StartKünstliche IntelligenzDer KI-Kenner Prof. Dr. Dirk Nicolas Wagner im Interview

Der KI-Kenner Prof. Dr. Dirk Nicolas Wagner im Interview

Wenn Mensch und Maschine Teams bilden, entstehen neuartige Kooperationen. Prof. Dr. Dirk Nicolas Wagner beschäftigt sich mit den Folgen für Organisationen und deren Kunden. Im Interview erklärt er, warum die künstliche Intelligenz mehr als nur ein weiteres digitales Hilfsinstrument ist und welche Kompetenzen für Einsteiger wichtig sind, um zusammen mit dem „Kollegen KI“ zu agieren. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Dirk Nicolas Wagner ist Professor für Strategisches Management an der Karlshochschule International University in Karlsruhe und Geschäftsführer des Karlshochschule Management Instituts. Zuvor war er in Deutschland und Großbritannien in leitenden Positionen in der Industrie tätig. Seit den 1990er-Jahren beschäftigt Wagner sich mit Fragestellungen rund um das Thema Mensch und Maschine. An der Universität Fribourg (CH) promovierte er zum Thema „Software Agents and Liberal Order“. Er ist regelmäßiger Autor von Beiträgen für das Zukunftsinstitut.

Herr Wagner, was ist zusammengefasst das Neue und Besondere an Teams, in denen Menschen und KI-Akteure kooperieren?
Bisher haben Organisationen IT-Systeme als Instrumente zur Unterstützung ihrer Arbeit genutzt. Mit dem Einzug von künstlicher Intelligenz ändert sich die Rolle von IT nun grundlegend. Der Aktionsradius dessen, was wir heute etwas verkürzt als KI bezeichnen, wird sich schnell ausweiten, wobei Menschen in diese Aktivitäten immer weniger eingreifen werden. Eine auf künstliche Intelligenz basierende IT ist daher nicht mehr länger als Hilfsinstrument, sondern als eigenständiger Akteur zu betrachten. Da menschliche und maschinelle Akteure unterschiedliche Eigenschaften mitbringen, müssen wir auch unsere Organisationsformen weiterentwickeln.

Wie müssen diese neuen Organisationsformen gestaltet sein?
Das ist noch weitgehend offen und wird stark vom weiteren technischen Fortschritt abhängen. Gewisse Entwicklungslinien sind jedoch bereits jetzt absehbar. So wird KI zukünftig von den meisten Unternehmen zugekauft und nicht selbst entwickelt werden. In der Folge wirken nicht nur die KI-Akteure autonom in der Organisation dieser Unternehmen, sondern indirekt eben auch die fremden Softwareunternehmen, die diese KI-Akteure entwickelt haben. Wenn man so will, erschließen wir neue Formen der Zeitarbeit.

Sprich: Von Softwareherstellern entwickelte KI-Akteure sind als Helfer im Unternehmen und übernehmen Aufgaben auf Zeit?
Allerdings mit dem gewaltigen Unterschied, dass Softwaregiganten wie Google, Amazon oder Microsoft ganz andere Einblicke ins eigene Unternehmen erhalten, als das klassische Zeitarbeitsfirmen mit ihren Mitarbeitern möglich wäre.

Der Aktionsradius dessen, was wir heute etwas verkürzt als KI bezeichnen, wird sich schnell ausweiten, wobei Menschen in diese Aktivitäten immer weniger eingreifen werden.

Es bilden sich also ganz neue Herausforderungen für die Sicherheit von Daten sowie für Betriebsgeheimnisse.
Ja, und dadurch wird der Umgang mit Chancen und Risiken zu einer interdisziplinären Gestaltungsaufgabe, nicht nur für Softwareingenieure, sondern auch für Wirtschaftswissenschaftler, Psychologen, Soziologen, allgemein Sozial wissenschaftler, Juristen oder auch Designer.

Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen, in denen heute schon KI-Akteure an Schlüsselstellen tätig sind – einmal mit Blick auf die internen Prozesse, aber auch mit Fokus auf den Endkunden?
Die aktuelle Herausforderung besteht für Unternehmen vor allem darin, schnell und erfolgreich mit Hilfe von experimentellen Schritten zu lernen, ohne dabei den Kunden zu verärgern, Prozesse lahmzulegen oder ausufernde Fehlinvestitionen zu tätigen.

Experimentieren – und dabei negative Folgen ausschließen: Wie ist das möglich?
Intern wie extern gilt es, ständig zu fragen: „Was kann – und was soll auch tatsächlich automatisiert werden?“ Die Antworten können für Unternehmen sehr unterschiedlich ausfallen. So entscheidet sich heute zum Beispiel die eine Hotelkette für, eine andere wiederum gegen automatisierte Chat- und Beratungsangebote im Internet.

Denn je mehr wir automatisieren, desto größer ist auch die Hebelwirkung menschlicher Teams auf Erfolg oder Misserfolg.

Noch einmal zurück zu Teams, in denen KI-Akteure und Menschen kooperieren. Mit Blick auf Einsteiger, wie ließe sich schon heute eine Art von „Teamfähigkeit“ schulen, welche Kompetenzen sind dafür wichtig?
An der Schnittstelle zur KI wird es sicherlich ganz neue Teamerfahrungen geben. Für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit KI werden grundlegende Kenntnisse darüber wichtig sein, wie KI Entscheidungen fällt, welche Fehler und Probleme auftreten können und wie man damit umgehen kann. Von enormer Bedeutung sind aber auch altbekannte Kompetenzen für die erfolgreiche Teamarbeit mit anderen Menschen, zum Beispiel, angemessen zu kommunizieren, zu organisieren und zu führen. Denn je mehr wir automatisieren, desto größer ist auch die Hebelwirkung menschlicher Teams auf Erfolg oder Misserfolg.

Noch sind solche Teams aus KI und qualifizierten Mitarbeitern recht abstrakt. Können Sie Beispiele aus der Praxis nennen, in denen diese neuen Formen der Kooperation schon sehr bald erlebbar sein werden?
Zum Beispiel wird sich weltweit die medizinische Versorgung weiter verbessern, und doch werden Patienten seltener bei einem Arzt vorstellig werden, sondern häufiger bei niedriger qualifizierten Kräften im Team mit KI in Behandlung sein. Es gibt bereits eine Reihe von Anwendungsbereichen, in denen die anstehenden Änderungen recht leicht vorstellbar sind. Schwieriger ist es, sich schon heute ein Bild von einer Entwicklung zu machen, die noch deutlich weiterreicht: KI wird sich ausnahmslos in allen Bereichen des öffentlichen, professionellen und privaten Alltags zwischen den Menschen einnisten.

Wird die KI – wie heute schon die IT – zu einem ständigen Begleiter?
Ja, wobei schon heute die fehlende Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger, Kundinnen und Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine große Herausforderung darstellt. Denn die KI agiert vor allem hinter den Kulissen der Nutzeroberflächen. Ein Blick nach China zeigt uns, welchen Einfluss zum Beispiel der Staat nehmen kann. Aber auch in Deutschland lässt ein aufmerksames Verfolgen der Entwicklungen bei sprachgesteuerten Anwendungen wie Alexa, Siri & Co. ahnen, wohin die Reise mit Blick auf die einflussreichen privaten Technologiegiganten gehen wird.

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