Viele Jahre lang hat Monika Schulz-Strelow als Frauen-Lobbyistin und Präsidentin des Vereins Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) für die Quote gekämpft. Anfang März hat der Bundestag diese nun beschlossen. Aber wie geht es weiter – und was bedeutet der Beschluss für die Frauen? Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Monika Schulz-Strelow, Foto: Caroline Scharff
Monika Schulz-Strelow ist Unternehmensberaterin sowie Gründungsmitglied und Präsidentin des Vereins Frauen in die Aufsichtsräte – FidAR, einem der einflussreichsten Frauennetzwerke Deutschlands. Seit 2011 gibt FidAR den Women-on-Board-Index heraus, in dem die 160 größten börsennotierten Unternehmen nach dem Frauenanteil in Aufsichtsrat und Vorstand gerankt werden.
www.fidar.de/wob-index
Frau Schulz-Strelow, am 6. März hat der Bundestag die Frauenquote beschlossen. Warum ist die Quote in diesem Augenblick die richtige Maßnahme, um Frauen in Führungspositionen zu bringen?
Die Quotenregelung ist ein Signal, das notwendig war, weil die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft weitestgehend gescheitert ist. Veränderungen müssen von oben kommen, sonst wirken sie gar nicht. Die Quote ist als Wegbeschleuniger zu sehen. Als verbindliche gesetzliche Vorgabe gilt sie aber ja nur für etwa 100 börsennotierte und voll mitbestimmte Unternehmen. Viel wichtiger ist daher die Aufforderung an etwa 3500 Unternehmen, Planzahlen zu einer angemessenen Teilhabe von Frauen in Führungspositionen zu veröffentlichen. Damit müssen sie sich Gedanken zu den Karrierechancen von Frauen im Unternehmen machen und eine Personalentwicklungsstrategie erstellen. Nur wer hier eine überzeugende Botschaft kommuniziert, wird auch gute Frauen für das Unternehmen gewinnen. Diversity wird damit zu einem der zentralen Faktoren beim Recruiting.
Welche Bedeutung wird dieser Beschluss für ambitionierte Frauen auf dem Weg nach oben konkret haben?
Diese Frauen erhalten nun Rückenwind – gerade in solchen Unternehmen, in denen sie bislang auf dem Weg nach oben ausgebremst wurden. Das Signal ist klar: Wir brauchen engagierte und qualifizierte Frauen für eine gute Unternehmensführung. Wir sind überzeugt davon, dass gemischte Teams bessere Entscheidungen treffen. Wir sorgen dafür, dass Frauen die gleichen Aufstiegschancen haben wie Männer. Jetzt müssen sich diese Frauen aber auch einbringen und mitgestalten.
Buchtipps der Redaktion
Insa Sjurts:
Frauenkarrieren in der Medienbranche: Auf was es ankommt.
Springer Gabler 2014.
ISBN 978-3658023812.
39,99 Euro
Arianna Huffington:
Die Neuerfindung des Erfolgs: Weisheit, Staunen, Großzügigkeit – Was uns wirklich weiter bringt.
Riemann Verlag 2014.
ISBN 978-3570501733.
19,99 Euro
Welche Schritte müssen in den Unternehmen folgen, damit der Quoten- Beschluss tatsächlich nachhaltig im Sinne der Frauen wirkt?
Alle Unternehmen müssen sich mit der Personalentwicklung und hier im Besonderen mit Entwicklungsperspektiven für Frauen ernsthaft auseinandersetzen. Dabei geht es unter anderem um die Entscheidungswege bei der Beförderung. Hier muss analysiert werden, warum bei einem Unternehmen mit 50 Prozent Frauen in der Belegschaft der Frauenanteil im gehobenen Management bei unter zehn Prozent liegt. Es sind Maßnahmen zu ergreifen, um diese Missstände zu beseitigen. Es geht nicht mehr nur um mehr Plätze in der Betriebs-Kita, sondern um einen Bewusstseinswandel in allen Bereichen der Unternehmenskultur. Die Unternehmensleitung muss das Thema nach außen vertreten und auf die Liste der Top-Themen der Unternehmensstrategie setzen.
Welchen Tipp geben Sie jungen Frauen nach diesem Beschluss mit auf den Karriereweg?
Nutzen Sie die Chancen, die sich jetzt bieten. Setzen Sie sich für Ihre Karriere ein und fördern Sie auch Kolleginnen, wenn Sie eine entsprechende Position erworben haben. Schaffen Sie sich Netzwerke oder treten Sie in bestehende gemischte Netzwerke ein – innerhalb, aber auch außerhalb des Unternehmens. Sie haben jetzt Möglichkeiten, für die andere Frauen jahrzehntelang gekämpft haben!
Redaktionstipp
Aktuelle Studie: Erfolgreiche Banken brauchen Frauen
Banken sind erfolgreicher, wenn sie Frauen in Führungspositionen haben – das belegt eine Studie, die im Januar 2015 veröffentlicht wurde. Regina Reinert und Prof. Dr. Florian Weigert von der Universität St. Gallen sowie Dr. Christoph Winnefeld, Ökonom bei der Luxemburger Finanzaufsicht, haben anonymisierte Daten von 264 Luxemburger Kreditinstituten aus den Jahren 1999 bis 2013 ausgewertet. Sie konnten zeigen, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Anteil von Frauen in Führungspositionen und dem Geschäftserfolg von Banken gibt. Wurde der Frauenanteil im Top-Management zehn Prozent erhöht, verbesserte dies die jährliche Eigenkapitalrendite der Banken um durchschnittlich drei Prozentpunkte. Besonders deutlich wurde der Effekt eines hohen Frauenanteils während der Finanzkrise – damals war der positive Zusammenhang fast doppelt so stark wie in Zeiten stabiler Märkte.
Paper zur Studie
Dass Frauen im Aktienhandel anders agieren als Männer, wurde bereits 2013 wissenschaftlich beschrieben. Dr. Catherine C. Eckel von der Texas A&M University und Dr. Sascha Füllbrunn von der Radboud University Nijmegen konnten in einem Experiment nachweisen, dass Frauen das Entstehen von Preisblasen an der Börse bremsten.
Paper zur Studie
Wir stellen Ihnen hier mutige, selbstlose und leidenschaftliche Selfmade-Frauen vor. Frauen, die von ihren Ideen überzeugt sind, die angepackt haben und sich leidenschaftlich für ihre Ziele und Visionen einsetzen.
Prof. Dr. Antje Boetius – geht der Tiefsee auf den Grund (*1967) Prof. Dr. Antje Boetius, Foto: M. Molari, MPI Bremen, Polarstern PS86Seit Januar 2015 ist die Tiefseeforscherin Antje Boetius Vorsitzende des Lenkungsausschusses von Wissenschaft im Dialog (WiD). Diese Plattform unterstützt dabei, die Kommunikation der Wissenschaft bunter, vielfältiger und ansprechender zu gestalten – und den direkten Austausch mit Bürgern zu fördern, auch zu kritischen Themen. Die Bremerin wollte schon als Kind Forscherin werden, seit sie ein Buch aus der Reihe „Was ist was“ zur Tiefsee gelesen hatte. Und das hat sie geschafft: Heute ist sie Professorin für Geomikrobiologie an der Universität Bremen und leitet die Brückengruppe für Tiefseeökologie und -technologie am Alfred-Wegener-Institut für Polarund Meeresforschung in Bremerhaven. Sie hat bereits an über 40 Expeditionen auf internationalen Forschungsschiffen teilgenommen, ihre Tauchgänge mit U-Booten führten sie in die Karibik, ins Schwarze Meer und ins Mittelmeer. Antje Boetius beschäftigt sich derzeit vor allem mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den Arktischen Ozean. Und sie bringt ihre Arbeitsergebnisse aus den dunklen Tiefen ins Licht der Öffentlichkeit: in Fernsehauftritten, im Radio, durch Bücher und Fachartikel. Denn es geht ihr darum, dass mehr Erkenntnisse aus der Wissenschaft in die Öffentlichkeit gelangen. Ihre Arbeit und ihre Leistungen als Wissenschaftlerin wurden mit dem Leibniz-Preis der DFG, mit dem Hector Wissenschaftspreis und dem Petersen-Preis ausgezeichnet. Sie ist Mitglied in der Nationalen Akademie Leopoldina. Prof. Dr. Antje Boetius im Interview.
Esther Kochte – entwickelte eine neue Bewusstseinstechnik (*1973)
Während ihres Studiums der Germanistik und Sozialwissenschaften arbeitete Esther Kochte bereits als Publizistin für Kinder- und Jugendliteratur. Es folgten Stationen bei Tageszeitungen und Verlagen sowie schriftstellerische Arbeiten und Theaterinszenierungen, die sie mit Webdesign, PR-Texten und Lektoraten finanzierte. Die Berlinerin führte ein bewegtes Leben – doch wegen massiver chronischer Schlafstörungen empfand sie es als „quälenden Psychotrip“ und erreichte einen Punkt, an dem sie nicht mehr konnte. Bereit, ihr altes Realitätsverständnis loszulassen, befreite sie sich von familiären Traumata und zerstörerischen Mustern. Aufgrund dieser tiefgreifenden Verwandlung entwickelte sie ein Werkzeug zur Erweiterung und Transformation des Bewusstseins: ThetaFloating. Es lehrt unter anderem, wie wichtig es ist, das Gegenwärtige zu akzeptieren, weil darin das größte Potenzial der Verwandlung, Entwicklung und Heilung liegt. In Einzelberatungen und Seminaren vermittelt Esther Kochte ihre Technik, außerdem sind von ihr bereits Bücher und CDs erschienen. Ihr neuestes Werk, mit Übungs-CD, erscheint 2015, der genaue Termin steht noch nicht fest.
Das totale Leben.
Radikale Selbsthingabe und ihre heilsame Wirkung auf sämtliche Beziehungen.
Scorpio 2015.
ISBN 978- 3943416756.
17,99 Euro. www.thetafloating.com
Arianna Huffington – ist erfolgreiche politische Journalistin (*1950)
Arianna Stasinopoulos wurde in Griechenland geboren und studierte in Cambridge Ökonomie. Sie war Mitglied des Debattierclubs der Universität und veröffentlichte bereits während des Studiums ihre ersten beiden Bücher. 1980 zog sie nach New York. Dort heiratete sie den republikanischen Politiker Michael Huffington und unterstützte ihn im Wahlkampf. Nach der Scheidung behielt sie seinen Namen, ihre politischen Ansichten änderten sich jedoch grundlegend. 2005 gründete Arianna Huffington zusammen mit Kenneth Lerer die Online-Zeitung The Huffington Post. Die Nachrichtenplattform wurde bereits drei Jahre später zum wichtigsten Blog der Welt gekürt und 2012 mit dem Pulitzer-Preis geehrt. Arianna Huffington selbst wurde 2006 vom Time Magazin auf die Liste der 100 einflussreichsten Personen gesetzt. www.huffingtonpost.de
Arianna Huffington: Die Neuerfindung des Erfolgs:
Weisheit, Staunen, Großzügigkeit. Was uns wirklich weiter bringt.
Riemann 2014.
ISBN 978-3570501733.
19,99 Euro
Stella Deetjen – hilft benachteiligten Menschen im Ausland (*1970) Stella Deetjen, Foto: Back to LifeManchmal hinterlässt eine Reise einen so bleibenden Eindruck, dass sich daraufhin das Leben von Grund auf verändert. Ursprünglich wollte Stella Deetjen Fotografin werden. Doch vorher machte sie eine Rucksackreise durch Indien. Damals bot ihr ein an Lepra erkrankter Mann seine Hilfe an, als sie sich erschöpft ausruhte, und sie war davon so tief berührt, dass sie sich mit dem Schicksal der Leprakranken auseinandersetzte. Stella Deetjen gründete Back to Life, einen gemeinnützigen Verein, der Hilfe zur Selbsthilfe leistet und benachteiligte Menschen darin unterstützt, ihre Lebensumstände zu verbessern. Das Fotografie-Studium nahm Stella Deetjen niemals auf – stattdessen begann sie ein neues Leben und setzt sich seither für Menschen in Indien und Nepal ein. Unter anderem betreibt sie mit Back to Life derzeit drei Kinderheime für Straßenkinder und 13 Slumschulen in Varanasi, Indien sowie drei Geburtshäuser in Mugu, Nepal. Darüber hinaus verbesserte der Verein durch fünf Schulbauten in Mugu sowie weitere Maßnahmen wie beispielsweise die Austattung bestehender Schulen oder Stipendien für Kinder aus besonders armen Familien die Ausbildungssituation von knapp 6000 Kindern. Der karriereführer verfolgt dieses Projekt seit Jahren. www.back-to-life.org
Zum Weiterlesen: Mehr Pionierinnen
In Zeiten ohne Frauenquote brachen sie in Männerdomänen ein, zeigten Innovationskraft und Mut und ebneten so den Weg zur Gleichberechtigung. In unserer Pionierinnen-Reihe in den vergangenen karriereführer-Ausgaben haben wir Frauen vorgestellt, die ungeachtet aller Widerstände ihren Weg gegangen sind und die Gesellschaft mitgestaltet haben.
Dass ich einmal die gesamte Arbeitssicherheit an einem so großen Standort wie ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg leiten würde, hatte ich zu Beginn meines Studiums noch nicht erwartet. Ein Erfahrungsbericht von Beatrice Schenuit
Zur Person
Beatrice Schenuit, 35 Jahre Studium: Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität in Wuppertal eingestiegen 2003: als Trainee in der Arbeitssicherheit (Sicherheitsfachkraft), ThyssenKrupp Steel Europe aufgestiegen 2005: zur Teamleiterin in der Arbeitssicherheit aufgestiegen 2014: Teamkoordinatorin in der Arbeitssicherheit (Leitende Sicherheitsfachkraft)
Dass ich einmal die gesamte Arbeitssicherheit an einem so großen Standort wie ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg leiten würde, hatte ich zu Beginn meines Studiums noch nicht erwartet. Dass die Arbeitssicherheit mein Berufsleben prägen würde, war allerdings recht schnell klar. Bei Steel Europe war eine Traineestelle in der Arbeitssicherheit ausgeschrieben, das angeforderte Profil entsprach meinem perfekt. Dann ging alles ganz schnell: Erst war ich Fachkoordinatorin in der Abteilung Arbeitssicherheit, schnell wurde ich Hauptansprechpartnerin für Arbeitssicherheit in einem Produktionsbetrieb.
Ein wesentliches Prinzip erfolgreicher Karrieren wurde mir dort schnell klar: Wer etwas gestalten will, muss genauso zuhören wie auch eigene Ideen entwickeln. Ich habe immer wieder proaktiv Gespräche am Standort initiiert, um mit Produktionsmitarbeitern Verbesserungspotenziale zu entdecken. Der regelmäßige Austausch mit den Leuten vor Ort hat dann auch dazu geführt, dass ich schnell zum Jour Fixe des Produktionsleiters und seinen Führungskräften eingeladen wurde. „Arbeitssicherheit“ war ab sofort Tagesordnungspunkt.
Entscheidend war aber auch die Teilnahme an Weiterbildungen, die das Unternehmen anbietet. Zielgruppenorientierte Seminare wie „Vom Kollegen zum Vorgesetzten“ oder „Wirkungsvoll kommunizieren“ sowie Personalcoachings für Führungspositionen habe ich immer gerne genutzt. Nach zwei Jahren habe ich es so zur Teamleiterin in der Arbeitssicherheit geschafft und übernahm erstmalig Führungsverantwortung für gleich zwei Standorte: Duisburg und Dortmund. Heute bin ich als Teamkoordinatorin die leitende Sicherheitsfachkraft von ThyssenKrupp Steel Europe. 37 Mitarbeiter sind mir direkt disziplinarisch zugeordnet, weitere elf führe ich fachlich. Die Zusammenarbeit ist extrem vielfältig und abwechslungsreich: Den größten Teil nehmen unsere Kunden, die Betriebe, ein. Mit dem Betriebsrat und den Betriebsärzten finden regelmäßig Treffen statt. Immer mit dabei: ein voller Terminplan. Trotzdem muss ich flexibel sein für Workshops in den Betrieben oder Strategiegespräche mit Führungskräften, und natürlich muss ich bei Unfällen direkt tätig werden.
Arbeitssicherheit hat bei uns höchste Priorität. Das zu vermitteln, ist ebenfalls unsere Aufgabe. Wir müssen sensibilisieren, schulen, unterweisen. Dabei ist die technische Ausbildung wichtig, aber nicht alles. Ich muss ebenso moderieren, präsentieren und vor allem überzeugen. Wie wichtig diese Soft Skills sind, habe ich erst durch den Arbeitsalltag und entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen gelernt. Was ich angehenden Führungskräften rate? Einen offenen Austausch pflegen. Durch regelmäßige Feedback-Gespräche hat sich mein Chef zu meinem Mentor entwickelt. Verantwortung für die eigenen Aufgaben und die eigene Funktion übernehmen – dann kann man viel bewegen. Und das spornt mich an: Ich will, dass unsere Mitarbeiter von der Arbeit gesund wieder nach Hause fahren können, dass wir ihren Arbeitsplatz sicher gestalten können und gegenseitig aufeinander achten.
Ich bin stellvertretende Flugleiterin eines Forschungssatelliten. „Mein“ Satellit heißt Integral und ist schon seit über zwölf Jahren im All. Ich kümmere mich darum, dass es ihm gut geht – bin sozusagen Satellitendoktor. Von Dr. Jutta Hübner
Zur Person
Dr. Jutta Hübner, 35 Jahre, stellvertretende Flugleiterin des Wissenschaftssatelliten Integral am Europäischen Weltraumkontrollzentrum (ESOC) der Europäischen Weltraumagentur (ESA) in Darmstadt
Ich bin stellvertretende Flugleiterin eines Forschungssatelliten. „Mein“ Satellit heißt Integral und ist schon seit über zwölf Jahren im All. Ich kümmere mich darum, dass es ihm gut geht – bin sozusagen Satellitendoktor. Außerdem bin ich Teil eines Teams, das nächstes Jahr einen neuen Satelliten ins All schießt. Ein Traumjob. Mein Traumjob. Ein Satellit im All, einer in Vorbereitung, keine Minute Langeweile.
Nach meinem Abitur studierte ich Physik in Mainz. Bereits nach den ersten Wochen war mir klar: Das Studium alleine ist mir zu trocken. Ich wollte löten, schrauben, basteln und experimentalphysikalische Fähigkeiten entwickeln. Deshalb habe ich neben dem Studium als Hilfskraft an der Uni gearbeitet. Nach dem vierten Semester bin ich für ein Jahr nach Seattle gegangen, wo ich Neutrinos kennen- und schätzen lernte – winzige Teilchen, die fast mit Lichtgeschwindigkeit durchs Weltall flitzen und sogar die Erde ungehindert durchqueren können. Meine Diplomarbeit schrieb ich deshalb in Berlin über Neutrinos. Ich habe für ein Forschungsprojekt am Südpol neuartige Detektoren entworfen, gebaut und bei tiefen Temperaturen getestet. Für meine Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg habe ich an einer Kamera für das Weltraumteleskop Herschel mitgearbeitet.
Neben meiner Doktorarbeit hatte ich die Gelegenheit, kleine Projekte selber zu initiieren und zu leiten. Das Planen und Organisieren hat mir sehr viel Spaß gemacht, und daher ging mein erster Job in diese Richtung: Projektmanagerin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln. Dort betreute ich 13 Weltraumprojekte, war für das wissenschaftlich-technische Management verantwortlich und habe unter anderem bei Raketen- und Ballonstarts in Nordschweden mitgearbeitet.
2011 bekam ich dann meinen Traumjob bei der ESA im Satellitenkontrollzentrum. ESA ist ein Zusammenschluss aus 21 europäischen Staaten und Kanada, sie koordiniert die europäischen Raumfahrtaktivitäten, führt faszinierende Weltraumprojekte durch und bietet spannende Jobs: Eine italienische Kollegin, Samantha Cristoforetti , ist gerade im Weltall auf der Internationalen Raumstation ISS. Wieder ein anderer Kollege arbeitet gerade an einem Roboter, der von der ISS aus gesteuert wird, und weitere Kollegen haben im November den Landeroboter Philae der Rosetta-Mission auf einem Kometen gelandet.
ESA ist als europäische Organisation natürlich sehr international: Mein Chef zum Beispiel, ein Mathematiker, stammt aus England, und meine anderen Teamkollegen kommen aus Italien, Irland, Frankreich, Spanien und Rumänien. Sie haben die unterschiedlichsten Fächer studiert oder Ausbildungen gemacht.
Mit Leidenschaft bei der Arbeit
Bei Integral bin ich für den Betrieb der wissenschaftlichen Instrumente verantwortlich. Dabei arbeite ich eng mit den Wissenschaftlern aus unterschiedlichen europäischen Instituten zusammen, die die Kameras gebaut haben und jenen, die die Beobachtungen planen. Integral arbeitet im Gammastrahlen-Bereich und erforscht so Objekte wie schwarze Löcher oder Sternexplosionen, genannt Supernova. Außerdem unterstütze ich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung zukünftige Satellitenprojekte. Seit ein paar Monaten bin ich zusätzlich Teil des Teams, das im Sommer für den Start und die Inbetriebnahme des Wettersatelliten MSG-4 verantwortlich ist.
Redaktionstipp
Über Samantha Cristoforetti, die gerade auf der ISS ist, haben wir bereits in der letzten Ausgabe des karriereführer frauen in führungspositionen berichtet.
Das Allerwichtigste in meinem Beruf ist die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen: Nur im Team können wir die Komplexität einer Satellitenmission beherrschen. Mein typischer ALL-Tag hat nur wenige Konstanten, denn neben dem Routinebetrieb sind wir insbesondere für unvorhersehbare Ereignisse und besondere Manöver zuständig. Es ist sehr faszinierend, hier zu arbeiten und täglich Neues zu lernen. Ich freue mich jeden Morgen auf die Arbeit.
Meine Tipps für Berufseinsteiger: Finden Sie heraus, was Sie interessiert, begeistert, fasziniert, wofür Sie Leidenschaft haben oder entwickeln können. Machen Sie das, was Ihnen Spaß macht. Es gehört natürlich auch harte Arbeit und etwas Glück dazu, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und die richtigen Leute kennenlernt.
Job-Steckbrief Flugleiterin
Voraussetzungen:
Hochschulabschluss in Ingenieurwissenschaft oder Physik, Erfahrung mit Satellitenmissionen oder im Missionsbetrieb, Freude an Arbeit in internationalen und interdisziplinären Teams
Einstiegsmöglichkeiten:
Für Hochschulabsolventen: Direkteinstieg bei der ESA nur als Young Graduate Trainee (YGT)
Gehalt:
Gemäß Gehaltsskala der „Coordinated Organisations“; Einsteigergehalt: Stufe A2/A4
Ich hatte gerade meine Promotion am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) abgeschlossen, als ich auf die Stellenausschreibung „Entwicklungsingenieur/in für Infotainment & Connectivity“ von Ford stieß. Von Tessa Tielert, aufgezeichnet von Anna Beutel
Profildaten
Name: Tessa Tielert Geburtsjahr: 1981 Hochschulabschluss als: Diplom-Informatikerin, Promotion in Informatik Warum Ford? Internationaler Automobilhersteller, amerikanisch-deutsche Unternehmenskultur, interessante und herausfordernde Tätigkeit, angenehmes Betriebsklima, gelebte Diversity Bewerbung als: Entwicklungsingenieur/in für Infotainment & Connectivity Tag des Vorstellungsgespräches: 15.10.2014 Tag des Antritts der Stelle: 01.12.2014 Karrierenetzwerke/Social-Media, Alumni:
Xing: JA
Facebook: NEIN
Twitter: NEIN
LinkedIn: JA
Da diese Stelle sehr gut zu meinen bisherigen Tätigkeiten und Schwerpunkten passte, habe ich mich direkt beworben. Besonders punkten konnte ich vermutlich mit meiner Berufs- und Auslandserfahrung und den dadurch erworbenen Sprachkenntnissen. Während meiner Promotion war ich bereits für ein halbes Jahr für Mercedes-Benz in den USA tätig und habe darüber hinaus als Expertin für das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) an einem europäischen Standard für die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation mitgearbeitet. Ehrenamtlich habe ich mich außerdem bei CyberMentor engagiert, Deutschlands größtem E-Mentoring-Programm für Mädchen in MINT-Fächern.
Das Vorstellungsgespräch sollte Mitte Oktober stattfinden. Die Zeit bis dahin nutzte ich, indem ich mich intensiv mit Ratgebern zu dem Thema Bewerbungsgespräch beschäftigte. Ich überlegte mir Antworten auf typische Fragen und übte immer wieder, meinen Werdegang flüssig zu erzählen und positive Aspekte über mich hervorzuheben. Am meisten half es mir, dies mit Freunden zu tun. Beim Gespräch waren mein direkter Vorgesetzter und zwei Teamleiter anwesend.
Alle waren sehr nett, und die Gesprächsatmosphäre war angenehm. Auf eine Fragerunde, teils in Deutsch, teils in Englisch, folgte ein Mini-Assessment-Center, und danach wurden praxisbezogene Fragen gestellt. Gleich am nächsten Tag bekam ich die Gelegenheit, den potenziellen Arbeitsplatz zu sehen und Kollegen kennenzulernen. Die mündliche Zusage erhielt ich etwas überraschend direkt nach diesem Besuch. Ich erbat mir noch etwas Bedenkzeit, um noch einmal darüber zu schlafen.
Doch allzu lange musste ich nicht überlegen, und eine Woche später stieß ich mit meinem Freund auf den unterschriebenen Vertrag an. Bei Ford fühlte ich mich vom ersten Tag an am richtigen Platz. Die Kollegen und Vorgesetzten sind nett und hilfsbereit, und der Tätigkeitsbereich entspricht meinen Interessen und Vorstellungen. In meinem aktuellen Job bin ich im Rahmen der Connected-Vehicle-Strategie für drahtlos übertragene Echtzeit-Verkehrsdaten zuständig. Dabei werden aktuelle Verkehrsdaten – zum Beispiel Staus oder Unfälle – in Echtzeit in die Navigation integriert, damit man schneller ans Ziel kommt oder den Stau umfahren kann.
Später möchte ich mehr Verantwortung übernehmen und vielleicht sogar ein eigenes Team leiten. Meine Tipps für ein gelungenes Vorstellungsgespräch: Mit Hilfe von Ratgebern und Freunden Routine im Beantworten von typischen Fragen – auch auf Englisch – entwickeln. Außerdem unbedingt fragen, ob man den potenziellen Arbeitsplatz und das Team kennenlernen kann.
Biologische Zellen verhalten sich sehr komplex. Ihre Veränderungen und Beziehungen sind im Grunde nicht simulierbar. Dass man ihnen jedoch mithilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die Schliche kommen kann, ist die Grundlage der Pionierarbeit der 36-jährigen Informatikprofessorin Verena Wolf aus Saarbrücken, die mit dem Forschungspreis TR 35 ausgezeichnet wurde. Im Gespräch mit André Boße erzählt sie von ihren Forschungserfolgen, der Babypause sowie den Gründen, warum sie sich als Frau in der Männerdomäne Informatik sehr wohlfühlt.
Zur Person
Prof. Dr. Verena Wolf, 36 Jahre, studierte in Bonn Informatik mit dem Nebenfach Mathematik auf Diplom. Ihre Promotion schrieb sie an der Universität Mannheim. Im Anschluss erhielt sie das Angebot, in einer Forschergruppe von Thomas Henzinger in der Schweiz zu arbeiten. Nach einem Jahr als Postdoc bewarb sich Verena Wolf 2009 erfolgreich auf die Stelle einer Nachwuchsgruppenleiterin am Exzellenzcluster der Universität des Saarlandes. Drei Jahre später erhielt sie den Ruf zur Professorin. Wolf entwickelte einen Algorithmus, der es erlaubt, die Vorgänge in Zellen mit statistischen Methoden zu berechnen. Dadurch können diese Vorgänge erstmals simuliert werden. Für ihre Forschungen in dem Bereich wurde Verena Wolf 2013 mit dem Preis „Innovatoren unter 35“ ausgezeichnet.
Frau Professor Wolf, Sie haben den Nachwuchswettbewerb „Innovatoren unter 35“ des Wissenschaftsmagazins „Technology Review“ gewonnen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ich habe mich sehr über den Preis gefreut. Ich bekam ihn, als ich gerade die Babypause hinter mir hatte und sehr viel für meine Lehrveranstaltungen getan habe. Zeit für Forschungen blieb da nicht mehr viel. Der Preis motivierte mich, wieder mehr zu forschen. Er zeigte mir: Jetzt muss ich weitermachen.
Viele junge Frauen stellen sich die Frage, wie die Gründung einer Familie mit der Karriere zu vereinbaren ist. Wie funktioniert das bei Ihnen?
Es gibt für dieses Problem keine wirklich zufriedenstellende Lösung, sondern lediglich Kompromisse, mit denen man leben muss. Ich bekomme sehr viel Unterstützung durch meine Eltern, ein Kollege aus Italien leitet für ein Jahr als Vertretung meine Gruppe. Viele meiner Forschungsideen und Pläne müssen jetzt eben warten, Aufgaben müssen delegiert werden.
Nicht jede Frau hat das Glück, beim Wiedereinstieg in den Job direkt einen Preis zu erhalten, der sie besonders motiviert. Welche weiteren Faktoren haben Ihnen dabei geholfen, nach der Elternzeit selbstbewusst die Karriereplanung wieder aufzunehmen?
Zum einen bin ich intrinsisch motiviert, weil mir meine Arbeit viel Spaß bereitet. Zum anderen ist das Forschungsumfeld in Saarbrücken sozusagen hyperaktiv. Es gibt ständig Vorträge, die neue Anregungen bieten, regelmäßig treffe ich Kollegen, die mit Ideen auf mich zukommen. Forschen wird so zu einer Art Gruppenzwang.
Sie haben eine Methode entwickelt, mit der sich das komplexe Verhalten von Viren, Bakterien oder Zellen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten berechnen lässt. Hatten Sie eine Ahnung davon, dass Sie an etwas so Bahnbrechendem arbeiten?
Mir war klar, dass alles bisher Gemachte irgendwie nicht richtig war. Ich war davon überzeugt, dass sich große Systeme nur mit meiner Idee eines hybriden Ansatzes berechnen lassen. Biologische Systeme sind immer komplex und groß. Es gab bereits einen sehr effizienten Ansatz, der die Systeme aber nicht genau genug beschreibt. Der bereits vorhandene stochastische Ansatz dagegen war viel zu detailliert. Daher war für mich klar: Man braucht einen hybriden Ansatz, der für große Systeme skaliert wird und nur an manchen Stellen eine detaillierte Beschreibung benutzt.
Wie kamen Sie überhaupt zur Informatik?
Ich hatte einen sehr guten Informatiklehrer in der Schule, der uns viele Tüftelaufgaben lösen ließ. Das gab uns Einblicke in die spannenden Theorien der Informatik und bereitete mir so viel Spaß, dass ich das Studium einfach probiert habe. Ich hatte zwar Bedenken, ob ich das Programmieren hinbekommen würde, dann fiel es mir aber sehr leicht.
Woher rührten diese anfänglichen Bedenken? Hatten Sie die Inhalte des Informatikstudiums zu Beginn falsch eingeschätzt?
Teilweise schon. Ich hatte mir vorgestellt, dass mehr programmiert wird und dass man mehr über die Hardware lernt. Tatsächlich war mein Studium sehr theoretisch und mathematisch – und das kam mir sehr gelegen.
Sie haben damals bei einer Informatikprofessorin studiert. War das hilfreich?
Ja – aber auch männliche Professoren fördern Studentinnen, wenn sie gut sind. Allerdings war ich damals noch sehr unsicher. Die Professorin war eine sehr herzliche und nette Person. Und sie war im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen jünger. Zu ihr traute ich mich immer zu gehen, um beispielsweise über die Diplomarbeit zu reden.
Wie haben Sie sich auf Ihrem weiteren Weg in diesem ansonsten von Männern dominierten Bereich durchgesetzt?
Ich wurde während meiner Promotion selbstbewusster. Auf Vorträgen und Konferenzen stellte ich oft sehr kritische Fragen – ich kannte mich mit den Thematiken ja sehr gut aus. So wurden die Leute auf mich aufmerksam und sagten: Mensch, die hat gute Ideen und kann was. Auf diesem Wege wurde ich in der Forschungsgemeinschaft bekannt und bekam Einladungen zu Programmkomitees. Das half mir enorm.
Warum ist es wichtig, schnell Netzwerke zu schließen und Kontakte zu knüpfen?
Viele gute Ergebnisse erzielt man durch das Zusammenführen von – vor allem unterschiedlichen – Kompetenzen. Man muss vielseitig interessiert sein und sich auch in die Problemstellungen von anderen Forschern hineindenken, statt nur über den eigenen Themen zu brüten. Oft gibt der Blick hinein in andere Bereiche neue Ideen.
Was sind Ihre Tipps für junge Absolventinnen, die in einem der MINT-Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik Karriere machen möchten?
Frauen müssen sich viel mehr zutrauen. Sie können oft viel mehr, als sie denken. Ich selbst habe mir auch oft zu wenig zugetraut und gedacht, das schaffe oder kann ich nicht. Und am Ende war es dann ganz leicht. Männliche Studenten sind hingegen oft sehr von sich selbst überzeugt. Manchmal steckt bei ihnen aber viel weniger dahinter.
Woran kann denn eine junge Frau früh und zuverlässig erkennen, dass sie sehr wohl das Zeug hat, sich in einem MINT-Beruf durchzusetzen?
Sie muss mit Betreuern und Dozenten diskutieren, welche berufliche Zukunft für sie aussichtsreich wäre. Zwei Lehrer meiner Schule haben mich damals auf ein Informatikstudium hingewiesen, und ich habe am Ende meiner Promotionszeit meine Doktormutter gefragt, ob eine akademische Karriere für mich aussichtsreich wäre. Ich habe ein klares Ja bekommen. Lehrer und Professoren haben häufig ein gutes Gefühl dafür, welche berufliche Zukunft erfolgversprechend und passend für einen ist.
Welche Karriereziele haben Sie sich für die kommenden fünf Jahre gesetzt?
Ich möchte gerne ein Buch veröffentlichen, in dem ich die Details unserer Simulationsalgorithmen gut verständlich beschreibe, zusammen mit der Theorie der stochastischen Modelle für biochemische Reaktionen. Dazu werden wir die Implementierung unserer Algorithmen noch als benutzerfreundliches Softwaretool bereitstellen. Außerdem habe ich natürlich noch viele Pläne, die andere Projekte betreffen, wie zum Beispiel die Entwicklung von Modellen, mit denen epigenetische Veränderungen der DNA vorhergesagt werden können.
Forschungspreis TR 35
Das internationale Technikmagazin „Technology Review“ kürt in jedem Jahr Forscher, Entwickler und Unternehmensgründer unter 35 Jahren, deren Ideen „unser Leben verändern werden“, wie es in der Ausschreibung der deutschen Ausgabe des Magazins heißt. Deutsche Innovatoren werden ab 2013 mit dem Preis dekoriert. International gibt es ihn schon seit 1999, zu den Preisträgern gehören unter anderen die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin, Linus Torvalds, Entwickler des Betriebssystems Linux, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder der langjährige Apple-Designer Jonathan Ive. Verena Wolf erhielt die Auszeichnung 2013.
Die Initiative „Komm, mach MINT“ will mehr junge Frauen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik in die technischen Unternehmen bringen. Es gibt erste Erfolge, aber weiterhin auch Stolpersteine. Einige davon können Frauen aber selbst aus dem Weg räumen, sagt Dr. Ulrike Struwe, Leiterin der Geschäftsstelle von „Komm, mach MINT“. Die Fragen stellte André Boße
Zur Person
Dr. Ulrike Struwe, Foto: Privat
Dr. Ulrike Struwe studierte Soziologie an der Uni Bielefeld und promovierte zum Thema Berufsorientierung von technisch interessierten Jugendlichen. Sie ist Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit in Bielefeld und leitet seit 2011 die Geschäftsstelle des Nationalen Paktes für Frauen in MINT-Berufen – „Komm, mach MINT“, welcher 2008 auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geschlossen wurde.
Frau Dr. Struwe, wie entwickelt sich aktuell die MINT-Begeisterung bei jungen Frauen? Geht es voran?
Wir sehen auf allen Ebenen eine Menge Vorwärtsbewegung. Gerade bei den jungen Frauen tut sich sehr viel: Mittlerweile gibt es so viele weibliche MINT-Studierende und -Absolventen wie noch nie. Seit 2008 ist die Zahl der Studienanfängerinnen in den MINT-Fächern insgesamt um gut 70 Prozent gestiegen, von fast 60.000 auf mehr als 100.000 Starterinnen. Somit ist heute von allen Studierenden, die ein MINT-Studium beginnen, fast jede dritte eine Frau.
Was ist denn das Erfolgsrezept, um junge Frauen für eine Karriere in einem technisch-naturwissenschaftlichen Beruf zu begeistern?
Projekte wie das Niedersachsen-Technikum bieten jungen Frauen die Chance, sechs Monate lang ein Praktikum in einem technischen Unternehmen zu absolvieren und gleichzeitig in MINT-Studiengänge hineinzuschnuppern. Wir beobachten, dass sich danach neun von zehn Teilnehmerinnen tatsächlich für eine technisch-naturwissenschaftliche Karriere entscheiden. Das zeigt uns, dass es vor allem realistische Informationen über die MINT-Bereiche sind, die nachhaltig zu einer Erweiterung des Berufswahlspektrums beitragen.
Was ist wiederum wichtig, um den Einstieg in die technischen Berufe erfolgreich zu gestalten?
Vor allem praktische Erfahrungen, denn die Spielregeln in der Forschung oder in Unternehmen sind nicht allein mit Fachkompetenz durchschaubar. Wichtig ist der Austausch mit anderen über Ziele, Handlungsspielräume, Strategien und nicht zuletzt eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten vor dem Hintergrund einschätzbarer Anforderungen. Um den eigenen Karriereweg erfolgreich zu gehen, sind Netzwerke wichtige Unterstützer. Unsere Initiative bietet den Studentinnen eine Plattform, um sich zu vernetzen, mögliche Karrierewege zu eruieren und, ganz wichtig, zu erkennen, dass Karriere erlernbar ist.
Verfolgen Sie denn die Karrierewege von jungen MINT-Absolventinnen in den Unternehmen? Wie geht es für die jungen Frauen voran?
Als Netzwerkinitiative mit zahlreichen Partnern aus Unternehmen bekommen wir tatsächlich einen guten Einblick. Viele Unternehmen engagieren sich sehr für mehr Frauen in Führung. Aber noch immer gibt es zu wenige Frauen in Führung, die dann Rollenvorbilder für den potenziellen weiblichen Führungsnachwuchs sind. Dieser Umstand erzeugt vor allem Vorbehalte bei den jungen Frauen selbst. Sie sehen nicht, dass ihre Interessen und Fähigkeiten hervorragend zu einer MINT-Führungskarriere passen könnten – und ziehen diese erst gar nicht in Erwägung. An dieser Stelle setzen wir beispielsweise mit dem „Women-MINT-Slam an“, wo sich exzellente Frauen in Führung den jungen Frauen vorstellen.
Entdecken Sie weitere typische Stolpersteine auf dem Weg in die Führungspositionen der technischen Unternehmen?
Forschungsergebnisse zeigen, dass ein zentraler Stolperstein beim Aufstieg der sehr hohe Leistungsanspruch vieler Frauen ist. Frauen wollen durch ihre Leistung punkten. Beim beruflichen Aufstieg fällt die fachliche Leistung jedoch geringer ins Gewicht als die Fähigkeit, die persönlichen Erfolge sichtbar zu machen und sich somit als aufstiegswillige Führungskraft zu empfehlen.
Sie raten jungen Frauen also zu einem Strategiewechsel bei der Karriereplanung?
Hochqualifizierte Frauen können ihrem Potenzial nur dann gerecht werden, wenn sie lernen, ihre Leistungsfähigkeit vor dem Hintergrund späterer Anforderungen zu sehen und sich konkret auf diese Anforderungen vorzubereiten. Andererseits müssen die Personalverantwortlichen lernen, dass es wichtig ist, unterschiedliche, aber gleichwertige Leistungspotenziale in das Unternehmen zu holen und sie gleichermaßen zu entwickeln.
Noch immer sagen Verantwortliche in von Männern dominierten technischen Unternehmen, sie seien gegen die Quote, weil sie streng nach Qualität einstellen – und zwar unabhängig vom Geschlecht. Zieht dieses Argument noch?
Nein, schon allein, weil junge Frauen vielfach die besseren Abschlüsse machen.
Also müssten eigentlich Frauen die technischen Unternehmen dominieren – und nicht die Männer.
Genau. Dass es anders ist, belegt, dass bei gleicher Qualifikation oftmals die Männer bevorzugt eingestellt werden, weil sie viel eher dem Bild entsprechen, das die zumeist männlichen Personaler von ambitionierten Nachwuchskräften haben. Übrigens: Je höher die angestrebte Position, desto stärker wirken diese Ausschließungsstrategien. Das führt in der Konsequenz dazu, dass der Frauenanteil, gerade auf Vorstandsebene und in den Aufsichtsräten, gering bleibt, wenn nicht Impulse von außen kommen. Deshalb begrüße ich Maßnahmen, die diesen Mechanismen entgegenwirken.
Sie sprachen gerade schon davon, wie wichtig Rollenvorbilder sind. Gibt es eine Frau, die in einem technischen Bereich Karriere gemacht hat, die Sie besonders begeistert?
Die österreichische Kernphysikern Lise Meitner, geboren 1878, begeistert mich. Schon in jungen Jahren wusste sie, was sie will, und hat trotz aller Widerstände alles daran gesetzt, ihren Weg zu gehen.
Durch das Thema Industrie 4.0 wird sich die Forschung und Arbeit in den technischen und naturwissenschaftlichen Unternehmen ändern. Die Teams werden noch interdisziplinärer, die Bedeutung von IT wird steigen. Wie können sich Einsteigerinnen auf diese besonderen Herausforderungen vorbereiten?
In der Tat werden die technischen Entwicklungen, die unter dem Schlagwort Industrie 4.0 zusammengefasst werden, vielfältige Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben. Die zunehmende Digitalisierung wird Produktionsabläufe und damit auch Arbeitsprozesse und Beschäftigungsformen verändern. Selbstverständlich wird das auch Auswirkungen auf die Qualifikationsprofile von Ingenieurinnen und Ingenieuren haben und breite berufliche IT-Qualifikationen werden mehr und mehr gefragt sein. Wer aber prinzipiell offen ist für Neuerungen und sich der digitalen Welt nicht verschließt, wird sich auch in der Industrie 4.0 gut zurechtfinden. Die meisten Frauen haben schon immer gerne in interdisziplinären Teams gearbeitet und favorisieren eine Problemanalyse aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Von daher kommt ihnen dieser Punkt eher entgegen.
Zur Initiative
Der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen „Komm, mach MINT“ wurde 2008 auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit 46 Partnern gestartet, um mehr junge Frauen für naturwissenschaftliche und technische Studiengänge zu begeistern sowie Hochschulabsolventinnen für Berufskarrieren in Wirtschaft und Wissenschaft zu gewinnen. Mittlerweile verfolgen über 210 Partner aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Verbänden das gemeinsame Ziel, mehr Frauen für MINT zu gewinnen. Der Pakt bietet den Partnern eine ideale Plattform, Kooperationen zu starten sowie gemeinsam neue Kampagnen zu entwickeln und durchzuführen. www.komm-mach-mint.de
Es gibt Beispiele von Frauen, die in technischen Unternehmen spannende Führungskarrieren gemacht haben. Was diese Frauen gemeinsam haben: Sie waren mutig und haben weder Konflikte noch Verantwortung gescheut. Denn fachliche Qualifikation ist nicht alles – es kommt auch auf die Motivation an, eine Spitzenposition zu erreichen. Von André Boße
Um mit Zahlen zu beginnen: Die Lage bessert sich, ist aber noch nicht zufriedenstellend. „Der Frauenanteil in den technischen Berufen ist langsam steigend, jedoch mit 14 Prozent immer noch deutlich unterdurchschnittlich“, heißt es im aktuellen Bericht der Bundesagentur für Arbeit zur Situation in den MINT-Berufen, also Berufen aus den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik. Auch die Zahl der Frauen, die MINT-Fächer studierten, nehme kontinuierlich zu. „Ihr Anteil ist jedoch insgesamt immer noch zu klein“, so die Bundesagentur.
Buchtipp: Sie wissen alles
Die langsame Entwicklung hin zu mehr Frauen-Power in der Technikwelt belegen auch Bücher von weiblichen Autoren zu aktuellen Technikthemen. Ein Beispiel ist Yvonne Hofstetters Spiegel-Bestseller „Sie wissen alles“. Die Expertin für künstliche Intelligenz ist seit 1999 in Softwareunternehmen tätig und erklärt, wie hochintelligente Algorithmen die Internetnutzer zunächst analysieren, um sie dann zu manipulieren und zu kontrollieren. Ihr Plädoyer für eine „Ethik der Algorithmen“ führt vor, wie sich herausragendes technisches Fachwissen und Moral kombinieren lassen.
Yvonne Hofstetter: Sie wissen alles.
Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen.
Bertelsmann 2014.
ISBN 978-3570102169.
19,99 Euro
Immerhin: Blickt man in die Technikkonzerne oder Forschungsunternehmen, finden sich heute beinahe überall Frauen in hohen Positionen. Was sie häufig eint: Ihre Karrierewege sind nicht geradlinig und durchgeplant. Die Laufbahn von Katja Schenke-Layland ist dafür ein gutes Bespiel. Studiert hat sie Biologie, Soziologie und Psychologie, ihr erstes Berufsziel: Verhaltensforschung. Dann kam ein „Drift in die Biomedizin“, wie sie sagt. Sie hatte diverse Nebenjobs, war als wissenschaftliche Assistentin tätig – und schnell stand die Frage im Raum: zusätzlich noch Medizin studieren? Der Ausblick auf sechs weitere Jahre an der Uni war nicht sehr attraktiv, denn sie wollte loslegen, etwas bewegen, Menschen helfen. Da traf es sich gut, dass ein Arzt aus der Herzchirurgie im Krankenhaus in Jena, wo sie gerade ein Praktikum machte, ihr Talent entdeckte und ihr vorschlug, eine biomedizinische Doktorarbeit anzugehen. Ihr Thema: Sie entwickelt Biomaterial für die regenerative Medizin, um zum Beispiel geschädigtes Herzgewebe so zu behandeln, dass es wieder funktionsfähig ist. Oder für die Krebsforschung, um die Wirkung einer Therapie vorab individuell zu testen.
Interdisziplinär erfolgreich
Wie sehr sie mit ihrem Karriereweg die typischen Raster sprengte, zeigt, dass sie mit ihrer Doktorarbeit bei den Biologen in den Bereich der „speziellen Zoologie“ eingeordnet wurde. „Es ist also gar nicht so einfach zu sagen, was ich eigentlich genau bin“, sagt die 37-Jährige, in deren Arbeit neben der Biologie auch Ingenieurwesen, Physik oder Chemie einfließen. Man nennt ein so breites Spektrum gerne interdisziplinär. „Das klingt nett, ist im wahren Leben aber nicht immer einfach, weil man sich die Karrierewege häufig selbst suchen muss.“ Was jedoch feststeht: Katja Schenke-Layland ist erfolgreich. Und zwar aktuell an drei Arbeitsplätzen: Sie forscht an der Universitäts-Frauenklinik in Tübingen, am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart sowie an der University of California in Los Angeles. In allen drei Stellen ist sie Führungskraft, setzt dabei auf flache Hierarchien, legt Wert auf eine offene Feedbackkultur. Viele Frauen interpretieren Führung ganz ähnlich, dennoch: Die Quote von anderen Frauen in einer ähnlichen Führungsposition ist bei den deutschen Arbeitgebern dünn. Schenke-Layland nennt zwei Gründe: Zum einen interessierten sich noch immer zu wenig junge Frauen für die technischen Studiengänge wie Maschinenbau.
Hinzu kommt eine Beobachtung bei der jungen Generation: „Ich kenne Nachwuchswissenschaftlerinnen, die sehr gute Masterstudentinnen waren, nun aber nicht promovieren möchten, weil ihnen die Freizeit und geregelte Arbeitszeiten wichtiger sind.“ Damit trifft sie den Kern der Debatte um die Generation Z, die nun im Begriff ist, die Vorgängergeneration Y abzulösen. Sie kennzeichnet sich unter anderem dadurch, dass „Führungsverantwortung und flexible Arbeitszeiten an Reiz verlieren“, wie der Ökonomieprofessor Christian Scholz feststellt. So könnte der Aufstieg der Frauen in den MINT-Bereichen ins Stocken geraten: Das Interesse an technischen Berufen steigt, die Lust, dort eine Führungsposition einzunehmen, jedoch nicht. „Viele junge Frauen sind zufrieden mit dem, was sie erreicht haben“, fasst Katja Schenke-Layland zusammen. Das sei schön und gut. „Aber ich vermisse den Hunger nach mehr.“
Ziele klar formulieren
Diesen Hunger besitzt Martina Fiddrich. Als BWL-Absolventin hat sie sich bei IBM Deutschland hochgearbeitet und ist seit 2013 Leiterin des Geschäftsbereichs Mittelstand und Cloud Service Provider – eine Spitzenposition in der MINT-Branche Informatik, in der der Frauenanteil besonders gering ist. Fiddrich stieg 1993 in den Konzern ein. Dass es sich um eine männerdominierte Branche handelte, war ihr damals nicht wichtig; relevant waren Aspekte wie Kreativität und Internationalität. „Ich habe zunächst kleinere, später auch internationale Teams auf fachlicher Seite geführt, bevor ich Personalverantwortung übernommen habe“, erklärt sie. Auf dem Weg nach oben half ihr Neugier, aber auch Klarheit in der Führung. „Um erfolgreich zu führen, muss man hinter seinem Team und seiner Position stehen und Ziele klar formulieren.“ Genauso wichtig sei es, sich innerhalb des Unternehmens, aber auch mit Kunden und Geschäftspartnern zu vernetzen und aktiv in die Diskussion einzubringen. „Hier sind Frauen nach wie vor zurückhaltender – und das völlig grundlos.“
Martina Fiddrich beobachtet, dass ihre jüngeren Kolleginnen extrem gut ausgebildet sind und analytisch zu arbeiten verstehen, „vor allem in Bezug auf das technische Verständnis, das man in der IT-Branche ohne Zweifel braucht“. Um diese gute Basis zu nutzen, gibt sie jungen Frauen in technischen Branchen drei Ratschläge mit auf den Weg: „Mut, ungewöhnliches Terrain zu beschreiten. Sich erlauben, mit der eigenen Leistung zu glänzen. Und, auch wenn es viele Frauen kaum glauben werden: Erkennen, dass Konflikte manchmal der schnellere und effektivere Weg sind, gemeinsam Herausforderungen zu meistern.“
Wenige Frauen in MINT-Berufen, wenig Nachwuchs in Sicht
Frauen sind immer noch wesentlich seltener in MINT-Berufen tätig als Männer – das zeigt ein aktueller Bericht der Bundesagentur für Arbeit. In mathematischen und naturwissenschaftlichen Berufen liegt der Anteil weiblicher Beschäftigter bei gut einem Drittel, in technischen oder Informatik-Berufen sogar nur zwischen 13 und 17 Prozent. Positiv vermerkt der Bericht, dass die Zahl der Frauen, die sich für ein MINT-Studium entscheiden, in allen Fachrichtungen zugenommen hat.
Allerdings ist das Interesse von Mädchen an MINT-Berufen weiterhin geringer als bei Jungen, das bestätigt der erste OECD-Bildungsbericht mit Fokus auf den Geschlechtern, erschienen im März 2015. Die Studie stellt fest, dass sich die Einstellung von Jungen und Mädchen gegenüber Mathematik und Naturwissenschaften fundamental unterscheidet, ebenso das Interesse an einer entsprechenden Karriere. Im Schnitt kann sich weniger als eines von 20 Mädchen im Alter von 15 Jahren vorstellen, später in einem MINT-Fach zu arbeiten. Bei den Jungen sind es immerhin 4 von 20. Ein erstaunliches Ergebnis, denn beide Geschlechter erbringen im PISA-Test Naturwissenschaften ähnliche Leistungen.
Karriere mit Durchblick – Wirtschaftsprüfer schauen hinter die Kulissen
Mittendrin. Erfolgreiche Wirtschaftsprüfer erledigen zuverlässig ihre Pflicht und schauen darüber hinaus hinter die Kulissen der Unternehmen ihrer Mandanten. Sie bewältigen Krisen, eröffnen Chancen und zeigen Wege auf. Dabei hat der Nachwuchs die Wahl: Einstieg bei einem der vier großen Top-Arbeitgeber – oder lieber bei einer anderen großen oder einer mittelständischen Gesellschaft?