Prof. Dr. Antje Boetius ist Meeres- und Polarforscherin und Trägerin des Deutschen Umweltpreises 2018. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind Tiefseeökologie, Geomikrobiologie, Ozeanbeobachtung und marine Technologien.
Zur Person
Antje Boetius ist Professorin an der Universität Bremen und leitet seit 2017 das Alfred- Wegener-Institut/Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung als wissenschaftliche Direktorin. Fast 50 Mal war die Meeresbiologin schon auf Expedition. Für die Entdeckung methanverarbeitender Bakterien erhielt sie 2009 Deutschlands wichtigste wissenschaftliche Auszeichnung, den Leibniz- Preis. Sie beschäftigt sich viel mit Wissenschaftskommunikation und hat kürzlich den Communicator-Preis des Stifterverbandes bekommen.
Frau Prof. Boetius, Sie gehen dahin, wo noch nie jemand war: in die tiefsten Tiefen der Meere – was fasziniert Sie daran?
Mich fasziniert wie wenig wir über diesen riesigen Lebensraum wissen, der so anders ist als unserer eigener an Land. Die Tiefsee ist im Durchschnitt 3800 Meter tief, permanent dunkel, keine pflanzliche Primärproduktion, Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt, hoher Druck. Fast wie ein fremder Planet im Planeten Erde, voll unerforschter Vielfalt des Lebens und doch haben wir Menschen schon überall Spuren hinterlassen, leider vor allem der Vermüllung und Fischerei.
Sie nutzen für Ihre Forschungen in der Tiefsee auch Unterwasserroboter – wie genau funktionieren die und was machen die?
Die großen Tiefsee-Roboter, die wir benutzen, nennen wir ROV für Remotely Operated Vehicles“. Sie sind mit einem Glasfaserkabel mit dem Schiff verbunden und übertragen darüber direkt die Bilder vom Meeresgrund zu uns an Bord. Wir können mit dem Roboter direkt kommunizieren, über den Meeresboden fliegen und seine Arme steuern, um Proben zu nehmen. Im Grunde funktioniert der Roboter so, dass er alle unsere Sinne ersetzt. Neu ist, dass chemische Sensoren uns direkt Daten zum Beispiel über Sauerstoffgehalt schicken und dass wir mit akustischen Methoden den Meeresboden hochpräzise kartieren können.
Viele sagen den Robotern gehört unsere Zukunft. Welche Aufgaben können diese Maschinen Ihrer Meinung nach übernehmen und welche nicht?
Roboter werden die Wissenschaft vielfältig unterstützen können, nicht nur bei Routinemessungen, sondern auch in der Entdeckung unbekannter, ferner und extremer Lebensräume wie in der Tiefsee oder auf fremden Himmelskörpern. Schwierig ist heute für Roboter noch die Energieversorgung auf langen Distanzen und die Telekommunikation in extremen Lebensräumen. Zum Beispiel haben wir noch keine verlässlichen Roboter, die gut unter Eis tauchen und sich so orientieren können, dass sie wie eine Robbe wieder zum Wasserloch zwischen den sich bewegenden Eisschollen zurückfinden. Derzeit ist es noch sehr schwer mit Robotern im Schwarm zu arbeiten oder sie so zu programmieren, dass sie viele verschiedene Umweltsignale deuten können und darauf reagieren. Was ihnen natürlich grundsätzlich fehlt ist ein Bewusstsein mit emotionaler und sozialer Intelligenz und ein Wertegerüst.
Woran forschen Sie aktuell und was sind Ihre nächsten Ziele?
Im Moment und sicher noch für viele Jahre beschäftigen mich der Klimawandel und seine Wirkung auf die Ozeane und natürlich auf uns Menschen. Ich forsche viel in der Arktis und bin immer wieder erstaunt wie schnell sich der Ozean verändert durch den Rückgang des Meereises. Zudem interessiere ich mich für die unentdeckten Lebensräume und die Vielfalt in der Tiefsee. Es ist immer noch ungeklärt, wie in einem so energiearmen Lebensraum eine solche Vielfalt von Mikroorganismen und Tieren bestehen kann – bei so dünnen Populationen. Wir müssen die Verteilung und Funktion des Tiefseelebens besser verstehen, bevor wir mit der Nutzung von Tiefseeressourcen Schaden anrichten.
Gibt es etwas, das Sie Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern, die in das Berufsleben einsteigen, mit auf den Weg geben würden? Worauf kommt es an in der modernen Arbeitswelt?
Es kommt darauf an, zu wissen, welche Fähigkeiten man besitzt und wie man sie weiterentwickeln kann. Neugier auf die Welt ist eine Grundvoraussetzung wie auch der Wille zu lebenslangem Lernen. Es ist wichtig, mobil, flexibel und offen für Neues zu sein. Für mich galt immer der Leitsatz „Dem Zufall eine Chance geben“. Wichtig ist auch, ein Netzwerk auszubilden mit anderen Forschern und Menschen weltweit. Es gibt soviel von anderen zu lernen, und es sollte Freude machen, das eigene Wissen und die Ideen zu teilen.