StartNaturwissenschaftenDer "analytische Denker" Dr. Anno Borkowsky im Interview

Der „analytische Denker“ Dr. Anno Borkowsky im Interview

Als Mitglied des Vorstands der LANXESS AG ist Dr. Anno Borkowsky verantwortlich für das Segment Special Additives. Was genau sein Bereich entwickelt und welche Rolle dabei naturwissenschaftliche Fachkräfte einnehmen, berichtet er im Interview – und erklärt, an welchen Stellen seine Expertise als promovierter Chemiker im Vorstand des Konzerns gefragt ist. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Anno Borkowsky wurde 1959 in Köln geboren. Nach seinem Abschluss als Biologisch- Technischer Assistent studierte er Chemie an der Universität zu Köln, wo er 1989 promovierte. Danach stieg Borkowsky bei der Bayer AG in Leverkusen als Bereichsleiter ein. Im September 1995 wechselte er als Betriebsleiter zur Bayer Corp. nach Orange, Texas, USA. 1999 startete er als Technischer Geschäftsführer bei der Rhein Chemie Rheinau GmbH, damals eine Tochtergesellschaft der Bayer AG, deren alleiniger Geschäftsführer er 2002 wurde. Er übernahm als CEO die weltweite Verantwortung für die Rhein Chemie Gruppe. Mit der Gründung von LANXESS im Jahr 2004 wurde Rhein Chemie Teil des Spezialchemie-Konzerns. Im Januar 2015 übernahm Borkowsky die weltweite Leitung des neu gegründeten Geschäftsbereichs Rhein Chemie Additives. 2019 wurde er zum Mitglied des LANXESS-Vorstands bestellt. Dort ist er verantwortlich für das Segment Specialty Additives. Anno Borkowsky ist verheiratet und hat drei Kinder.

Herr Dr. Borkowsky, Sie haben nach Ihrer Uni-Zeit Ende der 1980er-, Anfang der 90er-Jahre Ihre Laufbahn in der Chemie begonnen. Wann haben Sie für sich zum ersten Mal mit großer Sicherheit feststellen dürfen: „In dieser Branche bin ich richtig?“
Das habe ich sehr schnell gemerkt. Mir gefiel es direkt, dass man in der Chemie nicht in einem Silo – also nur in seiner Abteilung – arbeitet, sondern sich mit allen Bereichen austauscht. Ein Produkt in der Forschung zu entwickeln, reicht eben nicht. Zunächst finden wir gemeinsam mit dem Marketing heraus, ob überhaupt ein Markt für das Produkt vorhanden ist. Dann gestalten wir es kundenspezifisch mit der Anwendungstechnik aus. Anschließend muss mit der Produktion geprüft werden, wie man es am geeignetsten herstellen kann. Und schließlich arbeiten wir mit dem Vertrieb daran, den besten Weg zu den potenziellen Kunden zu finden. Dieser bereichsübergreifende Austausch ist spannend und macht die Chemie aus meiner Sicht einzigartig.

Mit Blick auf den Arbeitsalltag: Was war damals noch vollkommen anders, als es sich heute darstellt?
In den vergangenen 30 Jahren hat sich viel Positives getan. Zum Beispiel hat sich die technische Ausstattung stark weiterentwickelt, was die Arbeit im Labor heute einfacher macht – auch weil viel mehr automatisiert und digitalisiert abläuft. Das erfordert natürlich ganz andere Fähigkeiten bei den Mitarbeitenden. Besonders spannend finde ich außerdem, dass die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft stark an Bedeutung gewonnen haben. Daraus ergibt sich ein neues interessantes Aufgabenspektrum.

Im Vorstand verantworten Sie das Segment Special Additives. Wenn ein Kind Sie fragen würde: Was genau stellen Sie da eigentlich her, welche sehr einfache Antwort würden Sie geben?
Ein Additiv ist ein Zusatzstoff, der einem Produkt eine bestimmte Eigenschaft verleiht oder eine unerwünschte Eigenschaft unterdrückt. Es kann zum Beispiel Autoreifen elastisch und geschmeidig machen oder Getriebeöl länger haltbar. Es kann aber auch dafür sorgen, dass Material nicht so schnell brennt, zum Beispiel Dämmstoffe. Additive werden nur in kleinen Mengen zum Produkt dazugegeben, besitzen aber eine große Wirkung. Sie sind damit die heimlichen Stars der Chemie.

Welche Job-Profile für Naturwissenschaftler* innen bietet dieser Bereich?
Die meisten Möglichkeiten gibt es sicherlich im Bereich Forschung und Entwicklung sowie in der Anwendungstechnik. Unsere Geschäftsbereiche verantworten jeweils ihre Produktforschung selbst, die sich eng an den Kundenbedürfnissen orientiert. Darüber hinaus haben wir eine zentrale Prozessforschung, dort arbeiten wir zum Beispiel daran, unseren Rohstoff- und Energieeinsatz zu optimieren. Auch direkt in unseren Produktionsbetrieben ist es natürlich für Chemiker spannend, zum Beispiel in der Betriebsleitung. Naturwissenschaftler können ihre Expertise aber auch im Marketing einsetzen, besonders wenn sie Spaß haben, mit Kunden zusammenzuarbeiten. Oder sie entwickeln mit uns neue Strategien für unser Geschäft und unsere Produkte im Corporate Development.

In der Produktentwicklung setzen wir immer häufiger Künstliche Intelligenz ein, um etwa die Entwicklungszeit für Rezepturen deutlich zu verkürzen. Das sind Projekte, bei denen Chemiker, Ingenieure und Datenwissenschaftler zusammenarbeiten.

Auf welche Fähigkeiten kommt es an, um in diesem Segment Karriere zu machen?
Fachkenntnisse und analytische Fähigkeiten setze ich bei Naturwissenschaftlern eigentlich voraus. Eine große Herausforderung ist heute vielmehr, dass mehr und mehr Projekte bereichsübergreifend stattfinden. Ich nenne mal ein Beispiel: In der Produktentwicklung setzen wir immer häufiger Künstliche Intelligenz ein, um etwa die Entwicklungszeit für Rezepturen deutlich zu verkürzen. Das sind Projekte, bei denen Chemiker, Ingenieure und Datenwissenschaftler zusammenarbeiten. Es kommt also darauf an, im Team mit unterschiedlichsten Personen und Charakteren zusammenzuarbeiten und als Team eine gemeinsame Lösung zu entwickeln.

Als Biologisch-Technischer Assistent und Chemiker haben Sie viel Zeit in Laboren verbracht. Als Vorstand werden Sie kaum noch Zeit dafür finden. Was vermissen Sie an diesen forschenden Tätigkeiten besonders?
Ich stand tatsächlich nie besonders gerne im Labor. Aber das ist ja das Schöne als Naturwissenschaftler: Mir stehen einige Türen offen, weil ich in vielen Bereichen arbeiten kann.

Und wo sehen Sie als Chemiker Ihre besondere Qualität im Vorstand?
Unsere Produkte sind die Basis unseres Erfolgs. Die Kompetenz, zu verstehen, wie diese funktionieren und wie man sie weiterentwickeln kann, gehört meines Erachtens in den Vorstand eines Chemiekonzerns. Als Chemiker lernt man, analytisch zu denken. Und das hilft mir heute, Prozesse und Anwendungen zu verstehen, aber auch das Potenzial von Geschäften richtig einzuordnen.

Mit Blick auf die Entwicklungen in Ihrem Segment, welche Rolle spielt hier die Digitalisierung, welche ganz neuen Entwicklungen werden durch digitale Innovationen ermöglicht?
Die Digitalisierung eröffnet ganz neue Möglichkeiten für uns. Wir sind zum Beispiel dabei, unsere Anlagen weltweit mit Technologien zur Datenanalyse auszurüsten. In einem unserer Betriebe im Geschäftsbereich Polymer Additives haben wir darauf aufsetzend kürzlich ein Projekt umgesetzt: Chemiker und Ingenieure haben ein Programm entwickelt, das die Daten aus dem Prozessleitsystem erfasst und produktionsrelevante Parameter berechnet. Der Betrieb konnte nun Dinge sehen, die zuvor verborgen waren. Es wurde zum Beispiel deutlich, dass die Anlage deutlich mehr Dampf verbraucht, als eigentlich benötigt wird. Der Betrieb hat diesen Prozess neu justiert und spart dadurch 600 Kilogramm Dampf pro Stunde, das entspricht knapp 4000 Tonnen CO2 weniger im Jahr. Wir sparen also Kosten und schonen die Umwelt.

Der bereichsübergreifende Austausch ist spannend und macht die Chemie aus meiner Sicht einzigartig.

Sie haben lange in den USA gelebt und gearbeitet. Mit Blick auf die Job- und Forschungskultur: Wo liegen die großen Unterschiede zwischen Europa und Amerika?
Ich habe häufig den Eindruck, dass sich Europäer und im Speziellen Deutsche viel zu lange mit Misserfolgen und deren Analyse aufhalten. US-Amerikaner machen schneller weiter und verbuchen den vermeintlichen Misserfolg als Lernerfolg, der ihnen beim nächsten Versuch weiterhilft. Von dieser positiven Grundeinstellung können wir uns Einiges aneignen. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass Gründlichkeit eine schlechte Eigenschaft ist. Sie führt ja auch dazu, dass gerade in Europa die Detailtiefe von Analysen kaum etwas zu wünschen übriglässt.

Trotz aller Unterschiede war es Ihre Aufgabe, bei der Integration des US-Unternehmens Chemtura in den Konzern die zwei Kulturen zu integrieren. Worauf kommt es an, damit aus der Diversität ein Team entsteht?
Bei der Integration von Chemtura haben wir uns von Anfang an darauf konzentriert, eine gemeinsame Kultur zu entwickeln. Denn ohne eine solche kann diese Integration nicht gelingen. Die Teams waren paritätisch mit Mitarbeitenden aus beiden Unternehmen besetzt, denn wir wollten alle Stimmen und Meinungen einfangen. Schon einen Monat nach Abschluss der Transaktion haben wir einen globalen Willkommens-Workshop abgehalten, bei dem kulturelle Themen im Vordergrund standen. Wir hatten auch temporär ein Mitglied mit Chemtura- Wurzeln im Vorstand. Diese Person konnte uns auf oberster Ebene den nötigen Einblick in die Kultur und Geschichte von Chemtura geben und war als integrative Figur extrem wichtig. Zudem haben wir immer betont, dass wir – der Käufer – nicht alle Dinge vorgeben, sondern voneinander lernen wollen. Dieses Verständnis besteht auch heute noch.

Zum Unternehmen

Die LANXESS AG ist ein Spezialchemiekonzern mit rund 14.200 Mitarbeitenden in 33 Ländern, der Hauptsitz befindet sich in Köln. Die Kernkompetenzen des Konzerns liegen in Produktion, Entwicklung und Vertrieb von chemischen Zwischenprodukten, Additiven, Spezialchemikalien und Kunststoffen. Gesteuert wird das operative Geschäft über die vier Segmente Advanced Intermediates, Specialty Additives, Consumer Protection und Engineering Materials, denen zehn Business Units zugeordnet sind, mit denen das Unternehmen auf den Märkten auftritt. In Sachen Klimaschutz hat sich der Konzern das Ziel gesteckt, bis 2040 klimaneutral zu werden. Laut eigenen Angaben habe der Konzern seit seiner Gründung im Jahr 2004 die Emissionen bereits halbiert: von 6,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente auf 3,2 Millionen Tonnen. Bis 2040 soll dieser Wert auf 300.000 Tonnen reduziert werden, die Restemissionen sollen durch Kompensationsmaßnahmen reduziert werden.

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