Bruder Paulus ist Leiter der Brüdergemeinschaft der Kapuziner in Frankfurt am Main, Liebfrauen, und des Franziskustreffs, einem Frühstücksraum für Obdachlose und Arme. Außergewöhnlich ist seine Medienpräsenz: Als Gastgeber der Sendung „So gesehen – Talk am Sonntag“ und des „So gesehen“ kirchlichen Kommentars auf SAT1, als Kolumnenschreiber, Radiomacher und in zahlreichen Auftritten als Talkshow-Gast spricht er leidenschaftlich über Fragen des Glaubens und ethischen Handelns. Das Gespräch führte Stefan Trees.
Sie hatten kürzlich Geburtstag, Bruder Paulus, herzlichen Glückwunsch nachträglich.
Danke schön.
Als Kapuzinermönch gehören Sie einem Bettelorden an, weltlicher Besitz ist für Sie kein Thema. Welches Glück haben Ihre Mitbrüder Ihnen zum Geburtstag geschenkt?
Das Glück der unabdingbaren brüderlichen Gemeinschaft, zu der ich gehöre. Die Brüder haben Gott versprochen, brüderlich zu leben und auch so einen Bruder wie mich anzunehmen. Mein größtes Glück ist daher wie das größte Glück aller Menschen: Ich fühle mich bis in den Tod hinein geliebt, und selbst der Tod kann diese Liebe nicht auslöschen. Das ist ein wunderschönes Leben.
Wenn Sie von geliebt sein sprechen: Reden Sie von der Beziehung zu Ihren Mitbrüdern oder zu Gott?
Von beidem, das gehört ja zusammen. Wir leben ja hier als Brüder zusammen, die sich nicht gegenseitig ausgesucht haben. Wir werden immer wieder neu zusammengewürfelt. Das ist eine schöne Herausforderung mit diesem Team, wie man wirtschaftlich sagen würde, zu leben, das sich nicht ausgesucht hat, dabei aber zu wissen, dass Gott uns ausgesucht hat. Er ist sozusagen der Geschäftsführer.
Die Mitarbeiter eines Unternehmens haben sich auch nicht gegenseitig ausgesucht – wie kann denn ohne den spirituellen Hintergrund einer Klostergemeinschaft ein Teamleben funktionieren, in dem sich die Menschen glücklich fühlen?
Indem wir uns vom Maschinendenken entfernen, das davon ausgeht, dass Menschen Roboter sind, die zu funktionieren haben. Stattdessen erkennen wir im Team, dass da Menschen neben uns sind, die sich nach Glück und Erfüllung, nach Frieden und einem guten Miteinander sehnen. Diesen Menschen und ihren Fähigkeiten sollten wir dienen und uns wünschen, dass sie auch uns dienen.
Wie kann das im Unternehmensalltag aussehen?
Warum fängt nicht jede Arbeitswoche in den Unternehmen mit einer halben Stunde an, zu der sich alle Mitarbeiter im Foyer treffen und diejenigen, die im Unternehmen Verantwortung haben, sagen, was sie im Herzen bewegt? Und dann laden sie alle anderen zu fünf Minuten der Stille ein, in der alle ihr Herz öffnen und sagen: Dies ist jetzt unsere Firma und unser gemeinsamer Weg. Ich weiß, das hört sich jetzt sehr amerikanisch oder japanisch an oder nach Klostertradition, wo jeder Tag mit einem rituellen Sich-auf-den-Tag-einstellen beginnt.
„Befreit den Menschen aus der Geisterfahrt durch Diagramme und den Rechenoperationen im Gefängnis der Excel-Tabelle“, haben Sie mal gesagt.
Machen wir uns doch klar: Alles das ist nicht Gott. Die Bilanz ist nicht Gott. Auch der Chef ist nicht Gott und der lästige Mitarbeiter auch nicht. Diese Menschen haben alle eine gemeinsame Berufung am Aufbau dieser Welt zu arbeiten. Und diese Motivation erweist sich dann als besonders stark, wenn man auch im Team mal sagt: Nein, das sollten wir nicht tun, das schadet anderen Menschen, was wir hier entwickeln.
„Aufbau dieser Welt“ ist ein ziemlich großer Bezugsrahmen. Ist ein Mensch, der sich dessen bewusst ist und in diesem handelt, glücklicher?
Selbstverständlich, Kleingeisterei ist doch furchtbar. Wer weiß, dass er ein Mitarbeiter ist am großen Menschenwerk, der sieht die Welt doch ganz anders, als einer der glaubt, er sei lediglich Mitarbeiter am Erfolg seiner Firma. Der große Bezugsrahmen hilft mir, dass ich realistisch bleibe. Glückliche Menschen sind Realisten, weil sie sich selbst nicht zu groß und die Welt nicht zu klein denken.
Und wer als junger Mensch noch nicht über dieses Selbstbewusstsein verfügt?
Der mag morgens in den Spiegel schauen, Gott danken, dass er da ist, und sich erinnern, dass er nicht dazu da ist, die Befehle anderer Menschen auszuführen, sondern, um die Welt kritisch zu betrachten und die eigenen Fähigkeiten einzubringen. Selbstbewusstsein kann man natürlich nicht befehlen. Wenn er aber glauben kann, dass Gott ihn ins Leben gerufen hat, dann hat er eine Autorität über sich, die ihm sehr viel Kraft gibt, den vielen kleinen Autoritäten unseres Lebens mal die Zunge rauszustrecken.
Das klingt ermutigend.
Das ist es auch. Wann wachen junge Menschen endlich auf und begreifen, dass man ihnen die schönsten Dinge des Lebens dadurch nimmt, dass man ihnen ständig sagt: Ihr müsst viel besitzen, viel genießen und viel erlebt haben?
Ich glaube die Chancen stehen ganz gut: Der Generation Y sagt man nach, sehr auf die Work-Life-Balance bedacht zu sein.
Diese Generation hat hoffentlich das revolutionäre Potenzial zu merken, dass man nicht glücklich wird durch das was man nimmt, sondern durch das was man gibt. In unserer Gesellschaft, in der Materialismus zur Ideologie geworden ist, zählt jedoch nur das was wir haben. Junge Leute dagegen können vielleicht einen Sport-Schuh nicht mehr anziehen, ohne an die Näherinnen zu denken, die ihn für 20 Cent die Stunde genäht haben. Da habe ich Hoffnung.
Braucht eine solche Haltung nicht die Stärkung des Selbst?
Stärkung des Selbst braucht eine Hingabe an das Du. Ich werde dadurch selbstbewusster, dass ich meine Arbeitskollegen ermutige, ihnen danke und ein Lächeln in die Welt sende. Dann kommt schon eins zurück – vielleicht nicht sofort …
…aber ein Lächeln geht immer.
Meine weltkriegserfahrene Oma hat mir als Lebensweisheit mitgegeben: Vom Teilen ist noch keiner arm geworden.