technische Prozesse zu verstehen, ist ihr fachliches Know-how Gold wert. Doch ohne Führungsqualitäten und Wirtschaftswissen geht es nicht. Wer einen MBA draufsattelt weiß, wie Management funktioniert und was moderne Führung auszeichnet. Von André Boße

Die Spitzenpositionen in den deutschen Unternehmen sind nicht den BWLern und Juristen vorbehalten. Daimler-Chef Dieter Zetsche ist studierter Elektrotechniker. Martin Winterkorn, erster Mann bei Volkswagen, studierte Metallkunde. Lufthansa-Vorstandsvorsitzender Carsten Spohr ist Wirtschaftsingenieur. Bosch-Boss Volkmar Denner Physiker.

Vier Beispiele aus den deutschen Chefetagen, und was dort an der Spitze erkennbar ist, setzt sich auf den niedrigeren Managementebenen fort: Die Vorstellung, nach der Ingenieure in den Unternehmen Fachkarrieren starten und im Management von den BWL-Kollegen überholt werden, stimmt nicht mehr. Bei Siemens in Deutschland liegt der Anteil der Positionen mit Projekt- oder Personalverantwortung, die von Ingenieuren wahrgenommen werden, bei mehr als 50 Prozent. Auf globaler Ebene liegt die Konzernquote übrigens bei 40 Prozent – ein Zeichen dafür, dass Ingenieure in Deutschland besonders häufig den Weg ins Management finden. Und auch beim Autobauer Audi liegt der Anteil der Ingenieure auf den Führungsebenen bei knapp 50 Prozent.

MBA – wo kommt das eigentlich her?

In den USA und Großbritannien zählt der Master of Business Administration (MBA) schon seit mehr als 100 Jahren zu den Standardabschlüssen an den Universitäten. In Deutschland etablierte erstmals die Universität Saarbrücken im Jahr 1990 einen MBA-Studiengang, damals noch mit starker internationaler Ausrichtung. Heute wird der MBA von vielen Hochschulen angeboten, darunter Business Schools aber auch klassische Hochschulen. Er
zählt in Deutschland zu den Weiterbildungsstudiengängen, daher werden in der Regel Studiengebühren erhoben.

Linktipp

Einen Überblick über Anbieter bietet das Internetportal www.mba-studium.net.

Ingenieur mit Business-Know-how
Das sind beachtliche Zahlen, wobei weiterhin gilt: Egal, wie gut das technische Know-how ist, ohne Managementqualifikationen funktioniert der Aufstieg nicht. Im Gegenteil: So sehr die Unternehmen Ingenieure in Führungspositionen schätzen, so sehr legen sie auch Wert darauf, dass die Ingenieure verstehen, was Führung bedeutet – und dass sie diese Fähigkeiten auch anwenden können. „Die Anforderungen beschränken sich dabei nicht nur auf fundierte Fachkenntnisse, sondern in zunehmendem Maße auf Führungsfähigkeiten“, erläutert Marion Käser-Seitz, geschäftsführende Gesellschafterin der Personalberatung QRC, die sich auf Ingenieure fokussiert. Käser-Seitz geht sogar so weit zu sagen: „Ein Ingenieur, der keine Führungsfähigkeiten mitbringt, ist international praktisch nicht wettbewerbsfähig – und sei es auch für eine exponierte Fachfunktion.“

Aber was genau macht Ingenieure in Führungspositionen so begehrt? Warum gehen Unternehmen nicht den leichteren Weg und holen sich BWLer, die alle wichtigen Führungsqualifikationen bereits an der Universität gelernt haben? Die Frage geht an Audi, wo Ralph Linde, Geschäftsführer der unternehmenseigenen Audi Akademie, eine schnelle Erklärung findet. „Wir sind ein technisches Unternehmen und in diesem Bereich auf hohe fachliche Kompetenz angewiesen. Nur wer die Themen und Abläufe sehr gut kennt, hinterfragt Dinge und versucht, sie zu optimieren.“ Ähnlich argumentiert Nicole Herrfurth, die bei Siemens den Bereich Leadership Development leitet und im Konzern die Auswahl der Führungskräfte weltweit verantwortet: „Eine Führungskraft mit Ingenieurhintergrund kann bei technischen Fragestellungen mit den Technikern und Ingenieuren auf Augenhöhe diskutieren.“ Dieses Verständnis für technische Prozesse und technisches Denken ist es, was Unternehmen dazu bringt, Ingenieure zunehmend in das Management zu übernehmen. Dabei setzen sie verstärkt auch auf methodische Kompetenzen, die bei Ingenieuren seit jeher besonders stark ausgeprägt sind. „Vom Studium her ist es der Ingenieur gewohnt, strukturiert vorzugehen und Themen sachlich und zielorientiert voranzutreiben“, sagt Ralph Linde. „Das sind Eigenschaften, die im Führungsalltag helfen können.“

Ingenieure punkten bei Kommunikation
Auch bei Lufthansa Technik, der auf Ingenieurdienstleistungen spezialisierten Tochter der größten deutschen Fluglinie, stehen Ingenieure wegen ihres originären Know-hows als Führungspersönlichkeiten hoch im Kurs. „Wir sind ein Unternehmen, das stark durch technische Prozesse geprägt ist, wobei Ingenieure in der Regel eine große persönliche Nähe zu unserem Kernprodukt aufweisen“, sagt Peter Schürholz, Leiter Personalmarketing und Talent Relationship Management. Diese Nähe ist einerseits wichtig, um die richtigen fachlichen Entscheidungen zu treffen. Andererseits hilft sie dabei, einen Bereich der Führung zu gestalten, der besonders wichtig ist: die Kommunikation.

Glaubt man dem Klischee, dann sind Ingenieuren die Kommunikationsfähigkeiten nicht in die Wiege gelegt worden – zumal es im Studium häufig um andere Aspekte geht als um die freie Rede, motivierende Ansprachen oder Verhandlungsgeschick. Doch für Peter Schürholz haben Ingenieure gegenüber den Kollegen anderer Fachrichtungen einen großen Vorteil: Jede Führungskraft müsse in der Lage sein, angemessen mit den Kollegen des sogenannten Shop-Floors zu kommunizieren, also dort, wo körperlich gearbeitet wird – und das können Ingenieure. „In den Werkstätten und Flugzeughallen herrscht zuweilen ein etwas rauerer Ton. Damit muss die Führungskraft klarkommen. Sie muss sich den Respekt, die Wertschätzung und die Anerkennung der Mechaniker, Vorleute und Meister erst einmal verdienen – und dies fällt Führungskräften mit einem Ingenieurhintergrund unter Umständen leichter als einem BWLer.“

Manager im Blaumann
In der modernen Führung ist Authentizität ein besonders wichtiger Aspekt. Mitarbeiter wollen glaubwürdige Vorgesetzte, die Orientierung geben und Perspektiven entwickeln. Und hier besitzen Ingenieure in technisch geprägten Unternehmen durchaus einen Vorteil, weil sie die Sprache verstehen und die Materie kennen. So werden Managementtrainees – ob mit oder ohne Ingenieurhintergrund – nach ihrem Einstieg zunächst einmal auf einen drei Wochen langen Lauf durch das Unternehmen geschickt. „Hierzu gehört auch, dass sie sich den Blaumann überziehen, sich morgens um sechs Uhr im Meisterbüro melden und dann eine Frühschicht mitlaufen“, beschreibt Schürholz. Wem man in dieser Situation anmerkt, dass er zum ersten Mal in seinem Leben Arbeitskleidung trägt und dass er seinen für die Business School gekauften Anzug nur sehr widerwillig in den Spind hängt, kommt bei den Leuten in den Werkstätten nicht sehr authentisch rüber.

Ingenieure haben also gute Karten. Doch die Ansprüche an erfolgreiche Karrieren sind hoch. Bei Siemens achten die Personaler bei den Führungskräften „auf eine starke Ergebnis- und Kundenorientierung, strategisch-innovative Fähigkeiten, eine teamorientierte Zusammenarbeit und interkulturelle Sensibilität“, so Nicole Herrfurth. Diese Feinfühligkeit ist auch bei Audi ein zentraler Begriff der Führungsarbeit. „Wichtig ist das Verständnis für das Menschliche, für soziale Beziehungen“, definiert der Personalverantwortliche Ralph Linde. „Es braucht zudem die Toleranz, dass jeder Mensch individuell und verschieden ist.“ Was Führung heute auszeichnet, sei die Erkenntnis, dass es nicht einen Stil gibt, der für alle Mitarbeiter passt. Flexibilität und Empathie sind angesagt. „Deshalb“, so Linde, „ist es wichtig, die eher naturwissenschaftliche und technische Sichtweise eines Ingenieurs um eine sozialwissenschaftliche, auf den Menschen fokussierte zu erweitern.“

Coachings für Führungsnachwuchs
Ein Beispiel aus dem Alltag bei Lufthansa Technik: Wenn die Konzernmutter Lufthansa ein Flugzeug an ihre Tochter übergibt, möchte sie es möglichst schnell zurückhaben – schließlich können Flugzeuge nur Geld erwirtschaften, wenn sie in Betrieb sind. Wartet oder repariert die Lufthansa Technik ein Flugzeug oder stattet sie es neu aus, tickt im Hintergrund also immer die Uhr mit. „Diese Rahmenbedingungen erfordern von den Führungskräften hohe Belastbarkeit und Flexibilität“, sagt Peter Schürholz. „Die meisten Aufgaben sind projekthafter Natur – daher sind entsprechende Fähigkeiten im Projektmanagement unverzichtbar.“

Der Weg in Führungspositionen erfolgt für Ingenieure in der Regel zunächst einmal über kleinere Projekte. „Man startet mit der Führung von Teams und erhält mit der gewonnenen Erfahrung mehr Verantwortung“, beschreibt die Siemens-Personalerin Nicole Herrfurth den Weg. Um den Ingenieurnachwuchs fit für die Führung zu machen, bieten die Unternehmen in der Regel eigene Schulungen, wobei ambitionierte Einsteiger darauf achten sollten, dass die Arbeitgeber bei diesen Fortbildungen das einhalten, was sie auch von ihren Führungskräften verlangen: Genauso wenig, wie es den einen universellen Führungsstil gibt, darf man es bei der Fortbildung nicht bei Standardschulungen belassen. „Wir bieten daher eine Vielzahl von Kursen“, sagt Nicole Herrfurth. „Dabei haben wir je nach Situation unterschiedliche Trainings im Angebot, denn: Mitarbeiter, die ganz neu eine Führungsposition übernehmen, haben andere Fragen als langjährige Führungskräfte, die ganze Bereiche leiten.“

Ethik im Fokus
Ist die erste Führungsposition erreicht, beginnt für die Ingenieure in den Unternehmen eine sensible Zeit. Vorgesetzter zu sein, zudem mit MBA-Abschluss, ändert den eigenen Status. Der Einfluss im Unternehmen steigt, die höhere Position verleiht Macht. Es ist nicht immer einfach, damit umzugehen, weshalb es für Ingenieure in Führungspositionen besonders wichtig ist, weiterhin engen Kontakt zur Basis zu halten. „Keine Führungskraft weiß mehr als die Summe ihrer Mitarbeiter“, sagt Audi- Personaler Ralph Linde. Dennoch müsse man auch in der Lage sein, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. „Führung ist daher immer eine Gratwanderung zwischen Beteiligung und eigener Entscheidung.“ Ein konkreter Aspekt ist hier die Frage nach einer guten Work-Life-Balance – für das Team, aber auch für die Führungskraft selbst. „Die eigene Fitness sowie ein erfülltes Arbeits- und Privatleben sind Voraussetzungen für gute Leistung. Innerhalb des Teams für diese Balance zu sorgen, heißt auch, verantwortlich zu handeln“, sagt Ralph Linde. Sobald die Macht ins Spiel kommt, stellen sich auch ethische Fragen. Wer über ein herausragendes technisches Fachwissen verfügt, denkt oft darüber nach, was technisch alles möglich ist. Für Ingenieure in Führungspositionen ist es jedoch wichtig, immer auch zu hinterfragen, ob das, was machbar ist, auch das ist, was für das Unternehmen gut ist. Und zwar nicht nur aus ökonomischer Sicht, sondern auch mit Blick auf die Werte, für die das Unternehmen steht. Für Peter Schürholz von Lufthansa Technik ist es daher wichtig, dass bei den Führungskräften eine „hohe Übereinstimmung zwischen eigenen Werten und Unternehmenskultur herrscht“.

Doch wie findet man nun einen persönlichen Führungsstil, der zum Unternehmen passt? Audi-Personaler Ralph Linde gibt Einsteigern folgenden Tipp: „Das beste Modell, Führung zu erleben, ist der eigene Vorgesetzte. Läuft alles gut, ist er ein Vorbild, an dem man sich orientieren kann. Wenn nicht, kann man versuchen, alle negativen Erfahrungen in der eigenen Führungsverantwortung nicht zu wiederholen.“

Buchtipps

Eine Vielzahl von Büchern beschäftigt sich mit modernen Führungsstilen und wichtigen Qualitäten. Empfehlenswert für Fortgeschrittene ist „Führen mit flexiblen Zielen“ des Autors Niels Pfläging (Campus 2011), der sich von üblichen Managementpositionen verabschiedet und neue Ansätze für die Führung formuliert. Gezielt an Ingenieure richtet das Buch „Ingenieure an die Schalthebel: Mit den Fähigkeiten der ,Komplexkönner’ zu unternehmerischen Spitzenleistungen“ (Linde 2014). Noch Managementlaie mit knappem Zeitbudget? Kein Problem: „Der 5-Minuten-Manager“ von James McGrath (Börsenmedien 2014) bietet kurze, leicht verdauliche Häppchen für den Einsteiger.

karriereführer hochschulen“Angst oder Liebe“

Der neue karriereführer hochschulen erscheint in wenigen Tagen als Plädoyer für weniger Angst und mehr Liebe in der Arbeitswelt. Warum wir unseren Job deshalb noch lange nicht lieben müssen, erklärt Alix Faßmann, Autorin und Mitbegründerin von Haus Bartleby, Zentrum für Karriereverweigerung. Die Fragen stellte André Boße.

karriereführer hochschulen
„Angst oder Liebe“ – Was uns antreibt.

Mit: Thomas Sattelberger ♥ Erwin Wagenhofer ♥ André Stern ♥ Katrin Bauerfeind ♥ Stephan Grünewald ♥ Barbara Pachl-Eberhart ♥ Hubertus Meyer-Burckhardt

Demnächst an deinem Campus

Frau Faßmann, wie kann es passieren, dass uns die Arbeit Angst macht?
Arbeit ist Angst vor dem Zuspätkommen, vor dem Verpassen, vor der Armut, vor dem Ausgeschlossensein. Oder positiv formuliert: „Chancen, Chancen, Chancen!“

Und wir haben Angst, diese nicht zu nutzen.
Genau. Dabei hat alles Arbeit zu sein. Was nicht Arbeit ist, ist schlecht. Wer nicht arbeitet, säuft zumindest literweise Kaffee, damit er schneller an die Arbeit denken kann, die er jetzt gleich erledigen wird. An die Mails die checken muss oder zumindest – das kann doch nun wirklich erwartet werden! – die 30 Bewerbungen, die er pro Monat zu schreiben hat, wenn er keine Arbeit hat. Arbeit kommt mit Angst vor der Angst. Sie spielt mit dem guten Gefühl, etwas geschafft zu haben, etwas wert zu sein. Wer jedoch keine Arbeit hat, der ist nichts Wert.

Was muss denn geschehen, damit Arbeit mit Liebe geschehen kann?
Liebe ist schön, wird aber überbewertet.

Worum geht es dann?
Um konkrete Beteiligung! Wem gehört der Betrieb, für den ich arbeite? Wohin fließen etwaige Gewinne? Wer trifft die Entscheidungen? Was ist mit den vielen Menschen, die keine Arbeit haben? Und muss überhaupt jeder eine Arbeit machen, in der Art, wie wir sie heute noch definieren? Wem bezahle ich die Miete für ein einfaches Dach über dem Kopf? Ist das derzeitige Erbschaftsrecht noch zweckmäßig? Und wann haben wir endlich Demokratie und Freiheit auch in der Wirtschaft, die bislang fast völlig ohne diese beiden vielbeschworenen Konzepte stattfindet? Wenn wir nicht wollen, dass uns die Vorteile einer offenen Gesellschaft irgendwann verloren gehen, müssen wir diese Fragen aufwerfen.

Arbeit ist nicht unser Leben, Cover: Bastei Lübbe AG
Arbeit ist nicht unser Leben, Cover: Bastei Lübbe AG

Arbeit ist nicht unser Leben: Anleitung zur Karriereverweigerung, Bastei Lübbe 2014, ISBN: 978-3785761045, 12,99 Euro

Um doch noch einmal auf die Liebe zurückzukommen …
Tja, die Sehnsucht nach Liebe. Ein früherer Bundespräsident sagte einmal: „Nicht Deutschland liebe ich, sondern meine Frau!“ Dieser Satz ist zutreffend und schön. Denn die Liebe zu einer Sache ist zwar manchmal hilfreich, man nennt diesen Zustand dann Euphorie. Aber wenn wir uns in unfreien wirtschaftlichen Abhängigkeiten begegnen, dann ist die Liebe kein guter Ratgeber. Vielmehr scheint es mir so, dass fast alle Menschen sagen, sie liebten ihren Job, dieses jedoch um ihrer Karriere willen einfach behaupten – und auch wohl behaupten müssen. Und tun sie doch Dinge tun, die einfach hässlich sind. Eine ganz andere Haltung wäre es, wenn wir wirklich einmal nach den Prinzipien der Liebe leben und auch arbeiten würden: Wir sind hier zusammen drin – und eben nicht gegeneinander.

Vom Banker zum Sozialpädagogen

Alexander Hartmann war erfolgreicher Banker. Heute arbeitet er als Sozialpädagoge und ist Teamleiter einer Jugendwohngruppe in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Nach 20 Jahren in der Finanzbranche konnte Alexander Hartmann sich mit den Zielen seiner Arbeit nicht mehr identifizieren. Er wählte einen radikalen, aber notwendigen Schritt und fand zurück zu einem positiven Lebensgefühl. Von Anna Beutel

Zur Person

Alexander Hartmann machte eine der klassischen Bankkarrieren der 90er-Jahre: Nach einem Praktikum bei einer Schweizer Großbank und einem berufsbegleitendem Studium der Betriebswirtschaft erklomm der heute 47-Jährige die Karriereleiter – erst als Credit Risk Officer, später als Compliance Officer und Leiter der Abteilung Compliance Private Banking. Bis 2010 war er Chief Compliance Officer mit Verantwortung für sämtliche Compliance-Aktivitäten in der Sarasin Gruppe. Mit 43 Jahren begann Hartmann von vorn: Er wurde Sozialpädagoge und Sozialarbeiter.

20 Jahre arbeitete Alexander Hartmann in der Finanzbranche. Ein Beruf, der ihn anfangs durchaus erfüllte. „Ich habe das damit verbundene hohe gesellschaftliche Ansehen, die Bewunderung von Kolleginnen und Kollegen, die vielen internationalen Kontakte und Reisen genossen“, erinnert er sich. Doch schon damals hat ihn das Arbeitstempo stark gefordert. Die ersten Erschöpfungszustände nahm er jedoch erst ernst, als ihm auffiel, wie sich auch sein Wesen veränderte. Heute beschreibt er es so: „Ich wurde härter, teilweise abgestumpft. Ich verlor meine Sensibilität, meine weichen Seiten, die mich als Menschen ausmachen.“ Wichtig waren ihm vielmehr kommerzielle Dinge, wie ein schönes Auto oder teure Ferienreisen. Genießen konnte er diese Dinge aber nicht – dazu hatte er zu wenig Zeit und nicht die nötige Ruhe.

Im Jahr 2006 kam es zu einem Wechsel im Top-Management seines damaligen Arbeitgebers. Es galten auf einmal andere Werte, Profitmaximierung um jeden Preis stand plötzlich im Vordergrund. Es zählte nicht mehr der Mensch, sondern Mitarbeiter hatten zu funktionieren. Für Hartmann kein tragbarer Zustand. Schließlich wagte er einen ersten Schritt in Richtung berufliche Neuorientierung und absolvierte ein berufsbegleitendes Masterstudium in angewandter Ethik an der Universität Zürich. Gut drei Jahre später, nach vielen Gesprächen mit Familie und Freunden, entschloss er sich, eine radikale Entscheidung in die Tat umzusetzen und ein einjähriges Praktikum im Bürgerlichen Waisenhaus Basel zu leisten.

Sich für andere Menschen einzusetzen, ihnen Gehör zu verschaffen und ihnen dabei zu helfen, die eigene Lebenslage nachhaltig verbessern zu können, war ihm schon immer ein großes Anliegen. Heute studiert der ehemalige Banker im letzten Jahr an der Fachhochschule Nordwestschweiz Soziale Arbeit und Sozialpädagogik. Parallel zum Studium arbeitete Alexander Hartmann ein Jahr als angehender Sozialarbeiter in einer psychiatrischen Universitätsklinik in Basel mit suchtkranken Menschen, im Sommer 2014 übernahm er die Teamleitung einer Jugendwohngruppe in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Eine Jugendwohngruppe beherbergt 13 bis 18 Jahre alte Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr bei den Eltern wohnen können.

Die intensive Auseinandersetzung mit Menschen, die Hilfestellung im Leben benötigen, ist für den 47-Jährigen der wesentliche Unterschied zur Arbeit in der Finanzindustrie. Ein Sozialpädagoge muss Beziehungen eingehen, sich auf den anderen einlassen, ihn begleiten und fördern, damit er die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben erhält. Das ist es, was Alexander Hartmann erfüllt, was ihn den Sinn seines beruflichen Wirkens wiederfinden ließ. „Ich stehe heute auf und freue mich auf meine Arbeit. Und ich fahre mit dem Fahrrad und ohne Krawatte und Anzug zur Arbeit“, fügt er lachend hinzu.

Doch nicht nur in dieser Hinsicht trug der berufliche Wechsel zu einem positiven Lebensgefühl bei. Er ist dem goldenen Hamsterrad entkommen, in dem er sich gefangen fühlte, und hat nun wieder Freude an den kleinen Dingen und vor allem Zeit mit der Familie. Er kann heute mitgestalten und mit Menschen zusammenarbeiten, die achtsam durch das Leben gehen und Rücksicht auf Schwächere nehmen.

Die Erfahrung lehrte ihn, das eigene Leben und nötige Veränderungen beherzt in Angriff zu nehmen. Statt auf den Kopf, rät er, sollten alle viel mehr auf den Bauch hören. Berufseinsteiger sowie Menschen, die sich neu orientieren möchten, sollten einen Beruf wählen, der sie glücklich macht – auch wenn sie dadurch weniger Geld verdienen. Denn viel Geld sei definitiv kein Faktor, der dazu beitrage, glücklich zu werden, findet der Sozialpädagoge: „Glücklich machen uns andere Dinge, wie die Freude am Beruf, Zeit mit Menschen, die wir lieben, und Zeit für alles, was uns Freude bereitet.“