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Mein erster Gerichtsprozess

Der erste Prozess ist etwas ganz Besonderes – endlich geht es von der trockenen Theorie in die spannende Praxis. Doch woran muss man vorher alles denken? Was muss für die mündliche Verhandlung vorbereitet werden? Dr. Lisa B. Reiser berät Mandanten zu gerichtlichen und schiedsgerichtlichen Streitigkeiten, speziell in den Bereichen Anlagenbau und Infrastruktur. Sie hat ihren ersten Prozess gewonnen. Von Dr. Lisa B. Reiser

Zur Person

Dr. Lisa B. Reiser, Foto: Baker & McKenzie
Dr. Lisa B. Reiser, Foto: Baker & McKenzie

Dr. Lisa B. Reiser ist Associate der Dispute Resolution-Gruppe bei Baker & McKenzie in Frankfurt

Hand aufs Herz: Ein Student erfährt nicht viel darüber, wie ein Prozess abläuft. Rechtsstreitigkeiten gleichen einer Kurzgeschichte („A verkauft B eine Waschmaschine. Die Waschmaschine ist undicht und verursacht einen Wasserschaden in C‘s Keller. B verklagt daraufhin A …“). Diese Kurzgeschichte muss anschließend im Gutachtenstil aufgearbeitet werden. Wer beim Rechtsstreit gewinnt, ist bis zum Ende offen und für den Studenten unerheblich.

Den ersten echten Prozessen begegnet der Referendar. Meine erste Erinnerung waren die „Gürteltiere“ in der Zivilstation – dicke, angestaubte Aktenordner, die nur noch mit einem Gurt zusammengehalten werden. Inhaltlich war „mein“ erstes Gürteltier nicht besonders spannend: Es ging um Schadensersatz nach einer misslungenen Zahnarztbehandlung. Das Verfahren lief zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Monate. Den Ausgang des Prozesses habe ich als Referendarin nicht mehr miterlebt. Wie spannend und intensiv ein Prozess tatsächlich sein kann, erfuhr ich erst in meinem ersten Jahr als Anwältin bei Baker & McKenzie. Dort begann ich 2011 als Associate im Bereich Litigation/ Arbitration. Dass ich gerade in diesem Bereich startete, hat eine Vorgeschichte. Nachdem ich als Studentin am Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot teilgenommen hatte, war ich von der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit begeistert. Im Vis Moot werden Schiedsverfahren im Bereich des UN-Kaufrechts simuliert. An dem Wettbewerb nehmen jährlich mehr als 290 studentische Teams aus 67 Ländern teil. Zum großen Finale treffen sich alle Teams in Wien und Hongkong zu den mündlichen Verhandlungsrunden. Solche Prozesse mit internationalem Bezug wollte ich auch im wahren Leben führen.

Bei Baker & McKenzie kam in meinem ersten Monat als Anwältin ein Kollege in mein Büro und stellte eine Packung Kopfschmerztabletten vor mich auf den Schreibtisch mit den Worten: „Damit beschäftigen wir uns in den nächsten Monaten.“ Mein erster Gedanke war, er wolle auf die bevorstehenden langen Arbeitszeiten anspielen. Tatsächlich deuteten die Kopfschmerztabletten aber auf meinen ersten großen Prozess hin: Wir vertraten ein deutsches Pharmaunternehmen in einem Schiedsverfahren gegen einen taiwanesischen Vertragspartner. Das deutsche Pharmaunternehmen hatte einen langjährigen Lizenzvertrag mit dem taiwanesischen Unternehmen geschlossen und seinem Vertragspartner Einblicke in die Herstellung der Kopfschmerztabletten gewährt. Nach einigen Jahren guter und erfolgreicher Zusammenarbeit entschlossen sich die Taiwanesen, die Kopfschmerztabletten künftig selbst herzustellen und zu vermarkten. Sie kündigten den Vertrag mit unserer Mandantin außerordentlich fristlos. Unsere Mandantin war entsetzt: Der taiwanesische Vertragspartner hatte sich die Erfahrungen der vergangenen Jahre zunutze gemacht und wollte nun „in Eigenregie“ an den Markt gehen, ohne Lizenzgebühren zahlen zu müssen. Dem wollte unsere Mandantin nicht tatenlos zusehen.

Der Vertrag zwischen dem deutschen und dem taiwanesischen Pharmaunternehmen unterlag deutschem Recht. Er enthielt zudem eine Schiedsklausel nach den Regeln der International Chamber of Commerce (ICC). Wir mussten also Schiedsklage gegen das taiwanesische Unternehmen erheben. Unsere Klage sollte unter anderem auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB gerichtet sein – hier bewegte ich mich also auf bekanntem Terrain. Wir wollten damit argumentieren, dass die „neuen“ taiwanesischen Tabletten schlichte Kopien des deutschen Qualitätsprodukts waren. Das erforderte ein Grundverständnis der Zusammensetzung des Produkts. Von der Wirkungsweise und Zusammensetzung von Kopfschmerztabletten hatte ich im Jurastudium jedoch nichts gelernt. Meine Arbeit an der Schiedsklage begann also mit einer umfassenden Recherche und Gesprächen mit den Pharmazeuten unseres Mandanten. So entstand Schritt für Schritt unsere Klageschrift.

Nach mehreren Monaten hatten wir Klage, Klageerwiderung, Replik und Duplik mit den Anwälten der Gegenseite ausgetauscht. Nun mussten wir uns auf die mündliche Verhandlung vorbereiten. Da die rechtlichen Argumente bereits bekannt waren, ging es hauptsächlich darum, unsere Strategie auszuarbeiten: Welche Argumente möchten wir vor dem Schiedsgericht hervorheben? Wollen wir das unlautere Verhalten der Taiwanesen betonen oder lieber im Detail erläutern, dass die chemische Zusammensetzung der deutschen und taiwanesischen Kopfschmerztabletten nahezu identisch ist? Welche Zeugen der Gegenseite möchten wir im Kreuzverhör zum tatsächlichen Geschehensablauf vernehmen? Zudem mussten wir Reisevorbereitungen treffen. Denn die Parteien hatten im Vertrag Taipeh als Schiedsort vereinbart. Es ging also mit Sack und Pack nach Taiwan.

Nach über anderthalb Jahren Prozessdauer erhielten wir die Entscheidung des Schiedsgerichts: Unsere Mandantin bekam nur einen Teil des geltend gemachten Schadens ersetzt. Denn das Schiedsgericht war der Ansicht, der taiwanesische Vertragspartner hätte den Vertrag mit dem deutschen Pharmaunternehmen ohnehin zum Ende des Jahres ordentlich kündigen dürfen. War unsere Klage damit gescheitert? Nein, denn unsere Mandantin hatte nicht tatenlos zugesehen, sondern ihr Recht verteidigt. Sie hatte den Ausgang des Prozesses damit als Erfolg verbucht. Und auch für mich war mein erster Prozess ein Erfolg, weil ich zum ersten Mal ein Schiedsverfahren von Anfang bis Ende betreuen durfte. In jedem Fall wird mir der Prozess in Erinnerung bleiben. Denn wann immer mir nun eine Packung Kopfschmerztabletten in die Hände fällt, denke ich an Taiwan.

YouTube-Video: Freie Meinungsäußerung oder Kündigungsgrund?

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Das Recht auf freie Meinungsäußerung gehört in Deutschland zu den Grundrechten. Aber wo ist die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben, wenn ich im Internet etwas über meinen Arbeitgeber äußere? Darüber müssen die Gerichte von Fall zu Fall entscheiden. Von Sebastian Belzner

Zur Person

Sebastian Belzner, LL.M. (University of Sydney), ist Rechtsanwalt bei Beiten Burkhardt in München. Er berät nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des deutschen und europäischen Arbeitsrechts.

YouTube, Facebook, Twitter – Begriffe, die in aller Munde und in unserer medialen Gesellschaft mittlerweile unumgänglich geworden sind. Allein der Bekanntheitsgrad sozialer Netzwerke und Medien zeigt, wie tief diese Plattformen mittlerweile in unserem Alltag, unserer Gesellschaft und damit auch in der Unternehmenswelt verankert sind. Da war es nur eine Frage der Zeit, wann das Thema „Social Media“ die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung beschäftigen wird.

Jüngst hatte sich erstmalig das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Thematik einer außerordentlichen Kündigung wegen geschäftsschädigender Äußerungen eines Arbeitnehmers auf YouTube und Facebook zu beschäftigen. In dem zu entscheidenden Fall hatte ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Betriebsratswahl in einer von der Gewerkschaft produzierten Videofilmaufzeichnung eine Erklärung abgegeben. Er sagte, es gebe in dem Betrieb „Probleme“, an Maschinen fehlten Sicherheitsvorkehrungen, man könne „fast behaupten“, keine Maschine sei „zu 100 Prozent ausgerüstet“, dass es ein Problem sei, dass „keine Fachkräfte vorhanden“ seien und „das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 Prozent erfüllt“ werde. Die Videoaufzeichnung wurde ins Internet gestellt und war bei YouTube und auf dem Account des Arbeitnehmers bei Facebook zu sehen. Aufgrund der öffentlich gemachten Äußerungen kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich.

Das BAG entschied, dass die Kündigung unwirksam ist. Die verbreiteten Erklärungen des Arbeitnehmers seien erkennbar darauf gerichtet gewesen zu verdeutlichen, weshalb er die Bildung eines Betriebsrates als sinnvoll ansah. Hingegen habe er nicht behaupten wollen, die Arbeitgeberin beschäftige überwiegend ungelernte Arbeitskräfte, so das BAG. Weiter führte es aus, dass ein Arbeitnehmer auch im Zusammenhang mit einer Betriebsratswahl nicht wissentlich falsche, geschäftsschädigende Behauptungen über die betrieblichen Verhältnisse aufstellen und über digitale Medien verbreiten dürfe. Sachliche Kritik an den betrieblichen Gegebenheiten hingegen sei erlaubt. Nach Auffassung des BAG müssen Arbeitgeber regelmäßig auch überspitzte und polemische Äußerungen von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit einer anstehenden Betriebsratswahl hinnehmen, da das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch auf betrieblicher Ebene seine volle Wirkung entfaltet.

Die Grenze zwischen Beruf und Privatleben wird durch die Nutzung von Social Media immer häufiger verwischt. Klar ist, dass Arbeitnehmer das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern und zu verbreiten und der Arbeitgeber grundsätzlich kein Recht hat, private Äußerungen im Web 2.0 zu untersagen oder zu sanktionieren. Eine Grenze ist aber sicher dann überschritten, wenn außerdienstliches Verhalten das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt. Denn Arbeitnehmer haben gegenüber ihrem Arbeitgeber arbeitsvertragliche Rücksichtnahme- und Treuepflichten. Privates Verhalten darf daher nicht zu einem (Image-)Schaden des Arbeitgebers führen.

In den letzten Jahren mussten sich Arbeitsgerichte vermehrt mit Kündigungen von Arbeitnehmern wegen Beleidigungen von Vorgesetzten oder Kollegen in sozialen Netzwerken auseinandersetzen. Das Landesarbeitsgericht Hamm musste 2012 einen Fall entscheiden, in dem ein Auszubildender auf seiner Facebook-Seite seinen Arbeitgeber als „Menschenschinder“ und „Ausbeuter“ titulierte und seine Tätigkeit als „dämliche Scheiße“ bezeichnete. Das Gericht qualifizierte die Äußerungen als massive ehrverletzende Äußerungen und sah die außerordentliche Kündigung als wirksam an. Hierbei war es nach richtiger Auffassung des Gerichts irrelevant, dass die Äußerungen nicht in verbaler Form getätigt wurden, da die Lesbarkeit im Netz für den Arbeitgeber selbst, aber auch für Dritte die gleiche Wertigkeit habe wie eine entsprechende verbale Äußerung.

Derartige Abgrenzungsfälle zwischen privater Meinungsäußerungsfreiheit und beruflichen Rücksichtnahmepflichten werden die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung wohl auch in Zukunft wegen des vermehrten Einzugs von Social Media in die Arbeitsbeziehungen beschäftigen. Fest steht, dass hier der jeweilige Einzelfall zu beurteilen ist und das dargestellte Urteil des BAG sicher nicht das Ende der Fahnenstange darstellt.

Zum Nachlesen

Urteil zu einer außerordentlichen Kündigung wegen geschäftsschädigender Äußerungen eines Arbeitnehmers auf YouTube und Facebook:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31.07.2014 – 2 AZR 505/13

Urteil zu Kündigungen von Arbeitnehmern wegen Beleidigungen von Vorgesetzten oder Kollegen in sozialen Netzwerken:
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 10.10.2012 – 3 Sa 644/12

Zur Kenntnis: Work-Life-Balance

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Teilzeit, Sabbatical, Home Office, Kinderbetreuungsservice – die Frage nach der Work-Life-Balance ist ein wichtiges Thema bei Gleiss Lutz und wird hier nicht nur mit flexiblen Arbeitszeitmodellen beantwortet. Von Dr. Alexander Schwarz

Es ist uns ein Anliegen, für unsere Mitarbeiter individuelle, praktische Lösungen zu finden, die ihnen eine flexible Anpassung ihrer Arbeitszeiten an ihr Privatleben und ihr Lebenskonzept ermöglichen. Daher bieten wir unseren Associates, Assoziierten Partnern und Counseln verschiedene Flex-Time-Modelle an, Teilzeitpartnerschaften, einen Kinderbetreuungsservice, Sabbaticals sowie die Möglichkeit, teils von zu Hause aus zu arbeiten, im sogenannten Home Office.

Counsel Dr. Birgit Colbus ist auf Kartellrecht spezialisiert und arbeitet seit der Geburt ihrer Töchter in Teilzeit. „Ich verbringe etwa sechs Stunden am Tag im Büro und bin die restliche Zeit über Blackberry und Notebook erreichbar. Manchmal arbeite ich auch im Home Office, zum Beispiel wenn ein Kind krank ist oder wenn es besser in die Familienorganisation passt. Im Großen und Ganzen klappt alles prima, doch man braucht gute Nerven, Flexibilität und Spontaneität im Alltag. Auch mein Team im Kartellrecht unterstützt mich sehr und hilft, wenn es brennt. Das Schöne am Flex-Time-Modell ist, dass ich beides haben kann: einen anspruchsvollen Beruf und Zeit für meine Kinder.“

Seit Anfang 2014 bieten wir auch Associates und Assoziierten Partnern die Möglichkeit eines einmonatigen, voll bezahlten Sabbaticals: Auf dem Weg zur Partnerschaft können alle juristischen Mitarbeiter diese Auszeit insgesamt zweimal, jeweils ab dem dritten und sechsten Jahr der Kanzleizugehörigkeit, beanspruchen. Denn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liefern täglich vollen Einsatz in der Mandatsarbeit. Wir schätzen ihre herausragenden Leistungen und ihre Flexibilität. Mit der Möglichkeit einer Auszeit wollen wir dem Rechnung tragen. Ein Sabbatical schafft den Freiraum, den Horizont zu erweitern und Dinge zu tun, zu denen man im Arbeitsleben normalerweise nicht kommt. Wer im Rahmen einer längeren Auszeit den Kopf frei bekommt, geht mit mehr Energie, kreativen Ideen und einem anderen Blick an die Dinge heran.

So war es einem unserer Associates aus dem Bereich Gesellschaftsrecht/M&A wichtig, dass er sich im ersten Lebensjahr seiner Tochter Zeit für die Familie nehmen konnte, um diesen Lebensabschnitt intensiv zu begleiten. „Ich habe mit den Partnern in meinem Team frühzeitig besprochen, welche Möglichkeiten es gibt, um diesen Wunsch zu realisieren. Mein Team hat sehr verständnisvoll und flexibel reagiert; die Partner haben es mir freigestellt, wie ich meine Auszeit nehme. Das einmonatige Sabbatical im Anschluss an die Elternzeit hat sich als die beste Lösung herausgestellt. Ich freue mich sehr, demnächst mit meiner Familie eine Reise an die Ostküste der USA zu unternehmen.“

Filmtipp der Redaktion

Selbstbestimmung, Demokratisierung, Potenzialentfaltung – das sind die Trends der neuen Arbeitswelt. Der Film „Augenhöhe“ zeigt Unternehmen, in denen die neue Arbeitswelt bereits gelebt wird, und die Menschen, die diese gestalten.
augenhoehe-film.de

Karriereleiter: Das Zweite Staatsexamen

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Auf dem Weg zum Partner einer Kanzlei müssen junge Juristen nach dem Ersten Staatsexamen zunächst mehrere Stationen im Referendariat durchlaufen, um anschließend das Zweite Staatsexamen absolvieren zu können. Außerdem sind das sichere Beherrschen von Formalien und der Umgang mit „exotischen Themen“ essenzielle Bestandteile des Examens. Auch anwaltliche Aufgaben gehören fest zum Examensrepertoire. Von Marcel Goroll, LL.M., Associate im Frankfurter Büro der Kanzlei Ashurst LLP im Bereich Corporate

Als großen Vorteil haben es viele Referendarkollegen und ich empfunden, dass bereits beim Eintritt ins Referendariat klar ist, wann es „ernst“ wird mit dem Examen. Ich kann nur empfehlen, frühzeitig, am besten bereits nach einigen Monaten, mit der Examensvorbereitung beim Repetitor zu beginnen und dabei auf regelmäßige, wöchentliche Kurse zu setzen. Dies zwingt zur kontinuierlichen Nacharbeit. Mein Tipp: Schon bei der Wahl der Kanzlei für die Anwaltsstation fragen, ob die ausgewählte Kanzlei mit einem Repetitorium kooperiert und Kurse finanziell unterstützt. Solche Angebote und kanzleiinternen Workshops für Referendare, zum Beispiel zum Abfassen von anwaltlichen Mandantenschreiben, sollte man unbedingt nutzen.

Neben den klassischen Urteilsklausuren und Bescheiden im Öffentlichen Recht wird durch das verlangte Verfassen von Mandantenschreiben und Anwaltsschriftsätzen das Zweite Examen immer stärker auf die anwaltliche Beratungspraxis ausgerichtet. Vier meiner acht Examensklausuren waren anwaltliche Beratungsklausuren. Dies gilt auch im Öffentlichen Recht: Statt eines Bescheides wurde in meinem Examen ein Gutachten mit Handlungsempfehlungen zum Antrag des Bürgers im einstweiligen Rechtsschutz gefordert. Viele Bundesländer haben zudem erst kürzlich den Entwurf von Verträgen als Klausurtyp eingefügt. Daher empfiehlt es sich, im Rahmen der Anwaltsstation Vertragsgestaltungen in der Praxis zu üben. Im Stress der Examenssituation helfen bekannte, „gut sitzende“ Formulierungen über manche Unsicherheit hinweg und sparen enorm Zeit. Daher gilt es leider, Formalien zu büffeln: Das Beherrschen der Urteilsformalia, des Aufbaus von Bescheiden und Anwaltsschriftsätzen geben einem gerade bei hohem Adrenalinspiegel ein Gerüst und Sicherheit, insbesondere bei „exotischen“ Sachverhalten.

Exotische Themen in unbekannten Gesetzen, gerne mit europarechtlichem Bezug, sind keine Seltenheit. Der Verkauf eines mangelhaften Hauses durch einen Franzosen führte in meinem Examen zur Prüfung einer europäischen Verordnung zur Gerichtszuständigkeit, gepaart mit der inhaltlichen Prüfung einer Richtlinie. Hier kann die vorherige Tätigkeit in einer Großkanzlei durchaus als Übung angesehen werden, da man dort wie im Examen oft sehr komplexe Themen in der Kommentarliteratur zügig recherchieren und lösen muss. Ashurst ist stets daran gelegen, überzeugende Referendare für eine spätere Tätigkeit zu gewinnen. So hatte auch ich das Glück, schon zum Ende meiner Station ein festes Angebot für meinen heutigen Job zu bekommen. Die Sicherheit zu wissen, was nach der mündlichen Prüfung folgt, hat mir geholfen, auch die Ausnahmesituation des mündlichen Examens ein wenig gelassener zu sehen. Engagement in den Stationen kann sich also in der richtigen Kanzlei und mit etwas Glück sowohl für den beruflichen Lebensweg als auch im Examen positiv auswirken.

Weitere Berichte zu Referendariatsstationen finden Sie bei uns im Webchannel

Presserecht: Mächtige Kontrollinstanz – Presserechtlerin

Ist eine Recherche mit versteckter Kamera erlaubt? Wann darf ich mit gravierenden Vorwürfen an die Öffentlichkeit gehen? Darf ich Informationen aus der Privatsphäre veröffentlichen? Antworten auf diese Fragen liefert das Presserecht, ein vielseitiges Rechtsgebiet für Juristen mit sprachlichem Feingefühl und einem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden. Von Dr. Katrin Neukamm, Juristin, Westdeutscher Rundfunk Köln

Die Wirklichkeit, in der wir leben, ist in großen Teilen medial vermittelt. Der weitaus größte Teil unseres Wissens beruht nicht auf eigener Anschauung und Erkenntnis, sondern auf vermittelten Informationen und Erfahrungen. Ob wir die Arbeit von Politikern verstehen und schätzen, ob und wie wir etwas verändern wollen, hängt auch davon ab, was uns die Medien zeigen. Die Medien sind zudem eine mächtige Kontrollinstanz. Durch intensive Recherche und Veröffentlichung von Texten, Tönen und Bildern informieren sie darüber, was in der Gesellschaft passiert und die Menschen interessiert. Es sollte schon allein deshalb zutreffend sein, was in den Medien geschrieben, gesagt und gezeigt wird. Auch Journalisten sind bei ihrer Arbeit an Recht und Gesetz gebunden. Selbst wenn sie Skandale von hohem gesellschaftlichen Interesse aufdecken, gilt für sie kein Sonderrecht.

„Aber das ist doch wichtig zu wissen!“, ist keine Rechtfertigung dafür, in Geschäftsräume einzudringen oder heimlich ein Gespräch aufzuzeichnen. Rechtliche Fragen stellen sich nicht nur bei der Recherche, sondern auch bei der Veröffentlichung von Informationen in den klassischen Medien beziehungsweise im Internet. Wann und unter welchen Voraussetzungen darf ich über einen Verdacht berichten? Wann darf ich eine Person namentlich benennen? In welcher Form ist es erlaubt, auch verletzende Kritik zu äußern? Und dürfen auch Fotos ohne Einwilligung veröffentlicht werden? Auf alle diese Fragen brauchen Journalisten Antworten, um zu erkennen, ob sie rechtmäßig handeln – oder ihr Verhalten vielleicht sogar strafbar ist. Die rechtliche Einschätzung beruht fast immer auf einer Abwägung im Einzelfall – einer Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Rechten der Personen oder Unternehmen, über die berichtet wird. Das Programmrecht ist ein Rechtsgebiet, bei dem Juristen den in der Grundrechte-Vorlesung gelernten Grundsatz der praktischen Konkordanz in der täglichen Arbeit mit Leben füllen können. Und das Programmrecht ist nicht alles.

Auch die Beratung von Journalisten über die Reichweite von Auskunftsansprüchen, über die Teilnahme an Veranstaltungen und die Frage, inwieweit sie im Strafverfahren besonders geschützt sind, sind weitere Themen, die zum Presserecht zählen. Rechtsgrundlagen sind neben dem Grundgesetz unterschiedliche Bundesund Landesgesetze sowie eine sich ständig fortentwickelnde, umfangreiche Rechtsprechung. Das Presserecht ist ein faszinierendes Rechtsgebiet für junge Juristen, die Interesse gleichermaßen am Öffentlichen Recht und am Zivilrecht haben, die an der Detailarbeit am Sachverhalt Gefallen finden und die eine hohe Affinität zur Sprache aufweisen. Der Presserechtler muss auch unter Zeitdruck agieren können – der Redaktionsschluss beziehungsweise der geplante Sendetermin eines Beitrags geben häufig eine Frist für die rechtliche Prüfung vor.

Patientenrecht: Der Spezialanwalt für Patienten

Fehlbehandlungen im Krankenhaus sind heute keine Seltenheit. Doch trotz des neuen Patientenrechtegesetzes ist es nicht einfach, als Geschädigter zu seinem Recht zu kommen. Oft ist anwaltliche Hilfe vonnöten, am besten von einem Anwalt, der sich auf Patientenrecht spezialisiert hat. Ein Gastbeitrag von Dr. Burkhard Kirchhoff, Patientenanwalt, Weilburg/Lahn

Eine Frau, die ihren geliebten Ehemann verliert, weil eine Blutvergiftung mit unterdosierten Antibiotika unzureichend behandelt wird. Ein Kind, das nach Entfernung eines eingewachsenen Zehennagels eine schwere Infektion durch multiresistente Erreger mit kapitalen Folgeschäden erleidet. Menschen, die nach orthopädischen Fehlbehandlungen im Rollstuhl sitzen und für ihr Leben gezeichnet sind. Solche oder ähnliche Fälle kennt sicherlich fast jeder – aus dem Bekannten- oder Familienkreis, der Presse, den Medien. Aber wie verhält man sich als Betroffener, wohin kann man sich wenden? Welche Rechte und Möglichkeiten bestehen? Was unternehme ich, wenn ich aus der Klinik oder der Arztpraxis „kränker“ herausgehe, als ich eingeliefert wurde? Oder wenn sogar ein Angehöriger in der Klinik, zum Beispiel nach einem vermeintlichen Routineeingriff, verstorben ist? Wie stehen die Chancen, gegen eine große Klinik vorzugehen?

Jeder Patient hat Anspruch auf eine ordnungsgemäße Aufklärung über Risiken und Nutzen einer medizinischen Behandlung und auf Durchführung der Behandlung gemäß den geltenden medizinischen Standards. Das bedeutet, die Diagnostik und Therapie muss auf dem betreffenden Fachgebiet dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen und in der Praxis zur Behandlung der gesundheitlichen Störung anerkannt sein. Der behandelnde Arzt muss nach seinen medizinischen Kenntnissen und Fähigkeiten die für das Krankheitsbild diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen auswählen und diese sorgfältig durchführen. Geschieht dies nicht und ist hierdurch ein kausaler Schaden entstanden, begründet dies eine Haftung des Arztes beziehungsweise der Klinik.

Um den Nachweis eines Behandlungsfehlers zu führen, können sich Betroffene verschiedener Mittel und Wege bedienen und an zahlreichen Anlaufstellen Hilfe erhalten, seien es die Medizinischen Dienste der Krankenversicherungen, Schlichtungsstellen der Ärztekammern, Patientenverbände oder bei – im optimalen Fall spezialisiert tätigen – Rechtsanwälten. Aber nicht alle Stellen führen für den schwer geschädigten Patienten zum Ziel, nämlich zur Aufklärung des Vorwurfs des Aufklärungs- oder Behandlungsfehlers und zu Gerechtigkeit und einer Entschädigung.

Der betroffene Patient, der den Verdacht hat, Opfer eines „Kunstfehlers“ geworden zu sein, hat ein Recht, Einsicht in seine Patientenakte zu nehmen, und er kann auch verlangen, dass ihm (gegen Erstattung der Kopierkosten) eine vollständige Kopie ausgehändigt wird. Seit der Einführung des § 630 g BGB ist dieses Recht sogar gesetzlich normiert. Die Einsichtnahme in die Patientenakte an sich führt den Betroffenen in seiner Suche nach Aufklärung und Entschädigung allerdings noch nicht weiter, ebenso wenig die Tatsache, dass in den übrigen Vorschriften des am 26.02.2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetzes (§§ 630 a-630 h BGB) weitere Rechte des Patienten gesetzlich verankert wurden. Aufklärung über den Vorwurf eines Behandlungsfehlers bieten medizinische Sachverständigengutachten. Solche können kostenlos über die Medizinischen Dienste der Krankenversicherungen und über Schlichtungsstellen eingeholt werden. Nachteil ist allerdings, dass selbst bei umfassend positiver Begutachtung keine Klinik und kein Arzt verpflichtet ist, die Inhalte des Gutachtens zu akzeptieren, einen Fehler einzugestehen oder eine Entschädigung zu leisten.

Wer sich entscheidet, einen spezialisierten Patientenanwalt zu beauftragen, die außergerichtliche Korrespondenz über diesen zu führen und – bei ablehnender Haltung des Arztes oder der Klinik – eine Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage einzureichen, erhält über das Gericht ein Sachverständigengutachten und damit Aufklärung und eine Entschädigung – sofern das Gutachten das Abweichen der Behandlung vom medizinischen Standard und einen kausalen Schaden bestätigt. Wer die zur Prozessführung notwendigen Mittel nicht zur Verfügung hat oder nicht rechtsschutzversichert ist, kann diesen Weg über Prozesskostenhilfe gehen. Die Erfolgsaussichten eines solchen Prozesses sind stets im Einzelfall zu prüfen. Allgemeingültige Aussagen sind hier nicht möglich, denn dazu sind die Sachverhalte zu unterschiedlich und häufig zu komplex. In einigen Fällen führen positive Sachverständigengutachten zum Ziel, in anderen kommt dem Patienten die im Arzthaftungsrecht bestehende erleichterte Darlegungs- und Beweislast zugute oder sogar eine Beweislastumkehr, bei Auftreten eines Fehler im voll beherrschbaren Bereich des Arztes oder des Klinikums.

Wenn Sachverständige im Einzelfall ihr Fachwissen überschätzen, steht uns als Patientenanwälte notfalls das prozessuale Mittel der Ablehnung zur Verfügung, in Extremfällen kann ein Gutachter gemäß § 839 a BGB sogar selbst haften.

Im Rahmen der Vertretung geschädigter Patienten steht im Mittelpunkt, dass man sich stets an spezialisierte Anlaufstellen wenden, den konkreten Einzelfall überprüfen und die sinnhaften Wege, Möglichkeiten und Risiken – insbesondere bei Fehlen einer Rechtsschutzversicherung – aufzeigen lassen sollte. Die Neueinführung des Patientenrechtegesetzes und die im Jahr 2011 erfolgte Novellierung des am 01.01.2001 in Kraft getretenen Infektionsschutzgesetzes mit den entsprechenden Hygieneverordnungen der Länder sind positive und wichtige Ansätze. Solange aber keine lückenlose und ausnahmslos effektive Kontrolle der Umsetzung der inzwischen in Deutschland strengen Hygienevorschriften im Alltag einzelner Krankenhäuser erfolgt, werden betroffene Patienten nach einer Krankenhausinfektion, einer erlittenen Blutvergiftung oder auch infolge eines allgemeinen Kunstfehlers weiter auf spezialisierte, anwaltliche Hilfe angewiesen bleiben.

Spezialgebiet Patientenrecht

www.sepsisanwalt.de
www.mrsa-arzthaftung.de
www.schoenheitschirurgenhaftung.de

Reiserecht: Der Reise- und Luftverkehrsrechtler

Prof. Dr. Ronald Schmid hat sich auf Reise- und Luftverkehrsrecht spezialisiert. Als Anwalt war er an mehreren spektakulären Fällen aus diesen Bereichen beteiligt. Als Professor lehrt er an der TU Dresden und der TU Darmstadt die Fachgebiete Luftverkehrsrecht und Reiserecht. Er kommt aus einer „Fliegerfamilie“: Sein Vater und sein Bruder waren Flugkapitäne bei der Lufthansa, der andere Bruder und seine Schwägerinnen sowie seine Frau als Purser beziehungsweise als Flugbegleiter tätig. Er selbst war 15 Jahre lang Justiziar eines Luftfahrtunternehmens. Von Meike Nachtwey

Herr Professor Dr. Schmid, Sie arbeiten heute als Rechtsanwalt in eigener Praxis – wer sind Ihre Mandanten?
Ich verstehe mich als Verbraucheranwalt und vertrete zum einen Reisende, zum anderen speziell Fluggäste. Gelegentlich vertrete ich auch Reisebüros, die ihren Kunden nicht zumuten wollen, sich einzeln gegen Airlines oder einen Reiseveranstalter wehren zu müssen. Die Kunden haben ihre Forderungen an die Reisebüros abgetreten, und diese kommen zu mir, damit ich sie gegen die Fluggesellschaften vertrete. Ich arbeite nicht für Unternehmen und nicht für Fluggesellschaften. Denn in der Branche kann ein Robin Hood nicht zum Sheriff von Nottingham werden.

Mit welchen Problemen kommen Ihre Mandanten zu Ihnen?
Man muss hier zwischen Reisevertragsrecht und Fluggastrecht unterscheiden. Im ersten Fall sind es Reisemängel, wie zum Beispiel die nicht wie gebucht durchgeführte Reise. Oder: Das gebuchte Zimmer hatte keinen Meerblick, das Hotel oder der Pool war verschmutzt und Ähnliches. Hier muss ich die Mängel beurteilen und den erreichbaren Minderungssatz richtig einschätzen. Als Spezialist muss ich überlegen, an welchen Gerichten die Richter eher für den Verbraucher und an welchen sie eher gegen den Verbraucher entscheiden und – wenn möglich – das „richtige“ Gericht auswählen.

Worum geht es im Fluggastrecht?
Beispielsweise um Probleme mit Flugverspätungen. Hat ein Flug mehr als drei Stunden Verspätung, hat der Passagier grundsätzlich Anspruch auf eine Ausgleichsleistung. Meistens wollen die Fluggesellschaften diese nicht zahlen. Als Grund berufen sie sich dann auf das Vorliegen eines „außergewöhnlichen Umstands“. Ich muss dann prüfen, ob es diesen außergewöhnlichen Umstand gegeben hat. In aller Regel gibt es den nicht, sondern er wird von der Fluggesellschaft nur behauptet. Ich muss in diesem Fall einschätzen, ob eine Klage vor Gericht Aussicht auf Erfolg hat oder nicht.

Zum Luftverkehrsrecht gehören auch Fälle von Gepäckschäden, wenn also das Gepäck beschädigt oder nicht am Zielort angekommen ist und der Fluggast sich erst einmal neue Kleidung kaufen musste. Dadurch ist der Urlaub beeinträchtigt. Oder wenn ein Gepäckstück beim Öffnen der Ablage über den Köpfen der Passagiere im Flugzeug heraus- und jemandem auf den Kopf fällt und derjenige dadurch erhebliche körperliche Schäden erleidet. Das Luftverkehrsrecht umfasst auch Fälle von Tod oder Körperverletzung bei Flugzeugpassagieren im Rahmen eines Fluges.

Wie können Sie Ihren Mandanten konkret helfen?
Ich spreche zunächst mit den Reiseveranstaltern oder den Airlines beziehungsweise deren Versicherungen und eruiere, ob die Möglichkeit einer außergerichtlichen Lösung besteht. Ist das nicht möglich, fertige ich eine Klageschrift und führe dann den Prozess zielgerichtet durch.

Wie können sich Juristen weiterbilden, wenn sie als Luftverkehrsrechtanwalt arbeiten wollen?
Es gibt leider keine Fachanwaltschaft für Reise- und Luftverkehrsrecht, aber es gibt durchaus Spezialisten dafür. Ich zum Beispiel bin zwar kein Pilot, habe aber schon mein Leben lang mit der Fliegerei zu tun. Mein Vater und mein Bruder waren Piloten, und ich bin öfter mit ihnen geflogen. Ich habe über ein luftrechtliches Problem promoviert. Danach war ich 15 Jahre lang als Justiziar eines deutschen Luftfahrtunternehmens tätig. Heute bin ich anwaltlich tätig und lehre seit über 20 Jahren Luftverkehrs- und Reiserecht an der TU Darmstadt und an der TU Dresden. Durch die langjährige Beschäftigung mit den Themen in Wissenschaft und Lehre habe ich mir breites Wissen angeeignet: Welche Rechtsfragen stellen sich grundsätzlich, und wie könnten sie gelöst werden? Als Anwalt habe ich zudem die praktische Erfahrung in der Umsetzung solcher Theorien, die ich dann wiederum in die Lehre einfließen lassen kann. So ist auch mein Unterricht nicht rein rechtstheoretisch, weil ich an konkreten Fällen, an denen ich mitgewirkt habe, zeigen kann, wo das, was wir in der Vorlesung besprochen haben, in der Praxis umgesetzt werden kann.

Gibt es auch Fortbildungsveranstaltungen außerhalb der Universität?
Zu diesem Zweck habe ich mit den Kollegen Prof. Dr. Ernst Führich und Prof. Dr. Klaus Tonner und einigen erfahrenen Reiserechtsanwälten 1992 die „Deutsche Gesellschaft für Reiserecht“ gegründet, deren Präsident ich 15 Jahre lang war. Auf den zweitägigen Jahrestagungen dieser Gesellschaft werden aktuelle Themen aus dem Reiserecht, Luftverkehrsrecht und Randgebieten theoretisch und praxisorientiert diskutiert. So können die Teilnehmer viel Neues erfahren, sich mit Kollegen austauschen und sich damit immer wieder auf den neuesten Stand bringen. Ansonsten ist man darauf angewiesen, sich über Fachliteratur das entsprechende Know-how zu verschaffen.

Was war Ihr spektakulärster Fall als Anwalt?
Das war wohl der Absturz der Concorde im Juli 2000, bei dem 113 Menschen starben. Gemeinsam mit Kollegen setzte ich für deren Hinterbliebene Ansprüche auf Schmerzensgeld und materielle Schäden gegen die Airline durch. Für die Kinder, die durch den Absturz ihre Eltern verloren haben, setzten wir Unterhaltszahlungen durch. Ein anderer spektakulärer Fall war der sogenannte „Wasserrutschen-Fall“: Ein Kind wurde während eines Urlaubs nach dem Rutschen auf der Wasserrutsche einer Hotelanlage von einer Umwälzpumpe unter Wasser angesaugt und konnte sich nicht mehr befreien. Es ist ertrunken. Dieser Fall ging bis zum Bundesgerichtshof, der eine Grundsatzentscheidung gefällt hat. Zugunsten der Eltern des Kindes. Beide Fälle haben mich menschlich sehr berührt. Und sie haben Rechtsgeschichte geschrieben, das heißt, sie haben – und das war mir wichtig – Maßstäbe für ähnliche Fälle in der Zukunft gesetzt. Denn leider sind auch danach noch zahlreiche weitere Kinder in Swimmingpools ertrunken.

Infos über die „Deutsche Gesellschaft für Reiserecht“ unter www.dgfr.de.

Jung und erfolgreich bei: Linklaters

Am Ende der juristischen Ausbildung, gegebenenfalls verlängert durch Promotion und/oder LL.M., stellt sich naturgemäß die Frage nach dem Berufseinstieg. Die Frage nach dem „Was“ und „Wo“ lässt sich umso leichter beantworten, je mehr praktische Eindrücke man in der Ausbildung gesammelt hat. Von Dr. Carsten A. Paul, LL.M.

Name: Dr. Carsten A. Paul, LL.M. (London)
Position: Managing Associate
Stadt: Düsseldorf
Alter: 38 Jahre
Studium: Rechtswissenschaften in Münster, Sheffield und London
Referendariat: Düsseldorf
Examina: 2003 und 2007
Engagements: Ich nehme an den Community-Investment-Aktivitäten der Kanzlei teil, darüber hinaus gebe ich kostenlos Unterricht/Vorlesungen an der Universität Münster im Rahmen von verschiedenen Studiengängen.

Für mich war die Antwort daher schnell gefunden: Rechtsanwalt bei einer der führenden internationalen Wirtschaftskanzleien. Dass die Wahl dabei auf Linklaters fiel, war keinem Zufall geschuldet. Bereits während meines Studiums hatte ich ein Praktikum im Londoner Büro der Kanzlei absolviert.

Promotionsbegleitend zog es mich als wissenschaftlicher Mitarbeiter zurück zu Linklaters, wo ich schnell das Aktienrecht als meine fachliche Domäne entdeckte. Schätzen lernte ich in dieser Zeit auch die offene und kollegiale Arbeitsatmosphäre in der Kanzlei. Schnell war meine Entscheidung gefallen, auch die Anwalts- und Wahlstation des Referendariats dort zu absolvieren. Dabei ermöglichte es mir die Wahlstation in Hongkong, den Bereich Litigation als weiteres Beratungsfeld kennenzulernen. Abrunden konnte ich meine Eindrücke schließlich bei meiner Rückkehr in das mir schon bekannte Londoner Büro während meines LL.M.-Studiums am dortigen King’s College.

So kam es, dass ich bei meinem Berufseinstieg im Herbst 2008 in der Kanzlei praktisch schon als „alter Hase“ galt. Dies erleichterte mir die Anfangszeit natürlich ungemein und führte aufgrund der engen internen Vernetzung auch in den Folgejahren dazu, dass ich mit vielen Kollegen, die ich bereits persönlich kannte, in spannenden Projekten zusammenarbeiten konnte.

Meine Begeisterung für komplexe aktien- und kapitalmarktrechtliche Fragestellungen habe ich mir bewahrt. Aktienrechtliche Beratung umfasst beispielsweise die Auseinandersetzung mit vergütungs- und haftungsrechtlichen Fragen auf Vorstands- und Aufsichtsratsebene, die Vorbereitung und Begleitung öffentlicher Hauptversammlungen sowie etwaiger nachfolgender Rechtsstreitigkeiten. Neben der Mandatsarbeit bleibt auch Zeit für wissenschaftliches Engagement, das mir besonders wichtig ist. So halte ich an meiner Heimatuniversität in Münster seit einigen Jahren regelmäßig Vorlesungen zu aktienrechtlichen Themen.

Rückblickend haben sich meine Erwartungen an den Anwaltsberuf und an die Tätigkeit in der Kanzlei voll und ganz erfüllt. Meine studienbegleitenden Erfahrungen haben mir einen wirklich umfassenden Einblick gegeben, sodass ich sehr genau wusste, was mich beim Berufseinstieg erwartete. Umso mehr kann ich dazu raten, im Rahmen des Studiums und des Referendariats möglichst viele Eindrücke zu sammeln und die Vielzahl an Stellenangeboten von Kanzleien zu nutzen.

Interview: Prof. Dr. Jack Nasher

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Der Diplom-Jurist Jack Nasher ist ein Experte darin, Lügen zu durchschauen. Sein neues Buch „Entlarvt!“ zeigt auf, wie man dem Gegenüber mithilfe von psychologischen Tricks und guten Fragen die Wahrheit entlockt. Der Professor an der Munich Business School rät karrierebewussten jungen Juristen, sich diese Fähigkeiten anzueignen. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Jack Nasher M. Sc. (Oxford), geboren am 1. Juni 1979, studierte Jura in Frankfurt am Main, dazu Philosophie und Psychologie sowie Management an der Universität in Oxford, wo er auch als Postdoctoral Tutor unterrichtete. Sein Rechtsreferendariat absolvierte er für das Auswärtige Amt bei der UNO in New York, praktische Erfahrungen sammelte er am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Seit 2010 bekleidet er an der Munich Business School den Lehrstuhl für Leadership & Organizational Behaviour. Seine letzten beiden Bücher wurden Spiegel-Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt. Er führt zudem das Verhandlungsinstitut Nasher.

Herr Professor Nasher, in welchem Verhältnis steht die Wahrheit zur Lüge?
Eine Lüge ist alles, was bewusst nicht mit der Wahrheit übereinstimmt. Wenn Sie mich jetzt fragen, wie es mir geht, und ich sage: „Sehr gut“ – dann ist das strenggenommen eine Lüge, weil ich gerade lange im Stau gestanden habe. An diesem Beispiel merken Sie aber auch: Nicht jede Lüge muss man ernst nehmen.

Kommen wir zu den für Juristen wichtigen Lügen: Was sollte ich als Anwalt tun, wenn ich den Eindruck bekomme, mein Mandant biegt sich seine persönliche Wahrheit zurecht?
Das gibt es und kommt häufig vor, in Amerika sagt man dazu bei Zivilprozessen: „Everybody thinks he’s wearing the white hat.“ Sinngemäß auf Deutsch: Jeder denkt, dass er im Recht ist. Was mir Juristen nach meinen Vorträgen jedoch häufig sagen: Entscheidend ist nicht unbedingt, die Wahrheit der Mandanten zu erfahren. Wichtiger ist es, die Zeugen oder die gegnerische Partei zu entlarven. Schließlich ist man Anwalt – und kein Richter.

Wie kommt man an die Wahrheit heran?
Was nicht zum Ziel führt, sind laute Worte oder sogar – wie man es in manchem Krimi sieht – die Androhung von Gewalt, zum Beispiel mit einem Lötkolben, denn dann sagt mein Gegenüber entweder gar nichts oder er sagt genau das, was ich hören will. Das ist dann jedoch zumeist eine Mischung aus Wahrheit und Lüge, die mich noch weiter in die Irre führt. Die wirklich wirksamen Methoden sind die scheinbar sanften psychologischen. Diese erfolgreich zu verwenden, kann jeder lernen.

Ganz konkret: Wie wendet man diese psychologischen Methoden an?
Schritt eins, ich kläre erst einmal, ob mir mein Gegenüber die Wahrheit sagt oder nicht. Wie das? Wenn jemand lügt, wird er von zwei Gefühlen bestimmt: Angst und Schuld. Treten diese unpassend auf, haben wir einen guten Anhaltspunkt für die Lüge. Hinzu kommt, dass mein Gesprächspartner womöglich versucht, sich möglichst unauffällig zu geben – und dadurch fällt er besonders auf. Wer nicht die Wahrheit sagt, wirkt daher insgesamt nicht harmonisch – Worte und Gesten passen nicht mehr zueinander. Auf diese Faktoren zu achten und sie zudem zu provozieren, ist das klassische von amerikanischen Ermittlern benannte „behaviour analysis interview“, eine Befragung also, die direkt das Verhalten des Gegenübers analysiert.

Okay, ich habe also den Verdacht, jemand sagt mir nicht die Wahrheit. Nur: Wie komme ich an diese heran?
Dies ist dann Schritt zwei, ich nenne sie die Konfrontation. Ich bezichtige mein Gegenüber sehr klar und direkt der Lüge und baue die Illusion auf, sowieso schon über alles Bescheid zu wissen, nach dem Motto:„Wir wissen, was passiert ist, und wir wissen auch, wer es war. Wir wissen nur nicht, warum.“ Um hier glaubwürdig zu sein, gibt es Verstärker wie die sogenannte „Köderfrage“, bei der man angebliche Beweise andeutet. Schritt drei ist dann, es dem Gegenüber möglichst leicht zu machen, mit der Wahrheit rauszurücken – ihm also eine goldene Brücke zu bauen.

Warum ist das so wichtig?
Will ich die Wahrheit erfahren, indem ich jemanden einen verlogenen Dreckskerl nenne, komme ich nicht weiter.

Das wäre dann eine Art verbaler Lötkolben.
Genau. Ich muss stattdessen ein Thema finden, mit dem sich mein Gegenüber identifizieren kann und das ihm dabei hilft, sein Verhalten gegenüber mir und sich selbst zu rechtfertigen. Ich gebe ihm also eine moralische Ausrede an die Hand, indem ich zum Beispiel thematisiere: „Nicht du bist schuld, sondern die Umstände.“ Oder: „Wären andere an deiner Stelle gewesen, hätten sie auch so gehandelt.“ Danach geht es dann darum, eine Alternativfrage zu entwickeln, die das Gegenüber dazu bringt auszupacken, die ihm also die letzten Zweifel zum Gestehen nimmt: „Haben Sie aus lauter Boshaftigkeit und ohne Unrechtsgefühl Firmengelder veruntreut, oder war das eine einmalige Sache, die Sie aus der Not heraus getan haben und die Ihnen heute leid tut?“ Menschen sind eben doch sehr rational und gestehen nur dann, wenn es ihnen in dem Moment als die beste Alternative erscheint.

Wie wichtig ist hier Empathie?
Sie hilft, ein Thema zu finden, das zur Person, die endlich die Wahrheit sagen soll, passt. Jedoch geht es bei diesem Thema nicht um die Wahrheit. Es muss auch nicht moralisch einwandfrei sein. Entscheidend ist, dass mein jeweiliges Gegenüber sich damit identifizieren kann und sein Gesicht nicht verliert. Man darf nicht vergessen: Das Herausfinden der Wahrheit ist ein Rollenspiel. Es geht also natürlich nicht um echtes Verständnis, sondern darum, das Spiel zu gewinnen.

Bekommen Juristen diese Techniken der Wahrheitsfindung an den Unis vermittelt?
Nein, was bedauerlich ist, da man ja auch zum Richteramt befähigt werden soll. Aber auch angehende Richter lernen nur freiwillig etwas über die Wahrheitsfindung. Das sind dann die zumeist veralteten Techniken der Vernehmungslehre.

Warum werden diese Aspekte so stiefmütterlich behandelt?
Vielleicht, weil die Juristen die Psychologie als eine zu vage Kunst betrachten. Aber junge Juristen können diese Techniken auch abseits der formalen Ausbildung lernen. Hier hilft ein wenig vom Geist der Amerikaner: Wenn mich etwas interessiert, dann hole ich es mir. Ein Beispiel: Wer dort Schriftsteller werden will, besucht einen Kurs für kreatives Schreiben. In Deutschland warten Hobby-Autoren darauf, dass sie die Muse küsst.

Was bringt es einem Juristen, wenn er diese Gesprächsmethoden beherrscht?
Bei meinen Vorträgen und Seminaren fällt mir immer wieder auf, dass das intellektuelle Niveau und auch der Ehrgeiz bei den meisten Nachwuchsjuristen sehr hoch ist. Sie alle schwimmen also in einem Haifischbecken – und müssen sich irgendwie von den anderen positiv unterscheiden. Wenn ich dann in der Lage bin, mit einfachen Gesprächstechniken Lügen zu durchschauen oder an die Wahrheit zu kommen, dann bin ich meinen Kollegen meilenweit überlegen. So hält mich mein Mandant nicht mehr für einen 08/15-Associate, sondern für eine Koryphäe.

Buchtipp

„Entlarvt!“ Das Buch über den Weg zur Wahrheit
Menschen lesen und in dem, was sie sagen, beeinflussen – das ist die Expertise von Prof. Dr. Jack Nasher. Wie das geht, erklärt er in seinem Büchern. Nach Veröffentlichungen zum Thema Verhandlungen („Deal – Du gibst mir, was ich will!“) und Lügen („Durchschaut! Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven“) behandelt sein neues Buch die Suche nach der Wahrheit. Anhand von Beispielen erklärt Nasher den Weg zur Wahrheit und gibt dabei eindrucksvolle Einblicke in die Arbeit der Top-Ermittler.

Entlarvt! Wie Sie in jedem Gespräch an die ganze Wahrheit kommen.
Campus 2015.
ISBN 978-3593501260.
19,99 Euro

Wirtschaftsjurist: „So wichtig wie der Antriebsriemen für den Motor“

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Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Professor für Öffentliches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Köln. In seiner Lehre und Forschung legt er Wert auf Praxisnähe. Seine Prognose für Wirtschaftsjuristen: Die Komplexität des Rechts steigt – und das schafft Arbeitsplätze. Von André Boße

Zur Person

Professor Dr. Rolf Schwartmann, Foto: D. Boxberg
Professor Dr. Rolf Schwartmann, Foto: D. Boxberg

Professor Dr. Rolf Schwartmann, geboren 1965 in Düren, leitet an der FH Köln die Forschungsstelle Medienrecht an der Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Nach seinem Zweiten Staatsexamen war er zunächst als Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Verwaltungsrecht in einer Kölner Kanzlei tätig. Seine Professur für insbesondere Öffentliches und Internationales Wirtschaftsrecht an der FH Köln trat der 49-Jährige 2004 an.

Ob Compliance, Haftungsfragen oder Vergleiche: Was früher für die Unternehmen ohne anwaltliche Hilfe ging, ist heute ohne juristische Beratung riskant und gefährlich. Wie beurteilen Sie den Wandel des Wirtschaftsrechts?
Wenn die Anforderungen der Lebenswirklichkeit und das Recht komplexer werden, steigen auch die rechtlichen Anforderungen. Das kann man aus Sicht der Juristen nur begrüßen, denn sie leben davon, das Recht anzuwenden und zu vermitteln. Der Wandel schafft also Arbeitsplätze. Ob rechtliche Komplexität aber dem Recht und dem Rechtsverständnis in der Gesellschaft dient, das ist eine andere Frage.

Wie meinen Sie das?
Die Entwicklung des Internets verschärft dieses Problem. Jedermann nutzt Mediendienste wie Facebook zu privaten oder gewerblichen Zwecken, ohne die Reichweite und Bedeutung der bei der Nutzung auftretenden Rechtsfragen etwa aus dem Urheberrecht oder dem Datenschutzrecht zu kennen. Die Nutzungsbedingungen von Facebook zum Beispiel enthalten etwa halb so viele Worte wie unsere Verfassung. Die Konsequenz ist, dass man sie nicht liest und den Dienst nutzt, ohne die Bedingungen der Nutzung zu kennen. Das ist nicht gerade verantwortungsbewusstes Handeln. Das ist für die Rechtskultur nicht förderlich.

Die Verflechtungen zwischen Unternehmen, Staaten und sonstigen internationalen Akteuren werden immer dichter, zeitgleich entstehen neue Regulierungen und Haftungen. Stimmt der Eindruck, dass Wirtschaftsjuristen dauerhaft gefragt sind?
Völlig. Solange das Recht Verhalten steuert und bestimmt, brauchen wir Menschen, die es verstehen, seine Anwendung erklären und begleiten und ihm damit seine Wirkmacht geben. Das Recht benötigt Juristen genauso wie ein Motor einen Antriebsriemen. Wenn sie dann auch noch Kenntnisse in wirtschaftlichen Fragen haben, dann ist das natürlich ein besonderes Plus. Was muss ein Wirtschaftsjurist können, um den Anforderungen des Rechtsbereichs und seiner Mandanten gerecht zu werden? Muss er nebenher auch noch ein vollwertiger BWLer sein?
Wer einen einhundertprozentigen Juristen und einen einhundertprozentigen Ökonomen will, der muss zwei Personen einstellen. Wirtschaftsjuristen sind keine eierlegenden Wollmilchsäue, sondern Absolventen eines Studiums, das ihnen solide Grundkenntnisse in unterschiedlichen Bereichen vermitteln. Ich denke, dass Flexibilität und die Bereitschaft, sich fächerübergreifend einzusetzen, eine entscheidende Stärke unserer Absolventen ist. Wenn die beruflichen Anforderungen oder persönliche Neigungen sie mehr mit juristischen Anforderungen konfrontieren, dann haben sie das Rüstzeug, sich hier zu spezialisieren. Dasselbe gilt umgekehrt für ökonomische Inhalte.

Müssen Wirtschaftsjuristen aufpassen, dass sie sich nicht in Richtung eines Unternehmensberaters mit leicht juristischem Schwerpunkt entwickeln?
Wer das will und darin seine Chance sieht, der kann das ruhig werden. Für mich wäre das kein schlechtes Berufsbild. Es ist gut, wenn man betriebswirtschaftlich erforderliche Notwendigkeiten ermöglichen hilft, aber dabei die Anforderungen und Bedachtnahmen des Rechts nicht aus den Augen verliert. Wie schwer der leichte juristische Schwerpunkt dann wird, kann jeder für sich entscheiden.

Wirtschaftsjurist: Viel können, viel erreichen

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Strukturen für Compliance schaffen, digital und international arbeiten, die Branchen kennen: Die Anforderungen an Wirtschaftsjuristen sind hoch. Die Karrierechancen aber auch. Von André Boße

Es gibt Anglizismen, die durchaus sinnvoll sind. Compliance zum Beispiel. Fällt der Begriff im Kreise von Wirtschaftsjuristen, wissen sie schnell, was gemeint ist. Will man ihn dagegen übersetzen, benötigt man einige Worte mehr. „Er steht für die Regeleinhaltung, aber eben auch die Implementierung von Strukturen zur Einhaltung der internen und externen Vorschriften für die Führung eines Unternehmens“, definiert Dr. Reinhard Lutz den Begriff. Für den Partner der Wirtschaftskanzlei Lutz Abel mit Hauptsitz in München ist es unstrittig, dass der Bereich Compliance weiter an Gewicht gewinnt. „Hauptgrund ist der höhere Haftungsdruck, der auf die Vorstände und die Geschäftsleitung der Unternehmen wirkt.“ In den Chefetagen herrscht eine große Unsicherheit: „Man fragt sich: Was bedeutet das für uns, was müssen wir machen, wozu müssen wir uns verpflichten?“ Die Folge: Der rechtliche Beratungsbedarf steigt. „Börsennotierte Unternehmen kennen zumindest die Grundzüge von Compliance“, sagt Lutz, „aber schon im Mittelstand herrscht bei den Begriffen rund um dieses Themenfeld eine große Unklarheit.“

Haftungsrisiko steigt
Das Beispiel Compliance zeigt, warum Wirtschaftsjuristen in der Firmenwelt weiterhin gefragt sind. Der Alltag wird für die meisten Unternehmen immer komplexer, immer internationaler. Zudem steigen die Anforderungen an die Leitung dieser Unternehmen. Nicht nur, dass sie ihre Firmen sicher durch die globale Welt steuern müssen: Werden eklatante Fehlentscheidungen getroffen oder Regeln nicht eingehalten, ist die Gefahr, persönlich dafür haftbar gemacht zu werden, um ein Vielfaches größer als noch vor einigen Jahren. „Daher stellen sich die Unternehmensleitungen immer früher der Frage, welche Maßnahmen sie ergreifen müssen, um Strukturen zu schaffen, die sicherstellen, dass sie ihre Verpflichtungen erfüllen“, sagt Reinhard Lutz. Doch diese Strukturen entstehen nicht von alleine. Hier ist das Know-how von juristischen Beratern entscheidend, „wobei diese Arbeit ein wenig in Richtung Unternehmensberatung geht“, wie Lutz sagt. „Um die Compliance einzurichten, muss ich die Abläufe und Verantwortlichkeiten in einem Unternehmen kennen, denn nur dann kann ich auch die Risiken erkennen, zum Beispiel bei strafrechtlichen Themen wie Korruption oder Untreue.“

Für junge Juristen, die es einerseits verstehen, sich in Unternehmen hineinzudenken, und andererseits das juristische Werkzeug mitbringen, um Strukturen zu erstellen, ergeben sich somit exzellente Karrierechancen. Dabei ist „neben Reaktionsschnelligkeit die Qualität das A und O in unserer Arbeit“, wie Dr. Alexander von Bergwelt, Senior Partner Germany der Kanzlei Norton Rose Fulbright sagt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere sei erstens das einwandfreie Beherrschen des Handwerks und zweitens die Fähigkeit, ein vertrauensvolles Verhältnis und eine persönliche Beziehung zu dem Mandanten aufzubauen. „Mein Mandant muss wissen, dass ich seine Situation im Ganzen verstehe – sowohl seine Branche und sein Umfeld als auch die individuellen Bedürfnisse seines Unternehmens.“

Während es hier durchaus auf Erfahrung ankommt, beobachtet Alexander von Bergwelt eine Entwicklung in den Kanzleien, die den Nachwuchsjuristen zupasskommt: Die Digitalität wird immer wichtiger. „Mandanten fordern, wo es möglich ist, immer häufiger eine schnellere und günstigere Umsetzung von Projekten – beispielsweise durch die Verwendung von standardisierten Verträgen“, so der Senior Partner. Daher werde derzeit diskutiert, inwiefern Rechtsdienstleistungen automatisiert werden können – mit Folgen für den Arbeitsalltag in den Kanzleien: Arbeitsprozesse verlagerten sich zunehmend in den digitalen Bereich, zumal es immer häufiger vorkomme, dass Digital Natives die Unternehmen leiten, für die ein Wirtschaftsjurist tätig ist. „Das“, so von Bergwelt, „wird sich in Zukunft noch verstärken, was sich dann auch auf die Akquisition von Mandanten auswirken kann.“

Buchtipp: Compliance

Wer als Jurist im Unternehmen Strukturen zur Compliance erschafft, greift tief in die Kultur des Mandanten ein. Wie sich solche anspruchsvollen Prozesse in der Praxis erfolgreich umsetzen lassen, zeigt das Buch „Praxiswissen Compliance“ von Tilman Eckert. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Frage, wie sich die teilweise bereits vorhandenen Aspekte in eine allumfassende Compliance-Struktur integrieren lassen.

Tilman Eckert:
Praxiswissen Compliance – Erfolgreiche Umsetzung im Unternehmen.
Haufe-Lexware 2014.
ISBN 978-3648049587.
49,95 Euro

Back Office? Gibt es nicht
Wie schnell Einsteiger in vielen Wirtschaftskanzleien an konkreten Mandanten mitarbeiten, zeigt ein Beispiel aus der Kanzlei Milbank, Tweed, Hadley & McCloy, von dem Dr. Thomas Kleinheisterkamp, Partner im Münchener Büro, berichtet. „Kürzlich hat einer unserer jungen Kollegen bereits an seinem zweiten Arbeitstag an Verhandlungen zu einer internationalen Unternehmensbeteiligung teilgenommen und diese dann ohne Unterbrechung begleitet, bis die Transaktion nach etwa zwei Monaten unterzeichnet war.“ Auch in den deutschen Büros der internationalen Kanzlei Jones Day ist das Einstiegstempo hoch. „Wir hören oft die Frage, wo denn das Back Office sei. Die für viele überraschende Antwortet lautet: Es gibt hier kein Back Office“, sagt Partner Johannes Zoettl. „Erst im letzten Jahr hatten wir hier im Büro einen jungen Kollegen, der schon nach einem halben Jahr eigenverantwortlich eine EU-Fusionskontrolle geführt hat.“

Die Lernkurve ist also mitunter steil, wobei Milbank-Partner Thomas Kleinheisterkamp auch feststellt: „Als Wirtschaftsanwalt lernt man nie aus – eine Erkenntnis, die viele unserer jungen Kolleginnen und Kollegen überrascht.“ Zu den Anforderungen in den zwei deutschen Büros der internationalen Kanzlei in Frankfurt und München zählen zum einen formale Qualifikationen: „Unsere Nachwuchsjuristen“, so der Partner, „zählen zu den absolut Besten ihrer Jahrgänge.“ Genauso wichtig sind jedoch Wissbegierde, Teamfähigkeit, Eigenverantwortung sowie Geduld, denn der Nachwuchs erhält in den Kanzleien die Chance, das juristische Handwerk und seine wirtschaftlichen Bezüge in der Praxis immer weiter zu vertiefen. Organisiert wird die Arbeit bei Milbank in kleinen Teams, die häufig ausschließlich an einem Mandat arbeiten. „Dadurch wird die Ineffizienz vermieden, die man beobachten kann, wenn bei großen Teams häufig die Mannschaften wechseln“, so Kleinheisterkamp. Das erfreue die Mandanten – aber auch den Nachwuchs, der sich in diesen kleinen und konstanten Teams besser aufgehoben fühle.

Ein weiterer Vorteil der kleinen Teams: Diese können sich intensiver mit den Branchen der Mandanten auseinandersetzen – ein wichtiger Bestandteil der juristischen Beratung. „Für unsere Mandanten sind über die rechtliche Expertise hinaus eine detaillierte Branchenkenntnis und, ganz generell, ein profundes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge von sehr großer Bedeutung“, sagt Dr. Christian Schede, Managing Partner Germany der Wirtschaftskanzlei Olswang. So erwarten die Mandanten aus technischen Unternehmen von ihren anwaltlichen Beratern zum Beispiel fundiertes Know-how über die betreffenden Technologien. Der Nachwuchs erhält im Laufe der Einstiegsphase genügend Zeit, sich dieses Wissen anzueignen. Doch, so Schede, „werden zunehmend auch von jüngeren Anwälten bereits Grundkenntnisse in den Bereichen Bilanzkunde, Preis- und Kostenkalkulationen und Steuern erwartet“. Weiterhin überzeugen die Wirtschaftsjuristen bei ihren Mandanten mit ihrer Expertise über marktübliche Vertragsstandards sowie über zu erwartende rechtliche Entwicklungen. „Das sind alles Voraussetzungen, um in der strategischen und rechtlichen Beratung und beim Erkennen neuer Geschäftsmodelle und Produkte zu punkten“, sagt der Managing Partner von Olswang in Deutschland.

Schwach in Englisch? Null Toleranz
Doch alles strategische und rechtliche Denken auf hohem Niveau ist nur die Hälfte wert, wenn es nicht über die deutschen Grenzen hinaus kommuniziert werden kann. „Die Branche differenziert sich. Es gibt die national oder regional fokussierten Kanzleien und die globalen Sozietäten. Bei Letzteren muss die internationale Integration reibungslos funktionieren“, sagt der Jones-Day-Partner Johannes Zoettl. Daher sei es heute in vielen Wirtschaftskanzleien Standard, dass die Wirtschaftsanwälte sowohl mündlich als auch schriftlich im Englischen genauso sicher sind wie im Deutschen. „Die Mandanten erwarten das so. Hier gilt: null Toleranz, wenn deutliche Schwächen offenkundig werden“, so Zoettl. Der Anspruch ist also nicht ohne. Dafür sind die Chancen hoch, schnell voranzukommen, wenn man ihn erfüllt. Zoettl: „Im Spitzensegment gibt es weniger geeignete Kandidaten als nachgefragt werden. Wenn der juristische Nachwuchs also den Leistungs- und Qualitätsprofilen entspricht, besitzt er ausgezeichnete Karrierechancen.“

Inhouse-Karriere als Unternehmensjurist

Wer sich nach dem Studium der Rechtwissenschaften für einen Job mit Schwerpunkt Wirtschaft interessiert, kann auch eine Laufbahn als Unternehmensjurist in der Rechtsabteilung eines Unternehmens einschlagen. Im Jahr 2011 hat sich der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) gegründet, der u.a. das Ziel hat, Inhouse-Juristen näher an das Top-Management heranzuführen. Darüber hinaus gibt es Fort-und Weiterbildungsangebote sowie Förderprogramme für den Nachwuchs.
Infos unter: www.buj.de

karriereführer frauen in führungspositionen 2015.2016

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Cover karriereführer frauen in führungspositionen 2015.2016

Spitzenfrauen, Spitzentechnik – Frauen in MINT-Berufen

Wandel. Technische Unternehmen als Männerdomäne – das soll möglichst bald Vergangenheit sein. Ob Mittelstand, Forschungsinstitut oder Großkonzern: Frauen bringen nicht nur fachliche Exzellenz in die Unternehmen, sondern auch eine andere Führungskultur sowie interdisziplinäre Ideen. Gefordert sind auf der einen Seite die Arbeitgeber, die den weiblichen Nachwuchs gezielt fördern sollten. Auf der anderen Seite aber auch die Frauen selbst, denn auf dem Weg nach oben sollten sie ihre persönlichen Stärken und Ambitionen nicht verstecken.